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VI.

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Bath sah sich vorsichtig um, bevor er das große, graue Haus betrat. Ja, es unterlag keinem Zweifel: Er wurde von den Leuten McGregors beobachtet und überwacht. Man war also sehr mißtrauisch geworden.

Im zweiten Stock, vor einer Tür ohne Namensschild blieb Bath stehen. Er wußte, es war gefährlich, diese Wohnung zu betreten. Vielleicht war bei McGregor sein Tod schon beschlossene Sache? Wie konnte er das wissen? McGregor war sehr unberechenbar.

Bath klopfte. Er schien sehr ruhig zu sein, als er dem öffnenden jungen Mann das Wort „Silberdollar“ zuraunte und auf dessen verständnisvolles Nicken hin schnell eintrat.

„Dort, in das Zimmer“, sagte der Mann, der die Tür geöffnet hatte. „Sie sind Bath, nicht wahr? Sie sollen dort warten.“

Der junge Inspektor betrat den kleinen, recht einfach ausgestatteten Raum. Er machte den Eindruck, als sei er ein billiges möbliertes Zimmer, aus dem man nur das Bett hinausgeschafft hatte. Dunkel war es hier auch, und Bath brannte sogleich das elektrische Licht an, denn er liebte nicht Dunkelheit in einem ihm unbekannten Hause.

„’n Abend, lieber Bath!“ sagte eine Stimme an der Tür, und herein schob sich ein dicker, wohlbeleibter Mann von etwa vierzig Jahren.

„Guten Abend, Mr. McGregor“, antwortete Bath höflich.

Dieser dicke Mann war tatsächlich McGregor — derselbe McGregor, den sich die Zeitungsleser als verwegenen Burschen, groß, schlank und entschlossen vorstellten. Sie kannten nur seine Taten, und diese Taten waren nicht danach, in ihm den Wunsch zu erwecken, sein Lichtbild veröffentlicht zu sehen.

„Tja, Mr. Bath“, sagte McGregor, und seine Stimme klang weich, ganz anders als am Fernsprecher. „Tja, ich muß Ihnen leider sagen, daß die kleine Veranstaltung aufgeschoben worden ist. Sie kann erst um zwei Uhr nachts stattfinden.“

Bath schwieg und wartete auf nähere Erklärungen. Aufmerksam betrachtete er dieses fette Ungetüm, wie es sich ächzend auf einen der wackligen Stühle sinken ließ. Obwohl es sich bei den Erklärungen McGregors um Dinge handelte, die über Leben oder Sterben des Inspektors entschieden, war Bath im Augenblick am meisten darauf gespannt, ob der Stuhl zusammenbrechen würde oder nicht.

„Ich glaube weder Ihnen noch Strong“, fuhr McGregor gemessen fort. Der Stuhl war nicht zusammengebrochen. „Dieser Zweikampf soll ein Gottesurteil sein, aber bilden Sie sich ja nicht ein, daß, wenn Gott Sie am Leben läßt. McGregor Ihnen dann glauben wird. Ich glaube Ihnen nur so weit, als ich weiß: Sie werden kaum etwas gegen mich wagen, solange Ihre werte Familie in New York ist. Sie hängen sehr an Ihrer Familie, nicht wahr?“

„Ich glaube, ich bin in dieser Beziehung ein ganz normaler Mensch“, erwiderte Bath gefaßt.

McGregor lächelte freundlich.

„Es freut mich, das zu hören, lieber Bath. Und soweit ich unterrichtet bin, hat noch kein normaler Mensch eine Tat begangen, derzufolge seine ganze Familie ausgerottet — verstehen Sie: aus —ge —rot — tet! — wurde. — So! Also das wäre in Ordnung. Tja, um zwei Uhr … Tja … Da ist nämlich etwas dazwischen gekommen … Sagen Sie mal: Kennen Sie Flannagan?“

„Den Detektiv?“

„Ja, den meine ich.“

„Nun, gehört habe ich sehr viel von ihm, persönlich kenne ich ihn aber noch nicht.“

„Ein gefährlicher Mensch, nicht wahr?“

Bath nickte.

„Wenn man ihn zum Feinde hat — ja.“

McGregor stand schnaufend auf, legte die Hände auf den Rücken und machte einige Schritte durchs Zimmer. Er hatte so kurze Arme, daß diese natürliche Haltung bei ihm gezwungen und lächerlich aussah.

„Ich habe ihn zum Feinde“, erklärte er langsam. „Was sagen Sie dazu? Seit heute vormittag habe ich ihn zum Feinde! Der alte Harrogate hat ihn angeworben, und der Flannagan verkaufte sich für ein Linsengericht: für ein Abendessen im Pennsylvania. Tja, findet heute abend, jetzt eben, statt. Wissen Sie, ich habe richtig gelacht, als ich das erfuhr! Bindet doch da ein Mensch für nichts und wieder nichts mit McGregor an! Lebensgefährlich? Pah! Kümmert Flannagan nicht. Ob er am Delirium stirbt oder ein paar Wochen früher an einer Kugel, ist ihm egal, einfach egal! Aber mir nicht! Mir nicht! Ich werde schon heute abend eine Überraschung vorbereiten … Dieses Abendessen soll ihm wenig Freude bereiten, so wahr ich McGregor heiße. Wissen Sie, Bath, ich betrachte es geradezu als eine Beleidigung, daß Flannagan den Kampf mit mir für ein Butterbrot aufnimmt. Macht doch den Eindruck, als sei McGregor ein Hanswurscht, ein Idiot!“

McGregor hatte sich in Zorn geredet. Er lief jetzt im Zimmer herum wie ein mächtiger Bankdirektor, der von einem noch mächtigeren Bankdirektor eine Zurechtweisung erhalten hat, die eigentlich nicht er, sondern sein jüngster Lehrling verdient hätte.

Bath wollte etwas sagen, etwas Besänftigendes, etwas, das geeignet war, die Selbstachtung McGregors wieder zu heben, aber da sank McGregor schon mit einem Aufschrei auf seinen Stuhl.

„Machen Sie das Fenster auf!“ stöhnte er und zerrte am Kragen. „Schnell, das Fenster auf! Oh, Gott! Keine … keine … Luft …“

Bath sprang behend ans Fenster und riß beide Flügel weit auf. McGregor atmete schwer und stöhnte ununterbrochen.

„Das verdammte Asthma … Das wird noch mein Tod sein. Oh, ich darf mich nicht aufregen.“ Und wieder rang er nach Luft.

Bath empfand eine tiefe Verachtung für diesen Räuberhauptmann, der an Asthma litt. Obwohl Bath ein kluger, gebildeter Mann war und die Frage nicht hätte beantworten können, warum eigentlich gerade McGregor nicht asthmatisch sein dürfe, so folgte er in diesem Fall ganz seinem Gefühl, und dieses Gefühl sagte ihm mit aller Entschiedenheit, daß ein Räuberhauptmann nie an Asthma zu leiden habe.

„Ich würde das alles nicht so tragisch nehmen“, meinte Bath vorsichtig. „Ich würde auch nichts überstürzen. Sie haben Zeit genug, um mit Flannagan fertig zu werden …“

„Noch heute abend muß es sein“, erklärte McGregor finster. Er erholte sich langsam von seinem Anfall. „Unbedingt noch heute abend. Sie wissen nämlich nicht, daß dieser Flannagan schon heute im Polizeihauptquartier war, und die Folge davon? Ein empörender Artikel in allen Abendblättern! Die Polizei — heißt es darin — sei fest entschlossen, sofern dem Kinde Harrogates etwas zustieße, ihre Gesamtmacht gegen McGregor aufzubieten. Es sollen sogar ausländische Detektive herbeigeholt werden und Polizeikräfte aus anderen Städten. Und wenn nötig — sogar Militär! Was sagen Sie dazu?“

„Und das Kind Harrogates — schon tot?“ fragte Bath.

McGregor schnaufte schwer.

„Aus taktischen Gründen aufgeschoben. Ist Flannagan einmal beseitigt, so glaube ich nicht den Drohungen der Polizei. Man tut ein bißchen was, und dann vergißt man. Aber dieser Flannagan ist imstande, die ganzen Staaten auf den Kopf zu stellen, Erst also muß er beseitigt werden, dann der Kampf bis aufs Messer!“

„Und wie …“, begann Bath. Dann unterbrach er sich. „Es geht mich ja nichts an, und die Frage mag Ihnen vorlaut erschienen; aber falls es kein Geheimnis ist: Wie gedenken Sie die Sache heute abend zu erledigen?“

„Oh!“ sagte McGregor heiter. „Diese Frage geht Sie sehr viel an, lieber Bath. Ich habe mich da nämlich zu einem ganz einfachen Mittel entschlossen: die einfachen sindimmer die sichersten. Sie gehen um zehn Uhr ins Pennsylvania Hotel, machen sich mit Flannagan bekannt — das ist sehr leicht, da er denselben Auftrag hat wie Sie —, und Punkt ein Uhr nachts haben Sie alles Nötige besorgt.“

Bath war bleich geworden, aber sein Gesicht blieb unverändert gleichmütig.

„Die Sache ist sehr einfach“, bestätigte er ernst. „Nur möchte ich dann für mein Leben keine fünf Cent mehr geben.“

McGregor nickte freundlich.

„Ich auch nicht“, sagte er sanft.

Im Schattenkasten

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