Читать книгу Seekrank auf bewegten Meeren – Schiffsjunge 1948-50 - Arne Gustavs - Страница 5
Motorschiff „HANS GEORG“
ОглавлениеDann kam ein Kapitän, der einen Schiffsjungen suchte, dem ich auch sogleich vorgestellt wurde. Mit blauer Schirmmütze vom Vater, Bundjacke, blauer Arbeitshose und Schaftstiefeln hielt ich seinen kritischen Blicken Stand. Als er hörte, dass ich von Hiddensee sei, nahm er mich sofort. Er verabschiedete sich, nannte uns den Liegeplatz des Schiffes, das „HANS GEORG“ hieß, auf dem wir uns dann einfinden sollten, wenn alle Formalitäten an Land erledigt wären. Ich weiß nicht, auf wie vielen Ämtern wir gewesen sind. Zunächst musste ich zum Vertrauensarzt, der meine Seetauglichkeit bescheinigen musste. Die Untersuchungen umfassten abgesehen vom Allgemeinzustand die Lungen, die Leisten, das Hör- und vor allem das Sehvermögen. Alles war in Ordnung. Auf dem Seefahrtsamt bekam ich eine Musterungsbescheinigung. Ein Seefahrtbuch wurde noch nicht ausgehändigt. Zu viele Jungs gaben sehr bald die Seefahrt wieder auf, so dass man Bücher nicht unnötig ausstellen wollte. Wichtig war die schriftliche Einwilligung meiner Mutter, mich zur See fahren zu lassen, die sorgfältig in einem Safe deponiert wurde. Die war wichtig, weil viele Jugendliche von zu Hause wegliefen, um unerlaubt ihr Glück auf See zu versuchen.
Als wir den Liegeplatz in Altona erreichten, empfing uns ein Mastenwald. Wie sollten wir da das Schiff finden? Aber da ragte schon der Bug eines Schiffes mit dem Namen HANS GEORG über die Pier hinweg. Es war gerade Ebbe und der Abstieg zum Schiff erfolgte über eine Leiter in der Kaimauer. Schnell sprangen zwei Matrosen mit einem Lukendeckel zu Hilfe, der über die Reling in die Leiter geschoben wurde, um Mutter das Anbordkommen zu erleichtern. Der Kapitän war auch schon auf dem Schiff und lud uns zu einer Tasse Kaffee in seinen Salon ein. Er hieß Pisch, war ein Mann von etwa 50 Jahren, stammte aus Mariendorf auf Rügen und kannte natürlich Stralsund gut. Im angeregten Gespräch fand man schnell gemeinsame Bekannte, und ich fand es sehr ordentlich von meinem Kapitän, seinen neuen Schiffsjungen zum Kaffee einzuladen. Dass aber die Einladung meiner Mutter galt, kam mir nicht in den Sinn, denn schließlich fühlte ich mich als Hauptperson.
Kapitän Pisch gab nun einige Erläuterungen zum Schiff. Die HANS GEORG – alle Schiffe sind weiblich, auch wenn sie einen männlichen Namen haben – hatte 300 Ladetonnen und gehörte einer Frau Krüger, der Mutter des 22jährigen Steuermannes, die auch mitfuhr aber jetzt nicht an Bord war.
Die HANS GEORG war in der Elsflether Werft AG im Jahre 1937 für den Reeder Krüger in Stettin gebaut worden. Das Schiff hat eine Länge von 34 Metern und eine Breite von 7 Metern. Im Jahre 1940 wurde es als Versuchsschiff an die Kriegsmarine abgegeben und wurde in der Landungsflotte in der Ostsee eingesetzt. Im August 1945 erfolgte die Rückgabe an die Reederwitwe Annie Krüger in Elsfleth.
Die nächste Reise soll mit Weizen nach Düsseldorf gehen. „Nach Düsseldorf?“ erkundigte sich Mutter erstaunt. „Düsseldorf liegt doch nicht am Meer!“ – „Hamburg auch nicht“, sagte lachend der Kapitän. „Um von der Nordsee nach Hamburg zu kommen, müssen wir acht Stunden die Elbe stromaufwärts fahren. Nach Düsseldorf werden wir rheinaufwärts ein bisschen länger unterwegs sein.“ Immerhin war eine Rheinfahrt mit einem Seeschiff etwas Ungewöhnliches. Zunächst würde die Reise über die Nordsee nach Rotterdam gehen, und von dort würden wir den Fluss hinauffahren.
Dann kam er auf mich zu sprechen, nannte die Tugenden eines Seemannes, die unbedingt zu beherzigen seien. Ein Seemann, so sagte er, ist ehrlich, willig und fleißig. Dann lobte er meinen Vorgänger im Dienst, der vorzeitig zum Jungmann befördert worden sei, und ich nahm mir vor, ihm nachzueifern. Ich wollte natürlich ein guter Schiffsjunge sein. Als nächstes wollte der Kapitän wissen, ob ich auch genügend Sachen hätte. Ich zählte ihm auf: eine Arbeitshose, die ich bereits anhatte, ein Paar Schaftstiefel, eine gute Hose, ein Paar Halbschuhe, eine Schirmmütze, einige Hemden, Socken, etwas Unterwäsche und zwei Decken für die Koje. Viel war es nicht. „Und was willst du an Deck auf die Füße ziehen? Die Stiefel sind zu schwer im Sommer.“ – „Ich kann ja barfuß laufen“, meinte ich. „Nee, Junge, das geht nicht, da holst du dir Repitismus.“ Er meinte Rheumatismus. Da ich kein Geld hatte, schlug er vor, wenigstens ein Paar Holzpantoffeln zu kaufen und gab mir einen kleinen Vorschuss von 10 Mark. An Heuer bekäme ich 20 Mark im Monat bei freier Kost und Logis.
Nach dem Imbiss machten wir eine Schiffsbesichtigung. Neben dem Salon war die Kammer von Frau Krüger. Dann sahen wir die Kammer des Steuermanns, warfen einen Blick von oben in den Maschinenraum, gingen an der Kammer des Kapitäns vorbei und beendeten unsere Rundgang durch das Achterschiff in der Kombüse, meinem künftigen Tätigkeitsfeld, denn ich hatte für die siebenköpfige Mannschaft zu kochen, Backschaft zu machen und alles sauber zu halten.
Dann verabschiedete sich Mutter mit den Worten: „Auf Wiedersehen in sieben Jahren.“ Das war die Mindestzeit, um Kapitän zu werden, und das erwartete – wenn auch scherzhaft gemeint – sie von mir.
Nun war ich allein auf dem Schiff. Meine Sachen musste ich ins Ruderhaus stellen, weil meine Koje im Vorschiff noch von einem Leichtmatrosen belegt war, der erst am nächsten Tag von Bord gehen würde. Dann kam der Kapitän mit einem Auftrag. Ich musste ihn zur Post begleiten und ein großes Paket tragen. Es war wirklich schwer und zerrte an meinen Armen. Dann nahm ich es auf eine Schulter und wälzte es bald von der einen auf die andere Seite. Dabei musste ich mit dem Kapitän Schritt halten. Meine erste Arbeit, dachte ich. Hoffentlich ist nicht die ganze Seefahrt so schwer. Eine dunkle Ahnung beschlich mich. Doch, noch bevor wir die Post erreichten, wurde ich von der Last erlöst und eilte zurück an den Hafen, wo ich mir in einem der vielen kleinen Läden, die an der Hafenstraße lagen, um die Seeleute mit dem Nötigsten zu versorgen, ein Paar Holzpantoffeln kaufte.
Zurück an Bord, lernte ich weitere Besatzungsmitglieder kennen, die sich inzwischen eingefunden hatten. Da war Frau Krüger, die Witwe des Schiffseigners, deren 22jähriger Sohn auf dem Schiff als Steuermann fuhr. Er sollte dann später das Schiff als Kapitän fahren. Frau Krüger bewohnte die Kapitänskammer neben dem Salon. Der Steuermann die Steuermannskammer und der Kapitän die Maschinistenkammer. Alle Räume waren durch einen Korridor verbunden, der um den Maschinenschacht herumführte. Ein Maschinist fuhr das Schiff nicht, die nötigen Arbeiten an der Maschine besorgte der Matrose Eugen, der Bestmann. Im Übrigen wurde die Maschine vom Ruderhaus aus bedient.
Den inneren Korridor erreichte man durch die Kombüse, wie man an Bord die Küche nennt. Sie unterschied sich eigentlich nicht von einer Küche an Land – bis auf die schwere Eisentür, die mit zwei kräftigen Riegeln wasserdicht verschlossen werden konnte. Von Deck stieg man über eine etwa kniehohe Schwelle auf eine Stufe in der Kombüse, die etwas tiefer als das Deck lag. Kam man hinein, so befand sich zur Linken ein großer Kohleherd mit mehreren Feuerstellen, die mit Herdringen abgedeckt waren. Dahinter befand sich an der Bordwand ein Spülbecken mit einer Geschirrablage zum Abtropfen des Geschirrs. Daneben an der Bordwand war ein Küchenschrank mit Türen und Schüben, wie er in den Küchen üblicherweise verwendetet wurde. An der Wand gegenüber der Eingangstür war die Tür zur Maschinistenkammer. An der vierten Wand waren neben der genannten Kammertür der Zugang zum inneren Korridor und ein tischhohes Schränkchen, an dem die Matrosen ihre Mahlzeiten einnahmen. Der Fußboden war mit schwarzen und weißen Fliesen belegt und die Wände mit elfenbeinfarben gestrichenen Brettern verkleidet. Dies war nun mein Revier, in dem ich nun unter der Regie von Frau Krüger zu wirtschaften hatte. Man lobte den Jungmann Manfred, der alles schön sauber und ordentlich gehalten hatte, und ich versprach, es gleichfalls zu tun. Dann fragte mich meine Küchenregentin, wie ich denn hieße. Als ich ihr meinen Namen nannte, sagte sie: „Nun haben wir auch einmal einen Arne.“ So, wie sie die Antwort formulierte, hatte ich den Eindruck, dass hier die Schiffsjungen sehr häufig wechselten. Schließlich wurde man ja erst nach einem Jahr befördert. Dass dieser schwache Hinweis sich zu einem schwerwiegenden Umstand entwickelte, sollte ich dann bald erfahren.
Doch zunächst war alles neu und interessant für mich, und ich überlegte auch gleich, wo ich mich denn am besten aufhalten könne, wenn ich Freizeit hätte, um möglichst viel von der Welt zu sehen. So schaute ich erst einmal aus der Kombüsentür nach vorn. Das Vorschiff ragte hoch hinauf, denn das Schiff war leer. Über dem Bug konnte man nur den Himmel sehen. Lediglich zur Seite war der Blick frei. Auf der rechten – auf dem Schiff spricht man von Steuerbord – war die Kaimauer, und auf der linken – Backbord genannt – lagen weitere Schiffe, die zu fünfen oder sechsen ein Päckchen bildeten. So wurde unser Schiff zum Durchgang für alle Besatzungsmitglieder der benachbarten Schiffe, die munter über Deck und Luken das Schiff überquerten, teils mit Seesäcken bepackt, wenn sie ab- oder anheuerten. Sogar eine Seekiste habe ich gesehen, die zu zweit über die Schiffe bugsiert wurde. Unser Schiff war unter den vielen anderen noch das größte, ein recht modernes Küstenmotorschiff, während die anderen altmodische Motorsegler waren.
Die Nacht musste ich im Kartenhaus verbringen, weil meine Koje noch nicht frei war. Eine schwach gepolsterte schmale Bank war meine bescheidene Lagerstatt. Lange lag ich wach, die vielen neuen Eindrücke ließen keinen Schlaf aufkommen. Selbst im Dunkeln auf dem Schiff gab es immer wieder Neues wahrzunehmen. Das Schiff schaukelte leicht auf den kleinen Wellen im Hamburger Hafen, die ständig gegen das Achterschiff platschten. Dann fuhr ein Schiff vorbei. Man hörte deutlich die Maschinengeräusche näherkommen und wieder verschwinden. Die Bugwelle schlug kräftig gegen das Schiff. Wieder und wieder fuhren Schiffe vorbei, mal näher, mal ferner. Signalhörner tuteten, und Dampfpfeifen heulten über die Elbe. Doch endlich überkam mich die Müdigkeit, und ich schlief ein.
Am anderen Morgen war ich zeitig wach, erhob mich leise von meinem spartanischen Lager und sah mich um. Das Kartenhaus mit seinem Kartentisch lag hinter dem Ruderhaus, in das ich hinüber ging. Bewegte etwas das Ruderrad, betrachtete den Kompass und stellt mir vor, das Schiff zu steuern. Wann würde ich wohl das erste Mal hier meinen Dienst tun?
Ich sah durch das Fenster auf das Schiff; sah die hintere und die vordere Ladeluke, zwischen denen der Mast stand. Ganz vorne führten auf jeder Seite Treppen zur Back hinauf, unter der das Mannschaftslogis war. Eine Niedergangkappe deckte die Treppe nach unten ab. Aber da öffnete sich schon die Tür, und Manfred erschien an Deck. Er sah mich und winkte mich sofort mit gebieterischer Geste nach unten in die Kombüse. Mein Dienst begann. Manfred machte mich nun mit meinen täglichen Pflichten vertraut. Morgens um 6 Uhr hatte ich mich von einem Wecker wecken zu lasen, aufzustehen und in der Kombüse Feuer zu machen. Dazu öffnete er eine Kiste, die als Stufe am Kombüseneingang diente, entnahm ihr eine Konservenbüchse, in der im Dieselöl Kleinholz stand. Er öffnete den Herd, legte das dieselgetränkte Holz hinein, gab Steinkohle darauf und zündete das Holz an. Es dauerte nicht lange, da brannte im Herd ein kräftiges Feuer. Nun wurde Kaffeewasser aufgesetzt und zum Kochen gebracht. Aus einer Büchse holte er Kaffee, der sich als richtiger Bohnenkaffee erwies. Er war damals an Land noch eine Köstlichkeit, die auf dem Schwarzen Markt nur mit viel Geld zu haben war. Der Tisch wurde mit Messern, Brettern und Muggen gedeckt. Im Schrank hatte jeder seinen Teller mit seinem Proviant, der ihm regelmäßig zugeteilt wurde. Butter, Käse, Wurst, Marmelade. Brot gab es reichlich, so dass es nicht zugeteilt zu werden brauchte. Jeden Morgen wurde ein ganzes Brot mit der Hand in gleichmäßige Scheiben aufgeschnitten. Ich bekam soviel Übung darin, dass eine Scheibe der anderen glich. Der Kapitän wurde von mir nicht geweckt. Er kam nur, seinen Kaffee zu brühen und verschwand damit im Salon. Ich bekam nur sein Geschirr zum Abwaschen.
Manfred wies mich in die weiteren Aufgaben ein. Zunächst war Backschaft zu machen, so nennt man das Abwaschen, und Aufklaren der Kombüse. Der Tagestank war mit Frischwasser vollzupumpen. Im Maschinenschacht war eine Schwengelpumpe, mit der das Wasser aus dem großen Tank im Schiffsboden in den über der Kombüse gelegenen Tagestank zu pumpen war, bis das überlaufende Wasser unten in die Bilge plätscherte. Dann waren Kartoffeln zu schälen. Hinter dem Ruderhaus war das so genannte Kartoffelhuk, eigentlich ein Niedergang, der aber mit Brettern verschlossen war, auf denen nun die Kartoffeln lagerten. So setzte ich mich in der Kombüse auf einen Hocker, nahm eine Pütz zwischen die Beine, legte die Unterarme auf die Knie und begann mit dem hinteren Ende der Messerklinge meine Arbeit. Der Kapitän sah das und sagte: „Beim Kartoffelschälen legt man nicht die Arme auf die Knie, man sitzt gerade.“ Ich setzte mich gerade hin. Nach einer Weile kam er wieder und sah das Messer. „Mit diesem Messer werden keine Kartoffeln geschält. Du nimmst dieses hier!“ In meinem Eifer, alles zur Zufriedenheit auszuführen, sagte ich nicht einfach „ja“ sondern „ja, ja“. – „Du sollst nicht immer ja, ja sagen, und außerdem hältst du das Messer falsch. Du musst mit der Spitze schälen. Hörst du?“ – „Ja, ja“, antwortete ich. „Du sagst ja schon wieder ja, ja! Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht immer ja, ja sagen sollst!“ Mir war unklar, warum ich nicht ja, ja sagen sollte, war es doch in bester Absicht geschehen. Aber da er es wünschte, bemühte ich mich, mit einem einfachen Ja zu antworten. Nach einer Weile hatte ich die Kartoffeln geschält, und der Kapitän gab Anweisung, die Kartoffeln zu waschen. „Du nimmst dir jetzt eine Back und stellst sie auf die Back.“ Er stutzte einen Augeblick und meinte: „Bei uns heißt alles Back. Die Schüssel hier ist eine Back, dieser Tisch ist eine Back, und da vorne ist auch eine Back.“ Dabei zeigte er auf den erhöhten Teil des Vorschiffes. Ich kannte die Begriffe bereits und sagte im Eifer ja, ja. „Du sagst ja schon wieder ja, ja! Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht immer ja, ja sagen sollst!“ Ich nahm mir nun vor, besser auf mein ja, ja zu achten, damit nicht wieder so etwas passierte. „So, nun wäschst du die Kartoffeln dreimal.“ Aber das Unglück wollte es, dass ich, durch die Arbeit abgelenkt, wieder ja, ja sagte. „Mann, wat büst du dämlich!“, fuhr mich der Kapitän an. „Jetzt sagst du schon wieder ja, ja! Weißt du nicht, was das heißt?“ – „Nein“, sagte ich leise. „Na, dann will ich es dir sagen“, und er zitierte die bewusste Stelle aus dem „Götz von Berlichingen“. Nun war ich im Bilde und hütete mich jetzt ganz besonders vor einem nochmaligen ja, ja. Es ging wirklich eine Zeitlang gut, bis es mir dann doch wieder einmal im Eifer über die Lippen rutschte. Der Kapitän sah mich mitleidig an und sagte: „Ach Moses, wat büst du doch dämlich!“ Nun hörte ich zum ersten Mal das Wort „Moses“. Ich kannte die Bezeichnung für Schiffsjungen nicht und glaubte, es wäre eine Bezeichnung für Doofe. Ich sah zwar keinen Zusammenhang mit dem biblischen Propheten, aber bei volkstümlichen Bezeichnungen war man sich ja nie ganz sicher. Nun redete er mich fortan mit Moses an, was mich jedes Mal kränkte, da ich mich ja nun doch nicht für so doof hielt.
Nun war ich mit Schälen fertig und warf die Kartoffelschalen einfach Über Bord. Doch der Kapitän belehrte mich: „Über Bord darf im Hafen nichts geworfen werden. Das kostet 10 Mark Strafe, wenn man dich erwischt.“ Ich kümmerte mich aber nicht darum, denn ich wusste ja nicht, wo ich mit den Schalen bleiben sollte. Darüber gab mir der Kapitän keine Auskunft. Also blieb ich bei meiner Über-Bord-Methode. Das galt natürlich für alles andere, wie Asche und sonstige Abfälle auch.
Die Kartoffeln wurden aufgesetzt, und ein Topf wurde mir gezeigt, in dem Fleisch geschmort wurde. Meine Aufgabe war es nun, das Fleisch nicht anbrennen zu lassen. Alles Übrige machte der Kapitän.
Während die Kartoffeln kochten, fegte ich das Mannschaftslogis aus und brachte es in Ordnung. Meine Koje war inzwischen frei geworden und wurde von mir hergerichtet. Ich bezog die obere Querschiffskoje. Die beiden unteren Kojen blieben Älteren Dienstgraden vorbehalten. Jede Koje hat nämlich ihren Wert und damit auch einen Rang. Der beste Schlafplatz war die untere Längsschiffskoje, die schlechteste die obere Querschiffskoje. Querschiffskojen haben den Nachteil, dass man beim Krängen des Schiffes, d. h., wenn es zur Seite geneigt war, was im Hafen beim Be- und Entladen vorkam, zuweilen mit dem Kopf nach unten lag, was nicht sehr angenehm war. Auch wurde auf bewegter See das Schlingern stärker empfunden. Die Frage, ob nun eine obere Längsschiffskoje oder eine untere Querschiffskoje besser sei, wird meistens zugunsten der unteren entschieden. Unten zu schlafen ist vornehmer. So war denn die Rangfolge bei der Mannschaft an der Kojenbelegung abzulesen. Der 25jährige Eugen war der Älteste und fuhr als Bestmann, der gleichzeitig die 300 PS starke Maschine zu warten hatte. Hein war der Leichtmatrose, von Beruf Bäcker und etwa gleichaltrig mit Eugen. Manfred als frischgebackener Jungmann schlief in der oberen Längskoje.
Mein Kojenzeug war bescheiden. Eine dünne grüne Friesdecke bildete die Unterlage auf einer Matratze, die auf Brettern lag. Zum Zudecken hatte ich eine graue Militärdecke mit dem roten Streifen an einem Ende und einem blauen am anderen Ende. Als Kopfkissen diente eine Schwimmweste, die in jeder Koje lag. Geschlafen wurde im Unterzeug. Die anderen hatten keine bessere Ausstattung, denn in „weißem Kojenzeug“ schlief niemand, die Bettwäsche wäre auch zu aufwendig an Bord gewesen.
Nach dem Mittagessen wurde wieder Backschaft gemacht und anschließend die Kombüse gescheuert. Das geschah mit einem Leuwagen, den man an Land Schrubber nennt. Damit ging ich mit etwas Ata den schwarzen und weißen Fliesen zu Leibe. Aber dem Kapitän gefiel meine Arbeitsweise nicht. „Du hast wohl bei deiner Großmutter scheuern gelernt? An Bord macht man das so.“ Er nahm mir den Leuwagen aus der Hand und tanzte wie eine aufgezogene Puppe mit dem Leuwagen in Windeseile von einer Fliese zur anderen. Ich musste es genauso machen und kam dabei ganz schön ins Schwitzen.
Anschließend war etwas Zeit, meine Sachen in den Schrank zu ordnen. Es war nicht viel, das meiste vom Vater, der als vermisst galt und für tot erklärt worden war. So nach und nach wollte ich mir einiges von der Heuer kaufen.
Hein und Manfred waren unterdessen mit Malen beschäftigt. Das Schiff war grau gestrichen, und die Verschanzung bekam einen neuen Anstrich. Das Malen ist überhaupt eine ständige Tätigkeit an Bord, denn das Schiff konnte nur stückchenweise von der Mannschaft gestrichen werden. Ein Anstrich in der Werft wäre zu teuer gewesen.
Am nächsten Tag verholten wir in den Roßhafen. Zunächst mussten wir aus dem Päckchen herausmanövrieren. Dabei wurde das Päckchen von fünf oder sechs neben uns liegenden Schiffen in das Hafenbecken hinausgeschoben, bis wir einen freien Ausgang hatten. Das unmittelbar neben uns liegende Schiff holte danach das Päckchen wieder an die Kaimauer zurück.
Mitten im Roßhafen lag ein großes amerikanisches Schiff, ein sogenanntes Liberty-Schiff, das 10.000 Tonnen Weizen geladen hatte, der von vier schwimmenden Getreidehebern, die auf jeder Seite vorne und achtern ihre Saugrüssel in die Laderäume gesenkt hatten, in die kleinen Schiffe umgeladen wurde. Der Weizen kam im Rahmen der Marshall-Plan-Hilfe aus Amerika, die 1948 in Kraft gesetzt wurde. Diese Liberty-Schiffe nannte man auch 99-Tage-Schiffe, weil sie während des Krieges in 99 Tagen gebaut wurden, um die großen Tonnageverluste durch den UBootkrieg auszugleichen. Schiffe solcher Größe besaß Deutschland nicht mehr. Alle Schiffe mit mehr als etwa 1.000 bis 2.000 Ladetonnen gingen im Rahmen der Reparationsleistungen vorwiegend nach England.
Der Weizen strömte nun unablässig in den Laderaum, den die Mannschaft zu trimmen hatte. Längs der Mitte des Laderaumes war aus Bohlen eine Trennwand eingezogen worden, um ein seitliches Verrutschen der Ladung zu verhindern, denn das Schiff könnte dadurch in Schieflage geraten und dabei kentern. Das große Segelschiff „PAMIR“ ist auf diese Weise im Sturm auf dem Atlantik gekentert und untergegangen. Mit Schaufeln und Händen wurde diese kostbare Fracht in alle Winkel verteilt, um möglichst viel in das Schiff aufnehmen zu können. Es war ein ungewöhnliches Gefühl, in so viel Weizen zu sitzen, wo die Leute an Land für eine Tüte voll schon dankbar gewesen wären. Es wurde auch viel mit Weizen schwarz gehandelt, der auf solchen Transporten gestohlen wurde, und auch unsere Mannschaft hatte bei früheren Ladungen einen ganzen Sack voll Weizen an Land gehen lassen. Polizei und Zoll hatten viel zu tun, um das kostbare Gut aus Amerika auf den gesetzlichen Wegen zu halten.
Am Abend war das Schiff voll beladen, und wir machten uns sogleich auf die Reise elbeabwärts. Es war auslaufender Strom, denn wir hatten den Höhepunkt der Tide überschritten, und das Wasser strömte zurück in die Nordsee. Die Schiffe richten sich beim Ein- und Auslaufen immer nach dieser recht starken Strömung, um schneller den Hafen oder das offene Meer zu erreichen.
Während der Fahrt wurden die Luken geschlossen. Schwere Holzbohlen wurden auf die quer zum Schiff liegenden Scherstöcke gelegt. Dann wurde eine Persenning, das ist eine Plane, über die Luken gelegt, deren Ränder mit Eisenlatten und Keilen verschalkt wurden. Schließlich wurde das Deck gefegt, und unser Schiff war seeklar. Ruhig lag das Schiff auf der Elbe, deren Wasser seitlich durch die Speigatten auf das Deck spülten. Wie mag das wohl bei Seegang aussehen?
Nach dem Abendbrot legte ich mich in meine Koje und schlief ein. Etwa um Mitternacht wurde ich geweckt. Ich sollte ins Ruderhaus kommen. „Wir haben jetzt Cuxhaven achteraus“, sagte der Kapitän, blieb mir aber eine Erklärung für meine Anwesenheit dort oben schuldig. Immerhin war es für mich neu, nachts auf einem fahrenden Schiff im Ruderhaus zu stehen, und so freute ich mich an den Lichtern der vielen ein- und auslaufenden Schiffe. Es war dunkel, und es wurde kaum gesprochen. Manfred stand am Ruder, er ging die erste Wache. Das Schiff fuhr ganz ruhig, aber nach einiger Zeit kam etwas Bewegung in das Schiff, bis es in ziemlich regelmäßigem Auf und Nieder seinen Kurs auf die Nordsee nahm. Mich überfiel eine starke Müdigkeit, die ich zunächst mit der nächtlichen Stunde zu erklären suchte. Meine Glieder wurden schwerer und schwerer, es machte mir Mühe die Augen offen zu halten. Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich. Es lag später zwischen Müdigkeit und Übelkeit. Die Bewegung des Schiffes wurde stärker. Anfangs konnte ich sie noch durch Gegenbewegung des Körpers ein wenig ausgleichen. Doch nun gewannen sie die Oberhand und schaukelten meinen müde und schlaff gewordenen Körper hin und her. „Darf ich jetzt wieder schlafen gehen?“ fragte ich. Der Kapitän erlaubte es und trug mir auf, Eugen zu wecken, damit er die nächste Wache antrete. Der Steuermann war auch schon auf der Brücke, um den Kapitän abzulösen. Es war 12 Uhr nachts. Ich eilte nach vorn, die auf- und niedergehende Schiffbewegung war dort viel stärker als achtern zu spüren, und ich merkte, dass mir sehr übel wurde und ich sogar einen Brechreiz verspürte. Mein einziger Gedanke war: Schnell in die Koje! Aber Eugen musste noch geweckt werden, doch als ich ihn ansprechen wollte, kam statt der Worte das Abendbrot aus meinem Munde. Ich war seekrank! Nun war mir alles egal. Eugen war wach, der Fußboden beschmutzt, und ich lag apathisch in der Koje. Man nahm aber keinen Anstoß daran.
Am nächsten Morgen wurde ich geweckt. Eugen stand an meiner Koje. Das Wasser tropfte ihm von der Mütze, und seine Öljacke war nass. „Wir haben schlechtes Wetter bekommen“, sagte er. Das Schiff war unablässig in Bewegung. Das Stampfen und Rollen war noch viel stärker als am Abend zuvor. Im Logis stand das Wasser fußhoch über dem Fußboden und schwappte ständig von einer Ecke in die andere. Mein Abendbrot war längst in den Fluten versunken. Auf Bank und Back turnend kleidete ich mich an und stieg den Niedergang hinauf an Deck. Das Wetter war wirklich sehr schlecht. Der Himmel dicht mit Wolken verhangen, der Sturm fegte über das Wasser und peitschte die Wellen hoch, die Brecher kamen über die Niedergangskappe, spülten über das Deck und verwandelten es samt der Luken in einen brodelnden Kessel, aus dem nur noch der Mast und das Achterschiff herausragten. Wie sollte man da nach achtern kommen? Nach ein paar Sekunden hob sich das Vorschiff wieder, das Wasser lief von den Luken herunter. Doch das Deck blieb unter Wasser, denn nun setzte der nächste Brecher wieder die Luken unter Wasser, ehe das Wasser des vorhergegangenen durch die Speigatten abgeflossen war. Es gab keine andere Möglichkeit nach achtern zu kommen, als den Moment abzupassen, in dem die Luken wasserfrei waren. Und mir blieben nur wenige Sekunden, über die Luken nach achtern zu gelangen.
In der Kombüse war ich allein. Das Feuer brannte im Herd, der Kaffee war gekocht. Hein hatte Wache und stand am Ruder. Frau Krüger ließ sich nicht sehen. Frühstücksappetit hatte ich auch nicht. Übelkeit und Brechreiz stellten sich wieder ein und forderten ihren Tribut an die bewegte See, ein Ereignis, das das Befinden für einige Zeit etwas besserte. Die Holzkiste vor der Tür erwies sich als bequemer Sitzplatz. Apathisch betrachtete ich das Wasser, das mit jedem überkommenden Brecher vor der Kombüsentür über das Deck spülte und von Zeit zu Zeit meinen Mageninhalt, der sich darin ergoss, in das Meer mitnahm. Mir wurde immer elender zumute. Immer wieder musste sich der Magen entleeren, was nun unter heftigen Krämpfen geschah. Etwas Magensaft und Galle forderten unerbittlich den Weg ins Freie. Der Geschmack auf der Zunge war widerlich. Nachdem sich der Krampf gelöst hatte, sackte ich wieder apathisch auf die Kiste zurück und lehnte mich ermattet an die Wand, bis der nächste Anfall kam. Mein Befinden war unbeschreiblich schlecht, ich dachte an nichts, und die Zeit verging.
Mittags kam der Kapitän in die Kombüse, sah zum Herd und grunzte mich böse an: „Sitzt hier in der Kombüse und lässt das Feuer ausgehen!“ Nun musste ich wieder das Feuer in Gang bringen. Es ging eigentlich besser als ich dachte. Die scharfe Ansprache hatte mich aufgemuntert, und bald brannte wieder das Feuer im Herd. Aber nach getaner Arbeit stellte sich wieder die Apathie ein, und ich war versucht, mich wieder auf die Holzkiste zu setzten. Blieb aber an die Back gelehnt stehen, um von Zeit zu Zeit nach dem Feuer sehen zu können. Das Aufstehen bedeutet bei Seekrankheit eine ungeheure Willensanstrengung. Dagegen verfällt man im Stehen nicht so schnell in Lethargie. Nach einiger Zeit kam der Kapitän zurück, sah mich böse an und sagte: „Gibt es bei dir immer so flaue Bissen?“ Ich verstand nicht recht, was er meinte. „Willst du uns kein Mittag kochen, du Dösbüdel?“ schnaubte er und verschwand. Ich muss mich ja um das Essen kümmern! In Hamburg hatte mir Frau Krüger gesagt, was zu tun sei. Nun lag sie seekrank in der Koje und ließ sich nicht sehen. Ich muss ja Kartoffeln kochen! schoss es mir durch den Kopf. Nahm eine Pütz und ging auf das Achterdeck, um Kartoffeln zu holen. „Nun brauchst du kein Mittag mehr zu machen“, rief der Kapitän, indem er seinen Kopf aus der Tür des Ruderhauses steckte, „die Mittagszeit ist jetzt vorbei!“ Dann verschwand er wieder im Ruderhaus.
Mir war diese Mitteilung sehr willkommen. Ich blieb auf dem Achterdeck, setzte mich auf die dort aufgeschossenen Festmacher hinter den Schornstein, wo ich windgeschützt frische Luft atmete, die mir sehr gut tat. Nur hin und wieder musste ich an die Reling, um dem bewegten Meer meinen Tribut zu zollen. Man ließ mich dort auch in Ruhe. Nachmittags schlief der Kapitän. Der Steuermann hatte Wache. Er kam zu mir hinter den Schornstein und meinte mitfühlend: „Na, bist du seekrank?“ Ich nickte müde. „Wirst dich noch daran gewöhnen. Viele werden anfangs seekrank, aber das gibt sich mit der Zeit.“ Gegend Abend kam Manfred und befahl mich mit strenger Miene in die Kombüse, wo ich unter seiner Regie Bratkartoffeln zu machen und Kaffee zu kochen hatte, und war danach froh, mich wieder in die Koje legen zu können.
Am anderen Morgen war das gleiche Wetter. Der Himmel war mit Wolken verhangen, und die Brecher schlugen über das unentwegt auf und ab stampfende Schiff. Mein Zustand war alles andere als rosig. Etwas weich in den Knien lief ich über die Luken nach achtern, um mich um die Kombüse zu kümmern. Im Gesicht sah ich grau und elend aus. Es war wie am Vortage. Kein Appetit, keine Kraft, eine Arbeit ordentlich zu verrichten. Dazu die Übelkeit, Schwindelgefühl und Kopfschmerzen. Der Magen meldete sich wieder, der mich die Nacht über in Ruhe gelassen hatte und krampfte sich von Zeit zu Zeit zusammen, um die letzten Tropfen Galle auszupressen, die in zähen Tropfen über die Zungen glitten.
Wenn ich einen Augenblick saß, verfiel ich gleich in völlige Apathie, schloss die Augen und träumte wie in Trance irgendwelche Dinge. Meist waren es Arbeiten, die ich zu verrichten hatte, aber zu denen ich mich nicht aufraffen konnte. Ich war recht unglücklich über meinen Zustand, denn die Seefahrt hatte ich mir doch ein wenig anders vorgestellt. An die Seekrankheit hatte ich nie ernsthaft geglaubt. Dafür packte sie mich jetzt umso heftiger, und meine einzige Hoffnung war, dass ich mich bald daran gewöhnen würde.
Der Kapitän war mit mir unzufrieden. „Das ist doch keine Seefahrt, das ist eine Salonfahrt! Sieh mal raus, was da für schönes Wetter ist! und du stehst hier und kotzt!“ Gehorsam sah ich durch das Bullauge auf die stürmisch bewegte See. Die Wolkendecke war ein wenig aufgerissen, und die Sonne ließ das Wasser grünlich hell erscheinen, auf dem die mit leuchtend weißen Schaumkämmen verzierten Wellen lustig tanzten. Sie leckten mit ihren Spitzen am Bullauge und verschlossen es zuweilen für einen Augenblick mit einem hellgrünen Vorhang. Es war wirklich ein schöner Anblick, den ich selbst bei meinem Zustand so empfand. Dass es wirklich eine Salonfahrt war, begrifflich erst später, als von den nassen Arbeiten auf den kleinen Segelschiffen hörte, wo die Matrosen bis an die Hüften im Wasser stehend, sich mit den Füßen unter dem Schotwagen haltend vor dem Mast die Segel setzten.
Ich hatte mich mal wieder aufgerafft, um nach dem Feuer zu sehen. Für kurze Arbeiten konnte ich meine Kräfte noch sammeln und die Trägheit überwinden, ermattete aber sehr bald und sank wieder auf meine Kiste an der Tür zurück. Meine Hände waren schmutzig, die Haut merkwürdig klebrig, das Gesicht schmal und grau, die Mütze saß schief auf dem Kopf, kurz, mein Äußeres war mir völlig gleichgültig geworden. Da kam der Kapitän in die Kombüse und scheuchte mich auf: „Moses, wie siehst du bloß aus! Wir haben jetzt Höck von Holland achteraus. In einer halben Stunde kommt der Lotse an Bord. Was sollen die Holländer von uns Deutschen denken, wenn sie dich sehen! Dieses Schiff ist ein Stück deutscher Boden, und damit wollen wir einen guten Eindruck im Ausland machen!“
Ich nahm mir das sehr zu Herzen. Nun kam ich schon mal ins Ausland und musste dort gleich einen schlechten Eindruck machen. Natürlich wollte ich Deutschland keine Unehre antun und hielt es für das Beste, mich erst gar nicht sehen zu lassen. Der Platz hinter dem Schornstein schien mir geeignet zu sein, mich zu verbergen, denn ich glaubte, der Lotse käme unten bei der Kombüse an der niedrigsten Stelle des Schiffes an Bord. Aber das war ein Irrtum. Nach einer Weile kam Eugen, warf ein bereitliegendes Fallreep über die Reling, und gleich darauf erschien der Lotse an Deck, und sein erster Blick fiel genau auf mich! Ich schämte mich in Grund und Boden. Meine seelischen Kräfte waren erschöpft; ich fühlte mich in diesem Moment als die personifizierte Schande Deutschlands und hoffte nur, der Lotse möge dem Kapitän nichts sagen.
Wir näherten uns jetzt der holländischen Küste, die See wurde ruhiger, bis sie sich glättete, als wir auf beiden Seiten die Ufer der Rheinmündung sahen und Kurs auf Rotterdam nahmen. Mein Unwohlsein verschwand, und der Appetit stellte sich gleich so stark ein, dass ich mich, ohne die nächste Mahlzeit abzuwarten, über meinen Proviant hermachte. Ich hatte viel nachzuholen, und bald war die Seekrankheit vergessen. Die Kräfte kamen wieder und glücklich blickte ich auf die in der Ferne auftauchende Silhouette von Rotterdam. Der Wind legte sich, die Sonne kam durch die Wolken, und bei herrlichem Sonnenschein liefen wir in Rotterdam ein. Ein Motorboot kam, nahm den Seelotsen von Bord und brachte den Rheinlotsen, der uns nun die ganze Reise nach Düsseldorf und zurück begleiten sollte.
Nun gab es viel Arbeit, denn der Mast musste umgelegt werden, damit das Schiff unter den Rheinbrücken durchfahren konnte. Wir machten dazu an einem Kai in der Nähe der Stadt für kurze Zeit fest, und mich überkam doch ein wenig Stolz, holländischen Boden zu betreten, wenn auch nur für einen Augenblick, als ich an Land sprang, um die Augen der Festmacher über die Poller zu legen. Bald kam auch ein Lieferwagen und brachte Proviant. Feiner holländischer Käse, Butter, Büchsenmilch und viele andere schöne Dinge, die ich noch nie gesehen hatte.
Gegen Mittag fuhren wir durch Rotterdam. Ich war in der Kombüse beschäftig und hatte nur wenig Gelegenheit, einen Blick durch das Bullauge über dem Spülbecken zu werfen oder an Deck zu gehen, um ein paar Eindrücke von dieser Stadt zu erheischen, von der ich schon einiges gehört hatte. Die Straße führte am Rheinufer entlang, an der alte Häuser mit schönen Fassaden standen. Hin und wieder konnte ich einen Blick in eine der vielen Grachten werfen, die wie Querstraßen vom Rhein in die Stadt führten. Auffallend waren die vielen Radfahrer, die in besonders großer Zahl auf den Rheinbrücken zu sehen waren; es sah aus, als wäre ganz Holland auf Rädern unterwegs. Ich wusste auch, dass Rotterdam im Krieg durch Bombenangriffe starke Schäden erlitten hatte, aber vom Schiff aus waren keine zerstörten Häuser zu erkennen. Die Stadt machte einen unzerstörten Eindruck, einen ganz anderen als Hamburg.
Bald lag Rotterdam hinter uns, und außer den grünen Deichen, die links und rechts den Blick übers Land versperrten, gab es nichts Sehenswertes.
Am Abend wurde geankert, weil nachts auf dem Rhein die Schifffahrt ruht. Wir brauchten deshalb keine Wache zu gehen, und mein Tagesablauf war in der Kombüse unter der Regie von Frau Krüger wieder wie im Hamburger Hafen.
Allerdings kam morgens eine neue Aufgabe auf mich zu. Ich musste nämlich beim Ankerlichten in den Kettenkasten steigen, um dort die langsam mit dem handbetriebenen Ankerspill eingeholte Ankerkette zu verstauen. Ich machte meine Arbeit gründlich und legte die Kette so kunstvoll, dass der erstaunte Kapitän mich zwar lobte, aber doch meinte, es genüge, die Kette gleichmäßig zu verteilen, damit beim Ankerfallen keine Törns entstehen, die, wenn sie in die Klüse gelangen, erheblichen Schaden anrichten könnten.
Morgens stand ich wie in Hamburg um 6:30 h als erster auf und weckte nach den Frühstücksvorbereitungen die übrige Mannschaft vor dem Mast mit einem lauten „Aufstehen“, das ich den Niedergang hinunter rief. Aber Eugen sagte mir, dass ich „Reise, Reise“ sagen solle. Ich wusste mit diesem Reise, Reise aber nichts anzufangen und rief gehorsam jeden Morgen „Aufstehen, Reise, Reise“ mit der stillen Frage, warum denn ausdrücklich gesagt werden müsse, dass wir auf die Reise gehen, und wozu die Kindersprache. Aber dann kam doch die Erklärung: Reise, Reise kommt vom Englischen to rise und bedeutet einfach aufstehen und ist der Weckruf auf Schiffen.
Um 8 Uhr gab es Frühstück, dann machte ich Backschaft, fegte die Kombüse aus, schälte Kartoffeln und machte das Logis sauber. Um 11 Uhr setzte ich die Kartoffeln auf. Um 12 Uhr gab es Mittag. Nach dem Mittagessen wurde wieder Backschaft gemacht und die Kombüse gescheuert. Von 13 bis 15:30 Uhr hatte ich Freizeit als Ausgleich für das frühe Aufstehen. Um 16 Uhr gab es Kaffee und um 18 Uhr Abendbrot. Einmal in der Woche gab es Milchsuppe zum Abendbrot. Nach dem abendlichen Backschaftmachen hatte ich Feierabend.
Am nächsten Tag erreichten wir Nijmegen auf der holländischen Seite der Grenze und danach Emmerich auf der deutschen. Die jeweiligen Zollbeamten interessierten sich jedoch nur für die Ladung und die Schiffspapiere.
Der Schiffsverkehr auf dem Rhein war beträchtlich. Holländische, französische, belgische, deutsche und schweizer Schiffe fuhren auf dem Rhein. Wir waren auch nicht das einzige Seeschiff auf dem Fluss. An der Grenzstation ankerte eine große Anzahl von Schiffen. Wir versuchten, an einem Schiff längsseits zu gehen. Das Manöver gelang wegen der Strömung nicht und musste mehrmals wiederholt werden. Ich rannte von vorn nach achtern und von achtern nach vorn, um einen Fender, ein als Tauwerk geflochtenen Sack, der an einem Seil hing, zwischen die Schiffe zu halten, damit sie durch die Zusammenstöße keinen Schaden nahmen. Dieser Aufgabe widmete ich mich mit großem Eifer. In halsbrecherischer Weise turnte ich manchmal außen am Rettungsboot entlang. Nur mit dem Ellenbogen die Persenning etwa eindrückend, hielt ich mich am Bootsrand. Wäre ich hinuntergefallen, wäre ich zwischen die Schiffe geraten und im Schraubenwasser rettungslos verloren gewesen. Dann war ein mittschiffs festgemachter Fender abgerissen worden und drohte ins Wasser zu fallen, sobald die Schiffe sich voneinander entfernten. Ich wollte diesen Fender retten, wartete den Augenblick ab, wo der Abstand zwischen den Schiffen groß genug war, um mit den Händen dazwischen fassen zu können, griff den Fender und holte ihn an Bord. Das war äußerst leichtsinnig von mir, denn bei einer unerwarteten Annäherung der Schiffe wären beide Hände abgequetscht worden. Ein Leichtmatrose vom anderen Schiff – es war die „ELEONORE“ -, mit dem ich später auf der „KLAUS LEONHARDT“ fuhr, hatte dies beobachtet und mir später noch Vorwürfe gemacht, denn der Fender wäre kein Verlust gewesen. Aber ich wollte doch ein guter Moses sein und keinen Fender verloren gehen lassen.
In Düsseldorf machten wir an einem Getreidespeicher fest. Das Löschen der Ladung ging schnell, so dass gar keine Zeit blieb, an Land zu gehen.
Auf der Rückfahrt war ich allein in der Kombüse, denn Frau Krüger war an Land geblieben, was ich als sehr angenehm empfand, denn so konnte ich selbständig hantieren, ohne von ihr gegängelt zu werden. Sie war zwar freundlich zu mir, aber irgendwie musste ich mich doch nach ihr richten, und die Mannschaft machte mir Vorhaltungen, wenn ihr etwas nicht gefiel.
Zweimal wöchentlich wurde die Kaltverpflegung ausgeteilt. Der Kapitän gab mir die Kaltverpflegung für die ganze Mannschaft, die ich zu verteilen hatte. Pro Woche bekamen wir 375 Gramm Fett als Butter und Margarine, vier Eier, 250 Gramm Marmelade, 125 Gramm Käse, 125 Gramm Wurst. Das war für die damalige Zeit sehr viel. Hinzu kamen die Mengen, die zum Kochen benötigt wurden. Wie viel das war, weiß ich nicht. Es gab jedenfalls Brot in beliebiger Menge, oft Fleisch aber wenig Zucker. Oft gab es Bohnenkaffee oder schwarzen Tee. Gelegentlich auch Kakao. Das Austeilen des Proviants musste ich sehr sorgfältig vornehmen. Manfred zum Beispiel wog seine Ration nach und forderte das Fehlende ein.
Auf der Fahrt rheinabwärts gab es nicht viel zu sehen. Wir passierten bis zur holländischen Grenze drei Rheinbrücken. Kurz vor Rotterdam hatte ich vom Achterdeck aus einmal einen schönen Blick über den Deich und sah in der Tiefe eine Unzahl von Windmühlen. Es waren sogenannte Poldermühlen am Lek, dem nördlichen Rheinarm bei Rotterdam, die die Aufgabe hatten, das Wasser aus dem tiefer gelegenen Land nach oben in die höher gelegenen Rhein zu pumpen. Ohne diese Maßnahme würde das unter dem Meeresspiegel liegende Land im Wasser versinken.
In Rotterdam wurde übernachtet. Wir legten an einem der zahlreichen Kais an. Am anderen Morgen, als ich den Tagestank über der Kombüse mit Trinkwasser füllen wollte, stellte ich fest, dass im Haupttank kein Wasser mehr war. Nach wenigen Pumpenschlägen – sonst waren es etwa 200 – kam Luft. Ich teilte dem Kapitän meine Entdeckung mit, und er war plötzlich sehr ungehalten und fuhr mich grob an: „Du hättest ja auch mal nachsehen können, ob noch genügend Wasser im Haupttank ist. Jetzt musst du zusehen, wie du mit dem bisschen Wasser nach Emden kommst. Zum Waschen und Backschaftmachen wird jetzt Seewasser genommen.“ Ich war sehr bestürzt. Woher sollte ich wissen, dass und wie der Wasserstand kontrolliert werden muss. Niemand hatte mir gesagt, wo und wie man das macht. Ich hatte weder von Peilstab noch Peilrohr etwas gehört. Aber warum kaufte denn der Kapitän kein Wasser? Mehrmals kam ein Wasserboot in unserer Nähe vorbei. Ich sagte es dem Kapitän, aber ich bekam nur ein unverständliches Brummen zur Antwort.
Ich musste meinen Kombüsenbetrieb auf Seewasser umstellen, wenigstens zum Waschen, Abwaschen und ähnlichen Arbeiten. Da jetzt auch warmes Seewasser verfügbar sein musste, füllte ich den einen der beiden großen Töpfe mit Seewasser und stellte ihn aufs Feuer. Der andere Topf, der Zwillingsbruder, war für die Kartoffeln vorgesehen, die es zum Mittag geben sollte. Beide Töpfe konnte man nur an der Umwicklung der Henkel unterscheiden.
Während wir nun mit gesetztem Mast bei strahlendem Sonnenschein und ruhigem Wetter der Nordsee entgegen fuhren, machte ich wie allmorgendlich das Mannschaftslogis sauber. Als ich wieder in die Kombüse zurückkam, war der Kapitän gerade dabei, Milchsuppe zu kochen. Eigentlich stand gar keine Suppe auf dem Programm, schon gar nicht, dass der Kapitän sie kochte. Er muss wohl plötzlich großen Appetit darauf bekommen haben. Zu meinem Schrecken sah ich, dass er den Topf mit dem Seewasser genommen hatte, in dem gerade das Wasser kochte. Sprachlos sah ich zu, wie er Zucker, Rosinen und auch etwas Salz in den Topf tat. Dann nahm er einen Löffel voll zum Abschmecken und verzog das Gesicht. Ich befürchtete ein Donnerwetter. Aber nein, er brummte nur: „Nun hab ich die Suppe versalzen!“ vor sich hin, verschwand nach achtern in seinen Salon und kam mit allerlei Sachen wieder. Einige Büchsen Milch, viel Zucker, Vanille und anderes tat er nun in die Suppe, in der Hoffnung, den Schaden beheben zu können, aber es half nichts, die Suppe blieb versalzen.
Ärgerlich wandte er sich an mich und fragte: „Moses, weißt du, was mit der Suppe ist?“ Ich leugnete tapfer: „Nein, was soll mit der Suppe sein?“ – „Hier, Moses, iss du mal.“ Ich aß und hätte es am liebsten gleich wieder ausgespuckt, so salzig, nein, so bitter schmeckte die Suppe. Bei dieser Gelegenheit konnte ich mein Versäumnis nachholen und sagen: „Sie haben den Topf mit dem Seewasser genommen. Das Frischwasser steht im anderen Topf.“ – „Mengarres, Moses, konntest du mir das nicht vorher sagen?“ Er sah mich wütend an. Das Wort „Mengarres“ schien er übrigens sehr zu lieben und brachte es immer bei solchen Gelegenheiten an. Es sollte wohl soviel heißen wie „Mann Gottes“. – „Ihr esst das aber alles auf! Da sind so viele schöne Sachen drin, deine Mutter würde sich freuen, wenn sie das alles hätte, was da in der Suppe ist.“ Ich servierte der Mannschaft schweigend diese Suppe. Nach dem ersten Löffel sprang Eugen auf und verlangte eine Erklärung wegen dieser Suppe. „Die hat der Alte für uns gekocht“, gab ich ruhig zur Antwort, „und er hat angeordnet, alles aufzuessen.“ Doch in dem Augenblick, als Eugen mich wegen dieser Frechheit maßregeln wollte, eine solche Suppe auf den Tisch zu stellen, kam der Alte in die Kombüse und sagte noch einmal ausdrücklich, dass diese Suppe aufzuessen sei und wiederholte: „Da sind so viele schöne Sachen drin, eure Mutter würde sich freuen, wenn sie das alles hätte!“ Dann verschwand er und ließ uns mit diesem Fraß allein. Ich sage „Fraß“, denn ich hätte nie geglaubt, dass Nordseewasser so scheußlich schmecken würde. Das Ostseewasser ist ja dagegen ein köstliches Getränk. Wir saßen schweigend an der Back, das salzige und bittere Zeug runterzuwürgen. Der Alte kam von Zeit zu Zeit, um nachzusehen, ob wir auch alle seine guten Sachen aufessen würden. Er stellte noch eine Flasche Fruchtsirup auf die Back, um uns die Mahlzeit ein wenig zu versüßen. Mit Sirup umhüllt, glitten die in zwischen zu Pudding erstarrten Happen über die Zunge. Biss man auf eine Rosine, so war das ein Genuss, denn die war innen nicht salzig. Wir saßen lange über unseren Tellern, aber es war unmöglich, alles aufzuessen. Ich bekam die Anweisung, in kleinen Portionen den Pudding verschwinden zu lassen, und am Abend ging noch eine ganze Schüssel voll über Bord.
Auf See hatten wir einen anderen Tagesrhythmus, den ich wegen der Seekrankheit so richtig verpatzt hatte. Da wurde um 7:30 h gefrühstückt und um 11:30 Mittag gegessen, um 15:30 h gab es Kaffee und um 19:30 h Abendbrot. Es war ein vierstündiger Rhythmus, der dem Wachwechsel entsprach.
Am nächsten Tag liefen wir bei herzlichem Sommerwetter in Emden ein und machten im Kokshafen fest. Dort war ein reges Kommen und Gehen. Viele Schiffe unserer Größe lagen dort und wurden von großen Verladekränen, die auf breiten, mehrere Gleise überspannenden Brücken hin- und herfuhren und mit großen Greifern den Koks aus den ständig nachrollenden Güterwagen in das Innere der Schiffe beförderten. Wir mussten in den Laderaum und den Koks trimmen. Mit Schaufeln wurde die Ladung seitlich unter das Deck gebracht, um den Laderaum gut auszunutzen. Es gibt wenige Arbeiten, die so unangenehm sind wie Kokstrimmen. Hätte man eine feste Unterlage, so wäre es nicht schwer, mit der Schaufel unter den Koks zu fahren, aber von einem geschütteten Haufen etwas herunterzuschieben ist sehr mühsam. Wegen der porösen Oberfläche und der bizarren Formen hafteten die recht großen Koksstücke wie Kletten aneinander.
Glücklicherweise hatte ich in der Kombüse meine Pflichten, so dass ich mich nicht allzu lange mit der Ladung plagen musste. Dafür musste ich später mit dem Kapitän die Luken zudecken, was zwar nicht schwierig war, aber einem auch zur Qual werden konnte. Der Alte war groß und stattlich, er konnte ohne Mühe die fast zentnerschweren Holzbohlen mit einer Hand am Griff fassend mit Schwung auf die Scherstöcke legen und dort stapeln. Wurde der Haufen zu hoch, dann konnte ich nicht mehr hinüberreichen, so dass ich zwischendurch ablegen musste. Wie ein Wiesel sprang ich dann auf den Koks, um von dort den Deckel richtige stapeln zu können. Meine Holzpantoffeln machten aber solche Sprünge nicht mit und blieben an Deck stehen, so dass ich barfuß auf dem scharfen Koks herumturnen musste, worüber sich der Alte sehr wunderte. Er hatte aber trotzdem Spaß daran, mich in Bewegung zu halten.
Nachdem die Luken geschlossen waren, wurde der Koks auf die Luken geschüttet. Damit möglichst viel Deckslast gefahren werden konnte, wurde mit Stützen, Bohlen und feinem Maschendraht die Reling um etwa eineinhalb Meter erhöht. Der Koks ist so leicht, dass mit dem Inhalt der Laderäume die Ladefähigkeit des Schiffes nicht ausgelastet wird.
Für die Mannschaft gab es nun nicht mehr viel zu tun. Der Kapitän und ich standen auf der Brücke und sahen dem Treiben im Hafen zu. Ein Schiff legte gerade ab und fuhr langsam an uns vorbei. „Vierhundert Tonnen habe ich geladen“, rief der Kapitän herüber. „Hast du aber ein großes Schiff. Das sieht man dir gar nicht an“, antwortete unser Kapitän. „Und dann liegt er noch nicht tief“, kommentierte ich seine Bemerkung. „Nicht wahr, Moses, und denn liegt er noch nicht mal tief.“ Ich fühlte mich doch ein wenig stolz darauf, dass der Alte meine Bemerkung so wohlwollend akzeptierte, denn solche Einlassungen können einem Jungen auch als altbacksch verwiesen werden, auch wenn sie zutreffend sind. So fühlte ich mich schon ein wenig als Seemann, der etwas mitreden konnte. Einträchtig sahen wir dem Schiff hinterher, dem wir bald folgten.
Inzwischen war Omi, so nannten wir Frau Krüger, wieder an Bord gekommen und führte wieder in der Kombüse Regie, was mir jetzt wieder willkommen war.
Diese Reise ging nach Dänemark. Die See war nur mäßig bewegt, und ich wurde diesmal nicht seekrank, worüber ich sehr froh war. Im Ruderhaus unterhielt ich mich ein wenig mit dem wachhabenden Steuermann über die Bewegung des Schiffes und die nun nicht eingetretene Seekrankheit. „Nicht wahr, Moses, es ist doch wie in einer Wiege, wenn sich das Schiff bewegt“, meinte er, und ich bestätigte es mit einem strahlenden Jungenlachen. Nun war die Seefahrt wirklich etwas Schönes und machte Spaß. Der Kapitän kam später hinzu und freute sich über die Seebeine, die seinem Moses inzwischen gewachsen waren, und erklärte mir einige Dinge, die er für interessant hielt. „Dort ist Norderney“, sagte er, indem er auf die Küste zeigte. „Siehst du den Leuchtturm dort?“ Mit bloßem Auge war ein Landstrich zu sehen, auf dem sich deutlich ein Turm erhob. „Was ist das für ein Landsmann?“ fragte er weiter und zeigte auf ein entgegenkommendes Schiff. Ich wartete bis ich die Flagge am Heck erkennen konnte und sagte: „Ein Holländer.“ – „Und wo kommt er her?“ Mit dem Fernglas konnte ich den Heimathafen am Heck lesen: „Groningen.“ Dann folgte ich ihm ins Kartenhaus. „Na, Moses, kannst du schon mit der Seekarte umgehen?“ – „Ein wenig“, sagte ich kühn. „Na, wo ist denn Elbe Eins?“ Ein bisschen willkürlich zeigte ich auf die Elbemündung, weil ich dachte, er meinte die Einfahrt in die Elbe, denn von dem Feuerschiff „ELBE I“ hatte ich noch nichts gehört. Offenbar traf ich die richtige Stelle und der Alte jubelte: „Der Moses weiß, wo ELBE EINS liegt! Der Moses ist gar nicht dämlich, nicht wahr?“ – „Ein kluges Kerlchen“, bemerkte Manfred herablassend. „Ja, nicht?, ja, nicht? ha, ha, ha“, kommentierte der Alte. Für mich war es ein kleiner Erfolg, der mir Mut machte.
Auf dieser Fahrt gab es aber noch ein Problem. Das Rückschlagventil des Klosetts unter der Back im Mannschaftslogis funktionierte nicht mehr. So verwandelte sich diese nützliche Einrichtung jedes Mal, wenn das Vorschiff in die Welle tauchte, in einen Springbrunnen und wurde unbenutzbar. Zudem lief das Wasser in das Logis, das abermals unter Wasser stand. Eugen verschloss den Wasserspeier mit einem passenden Rundholz und öffnete das Mannloch vom Ballasttank unter dem Fußboden im Logis, so dass das Wasser ablaufen konnte.
Da eine Benutzung nicht möglich war, folgte ich dem Beispiel von Eugen, das Geschäft auf dem Achterschiff hinter der Reling zu verrichten. Etwas waghalsig hielt ich mich mit einer Hand fest, während ich mit der anderen die nötigen Hantierungen vornahm. Als das Eugen sah, meinte er, dass ich meinen Allerwertesten gerade über das Bullauge von Omis Kammer gehalten hätte.
Bald erreichten wir die Elbemüdung, das Wasser wurde ruhiger und die Schiffbewegungen ließen nach. Bei Brunsbüttelkoog fuhren wir in den Nord-Ostsee-Kanal, passierten dort die Schleuse und erreichten nach etwa acht Stunde Fahrt Holtenau nördlich von Kiel, wo wir nach dem Schleusen unsere Fahrt aus der Kieler Förde über die Ostsee fortsetzten. Bei ruhiger See und herrlichem Sonnenschein näherten wir uns der dänischen Insel Fynen. Es war am Abend des 2. September, als wir im Mast die gelb-blau-gestreifte Flagge G des internationalen Signalbuches setzten, womit wir signalisierten, dass wir einen Lotsen benötigten, der uns in den Hafen von Assens bringen sollte. Auch vor dem Einlaufen nach Rotterdam hatten wir diese Flagge gesetzt, die ich allerdings nicht gesehen hatte, weil ich hinter dem Schornstein saß.
Es dauerte auch nicht lange, bis ein kleines Motorboot kam, das vom Lotsen selbst gesteuert wurde. Wir nahmen den Lotsen an Bord und das Boot in Schlepp. Die gelb-blau-gestreifte Flagge wurde heruntergeholt und durch eine weiß-rote, H bedeutend ersetzt, die anzeigte, dass wir einen Lotsen an Bord haben. Ein anderes Motorboot kam, ließ sich die Leine vom Lotsenboot zuwerfen und schleppte dieses in den Hafen, in den wir dann auch einliefen und festmachten.
Kümo HANS-GEORG
Am nächsten Morgen bekam ich gleich einen Auftrag vom Kapitän, den ich an Land zu erledigen hatte. „Du gehst jetzt an Land und holst eine Flasche Essig. Hier hast du eine leere Flasche und dann sagst du Eddike. Was sollst du sagen?“ Ich wiederholte und wurde mit ein paar Kronen an Land geschickt.
Es war das erste Mal, dass ich im Ausland an Land gehen konnte. Zwar hatte ich in Rotterdam holländischen Boden betreten, als wir dort kurz festmachten, aber jetzt konnte ich im Ausland in die Geschäfte gehen und einkaufen. Das Ausland war damals so eine Art Paradies für uns Deutsche. Dort gab es alles zu kaufen, was man sich überhaupt erträumen konnte. Diese Vorstellung wurde dadurch gefördert, dass es keinem Deutschen gestattet war, ins Ausland zu reisen. Nur wir Seeleute gehörten zu den wenigen Privilegierten, die das Paradies betreten durften, und ich war mir so recht des Augenblicks bewusst, als ich vor den Ladentisch trat, hinter dem ich übrigens den dicken Herren wiedersah, der das Lotsenboot abgeholt hatte. Er regierte mit kräftiger Stimme in seinem Reich, das mit lauter Herrlichkeiten angefüllt war. Er sprach mich auf Dänisch an, und vor lauter Aufregung sagte ich Essig, was er ebenso gut verstand.
An Bord fand ich auf meiner Koje 10 dänische Kronen vor. Der Kapitän hatte inzwischen beim Makler Devisen eingekauft, und Eugen hatte sie verteilt. Uns Seeleuten wurde ein halber Dollar pro Tag zugebilligt, das entsprach zwei DM, die ohne zu fragen voll in Anspruch genommen wurden.
Nun bekam ich von den Matrosen Aufträge für Einkäufe an Land. Eugen wollte Kuchen mitgebracht haben, „Flødekager“ sagte er mir, Sahnekuchen zu Deutsch. Ich suchte eine Bäckerei und verlangte danach. „No Fløde“, sagte die kleine Verkäuferin und bedeutete mir, dass keine Sahne da sei. Wie drollig, dachte ich, sagen die Dänen auch „no“ wie die Engländer, bis ich begriff, dass sie versuchte, mit mir Englisch zu sprechen. In der Stadt versuchte ich die Schilder und Aufschriften zu übersetzen, was nicht sehr schwer war. So schaffte ich mir einen kleinen dänischen Wortschatz. Am meisten amüsierte mich eine Aufschrift, die in großen Buchstaben fast an jeder Hauswand zu lesen war: „Zykler maa ikke stelles up paa muren“, das heißt „Fahrräder dürfen nicht an die Wand gestellt werden“.
Der Koks wurde mit eigenem Geschirr gelöscht; das ging sehr langsam, und so hatten wir ein paar Tage damit zu tun. Am Sonntag ruhte die Arbeit, und ich blieb allein an Bord. Die Sonne schien, ein Mann im Ruderboot fischte die rund um das Schiff schwimmenden Koksstücke auf. Das Wasser war klar und lud sogar zum Bade ein. Ich schwamm um unser Schiff herum, berührte die Bordwand und ertastete mit den Füßen die Kielleisten, die das Schlingern des Schiffes mildern sollen.
Schließlich war die Ladung gelöscht, die Stützen und Bohlen der Koksreling abgebaut und im Laderaum verstaut und der Draht aufgerollt und weggestaut. Doch wir blieben liegen, obwohl wir nun hätten wieder abfahren können. Das Geheimnis unseres längeren Aufenthaltes war bald gelüftet. Frau Krüger erwartete Besuch aus Schweden. Zwei Herren erschienen an Bord und wurden fürstlich bewirtet. Ich staunte nur so über die schönen Sachen, die in der Kombüse zubereitet und aufgetafelt wurden. Zahlreiche Büchsen mit Gabelbissen und anderen Köstlichkeiten musste ich öffnen und ließen das Hungerleben, das noch in Deutschland geführt werden musste, noch erbärmlicher erscheinen, wo es nicht einmal einen ordentlichen Brotaufstrich gab. Wir an Bord waren dagegen mit unseren Rationen schon richtig privilegiert.
Während unserer Liegezeit fanden sich neugierige Kinder ein, die auch an Bord kamen und mir bei meiner Arbeit in der Kombüse zuschauten oder an Deck spielten. Ich nutzte die Gelegenheit, mir die dänischen Bezeichnungen der verschiedensten Gegenstände nennen zu lassen, und so lernte ich nach und nach etwas Dänisch, und der Kapitän war ganz erstaunt, als ich die spielenden Kinder auf Dänisch zur Ordnung ermahnte: „Nu schnackt hei ok all dänsch!“
Abends ging ich mit meinen kleinen Freunden an Land und ließ mir die Stadt zeigen, die aus einer Haupt- und einigen Nebenstraßen bestand und eine Zuckerfabrik hatte. Da war das Bio, das Kino, dort gab es Is, das Eis. Auch wurde ich an einen Laternenpfahl geführt, der eine Beule hatte. Mir wurde erläutert, dass der Vater des einen Jungen mit dem Motorrad gegen den Pfahl gefahren sei und dabei ums Leben kam. Wir standen einen Augenblick schweigend an der Unglücksstelle und gingen dann munter schwatzend weiter. Zum Abschied spendierte ich jedem ein Eis, das in Dänemark vorzüglich schmeckt. Es war eben doch etwas anderes, im Ausland zu sein, das natürlich eine starke Anziehungskraft auf die Deutschen ausübte, und so mancher versuchte, einen Weg dorthin zu finden. So waren unlängst zwei Besatzungsmitglieder unseres Schiffes in Schweden von Bord gegangen, so dass Manfred und Eugen allein die Ruderwachen auf der Rückfahrt bewältigen mussten.
Auf der Rückfahrt nach Hamburg lagen wir noch ein paar Tage in Kiel, um die Maschine überholen zu lassen. Unser Liegeplatz befand sich in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofes, und so kamen ständig neugierige Passanten, die diese oder jene Frage beantwortet haben wollten. „Darf man mal an Bord kommen?“, fragte eine junge Frau, die mit ihrem Mann interessiert das Schiff betrachtete. Es war niemand weiter an Bord, so dass ich sie an Bord kommen ließ und ihnen die Kombüse zeigte. „Das ist ja eine richtige Küche!“ Ich nickte. „Aber es ist alles festgemacht“, stellte sie fest. Ich erklärte ihr, was alles bei Seegang in Bewegung gerät. Wie der Kohleneimer durch die Kombüse rutscht und die Schübe aus dem Schrank sausen und die Töpfe schief im Feuerloch hängen, wenn sie nicht mit Schlingerleisten gehalten werden. Natürlich übertrieb ich ein wenig, denn nicht auf jeder Fahrt ist es so schlimm. Aber erlebt hatte ich es schon.
Auf der Fahrt durch den Kanal wurde ich von Eugen ins Ruderhaus gerufen. Ich musste das Schiff steuern, was mich sehr überraschte, denn das Rudergehen hielt ich für eine privilegierte Tätigkeit, denn auch ein Auto durfte ja auch nicht jeder fahren. Eugen hatte zwar gelegentlich angedeutet, ich müsse auch das Steuern lernen, habe das aber nicht so ernst genommen und es erst in späterer Zeit erwartet. Nun stand ich am Ruder und steuerte ein Schiff, und es dauerte auch nicht lange, da näherte es sich bedenklich dem Kanalufer. Ich hatte natürlich kein Gefühl für die verzögerte Reaktion eines Schiffes auf die Ruderbewegungen. Eugen saß lässig auf dem Geländer am Niedergang und korrigierte den Kurs, indem er mit dem Fuß gegen die Handspaken tretend das Ruder bediente. Ich hatte Mühe, den Kurs zu halten, zumal der Kanal nur wenig Spielraum bot. „Das Steuern ist doch ganz einfach“, spottete Eugen ein wenig, „ich mache das mit dem Fuß.“ Schließlich bekam ich ein wenig Übung, und es gelang mir, das Schiff vom Ufer fernzuhalten. Es ließ sich übrigens gut steuern, und Eugen machte beim Abendbrot sogar eine anerkennende Bemerkung.
Nach etwa acht Stunden Fahrt durch den Kanal und etwa ebensoviel Stunden elbeaufwärts machten wir abends in Altona fest.
Am nächsten Tag fuhr Frau Krüger nach Elsfleth an der Unterweser, ihrem eigentlichen Wohnort und Heimathafen der HANS GEORG, so dass ich nun wieder Alleinherrscher in der Kombüse war. Ich nahm mir vor, meine Arbeit vorbildlich zu verrichten, denn bisher sah ich bei allen Vorwürfen, die mir wegen irgendwelcher Dinge von den Matrosen gemacht wurden, die Ursache bei Omi. Sie hatte jedenfalls einen völlig unseemännischen Stil und war als Frau ohnehin nicht an Bord akzeptiert. „Alles, was nicht über die Reling pinkeln kann, gehört nicht an Bord“, hieß es immer wieder. Nun war sie wieder fort; wenigstens für einige Zeit. Zufrieden saß ich am Vormittag vor der Kombüse an Deck in der Sonne und schälte Kartoffeln. Wir lagen inzwischen mitten in einem Päckchen von Schiffen, von denen wir noch eins der größten und modernsten waren. Die meisten waren sogenannte Klütenewer, benannt nach dem Gericht „Plummen und Klüten“, das sich auf diesen Schiffen allgemeiner Beliebtheit erfreute, und aus Mehlklößen und Backpflaumen zubereitet wurde. Zu den sogenannten Klütenewern gehören die Schiffstypen Kuff mit dem wulstigen Bug, die Tjalk, gesprochen Schalk, und der Ewer. Alle diese kleinen Schiffe waren so genannte Motorsegler, die eine vollständige Beseglung und einen zusätzlichen Motor hatten. So konnte bei gutem Wind gesegelt werden, und mit dem Motor konnten die lästigen Kreuzfahrten auf der Elbe unterbleiben. Mit dem Motor ging es dann bequem gegen den Wind. Diese Schiffe, auf die man ein wenig verächtlich herabblickte, genossen doch ein großes Interesse bei allen Matrosen mit Steuermannsambitionen, weil auf diesen Schiffen die für die Erlangung eines Steuermannspatentes obligatorische Fahrzeit von einem Jahr Segelschiffszeit abgeleistet werden konnte. Segelschulschiffe, auf denen früher die Seeleute ausgebildet wurden, gab es nicht mehr in deutscher Hand. Die einst stattliche Segelschiffsflotte ging an die Siegermächte. So ging die „GORCH FOCK“ als „DAR POMORZA“ an Polen, die „PADUA“ als die „KRUSSENSTERN“ nach Russland, die „HORST WESSEL“ als „EAGL“ nach den USA und die „SEUTE DEERN“ lag fest im Hamburger Hafen als Hotelschiff.
Drei Schiffe weiter saß auch ein Moses an Deck vor der Kombüse und schälte Kartoffeln. Wir fühlten uns durch unsere gleiche Arbeit verbunden und nickten uns von Zeit zu Zeit, wenn wir aufblickten, freundlich zu.
Eines Nachmittags war ich allein an Bord. Ich nahm Schmierseife und Wasser und begann, die mit Ölfarbe gestrichenen Wände und die Decke zu waschen. Durch das ständige Heizen mit Steinkohle war vor allem die Decke dunkel angeräuchert worden. Die richtige Reinigung gelang aber nicht mit Seifenwasser, sondern mit reiner Schmierseife, die direkt aufgetragen und mit einem Lappen verrieben wurde. Inzwischen war aber das Feuer ausgegangen. Nur noch wenige schwach glühende Kohlen lagen im Herd. Um das Feuer schnell wieder in Gang zu bringen, goss ich einfach etwas Dieselöl aus der Dose mit dem Anmachholz auf die wenige Glut. Zunächst geschah nichts, aber dann kam mit einem dumpfen Puff eine dicke Rußwolke aus dem offenen Herd, die sogleich die ganze Kombüse einnebelte, und nur noch Tür und Bullauge als hellgraue Flecken in der Finsternis erkennen ließ. Alles war nun tiefschwarz. Besorgt überlegte ich nun, was zu tun sei, um die völlig eingeschwärzten Wände wieder zu säubern. Meine ganze vorherige Arbeit schien zunichte zu sein, und ich fürchtete noch mehr die böse Reaktion des Kapitäns. Während ich noch stehend überlegte, was zu tun sei, verzog sich die Wolke aus den Öffnungen, und schließlich zeigte sich die Kombüse in ihrer ursprünglichen Reinheit. Es war eben nur die Luft geschwärzt. Niemand hatte etwas davon bemerkt. Sogar der Alte äußerte sich anerkennend über meine Arbeit: „Hat ja die Decke richtig sauber gemacht.“
Dann nahm mich der Alte mit auf den Wochenmarkt, wo er einige Lebensmittel einkaufte. Er war die Freundlichkeit selbst zu mir, worüber ich sehr froh war, denn es gab genug, was zu Beanstandungen Anlass gab: „Hier kann man ja Kartoffeln pflanzen!“, schnauzte mich der Alte einmal an und scheuerte eigenhändig die hölzerne Geschirrablage am Spülbecken. Im Übrigen wurde ich für alles verantwortlich gemacht, was in der Kombüse nicht in Ordnung war. Omi war nicht da, mit der ich mich hätte herausreden können. Aber auch Dinge, die sie veranlasst hatte, wurden mir zum Vorwurf gemacht. Da waren zum Beispiel keine Briketts mehr im Kohlenbunker, die vorrangig für das Kohlebügeleisen vorgesehen waren und nun von Eugen und Hein für ihre Landganghosen verlangt wurden. Ich hatte auf Weisung von Frau Krüger mit großer Gründlichkeit die Kohlen durchwühlt und bis auf das letzte Brikett alle herausgesucht, die sie zum Gluthalten in den Herd legte. Meine Gründlichkeit gereichte mir hier zum Nachteil, und dabei wollte ich doch ein guter Moses sein.
Dann klarten Eugen und Hein das Rettungsboot auf. Dort fanden sie unter der Abdeckung verfaulte Gurken und anderes verdorbenes Gemüse. Sofort kam ein heftiges Donnerwetter auf mich herab, weil ich das Gemüse nicht rechtzeitig verarbeitet hatte. Ich bekam Schelte für Dinge, von denen ich nichts wusste, im Übrigen hatte ich bisher immer Anleitung bekommen. Am meisten hatte der Alte am Herd auszusetzen, den er Kombüse nannte. Er qualmte oft und verräucherte die Luft. So bekam ich Order, jeden Morgen mit einem Handfeger die einzelnen Herdteile zu reinigen, bevor ich Feuer machte. Auch musste ich oben an das Ofenrohr mit einem Bändsel dickes Papier oder Pappe auf der Leeseite anbringen, damit der Herd besser zog. Das hatte zur Folge, dass ich bei jedem Kurswechsel auf das Dach des Ruderhauses steigen und die Pappe der neuen Windrichtung anpassen musste, was besonders unangenehm war, wenn ich den Rauch ins Gesicht bekam, denn es gab nur eine Stelle, von der aus man an das Rohr herankam.
Etwas getröstet war ich, als ich einmal ein Gespräch zwischen unserem Alten und dem Kapitän eines anderen Schiffes im Ruderhaus vom Maschinenschacht aus belauschte. Jeder erzählte von Lachsalven unterbrochen Geschichten von seinem Moses. So gab Kapitän Pisch auch eine Geschichte von mir zum Besten, die ich mir einmal geleistet hatte: „Mein Moses hat neulich Schaum gefegt“, sagte er, „erst wusste er nicht, was er sollte, dann habe ich ihm erklärt, wenn mit einem Leuwagen der Schaum vom Bug gefegt wird, läuft das Schiff schneller. Nun hatte der Leuwagen aber nicht so einen langen Stiel. Da hat er sich doch tatsächlich einen zusammengelascht und ist auf die Back gegangen und hat wirklich Schaum gefegt!“ – „Ja, und mein Moses...“ Leider näherten sich Schritte, so dass ich mich zurückziehen musste und die Geschichte von meinem Kollegen nicht zu hören bekam.
Ich war tatsächlich auf das Schaumfegen hereingefallen. Der Grund war weniger, dass ich den Zweck eingesehen hätte, sondern ich habe einfach gemacht, was man mir aufgetragen hatte. Ich sollte mit einem Schrubber unten am Bug die Bordwand scheuern. Warum, habe ich nicht richtig verstanden und auch nicht weiter darüber nachgedacht. Die Freude der anderen war natürlich groß, als man den Moses erfolgreich gefoppt hatte, aber ich machte mir nichts daraus, es war eben ein gelungener Scherz.
Die nächste Reise ging wieder mit Weizen von Hamburg auf den Rhein. Am 24. August legten wir in Richtung Köln ab. Die Nordsee war ungewöhnlich stark bewegt. Das Schiff stampfte so stark und so schnell, dass ich beim Niedergehen des Vorschiffes in der Koje kein Gewicht mehr spürte. Es war sehr unangenehm, im Wechsel der Schiffsbewegung einmal überschwer zu sein, was noch zu ertragen war, und kurz darauf in der Koje zu schweben. Ich versuchte, mich mit Händen und Füßen gegen die Decke zu stemmen, um dem Schwebegefühl entgegenzuwirken, aber es gelang kaum. Die Seekrankheit überfiel mich auch in der Koje so heftig, dass ich gleich dort meinen Tribut zahlte, was mir auch nur einmal überhaupt passiert ist. In der Koje blieb ich später von den üblen Nebenwirkungen der Seekrankheit verschont.
Kaum wurde aber mein Verhalten entdeckt, was schon durch den widerlichen Geruch nach Magensaft und Galle bemerkbar ist, musste ich unverzüglich meine Decke waschen. Nun holte ich mit einer Pütz warmes Wasser, nahm eine Wurzelbürste und ging mit meiner Decke auf das Achterdeck, um sie auf dem Deckel zum Kabelgatt zu scheuern. Es dauerte lange. Immer wieder verließen mich die Kräfte, mein Kopf sank auf die Arme, die nicht mehr ihren Dienst tun wollten. Nach einer Weile raffte ich mich wieder auf, meine Arbeit fortzusetzen. Aber der Geruch war nur schwer zu beseitigen. Schließlich wurde ich doch noch fertig und kroch erschöpft wieder in die Koje.
Am nächsten Tag bekam ich deswegen vom Alten noch einiges zu hören: „In die Koje wird nicht gekotzt! Immer raus mit dem Arsch, wenn die Galle hochkommt!“
Die Fahrt auf dem Rhein war wieder angenehm und ruhig bei regelmäßigem Tagesablauf und nächtlichem Ankern.
Da ich schon einige Zeit an Bord war, machte sich ein Mangel an sauberer Wäsche bemerkbar. Meine Kojendecke war nun gewaschen und inzwischen trocken. Nun musste Zeugwäsche gemacht werden. Ich hatte nicht viel Ahnung vom Wäschewaschen und hielt es auch nicht für nötig, zu fragen. So machte ich alles nach Gutdünken. Nahm den großen Wäschetopf, setzte ihn mit Wasser auf den Herd und tat alles, was gewaschen werden sollte, hinein. Unterhosen, Unterhemden, wollene Strümpfe, einen Pullover und anderes mehr. Tat ein Paket Waschpulver dazu und ließ alles kochen. Da ich keine Vorstellung hatte, wie lange man nun die Wäsche kochen lassen müsste, orientierte ich mich an der Garzeit von Kartoffeln. Danach nahm ich die Kleidungsstücke, und ging hinauf zum Kabelgattdeckel, auf dem ich schon die Decke gescheuert hatte und bearbeitete dann meine Wäsche Stück für Stück mit der Bürste. Allerdings musste ich feststellen, dass alles verfärbt war. Die dunklen Wollsocken hatten ihre Farbe an die weiße Unterwäsche abgegeben. Außerdem waren sie so klein geworden und so verfilzt, dass sie nur noch auf Kinderfüße gepasst hätten. Den Pullover konnte ich auch nicht mehr anziehen. Nur die Unterwäsche hatte ihre Größe behalten. Das war natürlich ein großer Verlust, denn sehr viel Wäsche hatte ich nicht.
Während ich mich mit meinem Wäscheverlust beschäftigte, kam ein fürchterliches Donnerwetter vom Alten auf mich herab. Durch die scharfe Seifenlauge hatte sich die Farbe vom Lukendeckel gelöst, und die Lauge hatte in hellen Streifen ihre Spuren überall hinterlassen, wo sie die Wände von oben nach unten herablief. „Zeugwäsche wird nicht an der höchsten Stelle an Bord gemacht sondern an der tiefsten. Und dann nimmt man sich ein Brett oder einen Lukendeckel, auf dem die Wäsche gescheuert wird und nicht auf der Farbe!“ Er fluchte noch eine ganze Weile wegen meiner Untat. Schließlich sagte er: „Moses, du bist der Held des Tages! Im nächsten Krieg kommst du als erster an die Front!“ Er war ernstlich böse mit mir. Irgendwie hatte ich es mit ihm verdorben, und diese Missstimmung übertrug sich auch auf die anderen. Eugen und Hein stießen in das Horn des Kapitäns, und von Manfred bekam ich Ohrfeigen, wenn ihm irgendetwas nicht passte. Das ging nun so Tag für Tag, so dass die Stimmung gegen mich allmählich unerträglich wurde. Ich glaubte schon Regelmäßigkeiten im Wochenlauf zu erkennen. Der Montag war immer ganz übel; Dienstag und Donnerstag waren die ruhigsten Tage.
Zu allem Unglück fand Manfred in seiner Koje eine dänische Øremünze. Eigentlich nichts Schlimmes. Er hatte auf seinem Kojenbord ein kleines Kästchen mit allerlei Münzen stehen. Wie die Øre dahingekommen ist, weiß ich nicht. Jedenfalls behauptete Manfred, ich wäre an seinem Münzkästchen gewesen, und dabei wäre eine herausgefallen. Ich wurde der Unehrenhaftigkeit bezichtigt, als einer, der sich an fremdem Eigentum verginge, was unter Kameraden an Bord besonders schwer wog und meine Position an Bord an den Nullpunkt trieb. Ich war froh, als wir am 27. August in Köln anlegten, wo ich wenigsten am Donnerstagabend Gelegenheit für einen Spaziergang in die Stadt hatte, um der drückenden Atmosphäre an Bord für einige Stunden zu entgehen. Das Schiff lag auf der Ostseite des Rheins in Köln-Deutz. Ich musste über die große Rheinbrücke laufen, an deren westlichem Ende der Bahnhof lag. Die Brücke war teilweise zerstört und von den Alliierten behelfsmäßig wieder hergestellt worden. Eine zweite Brücke über den Rhein war im Bau. Es war ein Spannbetonbau, der von beiden Seiten über den Fluss vorangetrieben wurde. An den Seiten stand „Gute Hoffnungshütte“.
Hinter dem Bahnhof lag der Dom, der mich interessierte. Ich ging um ihn herum. Er war an einigen Stellen beschädigt, aber im Großen und Ganzen war er unversehrt geblieben. Er hat drei Portale mit je drei Türen nach Süden, Westen und Norden. Letzterem liegt der Bahnhof gegenüber. Alle Türen waren verschlossen. Schließlich kam ich auf der Nordseite an einen kleinen Anbau. Die Tür stand offen. Ich blickte hinein und sah einen großen Herd, auf dem viele große Töpfe standen. Ein Mann kam zur Tür, und ich fragte, ob man in den Dom könne. „Schluss“, wetterte er, „jetzt um halb neun kommt niemand mehr rein! Der Dom ist von 6 bis 19 Uhr geöffnet!“ Er ließ sich nicht dazu bewegen, mich einzulassen, als ich ihm erklärte ich könne ja nur um diese Zeit kommen, denn tagsüber hätte ich ja zu arbeiten, sagte er: „Morgen musst du kommen. Morgen ist Orgeleinweihung.“ Er ging mit mir an eine andere Tür, horchte und sagte mit verklärtem Blick: „Hörst du, wie schön sie klingt? Es wird für morgen geprobt.“ Ich erfuhr auch, dass in diesem Jahr das 700jährige Bestehen des Doms gefeiert werde.
Nach erfolglosem Bemühen, den Dom von innen zu sehen, machte ich einen Stadtbummel. Es war vieles zerstört, aber dennoch machte die Altstadt einen aufgeräumten Eindruck. Ich sah mir die Schaufenster an, von denen mir eines in Erinnerung geblieben ist. Es enthielt einige Bilder mit holländischen Trachten und den Text: „How to make my stay in Holland.“ Ich wunderte mich darüber, denn wer von den Deutschen durfte nach Holland reisen und wenn, wer würde noch darüber nachdenken, wie er seinen Aufenthalt dort gestalten könnte. Es war das Reisebüro der britischen Besatzungstruppen.
Die Rückreise ging zunächst bis Duisburg-Ruhrort, dem größten Binnenhafen Deutschlands. Der Kapitän hoffte, dort Ladung zu bekommen. Ich wurde wegen einiger Besorgungen an Land geschickt. Die Stadt machte einen grauen und trostlosen Eindruck. Der Kapitän war an Land gewesen und kam wütend zurück. „Es gibt kein Fleisch zu kaufen. Nicht mal ein bisschen Wurst. Moses, hast du was gesehen?“ – „Ich habe jemanden mit Blutwurst in der Hand gesehen“, sagte ich. „Das ist doch keine Wurst, die man essen kann, die hält sich doch nicht.“ Die Versorgung im Ruhrgebiet war wirklich nicht gut, und wir waren durch die Schiffsversorgung in den großen Hafenstädten und die Einkäufe im Ausland schon sehr verwöhnt. So mussten wir uns jetzt mit dem behelfen, was wir an Bord hatten.
Als Ladung bekamen wir Kies, den wir in Rees an Bord nehmen sollten. Dazu fuhren wir ein Stück rheinabwärts und legten an einem Bagger an, der mitten im Fluss lag und die Fahrrinne ausbaggerte. Unser Schiff wurde nur zum Teil beladen; es war ein wenig Ballast, der das Schiff auf bewegter See ruhiger fahren ließ.
Während unserer Fahrt rheinabwärts konnte ich meine Arbeit bei ruhigem Wasser verrichten, ohne von der Seekrankheit geplagt zu werden. Ich hatte mich in viele Dinge hineingefunden und durch manche Fehler einiges gelernt, so dass eine volle Harmonie mit der übrigen Besatzung hätte hergestellt sein können. Es war aber nicht so. Der Alte zeigte sich jetzt mir gegenüber oft von einer scheußlichen Seite und erfand immer wieder neue Sachen, mit denen er mich schikanieren konnte.
Bald hatten wir Rotterdam passiert und befanden uns wieder auf der Nordsee, die mäßig bewegt war und bei mir wieder die Seekrankheit hervorrief, was dem Alten gar nicht mehr gefiel. Er wurde richtig böse, als er mich wieder auf meiner Kiste an der Tür mit bleichem Gesicht und vor Übelkeit speiend sitzen sah. Das Herdfeuer war inzwischen ausgegangen, und der Alte tobte wegen meiner Nachlässigkeit. Sogleich stand ich auf, und als ich mich vor die Ofentür beugte, um das Feuer wieder in Gang zu bringen, bekam ich von ihm einen Fußtritt in mein Hinterteil, so dass ich mich lang auf den Herd legte. Mit üblen Verwünschungen verschwand er dann in seinem Salon. Ich war in doppelter Weise niedergeschlagen. Zur Übelkeit kam nun noch die schlechte Stimmung gegen mich an Bord, die ich mir nicht recht erklären konnte, denn anfangs war man doch freundlicher zu mir. Doch das hatte sich inzwischen geändert. Die Matrosen sprachen nur noch das Notwendigste mit mir, und im Übrigen war ich ziemlich isoliert, ein Zustand, der auf einem Schiff schwer zu ertragen ist, weil man sich in den begrenzten Räumen kaum aus dem Wege gehen kann. Ständig ist man irgendwie in dem engen Raum des Schiffes beieinander, sei es im Logis, auf der Brücke oder in der Kombüse. Andere Räume gab es nicht, wo ich mich aufhalten konnte. Seekrank, hatte ich nur den einen Wunsch, mich irgendwo hinzulegen, da kam ich auf die Idee, mich in das Kartoffelhuk zu legen. Ich legte mich auf die Kartoffeln und ließ Seefahrt Seefahrt sein. Doch nach einiger Zeit wurde die Tür aufgerissen. Eugen hatte mich gesucht und schließlich in meinem Versteck gefunden. Es ist nun mal so, dass man an Bord immer wissen muss, wo sich die Mannschaftsmitglieder befinden; besonders den Moses hat man immer im Auge. Er könnte ja auch über Bord gefallen sein. Deshalb musste er gesucht werden.
In Hamburg machten wir zunächst in Altona fest, ehe das Schiff entladen wurde. Es dauerte nicht lange, da bekam Manfred Besuch von seinem Vater. Er war Maschinist auf einem Schiff und unterhielt sich mit dem Alten. Er erkannte mich wieder und hatte ein paar freundliche Worte für mich: „Na, ein bisschen dicker bist du ja geworden.“ Dieser Besuch machte mich so richtig traurig. Wie gerne hätte ich jemanden gehabt, der mal meinetwegen mit dem Kapitän gesprochen hätte. Aber ich hatte ja niemanden, der sich meiner annehmen würde. Mutter war wieder auf Hiddensee, Vater war im Krieg verschollen. Großmutter und Tante in Neumünster waren nun auch nicht gerade in der Nähe. So stand ich mit meinem Kummer allein da und wusste nicht recht, was nun eigentlich los war.
Zu allem Unglück bekam ich einen Hautausschlag, der von Eugen entdeckt wurde. Man schickte mich zum Vertrauensarzt, der Krätze diagnostizierte und fragte, ob nicht die anderen an Bord auch davon befallen wären. Er gab mir eine Flasche mit einer stinkenden Tinktur zum Einreiben mit. Am Bord erzählte ich ein wenig unbekümmert, dass ich die Krätze hätte, was wie ein Stich ins Wespennest wirkte. Man behandelt mich jetzt wie einen Aussätzigen. Die Kojen wurden in aller Eile von Eugen und Hein mit Seifenlauge ausgewaschen; ich durfte nur noch bestimmte Essgeräte benutzen, und die Toilette musste ich nach jeder Benutzung scheuern. Die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt, die Stimmung unerträglich. Mich bewegte nur der eine Gedanke, ob man mich noch länger an Bord behalten würde oder ob ich einen Sack bekäme, wie es in der Seemannssprache heißt, wenn jemand von Bord gejagt wird.
Abends, als wir beim Abendbrot saßen, kam der Alte in die Kombüse und sagte strahlend: „Wisst ihr, wo wir hinfahren? Nach London! Und zwar mit Kalzium. Weiß jemand, was Kalzium ist?“ – „Kalium kennen wir“, kam die Antwort von Hein. „Aber Kalzium?“ – „London!“ fuhr es mir durch den Kopf. „Nach London geht die Reise!“ Wie viel hatte ich schon von dieser Stadt gehört, und nun war ein Besuch greifbar nahe. Aber dann überfiel mich der Gedanke, dass mich der Alte wohl doch nicht mitnehmen würde. Was hätte ich dafür gegeben, mitfahren zu dürfen.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Finkenwerder zum Löschen und waren bald wieder zurück in Altona. Ich hatte meinen Waschtag und war gerade dabei, meine gute Landganghose vorschriftsmäßig an der niedrigsten Stelle des Schiffes auf einem Lukendeckel, der quer zum Schiff auf Reling und Lukenrand gelegt wurde, zu scheuern, als ein etwas älterer Junge an Bord kam und mich nach dem Kapitän fragte. „Ich soll hier als Schiffsjunge anfangen“, sagte er, was für mich die schwerwiegende Nachricht war, ich müsse nun von Bord gehen. Ich war sehr niedergeschlagen. Waren doch der Traum von der Seefahrt und dazu noch die Reise nach London endgültig für mich vorbei. Was werden sollte, wusste ich nicht. Ich dachte auch nicht weiter darüber nach. Bald kam der Alte und fragte mich beiläufig, ob ich meine Sachen schon gepackt hätte. Nun stand ich da mit meiner nassen Wäsche, die ich nun nicht mehr trocknen konnte, denn ich musste noch am selben Tage von Bord gehen. Der Alte zahlte mir meine restliche Heuer aus, die sich auf ein paar Mark belief, gab mir noch ein paar Lebensmittelmarken, die er bei der Schiffversorgung nicht mehr benötigte, denn manches, insbesondere Brot, bekam er dort schon ohne Karten, obwohl an Land die Lebensmittelkarten noch längst nicht abgeschafft waren.
Regelrecht demütigend benahm sich Eugen. Vor seinen Augen musste ich meine Sachen packen. Er kontrollierte jedes Stück, schloss dann alle Schränke ab und nahm die Schlüssel an sich. Nun wurde ich nicht nur wie ein Aussätziger behandelt, sondern auch noch wie ein Dieb von Bord geschickt. Ich war zutiefst verletzt und ständig dem Heulen nahe.
Am Nachmittag kam Besuch an Bord. Frau Pisch war aus Flensburg gekommen und fragte mich in der Kombüse, ob ich weiter zur See fahren wolle, jetzt, wo bald die Herbststürme kämen, wäre es doch besser für mich, an Land zu bleiben. Ich gab eine ausweichende Antwort. Ich war mir selber nicht schlüssig, wie es mit mir weitergehen sollte. Mein innigster Wunsch war, es noch einmal zu versuchen, aber andererseits sah ich auch, dass ich es wohl nicht schaffen würde, seefest zu werden. Schließlich war mir auch nicht ganz klar, warum ich nun von Bord gehen musste. Ich war nicht fähig, meine jetzige Situation richtig einzuschätzen und die Ursachen für meine Entlassung zu erkennen. Für mich war das ein Schicksalsschlag, der über mich kam, an dem ich mich irgendwie schuldig fühlte aber nicht wusste in welcher Weise.
Später, viel später wurde mir klar, was eigentlich passiert war. Kapitän Pisch suchte sich seine Schiffsjungen danach aus, ob sie seefest wurden oder nicht. Wer sich nicht nach der ersten Reise mit dem bewegten Meer angefreundet hatte, wurde wieder entlassen. Auf Hiddensee traf ich nämlich nach vielen Jahren einen Seemann, der mal als Matrose bei Pisch gefahren war und mir sagte, dass ich es doch verhältnismäßig lange bei ihm ausgehalten hätte. Meine Mutter war dann auch entsetzt, dass mich der so nette Kapitän einfach weggeschickt hatte, denn sie hätte mich ihm ja übergeben und darauf vertraut, mich ordentlich auszubilden. Aber die rechtliche Situation war nun mal so, dass die Kapitäne machen konnten, was sie wollten, denn es gab keine Lehrverträge, die sie den Jungen gegenüber in die Pflicht genommen hätten. So gab es außer der Anmusterung auf dem Seemannsamt weiter keine Vereinbarungen. Außerdem war es üblich, so billig wie möglich zu fahren, was Pisch auch verstand. Er fuhr alle Junggrade, die gefahren werden durften. Er hatte einen Matrosen, einen Leichtmatrosen, einen Jungmann und einen Schiffsjungen. Ein Maschinist wurde nicht gefahren; die Maschine versorgte der Matrose.
Mit meinen beiden Bündeln, meiner leinenen Umhängetasche mit den trockenen Sachen und der in eine Decke eingeschlagenen nassen Wäsche fuhr ich nach Neumünster zu meiner Großmutter, denn wo sollte ich sonst bleiben. Nach Hiddensee konnte ich wegen der Zonengrenze nicht so ohne Weiteres fahren. Im Übrigen war ich unschlüssig, ob ich es noch einmal mit der Seefahrt versuchen oder die Seefahrt aufgeben sollte.
Der Empfang in Neumünster war ausgesprochen unfreundlich. Meine Tante machte sich sogleich große Sorgen um ihre Kinder wegen meiner Krätze, und dass man mich deswegen abgemustert hätte, glaubte mir auch niemand, denn ich hatte ja keinen Krankenschein. Meine Großmutter war als Beamtenfrau an eine gewissenhafte Ordnung gewöhnt und konnte sich solche wilden Verfahrensweisen nicht vorstellen. Man nahm vielmehr an, dass ich mich ungebührlich betragen hätte und faul war, weshalb mich der Kapitän von Bord geschickt hätte. Das Leben an Land gestaltete sich so für mich auch nicht erfreulicher als an Bord.
So beeilte ich mich, meine nassen Sachen zu trocknen, die Arbeitskleidung zu scheuern und in Ordnung zu bringen und mich wieder nach einem Schiff umzusehen. Es war die einzige Möglichkeit, die sich bot, denn an Land konnte ich nicht bleiben. Dort gab es keine Lehrstellen, keine Arbeit, und eine Wohnung hatte ich auch nicht, und im Übrigen wollte man mich dort auch gar nicht haben.