Читать книгу Onanieren für Profis - Arne Hoffmann - Страница 7

Оглавление

Selbstbefriedigung – zwischen Terror und Tabu

BEVOR WIR UNS MITTEN INS THEMA STÜRZEN, wäre es doch einmal interessant, eine Antwort auf die Frage zu finden: Warum eigentlich gibt es auf dem riesigen Markt der Selbsthilfeliteratur und Sexratgeber nicht auch eine kleine Palette an Ratgebern für die bessere Masturbation? Wie kommt’s, dass Onanieren hier immer noch mit einem Tabu behaftet ist?

Die schlechte Propaganda, die die Selbstbefriedigung genießt, hat zunächst einmal zu einem guten Teil mit der christlichen Religion zu tun. Diese sorgte mit einigem Nachdruck dafür, dass der eigenhändige Lustgewinn als etwas Verwerfliches galt. So sah Kirchenvater Thomas von Aquin in ihr eine größere Sünde als in der Unzucht. Als grundlegend dafür gilt die alttestamentarische Geschichte Onans, der dieser Freizeitbeschäftigung ihren Namen gab. Dabei ist dies ein wenig kurios, denn die Geschichte spielte sich folgendermaßen ab: Onans Bruder ließ nach seinem Tod eine Witwe zurück. Gottes Wille nahm Onan in die Pflicht, mit dieser Frau an Stelle seines verstorbenen Bruders ein Kind zu zeugen. Onan wohnte seiner Schwägerin zwar tatsächlich bei, zog sich jedoch im entscheidenden Moment zurück, so dass sein Samen lediglich die Erde benetzte. Damit wird deutlich, dass Onans eigentliche »Sünde« keineswegs in Selbstbefriedigung bestand, sondern darin, dass er sich erstens dem Willen Gottes widersetzte und zweitens die Gelegenheit zur Reproduktion verschwendete. »Every sperm is sacred«, jede Spermie ist heilig – das sangen ja schon Monty Python.

Nun gelangten Tabuforscher jedoch zu der Erkenntnis, dass das Masturbationsverbot wesentlich älter ist als die jüdisch-christlichen Glaubenssysteme, die zu seiner Rechtfertigung herbeigezogen werden. Selbstbefriedigung wurde in der Frühgeschichte nicht als moralisch falsch oder Charakterfehler bewertet, sondern als Verschwendung einer Gelegenheit, Nachkommen zu zeugen, sowie von körperlicher Energie, Manneskraft. Logischerweise stand weibliche Masturbation bei weitem nicht so sehr im Zentrum dieses Tabus wie männliche.

Auch in unserem Zeitalter, in dem das Zeugen immer neuer Nachkommen längst nicht mehr von überragender Bedeutung für den Fortbestand von Völkern oder gar der Menschheit ist, hielt die katholische Kirche lange an diesem Tabu fest. Traktate aus dem vorigen Jahrhundert bezeichnen Selbstbefriedigung als »das stillschweigend übersehene Monster in unserer Mitte«. Noch am 29. Dezember 1975 ließ Papst Paul VI in einer »Kongregation für die Glaubenslehre« verlauten: »Tatsache ist, dass sowohl das kirchliche Lehramt in seiner langen und stets gleichbleibenden Überlieferung als auch das sittliche Empfinden der Gläubigen niemals gezögert haben, die Masturbation als eine zumindest schwer ordnungswidrige Handlung zu brandmarken.« 1994 bezeichnete Papst Johannes Paul II. die weibliche Onanie als sündige Wollust, die männliche ließ er als organisch bedingtes Übel gerade noch mal durchgehen. Man mag spekulieren, wie er zu jenem Entschluss gekommen sein mag …

Andererseits, so könnte man einwenden, war die Kirche – im Vergleich zu ihrer sonstigen Sexual- und Leibfeindlichkeit – gegenüber der Selbstbefriedigung geradezu noch zurückhaltend eingestellt. So steht im Pönitenzbuch von Cummean auf Homosexualität noch sieben Jahre Kerker und auf Hurerei drei Jahre, aber einen Onanisten ließ man laufen, indem man ihm ein wenig Psalmensingen und einen Tag Fasten auferlegte – etwas, was viele Gläubige gerne von sich aus taten. Und der Jesuitenpater Ignatius von Loyola erwähnt in seinen Geistigen Exerzitien, in denen er Todsünden von Lässlichkeiten unterscheidet, das Masturbieren nicht einmal. Insofern kann man sagen, dass die katholische Kirche das Wichsen wohl nicht gerade als eine Form der hochstehenden spirituellen Meditation betrachtet hat, sie machte aber auch keinen Riesenaufstand deswegen: Mein Gott, Schwamm drüber.

Der wahre Terror begann erst mit dem sogenannten Zeitalter der Aufklärung und der Wissenschaft. Oder was man damals dafür hielt.

Der Spaß begann 1710, als ein englischer Doktor namens Bekkers sein Buch »Onania, oder die erschröckliche Sünde der Selbstbefleckung« (auf deutsch Leipzig 1736) herausbrachte. Bekkers gilt damit mit Bezug auf den biblischen Onan als Erfinder des Wortes Onanie. Wie man schon ahnt, war er kein großer Fan davon. Im Gegenteil: Für ihn stellte sie ganz in der kirchlichen Tradition eine »himmelschreiende Sünde« dar, die einem Mord gleichkam, weil sie Samen verschwendete, der menschliches Leben hätte zeugen können. Hätte Bekkers also auch jede Gelegenheit zu einem guten Fick mit der Möglichkeit zur Kinderzeugung, die man nicht wahrnahm, als einer Tötung gleichgestellt betrachtet? Wohl kaum. Er war vor allem von der damals kursierenden »Säftetheorie« beeinflusst, der zufolge jeder Mensch nur über eine bestimmte Menge von Körpersäften (Blut, Sperma etc.) verfügte. Irgendwann stand keine Munition mehr zur Verfügung, weil der betreffende Mann sie zu voreilig verschwendet hatte. Heute wissen wir natürlich, dass diese Körperflüssigkeiten ständig nachgebildet werden.

Wie man bei Bekkers erkennt, war im achtzehnten Jahrhundert die Wissenschaft noch immer stark durch den christlichen Glauben beeinflusst. Auch bedeutendste Forscher wie Isaac Newton sahen sich in erster Linie als Christen. Nur ging Bekkers jetzt daran, wie so viele vor und nach ihm, sein persönliches Weltbild scheinbar wissenschaftlich zu »untermauern«. Und damit erzeugte er die Mär von der Gesundheitsgefährdung durch Onanie. Seiner Darstellung nach führte sie zu den verschiedensten Leiden, darunter Schwindsucht, Epilepsie, Erektionsschwächen, feuchte Träume und Unfruchtbarkeit.

Nun kann kein Mensch einen Blödsinn verzapfen, der groß genug ist, dass sich nicht irgendein anderer begeistert diesem Unfug anschließt. In Bekkers’ Fußstapfen trat recht bald der Schweizer Arzt Samuel-Auguste Tissot, der 1760 (manche Quellen nennen andere Jahreszahlen) seine Dissertation »Von der Onanie, oder Abhandlung über Krankheiten, die von der Selbstbefleckung herrühren« veröffentlichte. Darin war von weiteren, noch viel schlimmeren Erkrankungen die Rede. Der Text erschien in mehreren Auflagen und in verschiedenen Sprachen. Andere Mediziner begannen, sich daran zu orientieren, und veröffentlichten (insbesondere in Amerika, Frankreich, Deutschland und England) ihre eigenen Traktate dieser Art. So hieß es bald von ärztlicher Seite, Onanie würde das Gehirn derart austrocknen, dass man »es in der Hirnschale rasseln hörte«. Von einem achtjährigen Jungen als Fallbeispiel hieß es, er onaniere seit mehreren Jahren, hätte fast pausenlos Erektionen, und diese Gewohnheit habe seine Kopfform dermaßen verändert, dass seine Mutter allmählich Mühe hatte, noch einen passenden Hut zu finden. Das Gehirn eines anderen Jungen, eines Dreizehnjährigen, soll zu zwei Dritteln mit Eiter bedeckt gewesen sein. Mittlerweile galt die Ansicht, dass Masturbation körperliche, geistige oder seelische Schädigungen hervorrief, bei sämtlichen führenden Ärzten und Psychiatern als allgemeiner Kenntnisstand, aus dem man genausowenig ausbrechen konnte, wie wenn heutzutage ein Mediziner behaupten würde, dass Menschen Gedanken lesen oder sich die Seele vom Körper trennen könnte.

Die ersten Ratgeber schlugen Gegenmaßnahmen vor wie: Meditation über traurige Dinge, flüssigkeitsarmes Abendessen oder nicht mehr dran denken. Aber solche Halbherzigkeiten waren viel zu schwach für eine solch ungeheure Bedrohung, wie man sie von der Selbstbefriedigung inzwischen auszugehen glaubte. Verängstigte Eltern im neunzehnten Jahrhundert taten ihr Möglichstes, um insbesondere ihre Söhne vor diesem Übel zu bewahren. Dabei legten sie den Jungen Keuschheitsgürtel mit Innendornen an, so dass jede Gliedversteifung sehr schmerzhaft werden würde, sie banden ihnen nachts die Hände in Säcke, befestigten Kieselsäckchen auf ihrem Rücken, damit sie sich im Bett nicht gerade ausstrecken konnten, oder installierten Apparaturen, die im elterlichen Schlafzimmer eine Glocke klingeln ließen, wenn der Junge eine Erektion hatte. Der nächste Schritt waren chirurgische Operationen wie das Aufschlitzen der Vorhaut, das Durchtrennen von Nervensträngen, das Einspritzen von Silbernitratlösungen (es sei erstaunlich, was eine Harnröhre so alles aushalte, befand der Erfinder dieser sogenannten Lallemand-Methode), das Einführen von Stahlsonden in den Penis und vielerlei Einfälle mehr. Manche Sittenwächter bekämpften sogar die von der Öffentlichkeit ansonsten begeistert aufgenommene Erfindung des Fahrrades damit, dass es ein nur allzu dürftig verkleidetes Vehikel für das Vergnügen an der Masturbation darstelle – so die Experten.

Etwas ziviler war da zu Beginn des 20. Jahrhunderts John Harvey Kellogg, der auch von dem Gedanken besessen war, dass Selbstbefriedigung bis zu Tuberkulose, Wahnsinn und Tod führen konnte. Als »Gegenmittel« erfand er 1906 verschiedene Nahrungsprodukte, welche die Gedanken der Jugend weg von der Sexualität und hin zur Gesundheit lenken sollten – eines davon waren die Cornflakes.

Die entstandenen Ängste warfen lange Schatten. Noch 1930 beschrieb kein anderer als D. H. Lawrence, der Verfasser von »Lady Chatterley’s Lover«, Masturbation als »gewiss das gefährlichste Laster, von dem eine Gesellschaft langfristig befallen sein kann«. Und für die US-amerikanische Marine-Akadamie Annapolis waren im Jahre 1940 Hinweise auf Selbstbefriedigung ein ausreichender Grund, um Bewerber nicht in ihre Reihen aufzunehmen. Noch in offiziellen Lehrbüchern der fünfziger Jahre wurden Prügel, Zwangsmaßnahmen und Operationen als Lösung des »Problems Selbstbefriedigung« aufgeführt.

Wie Volker Elis Pilgrim in seinem Buch »Der selbstbefriedigte Mensch« (aus dem auch einige der oben genannten Beispiele stammen) ausführt, hielt sich auch zum Zeitalter der sexuellen Revolution in den sechziger und siebziger Jahren der schlechte Ruf der Onanie recht hartnäckig. Der Duden stufte sie zur »Ersatzbefriedigung« herab, für den Brockhaus war sie ein »normales Durchgangsstadium« in der Pubertät – den Jugendlichen sollte beigebracht werden, ihren »Geschlechtstrieb allmählich zu beherrschen«. Noch abfälliger äußerten sich evangelische und katholische Wörterbücher zur Sexualpädagogik. Den Protestanten galt Masturbation als »primitivste Form sexueller Befriedigung«, die »ethisch zu verurteilen« sei, da »Ziel des Geschlechtsverlangens die intime Vereinigung der Ehegatten« sei. Die Katholen drückten sich verquaster und zugleich verdammender aus: Da die »geschlechtliche Befähigung des Menschen (…) wesentlich auf die personale und liebende Begegnung im Fleische und auf den Dienst an der Fruchtbarkeit ausgerichtet« sei, die Selbstbefriedigung jedoch »die Ausrichtung auf das Du umbiegt auf das Ich und bloße Triebbefriedigung« suche, sei diese Handlung »schuldhaft in dem Maße, als sie bewusst und frei gewollt geübt« werde. Folglich gibt es auch im Jahr 1970 noch putzige Ratgeber, wie man Heranwachsenden diese Sünde austreiben könne: So wußte Thomas Klaus in seinem Buch »Sexualerziehung« (Stuttgart 1970) zu berichten: »Alle Formen der Onanie in der Ehe sind Zeichen oder Beginn einer ernsten Störung, die psychotherapeutische Eheberatung oder Behandlung erfordert.« Damit es gar nicht erst dazu kommt, könne der »Charakter des Heranwachsenden« dadurch gebildet werden, dass man Selbstbefriedigung bewusst bagatellisiere: »Seit zwei Jahrzehnten erleben wir außerordentlich günstige Ergebnisse, wenn in persönlichen Gesprächen, wie vor allem in der Selbsthypnose des Autogenen Trainings und notfalls in ärztlich-hypnotischer Behandlung die Worte wiederholt werden: ›Onanie ist ganz gleichgültig‹.«

Mit anderen Worten: Selbstbefriedigung wurde noch vor wenigen Jahrzehnten noch immer als so krankhaft und behandlungsbedürftig bewertet wie beispielsweise Homosexualität oder Sadomasochismus, und die Freiheit zur sexuellen Selbstbestimmung musste von der Mehrheit ebenso mühsam gegen (oft selbsternannte) Autoritäten erkämpft werden, wie es Minderheiten in der sexuellen Ausrichtung nicht erspart blieb. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften rügte die Zeitschrift »Bravo« wegen Verleitung zur Masturbation, Günter Amendts Fernsehsendung zu seinem Buch »Sexfront« wurde 1969 wegen »Aufrufs zur Onanie« verboten, und als der Showmaster Dietmar Schönherr (»Wünsch dir was«) 1975 in einer Umfrage des »Münchener Merkur« befand, dass über Selbstbefriedigung zu wenig gesprochen werde, entschied der verantwortliche Redakteur, dies nicht drucken zu können. Und als sich die Sängerin Nina Hagen 1979 in der ORF-Talkshow »Club 2« überraschend daran machte, Techniken weiblicher Onanie vorzuführen, sorgte das für einen größeren Skandal.

Von der erblühenden Frauenbewegung dieser Zeit wurde mit diesem Thema sehr unterschiedlich umgegangen. Die Feministin Betty Dodson etwa entwarf 1972 ein Manifest pro weibliche Selbstbefriedigung, das ein Jahr später zu einem Artikel in der Zeitschrift »Ms.«, noch später zu einem kompletten Buch avancierte (ursprünglicher Titel »Liberating Masturbation«, neuveröffentlicht 1986 als »Sex for One«; unter diesem Titel ist es auch in Deutschland erschienen). Dodsons Buch wurde zum Bestseller. Weitere Ratgeber dieser Art folgten. Sexfreundliche Frauenrechtlerinnen wie Annie Sprinkle, Carol Queen oder auch Madonna taten einiges, um Selbstbefriedigung als Teil ihrer Bühnenperformance der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Radikalfeministinnen wie Alice Schwarzer hingegen zogen derweil noch immer mit Parolen wie »Gegen Pornos und Wichser!« durch die Lande. Tatsächlich war die Porno-Industrie ein entscheidender Einflussfaktor darauf, dass die verschiedenen Varianten der menschlichen Lustbefriedigung auch einem breiteren Mainstream offen zugänglich gemacht wurden.

Allmählich besannen sich die Sexualexperten eines anderen. In einem ersten Schritt wurde für Mediziner, Pädagogen und Psychologen Selbstbefriedigung zunächst ein ganz natürlicher Teil des jugendlichen Entwicklungsprozesses. Noch weiter aufgeweicht wurde das Tabu durch den sich neu herausbildenden Markt der Ratgeberliteratur: Die international bekannteste Koryphäe auf diesem Gebiet, Dr. Ruth Westheimer, empfahl Masturbation ebenso ausdrücklich auch für Erwachsene wie beispielsweise Alex Comfort (»Joy of Sex«). Selbst das alte Märchen, dass Selbstbefriedigung ein Notbehelf für Einsame war, letztlich also doch auf eine Charakterschwäche hinwies, verschwand. Neuere Untersuchungen ergaben, dass Menschen um so öfter onanieren, je aktiver sie auch sonst im Sexualleben sind. Jemand, der schon früh im Leben mit solchen Entspannungsübungen beginnt, ist auch mit einem Partner um so intensiver zugange – vielleicht wegen einer offeneren Einstellung gegenüber Sex, vielleicht wegen einer größeren Vertrautheit mit dem eigenen Körper und seinen Reaktionen. Bekanntes Beispiel ist der Schriftsteller David Guy, der in seinem Buch »The Autobiography of my Body« (»Die Autobiographie meines Körpers«) seinen Lebenslauf der Selbstbefriedigung darlegt und zu dem Schluss kommt, die glücklichsten Erfahrungen damit in den Phasen gehabt zu haben, in denen er verheiratet war.

Dass Selbstbefriedigung inzwischen überhaupt kein Tabu mehr darstellt, ist allerdings auch wieder nicht wahr. Obwohl deutlich über 90 Prozent aller sexuell gesunden Personen Gefallen daran finden, wäre es beispielsweise als Gesprächsthema auf Partys immer noch kaum vorstellbar. US-Präsident Clinton musste 1995 den Rücktritt seiner Gesundheitsministerin Dr. Jocelyn Elders, Universitätsprofessorin der Pädiatrie, einfordern, nachdem diese Masturbation öffentlich als natürlichen Bestandteil der menschlichen Sexualität bezeichnet hatte und darauf verwies, dass sie zumindest die Verbreitung von AIDS und Teenager-Schwangerschaften verhindern könne, so dass man vielleicht sogar in den Schulen darüber unterrichten solle. Ein öffentlicher Aufschrei des Protests war die Folge. Auch Clintons Vize-Präsident Al Gore wurde während seiner Wahlkampfkampagne in Artikeln deshalb angefeindet, weil er Naomi Wolf als Beraterin engagiert hatte und diese Masturbation als Mittel der Selbsterkundung für junge Frauen in ihrem Buch »Promiscuities« unterstützte. Und im Deutschland des Jahres 2001 verlor Axel Kunert, Autor des »Handbuchs der Onanie« (Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf), seinen Job als Leiter eines Fachverlags, nachdem seine Arbeit an diesem Thema öffentlich wurde.

In Film und Fernsehen war diese Praktik vor 1960 quasi komplett unsichtbar, wurde also nicht einmal warnend oder abwertend dargestellt. Das Fernsehen nahm sich dieses Themas später vor allem in Sitcoms an. Berühmtheit erlangte hier vor allem die 49. Episode der Reihe »Seinfeld« (Folgentitel: »The Contest«, in den USA erstausgestrahlt am 18. November 1992). Darin ging es um eine Wette, wer am längsten »ohne« aushält – das Wort »Masturbation« selbst fiel nie.

Kinofilme insbesondere der späten Neunziger boten diesem Thema noch etwas mehr Raum. So verwöhnten sich Männer selbst in Filmen wie »American Beauty«, »American Pie« und »Verrückt nach Mary«, Frauen in »The Crow: City of Angels«, »Sliver«, »Pleasantville« und ebenfalls »American Pie« (in dem es ohnehin um fast nichts anderes geht). Man könnte noch einige andere Filme aufführen. Eine sehr eindringliche Masturbationsszene ist beispielsweise auch in David Lynchs »Mulholland Drive« zu sehen. Dennoch, so befindet zumindest Rebecca Alvin in ihrer lesenswerten Studie »Masturbation Taboo in the American Media«, sind entsprechende Szenen im Gegenwartskino insgesamt noch immer sehr selten und fallen vor allem auf drei prototypische Darstellungsweisen zurück:

a) Der/die Masturbierende wird als einsamer Mensch gezeigt, der sich aus Verzweiflung selbst befriedigt (etwa in »Happiness«, vertreten durch den obszönen Serienanrufer Allen, oder »Mulholland Drive«, vertreten durch die von unerreichbarem Ruhm und Zuwendung träumende Betty/Diane; den Anfang von Brian de Palmas »Dressed to Kill« sowie »American Beauty« könnte man hinzufügen);

b) Masturbation symbolisiert sexuelle Abweichung oder einen Charakterfehler (etwa in Abel Ferraras »Bad Lieutenant«, vertreten durch den namenlosen, von Harvey Keitel gespielten Anti-Helden, sowie ebenfalls in »Happiness«, vertreten durch den pädophilen Vater Bill, der sich vor Jungenmagazinen einen ’runterholt);

c) Masturbation ist ein Initiationsritus für den Jugendlichen auf dem Weg zum Erwachsenwerden (etwa in »American Pie«, vertreten durch verschiedene männliche und weibliche Teenager in den absurdesten Situationen, sowie erneut in »Happiness«, vertreten durch Bills Sohn Billy, der in der Schlusssequenz des Films nach seiner ersten Ejakulation der gesamten Familie stolz verkündet, dass er gerade gekommen sei).

Nur höchst selten, wenn überhaupt, wird Masturbation mit jener Selbstverständlichkeit präsentiert, die sie für fast jeden Menschen in seinem ganz normalen Alltagsablauf darstellt. Stattdessen werden althergebrachte Stigmata lediglich in leicht veränderter Form übernommen. Da Medien prägend für das Entstehen kultureller Normen sind, kann dies dazu führen, dass viele Leser und Filmzuschauer ihre eigene Lebenswirklichkeit als fragwürdig erleben: Wer sich selbst befriedigt, ist diesen Medienbildern zufolge immer noch charakterschwach, vereinsamt, krank oder auf einer jugendlichen Entwicklungsstufe stehengeblieben. Auch bleibt Masturbation selten ohne (negative) Folgen. Onanie als Beschäftigung glücklicher, sexuell erfüllter Menschen mit Vorbildcharakter zu zeigen unterliegt sehr häufig immer noch einem Tabu. Eine der wenigen Ausnahmen, in denen Selbstbefriedigung gar als befreiend und beseligend gezeigt wurde, war »Pleasantville« – ein Film, der wegen solcher Szenen von schockierten Christen quer durch die USA mit empörten Reaktionen bedacht wurde.2

Woran liegt es also, dass bis hinein in die jüngste Gegenwart eine so angenehme und unschädliche Beschäftigung wie die Selbstbefriedigung noch immer einem Makel unterliegt? Der Psychologe und Soziologe Volker Elis Pilgrim sieht den Grund darin, dass Sexualität auch und gerade in unserer Gesellschaft genauso auf Leistung ausgerichtet sein müsse wie alles andere: »Der Trieb darf weder schweifen noch Muße haben, er selber ist den Kategorien der Leistung unterworfen.« Tatsächlich aber, so Pilgrim, werde man der menschlichen Sexualität nicht gerecht, wenn man sie auf ihre Funktion der Fortpflanzung reduziere und ihre ebenso wichtige Funktion als »biochemisches Phänomen zur Regulation des gesamten organischen Haushaltes« übergehe: »Sogar die allgemeine Natur interessiert immer erst die Erhaltung des Individuums, dann die der lebenden Artmitglieder und schließlich erst die Hervorbringung der Nachkommen. (…) Dem Körper ist nicht genug gut getan, wenn seine sexuellen Bedürfnisse an eine Person gekettet werden.«

Was eine prima Überleitung zu unserem nächsten Kapitel darstellt …

2 Kennen Sie Ayn Rand? Bei uns kaum bekannt, erreichte sie in den USA Millionenauflagen und gilt dort als der (weibliche) "Guru des (Radikal-)Kapitalismus" und Begründerin des "Objektivismus". Selbst geringste staatliche Eingriffe ins Wirtschaftsgeschehen galten ihr bereits als verwerflicher "Sozialismus". Das Christentum lehnte sie ebenfalls ab. Die Heroen in ihren Büchern waren allesamt erfolgreiche Erfindergenies oder Firmengründer, Menschen, die geistig schöpferisch waren und neue Wege beschritten. Nichts empfand Rand als schimpflicher, als geistig "aus zweiter Hand zu leben" - was sie nicht daran hinderte, eine sektenähnliche Gemeinschaft von Schülern um sich zu scharen, von denen sie bedingungslose geistige Gefolgschaft verlangte, wie Jeff Walker in seinem kritischen Buch "The Ayn Rand Cult" (1999) darlegte. Auch sexuell stellten die Rand'schen Helden höchste Ansprüche: Entweder sie fanden jemanden, der ihnen geistig ebenbürtig war - dann fielen sie vergewaltigungsgleich übereinander her -, oder sie fanden niemand Passendes - dann enthielten sie sich nicht nur jeglichen Verkehrs, sondern auch jeglicher Selbstbefriedigung. So kompromisslos waren die! Ein Rand'scher Held namens Francisco d'Anconia, Bergwerksbesitzer, war in "Atlas wirft die Welt ab" verknallt in die tüchtige Eisenbahnbesitzerin Dagny Taggart - nur leider machten es die Umstände jahrelang unmöglich, dass sich die beiden sahen. "Die Umstände" - das war ein immer "sozialistischer" werdendes Amerika. Um sein Bergwerk nicht einem solch schändlichen System auszuliefern, sprengte d'Anconia es eines Tages in die Luft. Walker dazu: "Neo-Objectivist Karen Reedstrom asks how realistic it is in Atlas for Francisco to go twelve years without any sexual outlet in the hope that he will one day get together with Dagny again. (When the first d'Anconia copper mine blows up, one wonders if it was simply that Francisco was doing a pit-inspection there when his testicles finally exploded.)" (S. 109). Auch John Galt, ein weiterer Superheld dieses Romans und ebenfalls in Dagny verknallt, kommt zehn Jahre ohne Onanie aus. Walker: "In real life both likely would periodically masturbate while fantasizing about Dagny; however Galt the Onanist probably would not fit with Galt as Rand's Ideal Man." (ebenda). Anmerkung des Verlegers

Onanieren für Profis

Подняться наверх