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Kapitel 11: Gestrandet

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Es war später Vormittag. Nell kletterte so vorsichtig wie möglich aus dem Bett. Sie hatte beschissen geschlafen. Paula suchte die ganze Nacht immer wieder Nells Hand oder rollte sich in ihrem Armen zusammen, wie ein Hund. Ein sehr großer Hund. Sie stöhnte und jammerte. Schreckte immer wieder kurz hoch.

Verdammt, Verdammt, Verdammt! So schlecht ging es Paula noch nie.

Nell hoffte inständig, die Sache alleine in den Griff zu bekommen. Jetzt schlief Paula und ihr Atem ging gleichmäßig, doch ihre Gesichtszüge waren so angespannt, die Haut fahl und grau.

Nell hörte das Telefon klingeln. Leise fluchend spurtete sie die Treppen hinab in den Flur.

„Morgen“, brummte Nell in den Hörer. „Ja, sie lebt noch. Sie schläft. Ich habe ihr etwas gegeben, damit sie schlafen kann.“

...

„Danke, Peer. Ich weiß. Wenn was ist, dann werde ich dich als Erstes anrufen. Versprochen!“

..

„Bitte?“

...

„Ja, ich pass auf mich auf und nein, du brauchst nicht vorbei zu kommen. Männerbesuch können wir hier im Moment nicht gebrauchen! Du, ich muss auflegen. Ich glaube, oben erwacht jemand zum Leben.“

...

„Ja, bis dann!“

„Nell? Nell wo bist du?“ Paula war aus dem Schlaf hochgeschreckt, weil sie etwas gehört hatte. Sie wusste zwar, dass sie sich gestern in ihren Wagen gesetzt hatte und einfach blindlings drauflosgefahren war, aber mehr auch nicht. Das Bett, in dem sie lag, erkannte sie auch. Alles andere war weg. Filmriss!

„Ich bin hier. Hier bin ich“, rief Nell im Anflug auf das Schlafzimmer. Sie trat durch die Türe und Paulas Blick entzerrte sich sogleich. Nell setzte sich auf die Bettkante. Paula krabbelte ihr sogleich entgegen und legte ihren Kopf in Nells Schoss. Liebevoll kraulte Nell Paulas Kopf. Schweigen. Atmen. Tränen die ihre Hose durchnässten.

Sie weint schon wieder. Ach Paulchen, es tut mir so leid…!

Endlos verharrten beide Frauen.

„Paula, wie sieht es mit einer Dusche aus?“ durchbrach Nell die gespenstische Stille. „Paula. Ich rede mit dir! Schau mich an!“

Artig hob Paula den Kopf.

„Schau mir in die Augen! Du gehst jetzt unter die Dusche, während ich deine Klamotten ins Haus schleifen werde. Ich bringe dann alles ins Gästezimmer. Schlafen wirst du in meinem Bett bei mir, alles klar? Ich stehe jetzt auf und du auch. Du gehst ins Badezimmer und wirst dich ausziehen und duschen. Keinen Firlefanz – verstanden? Duschen. Abtrocknen. Ich werde dir Sachen bringen.“

Paula nickt mit leerem Gesichtsausdruck.

„Auf geht’s“, spornte Nell ihre Seelenschwester an. Langsam, steif und unkoordiniert erhob sich Paula vom Bett. Nell war direkt hinter Paula und schob sie förmlich in Richtung Badezimmer die Treppe herunter. Paula ergab sich. Den Zustand kannte sie. Und Widerstand in jeglicher Form gegenüber Nell war zwecklos. Nell tat es schon wieder. Nell rettete Paula!

“So meine Gute, hier ist frische Unterwäsche. Ich habe dir eine Jogginghose und ein Sweatshirt rausgesucht. Du wirst die nächsten Tage das Haus sowie so nicht verlassen. Brauchst du Hilfe oder kommst du klar? Ich gehe jetzt in die Küche und werde uns Kaffee kochen. Und du wirst etwas essen.“

Den Ton kannte Paula. Dieser Ton ließ keine andere Meinung zu. Paula war dankbar, dass ihr Nell alles außer das Atmen abnahm.

„Ach übrigens, ich habe im Krankenhaus angerufen“, flötete Nell aus der Küche. „Ich habe die nächsten zehn Tage frei. Ich werde die ganze Zeit für dich da sein.“

Dann vernahm Nell das Geräusch von Wasser.

Paula stand unter der Dusche und ließ das warme Wasser einfach über sich fließen. Es fühlte sich an wie warmer Regen. Den Kopf in den Nacken gelegt, so dass ihr das Wasser in vielen klopfenden Tropfen auf die Stirn prasselte. Sie konzentrierte sich auf das Gefühl und auf ihren Atem. Sie zog die Luft tief ein und prustete sie mit einem schnauben durch den Mund aus.

Nach und nach kroch die Wärme des Wassers auch in ihr Inneres und machte einen Versuch, das Geschehene zu vertreiben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich Paula aus ihrer Starre und begann, sich die Haare zu waschen. Die Bewegungen liefen wie in Zeitlupe ab. Haar einschäumen, auswaschen, atmen, Körper einseifen, waschen, abspülen, atmen.

Nell hatte vorsorglich die Badezimmertür eine Handbreit offengelassen. Auch die Küchentüre stand offen. Sie wollte auf Nummer Sicher gehen, falls Paula auf dumme Gedanken kommen sollte.

„Paula, hast du mich gehört?“

Nell rief erneut, diesmal etwas lauter, um das Rauschen des Wassers zu übertönen.

Bevor Nell erneut rief, machte sie sich auf in Richtung Bad.

Gleichzeitig verstummten die Geräusche aus dem Badezimmer.

Nell sauste in den Flur und stoppte abrupt. Sie sah Paula. Paula war gerade aus dem Bad auf den Flur getreten und stand nun im Flur und sie weinte schon wieder. Stumm liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Dabei schüttelte sie verzweifelt den Kopf.

„Sauber bin ich jetzt“, brachte Paula mit bedeckter Stimme hervor. „Aber besser fühle ich mich nicht“.

Nein, ich darf jetzt nicht auf sie zustürmen und sie in den Arm nehmen. Ich muss ihren Selbsterhaltungstrieb aktivieren! Wenn sie gehalten werden will, dann soll sie auf mich zukommen, nicht anders herum. Hier geht es einfach nicht nach Lehrbuch – schließlich geht es hier um Paula.

„Los komm schon in die Küche, der Kaffee ist fertig“.

Paula schlurfte kraftlos in die urige, gemütliche Küche.

„Setz dich dahin“.

Paula gehorchte. Prompt stand ein Pott Kaffee vor ihr, dampfend, mit Milch und Zucker.

„Du wirst die Tasse schon selber in die Hand nehmen müssen, wenn du nicht vorhast, den Kaffee mit den Augen aufzusaugen.“

Paula gehorchte ein weiteres Mal. Der Kaffee rann heiß und brennend ihre Kehle hinab, breitete sich wohlig warm in ihrem Bauch aus.

„Sag mal, wann hast du das letzte Mal gegessen und getrunken?“

Paula erinnerte sich nicht mehr daran. Doch der Kaffee tat gut. Nell wusste, dass Paula Kekse liebte. Kekse in Kombination mit Schokolade. Für Paula hatte Nell immer einen besonders großen Vorrat davon im Haus. Die gigantische Blechdose mit einer enormen Auswahl an Keksen kam auf den Küchentisch. Paula wollte eigentlich lachen und ihre Freundin dankbar anschauen, doch stattdessen liefen ihr schon wieder Tränen übers Gesicht.

Nell wusste, wie es gemeint war. „Ich weiß doch was du magst. Also iss!“

Paula hatte keinen Hunger. Doch als sie die Kekse sah, schaltete sich ihr Magen ein. Er übernahm den nächsten Schritt für Paula. Sie langt zu, stippte den Keks in ihren heißen Kaffee und begann mechanisch zu essen.

„Na, geht doch“, kommentierte Nell.

So verbrachten die beiden Frauen die nächsten Tage. Nell sagte an: Was, Wann, Wo und Warum. Paula tat wie ihr geheißen.

Nell fühlte sich wie Robinson Crusoe. Gestrandet auf einer einsamen Insel mit Freitag an ihrer Seite, der weder Sprechen noch Verstehen konnte.

„Hey Paula“, rief Nell aus dem Badezimmer in Richtung Wohnzimmer. „Ich muss dich heute mal eine Stunde alleine lassen, ja? Wenn wir uns nicht nur von Keksen ernähren wollen, dann sollte ich schleunigst den Supermarkt stürmen. Du wirst hierbleiben, verstanden?“

„Wenn du meinst“, war Paulas gleichgültige Antwort.

„Damit du aber nicht vor Langeweile umkommst, sei so gut und schmeiß eine Maschine Wäsche an und mach den Abwasch“, befehligte Nell.

Paula verdrehte die Augen.

Ein gutes Zeichen.

„Eine Stunde, ja, Freitag?“ Nell küsste Paula auf die Wange und verließ das Haus.

Allein.

Paula war allein.

Das Haus war still. Doch diese Stille erschien ihr so laut. Panik machte sich in ihr breit….

Waschmaschine und Abwasch. Das wirst du ja wohl noch schaffen, oder Frau Brehm?! Naiv, leichtgläubig, unverbesserlich – ja. Aber Waschmaschine und Abwasch, damit kannst du nichts falsch machen.

Paula setzte sich in Bewegung. Während sie die Waschmaschine vollstopfte, schellte es an der Haustüre. Vielleicht die Post? Vielleicht erwartete ja Nell auf ein Paket?

Paula bemühte sich zur Haustüre, öffnete diese und verfiel in Schockstarre.

Vor ihr stand Helge. Zumindest sah dieser leicht abgerissene Typ annähernd so aus wie er. Was war passiert?

„Paula, Liebling. Kann ich reinkommen? Es tut mir leid. Mein Vater hat mich aus der Firma und der Wohnung geschmissen, mich einen Bastard und Hurensohn genannt. Ich stehe auf der Straße und weiß nicht wie ich ohne dich Leben soll….Bitte sag doch etwas.“

In Paula bahnte sich ein Vulkanausbruch an. Endlich fand sie wieder ihre Sprach wieder. Sie schaltete einfach auf Kampfmodus.

„Ach ja? Es wundert mich, dass dein Vater nicht direkter zu dir war. Es hat ihm wohl auch die Sprache verschlagen, als er gehört hat, was für Arschloch sein Sohn wirklich ist.“ Paulas Stimme war hart und gefährlich leise.

Helge riss die Augen auf. „Paula, nein. Du verstehst nicht…Ich wollte nicht… also ich hatte nie vor… nie wirklich vor, dich zu verletzen. Ich liebe dich wirklich, dass musst du mir glauben. Ich will dich noch immer… Bitte Paula“!

Helge ging einen Schritt auf Paula zu. Paula wiederum regierte prompt und verpasste Helge eine saftige Ohrfeige. Ihre Stimme wurde lauter. „Du elendiger Mistkerl. Du tauchst hier auf und hast die bodenlose Frechheit mir ins Gesicht zu sagen, dass dein Stelldichein mit der französischen Schlampe einfach passiert ist, ja? Das du machtlos warst und sie dich überrumpelt hat. Du willst mir sagen, dass du nicht in der Lage warst, deinen verdammten Schwanz in der Hose zu lassen und sie einfach in die Wüste zu schicken? Geschäftspartner hin oder her….. Du hast mir versprochen, mir nicht weh zu tun. Wenn du wenigstens ehrlich zu mir gewesen wärst und hättest mir gesagt, was Sache ist, dann wäre ich mir nicht so dumm vorgekommen. Du hast mich dastehen lassen wie einen Vollidiot! Und du hast mich zutiefst verletzt! Glaubst du eigentlich, zu kannst hier aufkreuzen und mir Honig ums Maul schmieren und alles wird wieder gut“?! Paula war rasend. Sie schrie die letzten Worte nur so heraus.

Während ihres Schwalls an Beschuldigungen baute sie sich auf, und mit jedem Schritt, den sie auf Helge zu ging, wich er rückwärts. So trieb sie ihn immer weiter weg von der Haustür in Richtung Gehweg.

Jetzt tippte sie ihm sehr energisch mit dem Zeigefinger auf die Brust. „Du hattest deine Chance. Du hast es geschafft, mich um den Finger zu wickeln und mein Vertrauen zu erschleichen. Ich weiß nicht wie, aber du hast es geschafft. Und dafür schäme ich mich vor mir selber am meisten. Dir zu vertrauen, das war dumm und naiv. Und das hast du mir sehr deutlich klargemacht. Ich will dich nie wiedersehen, nie wieder von dir hören! HAST. DU. MICH. VERSTANDEN?“

Paula wurde immer wütender. Die nächste Stufe der Trauer – Wut. Und davon hatte Paula mehr als genug in sich. Jetzt schlug Paula ihn mit der flachen Hand vor die Brust.

„Und du Ratte hast mich sogar dazu gebracht, meine geliebte Wohnung aufzugeben. Jetzt habe noch nicht einmal mehr ein eigenes Heim“.

Helge war sprachlos. Er wusste, dass Paula mächtig zornig und wütend werden konnte. Doch damit hatte er nicht gerechnet. Er beschwor gerade ein Unwetter herauf – in Form einer sehr, sehr wütenden Paula. Vor ihm stand eine sehr wütende Paula, die gleich einem Vulkan jeden Moment explodieren würde.

„Es tut mir leid...“, begann Helge erneut.

„Leid? Dir tut es leid! Nein, Helge! Dieses Schmierentheater kannst du dir schenken!“, brüllte Paula jetzt. Sollte es doch die ganze Welt mitbekommen, was für ein dummes Mädchen sie doch gewesen war. Dumm genug, um sich in einen unverbesserlichen Schürzenjäger wie Helge Kleinert zu verlieben.

„Verpiss dich aus meinem Leben, geh zurück nach wo immer du willst! Verschwinde einfach! ICH WILL DICH NICHT! Nicht heute, nicht morgen, nie, nie wieder! Hast du das jetzt kapiert“?

Bevor Helge antworten konnte, bog ein blauer Kleinwagen mit hohem Tempo in die Einfahrt ein. Die Tür wurde aufgerissen. Nell sprang aus dem Auto. Sie hatte so eine Ahnung gehabt….

Nell stellte sich zwischen Paula und Helge.

Zwei Goliaths gegen einen David! Super Aussichten – nur nicht für Helge.

Paula und Helge schienen sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Nell war zwar kleiner als die beiden Streithähne, aber in der Lage zu denken! Sie verpasste Paula kurzerhand eine Ohrfeige und trat Helge – und sie bereute es keinen Augenblick – beherzt in seine männlichen Kronjuwelen. Mit einem Ächzen brach dieser sofort auf ihrem Rasen zusammen. Paula war so fassungslos, dass sie nach Luft schnappen musste.

Tja, wer war hier klein? Und Helge konnte froh sein, dass sie ihr Skalpell nicht bei sich hatte. Der Tritt in die Eier war für ihn DIE Alternative schlecht hin.

„Sobald du wieder laufen kannst“, wetterte Nell los, verschwinde von meinem Grund und Boden! Verschwinde du ekeliger Schwanzlurch und mach, dass du mir nie – NIE – wieder unter die Augen kommst. Du elendiger Bastard sollst leiden und dich winden! Und eines schwöre dir, solltest du dich hier je wieder blicken lassen oder mir sonst wie oder irgendwann über den Weg laufen, wirst du deinen Rufnamen ändern müssen! Ich werde dich fesseln und knebeln und dich an deiner eigenen Kastration teilhaben lassen, du schmieriges Arschloch! Und dann kannst du deinen neuen Namen sprechen üben - und zwar mit deinen eigenen Eiern in deiner dämlichen Hackfresse!“

Das hat gesessen!

Nell drehte sich auf dem Absatz herum, hakte Paula ein und zog sie mit ins Haus.

„In die Küche mit dir, sofort!“

Paula beeilte sich, ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Nell lud unterdessen das Auto aus und bugsierte die Einkäufe ebenfalls in die Küche. Helge, der immer noch auf ihrem Rasen kauerte, würdigte sie keines Blickes.

„Hinsetzen!“ Mit viel Krach ließ Nell die Tüten auf den Küchentisch fallen. „So Paula, ich nutze die Gunst der Stunde. Es tut mir sehr, sehr leid, dass ich dich in die Arme dieses Mistkerls gedrängt habe. Und es tut mir sehr, sehr leid, dass ich nicht zugelassen habe, dass du auf dein Bauchgefühl hörst. Es tut mir auch leid, dass ich versucht habe, dich zu dieser Hochzeit zu überreden und es tut mir mehr als leid, dass du wegen mir deine geliebte Wohnung aufgegeben hast. Was mir aber nicht leid tut, ist die Ohrfeige.“

Nell holte tief Luft, stieß sie in einem heftigen Seufzer wieder aus und setzte dann erneut an: „Du wirst, bis auf Weiteres, bei mir wohnen! Das Haus ist groß genug. Und bevor du wagst auch nur den Mund aufzumachen – ich dulde kein Nein oder Aber!“ Damit schloss Nell ihren leidenschaftlichen Vortrag.

Huch! - Meine so beherrschte Nell kann ja auch anders. Diese Seite steht ihr gar nicht mal so schlecht!

Paula stand auf. Ohne den Mund aufzumachen. Schon wieder standen ihr die Tränen in den Augen. Sie ging zu Nell, nahm sie einfach in ihre Arme und hielt sie fest an sich gedrückt. Während sie Nell in den Armen hielt, hauchte sie ihr mehrere Küsse auf den Scheitel. Nell erwiderte die Umarmung. Ein Knurren ließ die beiden Frauen innehalten. Paulas Hunger war zum Leben erwacht. Beide schauten sich an und lachten los.

„Das ist das Schönste an dir“, stellte Nell mit warmer, lachender Stimme fest. „Ich liebe es, wenn du lachst. Schon immer.“

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