Читать книгу Xzentrische Weltzeit Geschichten - Arno von Rosen - Страница 6
Оглавление2. Die Höhle
„Sagen Sie mir nicht, was ich nicht weiß, Koller, denn dafür bezahle ich Sie nicht. Sorgen Sie nur dafür, dass wir die Höhle finden, um den Rest kümmere ich mich dann schon, verstanden?“
Friedrich Koller blieb gelassen neben der Forscherin stehen, und ließ den Wutausbruch an sich abperln. Es war nicht das erste Mal, dass Sybille Berger sich über etwas beschwerte. Im Gegenteil, ein Tag ohne emotionale Ausbrüche, hätten ihn misstrauisch gemacht. Bereits als sie die Reise vor zwei Jahren planten, war er sich der kommenden Schwierigkeiten bewusst gewesen, und er hatte sich darauf eingestellt.
„Wir sind auf dem richtigen Weg, Frau Berger. Nach meinen Berechnungen haben wir die Koordinaten in wenigen Stunden erreicht, aber wir müssen jetzt eine Pause machen. Die Träger sind müde, und Sie wollen doch nicht, dass sie uns hier alleine zurück lassen, oder?“
Die Frage war natürlich rhetorisch gemeint, denn es stand außer Frage, dass sie alle Ruhe benötigten, damit sie heute noch ein Lager bei der „Toca da Boa Vista“ Höhle errichten konnten. Schmollend setzte sich die Ethnologin auf einen abgestorbenen Baumstupf, und trank einen Schluck aus ihrer Feldflasche. Ihre sechs Begleiter stellten die mitgeführten Vorräte ab, und hatten in Windeseile ein kleines Lager mit Kochstelle eingerichtet.
Nach der Mahlzeit war die Stimmung entspannter, und auch die Träger zogen genüsslich an ihren Zigaretten.
„Ich will nur keine Zeit mehr verlieren, Friedrich. Ich habe schon so lange gewartet. Gewartet auf meinen Studienabschluss, auf meine Doktorarbeit, meine Forschungsgelder für dieses Projekt. Jetzt darf nichts mehr schief gehen. Das verstehst Du doch?“
Natürlich verstand Koller. Jeder in Deutschland konnte das verstehen. Sybille hatte ihren Vater mit drei Jahren verloren, als dieser auf einer Forschungsreise in Brasilien diese Höhle untersuchen wollte. Seit dem waren 25 Jahre vergangen, und die Suchaktion nach ihrem Vater war bei Sybille Berger zur fixen Idee geworden. Trotzdem hatte sie alle Widerstände überwunden, und als jüngste Forscherin Deutschlands diese Expedition auf die Beine gestellt. Seinen Respekt hatte sie, obwohl er Zweifel an der wissenschaftlichen Ausrichtung dieser Reise hatte. Aber es war nicht sein Bier, sich um die Finanzen zu kümmern. Als Abenteurer und Mann der Alleingänge, durch unberührte Naturlandschaften, hatte er sich einen Namen gemacht. Ob zum Südpol, oder der Besteigung aller vierzehn Achttausender im Himalaja, wenn es eine Herausforderung war, musste er dabei sein.
Höhlen hatte er noch nicht erforscht, aber er setzte auf die Erfahrungen von Sybille, die in Europa schon fast alles gesehen hatte, was es an Höhlen gab. Diese war zwar mit über 100 Kilometern Ganglänge extrem weit verzweigt, aber sie hatten eine gute Ausrüstung, und genug Vorräte für vier Wochen dabei. Im Notfall ließen sie einen Helikopter kommen, der neue Nahrung über ihnen abwerfen würde.
„Du kannst ja ein paar Bilder für die Zeitungen machen, damit die auch etwas bekommen für ihr Geld. Schließlich haben die ja genügend bezahlt für die Rettungsaktion Deines Vaters.“
Sybille stand auf und schnappte sich die Spiegelreflexkamera. Sie wusste das Koller Recht hatte, aber sie wollte es nicht zu geben.
„Ich weiß, von wem ich Geld bekommen habe, und die kriegen auch ihre Bilder, aber in erster Linie bin ich für meine Forschung hier“, konterte sie bissig, und ging auf eine Anhöhe zu, von der aus sie das kleine Camp fotografieren konnte.
Schon bald bahnten sie sich wieder ihren Weg durch das dichte Geflecht aus riesigen Pflanzen, Bäumen und exotischen Blumen. Moskitos umschwärmten sie in Scharen, und brachten die Träger und sie zur Verzweiflung. Nur Friedrich Koller blieb die Ruhe selbst.
„Ich weiß ja nicht, warum Dir diese Blut saugenden Biester nichts ausmachen, aber ich flippe gleich aus.“
Koller reichte ihr ein paar Blätter.
„Du musst sie zerkauen, und dann auf Dein Gesicht und Deine Arme schmieren, dass schreckt die meisten Mückenarten ab.“
Sybille sah sich die Blätter an, als ob ihr jemand Abfall entgegen hielt, und rümpfte die Nase. „Ich soll mir die eigene Spucke ins Gesicht reiben? Wer weiß, was das für ein Kraut ist, dass Du da in der Hand hältst.“
Friedrich steckte sich ein paar davon in den Mund, und fing an genüsslich darauf herum zu kauen.
„Wenn Du nicht willst, kein Problem. Sag mit bescheid, wenn Du soweit bist.“ Dabei konnte er sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Sie ließ ihn stehen und setzte sich wieder an die Spitze der Gruppe, als sie zwischen den Bäumen eine Lichtung ausmachen konnte Sie lief los, und man hörte nur noch einen kurzen Aufschrei, als sie zwischen den Sträuchern verschwunden war. Friedrich durchstach das letzte Gebüsch und sah vor sich die Höhle liegen, die nur etwa 150 Meter weit entfernt lag. Sybille Berger hatte bereits den Eingang erreicht und betrat die Höhle, ohne weitere Ausrüstung.
„Ihr stellt ein Lager auf und sammelt Holz für ein Feuer“, knurrte er die Träger an, „ich werde die wild gewordene Forscherin wieder einfangen.“ Sein Portugiesisch war nahezu perfekt, sodass die Träger lachten, bei seiner Bemerkung. Er ließ seinen Rucksack zurück und trabte Richtung Eingang. Er zog sich die Taschenlampe vom Gürtel und machte vor dem Betreten die Augen zu, damit er sich schneller an die Dunkelheit gewöhnte.
Schon nach wenigen Metern konnte er die Umrisse der Wissenschaftlerin sehen, und leuchtet sie von hinten an.
„Wollen Sie unbedingt am ersten Tag einen Unfall provozieren“, raunzte er sie an. „Sie kommen noch früh genug in das schwarze Loch. Außerdem wird es in zwei Stunden dunkel, und es ist noch kein Zelt aufgebaut.“
Der Tonfall schien ihr nicht das Geringste anhaben zu können.
„Du hast Recht Friedrich“, flötete sie, „aber lass uns nur ein paar Schritte hinein wagen. Nur bis zur ersten Abzweigung, Okay? Wir halten uns immer rechts, dann können wir uns gar nicht verlaufen.“
Damit ging sie einfach weiter, ohne sich umzudrehen. Verdammte Besserwisser von Neunmalklugen, dachte Koller. Kaum sehen die ein dreckiges, wanzenverseuchtes Loch, schon geht mit ihnen der Forschergeist durch. Er wusste wie wichtig eine gute Vorbereitung war. Sie entschied oft über Leben und Tod. Zudem kam, dass er sich in Höhlen weder gut auskannte, noch sie sonderlich mochte. Er sah sich in der Grotte um, beschleunigte seine Schritte, und holte Sybille bei der ersten Biegung ein.
„Trotzdem bin ich der Ansicht, dass wir bis zum Morgen warten sollten“, warf er säuerlich nach, „der Tag war anstrengend genug.“
Sie drehte sich um, und hatte ein strahlendes Lächeln im Gesicht.
„Darf ich vorstellen, Dr. Sybille Berger, Tochter des berühmten Höhlenforschers Professor Arnim Berger, in ihrer ersten südamerikanischen Kalksteingrotte. Na, dass ist doch was für die Zeitungen, oder?“
Bevor sie eine Antwort bekam, setzte sie ihren Weg fort, und ließ den Weltenbummler einfach stehen. Bereits nach 50 Metern war kein Tageslicht mehr hinter ihnen zu sehen, und bis auf den Strahl der Taschenlampe war es tintenschwarz um sie herum. Nach 20 Minuten hatte Friedrich die Hoffnung aufgegeben, dass sie bald an das Ende des Ganges stoßen würden. Immer wieder schlängelte sich das Höhlenlabyrinth nach links oder rechts, bevor sie wieder einen neuen Gang entdeckten der abbog. Plötzlich blieb Sybille stehen, und drehte sich zu ihm um.
„Hier scheint es nicht weiter zu gehen“, murmelte sie.
„Äh, prima, dann machen wir für heute Schluss und bauen das Camp auf. Langsam bekomme ich Hunger. Wir sollten für morgen einen Plan machen, wo wir zuerst „forschen“ wollen, bevor wir einfach loslaufen.“
Sie hatte den Unterton nicht überhört, und stemmte trotzig die Hände auf ihre Hüften.
„Du brauchst gar nicht so herablassend zu tun, Koller. Wenn es um einen geliebten Menschen von Dir ginge, würdest Du auch nichts unversucht lassen, oder irre ich mich? Wir werden das System erforschen und vermessen, und wenn wir dabei nach ein paar Spuren suchen, ist da nichts dabei. Jedenfalls sehe ich das so.“
Sie drängte sich an ihm vorbei und marschierte schnurstracks in Richtung Ausgang, als er nach ihr rief.
„Bleib stehen!“
Die Ethnologin war nicht mehr in der Stimmung für eine Diskussion.
„Was ist denn nun noch?“, fauchte sie ihn an. Ich habe keine Lust mir hier eine Standpauke von Dir anzuhören, denn ich will …“
„Halt mal die Klappe“, schnitt er ihr das Wort ab. Sybille kam näher, um ihm nötigenfalls eine Backpfeife zu geben, aber er legte ihr seine riesige Hand auf den Mund, und mit dem Zeigefinger deutete er an ruhig zu bleiben.
„Hörst Du das?“, flüsterte er. Sie zog seine Hand von ihrem Mund und stellte die Ohren auf. Nach ein paar Sekunden zog sie die Augenbrauen zusammen und zischte.
„Wenn Du mich verarschen willst, ist das ein schlechter Zeitpunkt.“
Gerade hatte sich Sybille für einen Gegenschlag gesammelt, als sie in der Bewegung verharrte.
„Wind“, rief sie aufgeregt, „Du hast den Wind gemeint. Wenn es hier Luftbewegungen gibt, geht es auch irgendwo weiter.“
Wie selbstverständlich schob sie Friedrich Koller zur Seite, und leuchtete jeden Winkel der Felsenwände aus.
„Keine Ursache“, motzte er, „gern geschehen.“
Er sah sich ihr geschäftiges Treiben für ein paar Sekunden an, lehnte sich dann entspannt an die Wand, und verschränkte die Arme. Nach einer endlosen Minute bemerkte sie sein Gehabe und blaffte ihn an.
„Was ist? Hast Du keine Lust mehr zu suchen, oder willst Du mir etwas sagen?“
Sie sah ihn kämpferisch an, und Friedrich musste grinsen. Er griff in seine Beintaschen, zog ein Feuerzeug heraus, und zündete die Benzinflamme an.
„Ist Dir meine Taschenlampe nicht gut genug, damit Du hier mit diesem Ding rumfunzeln musst?“
„Doch, hell genug ist sie, aber sie flackert einfach nicht so schön bei Luftbewegungen.“
Sybille hatte verstanden, machte ein genervtes Gesicht, und lud ihn mit einer Handbewegung ein, seine Methode auszuprobieren. Nach wenigen Augenblicken hatte er den Ausgangspunkt der Strömung entdeckt, und machte sich an dem Felsen zu schaffen.
„Anscheinend war hier ein weiterer Gang, der verschüttet wurde. Hilf mir mal, vielleicht können wir den Brocken zusammen bewegen.“
Sie stemmten sich seitlich gegen den Fels und mit einem Ruck löste sich der obere Teil, und sie stützten beide mit den abgebrochenen Brocken zu Boden. Friedrich half ihr auf, und sie klopften sich den Staub aus den Sachen. Sybille besah sich zuerst das Ergebnis, und leuchtete über die Sperre hinweg, in den dahinter liegenden Hohlraum.
„Da geht es weiter. Hilf mir mal hoch, damit ich auf die andere Seite klettern kann.“
Sie hob schon das Bein, damit er Räuberleiter spielen konnte, und Friedrich half ihr. Es hatte jetzt keinen Zweck mehr ein Veto einzulegen, denn sie hatte diesen irren Blick in den Augen, der keine Widerrede duldete. Sie verschwand auf der anderen Seite, und machte sich nicht mal die Mühe nach ihrem Begleiter zu sehen. Koller schwang sich auf den Felsbrocken und sprang lässig wieder herunter. Er folgte ihr, bis sie in einem großen Raum standen.
„Sieh Dir die Deckenhöhe an, Friedrich. Sagenhaft. Und einen kleinen See gibt es auch.“
„Ja, ich sehe es. Ich sehe aber auch, dass wir ohne weitere Ausrüstung hier nicht weiter kommen, denn der Wind kommt von jenseits des Wassers, und das können wir nicht ohne Taucheranzüge oder Boot überqueren. Da lasse ich auch mit mir nicht drüber reden, sonst kannst Du Dir einen anderen Expeditionsleiter suchen.“
Sybille Berger hörte nicht zu, sondern leuchtete die Grotte aus, so gut es die Lampe zuließ. Es waren nur wenige Schritte bis zu dem See, der sich etwa 70 Meter bis zur nächsten Wand erstreckte. Sie ging an das Wasser, als sie von hinten zurück gerissen wurde.
„He, was fällt Dir ein“, rief sie entrüstet. „Ich passe schon auf mich selbst auf, Du Großkotz von einem Abenteurer!“
Koller antwortete nicht, sondern zeigte auf das kleine sandige Ufer vor ihren Füßen. Sie blickte hinunter und suchte mit der Lampe den Ufersaum ab. Fußabdrücke. Kein Zweifel. Hier waren Spuren von großen Schuhen zu sehen.
„Was glaubst Du von wem die sind, Friedrich? Die könnten doch …“
„Keine Ahnung, von wem die sein könnten. Ich bin kein Forensiker, aber da hinten auf dem Steinsims, nahe der Wand liegt etwas. Kannst Du es sehen?“
Die Forscherin machte sich dünn, um die Spuren nicht zu verwischen, und drückte sich an der Wand entlang, bis sie zu der Stelle im Fels gekommen war. Sie nahm den Gegenstand hoch und besah ihn sich. Ein greller Aufschrei zerriss die Stille in der Höhle, und wurde durch das Gewölbe noch verstärkt. Sofort trat Koller ein paar Schritte auf sie zu.
„Es ist ein Notizbuch meines Vaters! Ich kenne es. Er hatte es immer bei sich.“
Sybille drehte sich um, und hatte Tränen in den Augen. Sie wischte sie mit dem Ärmel weg, und hielt triumphierend das Büchlein vor sich.
„Ich wusste es Friedrich, ich wusste es“, schluchzte sie. „Jetzt werde ich vielleicht erfahren, was meinem Vater zugestoßen ist.“ Sie drückte den gefundenen Schatz an ihre Brust, und lief zurück zum Felsbrocken. Friedrich Koller warf noch einen Blick in die Grotte und folgte ihr.
Als sie das Höhlensystem verließen, begann es bereits zu dämmern. Koller war erleichtert, als er sah, dass ihre Träger bereits die Zelte aufgebaut, und eine Feuerstelle eingerichtet hatten. Wenigstens würde es bald etwas zu Essen geben. Danach ließen sich die überraschenden Ereignisse etwas besser verarbeiten.
Das Feuer knisterte beruhigend, und aus dem nahen Dschungel drangen die Geräusche der nachtaktiven Tiere zu ihnen herüber. Seit dem Essen wurde kaum ein Wort gesprochen, und die Träger hatten sich schon in ihre Schlafzelte zurückgezogen. Koller lehnte sich gemütlich in seinen Klappstuhl zurück, und Sybille hielt sich an einer heißen Tasse Kaffee fest und starrte in die Glut.
„Hast Du schon hinein gesehen?“
Sybille schüttelte den Kopf, machte den Mund auf, und schloss ihn wieder, bevor sie leise antwortete.
„Ich wollte es erst, aber dann bekam ich Angst, was wohl darin stehen mag. Immerhin ist das alles, was es in den letzten 23 Jahren als Lebenszeichen von meinem Vater gab.“
Friedrich hielt ihr die ausgestreckte Hand hin, und es dauerte eine Weile, bis sie zögerlich das kleine rote Buch aus der Jackentasche zog und es ihm bedächtig in die Hand legte. Koller lächelte, und sah sich das Objekt von allen Seiten an, roch am Einband, an den Seiten, und öffnete es dann vorsichtig.
Zunächst erschienen nur ältere Notizen, die bereits vor der Expedition eingetragen wurden, bis er schließlich den Beginn der Höhlenaufzeichnungen fand. Er überflog die ersten Zeilen, und warf dann einen Blick auf die Ethnologin, die nervös auf ihren Stuhl herum rutschte. Mit leiser Stimme las er den ersten Eintrag vor.
„17. April. Endlich habe ich mein Ziel erreicht. Meine Begleiter haben mir geholfen das Lager aufzubauen und sind sofort wieder umgekehrt. Angeblich soll auf der Höhle ein Fluch liegen, aber ich konnte ihnen den Aberglauben nicht ausreden. Sie werden mich in sechs Wochen wieder abholen. Bis dahin habe ich noch eine Menge Arbeit, wenn ich alles vermessen und dokumentieren will.“
Koller sah zu Sybille rüber, der Tränen in den Augen standen.
„Soll ich weiter lesen“, fragte er sanft. Sie nickte, und er blätterte die Seite um.
„21. April. Der Regen lässt schon seit Tagen nicht mehr nach. Kein Problem, solange ich im Berg bin, aber mein Zelt ist ständig nass und das Bettzeug ist klamm. Bisher habe ich die Gänge auf der linken Seite abgelaufen, und bin etwa drei Kilometer weit gekommen, bis kein Durchlass mehr zu finden war.
23. April. Endlich ist es trocken, und die Vermessungen gehen mir jetzt leichter von der Hand. Der mittlere Teil der Höhle ist sehr verzweigt. Habe eine große Grotte gefunden, mit Kalksteinablagerungen an den Decken. Ich habe sogar noch neue Tiere entdeckt, mit blinden Augen und ohne Hautpigmente. Leben ist überall möglich scheint es.
26. April. Der Regen ist mit aller Macht zurück. Ich war gezwungen, dass Zelt umzustellen, da sich an der alten Stelle ein Bach gebildet hatte. Zwei Tage verloren. Mir fehlt meine Kleine, und meine Frau.
27. April. Trotz des Regens setze ich die Untersuchung des Mittelteils fort. Ich habe erste Aufnahmen der Grotte gemacht, auch wenn es schwer war, die Fotoausrüstung bis dorthin zu schleppen. Was aus den Aufnahmen geworden ist, werde ich leider erst in ein paar Monaten wissen, wenn ich wieder zu Hause bin.
29. April. Die Sonne ist zurück, aber ich habe vorgesorgt. Habe mir verschiedene Pflanzen aus dem Dschungel geholt, an denen Wasser einfach abzuperlen scheint, und diese über meinem Zeltdach befestigt. Es ist jetzt alles trocken. Die Natur ist doch wunderbar!
02. Mai. War jetzt zwei Tage am Stück in der Höhle, um nicht immer Zeit zu verlieren beim Ein- und Aussteigen. Ich mache jetzt einen Tag Pause und schreibe die Ergebnisse in meine Tabellen. Ich gäbe etwas darum, würde endlich mal jemand eine tragbare Minischreibmaschine erfinden. Bis dahin schleppe ich mich am Papier krumm und buckelig.
05. Mai. Heute wird meine kleine Bille drei Jahre alt, und ich wünschte, wir könnten gemeinsam ihren Geburtstag feiern. Ich weiß nicht, ob das mit einem exotischen Tier klappt, aber wir werden uns nach meiner Rückkehr einen kleinen Hund ansehen. Morgen verlasse ich die mittlere Sektion und gehe die rechten Gänge ab.“
Koller blickte zur Wissenschaftlerin, die aber ihren Blick auf das Feuer gerichtet hielt. Immer noch rannen ihr Tränen über die Wangen, aber jetzt lächelte sie dabei.
„Meine Mutter hat mir später einen Hund gekauft, weißt Du. Ich habe ihn Tarzan genannt, wie den Dschungelhelden, weil er immer auf mich aufgepasst hat. Er hätte meinem Vater sicher gefallen, auch wenn er eine Promenadenmischung aus dem Tierheim war. Der konnte sogar Türen aufmachen.“
Friedrich sagte nichts, sondern las weiter.
„07. Mai. Die Regenzeit neigt sich ihrem Ende zu. Das Camp ist jetzt trocken und die Nächte angenehm zum Schlafen. Allerdings sind meine Vorräte schneller geschwunden, als berechnet. Ich werde meine Tagesration herabsetzen, da ich erst Anfang Juni mit den Trägern rechnen kann.
08. Mai. Ich habe wieder eine große Kammer gefunden, mit einem See darin. Er ist aber zu tief, um hindurch zu waten. Ich werde meine spärliche Taucherausrüstung ausprobieren müssen. Zum Glück habe ich diesen neuen Hochleistungsscheinwerfer mitgenommen, der auch unter Wasser funktioniert. Ich glaube aber, dass hinter dem Wasser der Gang weiter gehen könnte, deshalb wage ich es.
10. Mai. Heute konnte ich in der Höhle ein Erdbeben spüren Einige Steine haben sich aus der Decke gelöst. Ich werde eventuelle Nachbeben abwarten, bevor ich zum See zurückgehe. Derweil werde ich mein Jagdglück probieren, und nach essbaren Früchten suchen. Schließlich werden die Tiere im Urwald ja auch irgendwie satt.
13. Mai. Habe kein Wild erlegen können, aber Obst gefunden. Es schmeckt ausgezeichnet und ergänzt meinen Speiseplan ausreichend. Morgen kehre ich zurück in den Berg, um den See zu untersuchen und den Gang dahinter, falls es ihn gibt, was ich hoffe.
15. Mai. Das Wasser war sehr kalt, aber ich habe das andere Ufer erreicht. Durch einen Erdrutsch ist aber der weitere Weg versperrt. Ich werde versuchen das Geröll zu beseitigen. Draußen ist jetzt sonniges Wetter. Mist.
18. Mai. Habe wirklich alles versucht, komme aber mit meinen bloßen Händen und einem Spaten nicht weiter. Für Notfälle habe ich mir eine Stange Dynamit mitgenommen, ich weiß aber nicht, ob die Detonation nicht doch zu stark wäre. Das Risiko ist sehr hoch, aber ich habe nicht mehr viel Zeit, bis die Expedition endet.
20. Mai. Habe mich entschlossen zu sprengen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es keine gute Lösung, da wichtige Spuren zerstört werden könnten. Morgen schaffe ich alles aus der Grotte raus, damit meine Ausrüstung keinen Schaden nimmt.
22. Mai. Alles ist vorbereitet. Ich habe ein Loch in den unteren Teil des Felsbrockens gebohrt und es so gut wie möglich wieder verschlossen, damit der Stein kaputt geht. Nach dem Zünden der Schnur, habe ich noch fast drei Minuten bis zur Explosion. Ich muss es bis dahin ans andere Ufer schaffen und in den Gang hinaus, um der Druckwelle zu entgehen. Ich nehme nur den Scheinwerfer mit, um schneller schwimmen zu können.“
Es vergingen ein paar Augenblicke, bis Sybille ihn ansah.
„Warum liest Du nicht weiter? Sind die Aufzeichnungen zu ende?“
Friedrich sah auf die nächste Seite und zögerte. Er war sich nicht sicher, ob ihn das Geschriebene etwas angehen sollte, oder ob es nicht besser war, die letzte Eintragung der Tochter des Wissenschaftlers zu überlassen. Glücklicherweise bekam er die Entscheidung abgenommen.
„Lies schon was da steht, Du wirst es sowieso erfahren, also kannst Du es auch gleich wissen“, forderte ihn Sybille auf.
„Es steht kein Datum neben der Notiz, und sie ist etwas krakelig geschrieben, aber ich versuche mein Bestes, Okay?“
Es gab keine weiteren Einwände, und so legte er los.
„Ich weiß nicht genau was passiert ist. Habe die Ladung gezündet und bin weg geschwommen. Im Gang habe ich gewartet bis sich nach der Detonation der Staub etwas gelegt hatte. Bin mit der Lampe bis zum See gegangen, und habe das Ufer abgesucht. Als ich wieder aufgewacht bin, war der Staub verschwunden. Muss ohnmächtig gewesen sein, und habe deshalb die Höhle aus Sicherheitsgründen verlassen. Draußen habe ich mit Entsetzen festgestellt, dass meine gesamte Ausrüstung verschwunden war. Nicht mal die Feuerstelle war noch zu sehen. Die Vegetation hat sich ebenso verändert, wie das Klima. Es ist nicht mehr so schwül, aber viel wärmer als zuvor. Meine Uhr funktioniert nicht mehr, aber Früchte gibt es reichlich zu essen. Auch ein paar seltsame Tiere habe ich gesehen, von denen es hier ja mehr als genug gibt, aber sie verhalten sich anders als gewohnt. Sie scheinen keine Angst vor Menschen zu haben. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, oder es sind die Nachwirkungen der Ohnmacht. Morgen gehe ich wieder zum See, und werde die Nacht im Eingang der Grotte verbringen. Ein Feuer sollte ich inzwischen auch ohne Hilfsmittel zustande bringen“
Sybille Berger schnaufte durch die Nase, stand auf, und schüttelte sich die Beine aus.
„Was ist? Soll ich weiter lesen? Ich kenne die Schrift meines Vaters vielleicht besser als Du, also gibt schon her.“
Damit griff sie nach dem Notizbuch, das ihr Friedrich entgegen hielt. Sie blätterte darin herum, bis sie die letzte Stelle gefunden hatte. Wieder und wieder befeuchtete sie ihre Finger, um die Seiten voneinander zu trennen, aber es gab keine weiteren Aufzeichnungen. Sie setzte sich, und sah ihren Expeditionsleiter erstaunt an.
„Was ist passiert? Verstehst Du den letzten Teil? Wenn Du etwas weißt, musst Du es mir sagen Koller! Ich bestehe darauf, verstanden?“
Der Abenteurer zog die Augenbrauen hoch, vermied es aber, die Aufforderung zu kommentieren.
„Ich weiß gar nichts, Dr. Berger, ich vermute höchstens, mehr nicht“, zischte er gereizt. „Das was ich mir zusammen Reime, können wir gerne erörtern. Bis dahin sollten wir friedlich bleiben.“
Sybille Berger glotzte ungläubig und murmelte, „natürlich, dass habe ich gemeint, bitte entschuldige.“
Friedrich wischte sich eine braune Strähne aus dem Gesicht und starrte in den Nachthimmel, an dem tausende von Sternen für sie zu leuchten schienen.
„Soweit ich es beurteilen kann, sind die Fußspuren am See schon Jahrzehnte alt. Anzeichen für eine Explosion habe ich nicht entdeckt, aber das kann durch neuerliche Steinschläge verursacht worden sein. Wenn es noch Gegenstände Deines Vaters gibt, sind sie im Wasser zu suchen, denn den Rest haben ja bereits Einheimische vor 23 Jahren geholt und nach Rio gebracht. Allerdings werde ich aus dem Buch nicht schlau. Es ist weder vergammelt, noch hat es Stockflecken, oder riecht modrig. Die Seiten liegen noch dicht aufeinander und sind nicht vergilbt. Bei der Papierqualität von damals ist das eigentlich unmöglich.“
Sybille sah ihn an, aber es kamen keine weiteren Erklärungen.
„Hat sich jemand einen Spaß erlaubt, und das Notizbuch kürzlich dort deponiert? Woher weißt Du, dass die Schuhabdrücke am See alt sind. Es könnten doch auch neue dabei sein.“
„Nein“, erwiderte Friedrich sofort, „denn es sind dieselben, und sie sind so hart, dass sie selbst nachdem wir darin rum getreten sind, noch zu sehen waren. Außerdem hat der Fels vor dem Eingang zur Grotte gelegen. Den hat da niemand hingerollt. Ich kann das mit dem Buch nicht erklären, und tappe da auch im Dunkeln.
Am besten wir gehen jetzt schlafen, und suchen morgen mit unserer Ausrüstung die Grotte nach neuen Hinweisen ab.“
Damit stand er auf, und ließ sie alleine am Lagerfeuer sitzen. Sybille verbrachte noch ein paar Stunden draußen, bevor sie sich für eine kurze unruhige Nacht zurückzog.
„Siehst Du, ich habe Dir doch gesagt, dass die Abdrücke alt sind.“
„Ja, ja, ist schon gut Friedrich, Du hattest es schon gesagt, und brauchst es mir nicht noch mal unter die Nase zu reiben. Hast Du schon etwas gefunden?“
„Nein, in dem See ist definitiv nichts, was von Deinem Vater stammt. Ich breche hier erst einmal ab, bevor ich noch erfriere. Das Wasser hat ja kaum fünf Grad, das ist selbst mit einem Taucheranzug auf die Dauer kalt.“
Koller stapfte mit der Ausrüstung in Richtung seitliches Ufer, wo Sybille ihn bereits mit einem warmen Getränk erwartete. Eben setzte er den ersten Fuß auf trockenen Boden, als ihm schwindelig wurde.
Er erwachte mit einem Brummschädel, und um ihn herum empfing ihn totale Schwärze. Er griff an seinen Gürtel, und lockerte seine Meg-Light. Die Leuchtdioden stachen durch das Dunkel und ließen keinen Platz für Schatten. Nichts hatte sich verändert, außer das Sybille nicht da war.
Friedrich rappelte sich auf, und nach ein paar wackeligen Schritten entflammte bereits der Zorn in ihm. Dieses verzogene Miststück hatte ihn hier in der Grotte liegen lassen, ohne einen Hinweis. Jetzt war das Fass übergelaufen. Sobald er draußen war, würde er ihr die Meinung geigen, und dann konnte sie sich einen anderen Idioten suchen.
Nach einer viertel Stunde war er schon im Eingangsbereich angekommen und rief nach ihr. Er lief hinunter zum Camp, wo bereits die Träger aus den Zelten gekommen waren, um zu sehen, warum er so schrie. Aufgebracht fragte er nach Sybille, aber niemand hatte sie gesehen, seit sie beide vor sechs Stunden in die Höhle gegangen waren. Danach war er nicht länger als 30 Minuten ohne Bewusstsein gewesen. Zu kurz, damit sie unbemerkt verschwinden konnte.
Er musste wieder zurück in die Grotte, aber erst benötigte er etwas zu trinken und eine handvoll Kopfschmerztabletten.
Wieder und wieder hatte er die Grotte abgesucht, war in den umliegenden Gängen gewesen, und hatte ununterbrochen ihren Namen geschrieen. Nichts. Draußen musste es schon Dunkel sein, und die Männer würden sich jetzt bestimmt schon Sorgen um ihn machen.
Ratlos stand er am Ufer und leuchtete auf die schwärzliche Wasseroberfläche. Der See lag da, ohne die geringste Bewegung des Wassers. Er würde noch ein paar Vorräte hier zurück lassen und ein Licht, falls Sybille doch noch wieder kam. Es war ihm ein Rätsel, wie sie einfach verschwinden konnte. Sie musste Panik bekommen, und sich anschließen verlaufen haben, eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Der Strahl der Lampe strich wieder über das Ufer. Ein letztes Mal. Plötzlich zuckte er zusammen, wie von einem Stromschlag getroffen. Er kniff die Agen zusammen. Wie in Zeitlupe näherte er sich der Stelle, wo sie gestern das Büchlein gefunden hatten. Da lag es. Genauso wie am Tag zuvor. Kein Zweifel, es war dasselbe. Er streckte die Hand aus, als ob es verschwinden könnte, wenn er sich zu schnell bewegte. Friedrich hob es auf und betrachtete es von allen Seiten. Nichts hatte sich verändert. Er öffnete es und blätterte die Seiten durch, wie er es schon am Lagerfeuer getan hatte.
Er kam zur letzten Eintragung, die er gelesen hatte, und da war sie. Die neue Notiz. Ungläubig starrte er auf die Zeilen, die mit Bleistift eingetragen waren. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er die Worte vor sich hin murmelte:
„Zeit. Unbekannt. Ort. Vor der Höhle. Hallo Koller, habe Spuren meines Vaters gefunden. Ich werde ihn jetzt suchen. Ich habe das Notizbuch an seinen Platz gelegt, wo Du es vielleicht finden wirst. Ich weiß nicht was passiert ist, aber es geht mir gut. Komm bitte in einem Jahr wieder, bis dahin versuche ich mehr herauszufinden. Lass mich nicht im Stich, Du alter Schweinehund. Gruß Bille.“
Drei weitere Tage blieben sie im Camp und suchten nach Sybille Berger, doch niemand fand die geringste Spur. Er trat die Heimreise an, und verkündete der gesamten deutschen Presse die traurige Wahrheit. Alle stürzten sich auf ihn, den erfahrenen Expeditionsleiter, der schon alle Gefahren gemeistert, und jede Situation überlebt hatte. Es gab einen Untersuchungsausschuss, und man beschuldigte ihn, seine Aufgaben nicht gewissenhaft erledigt zu haben. Er ließ es über sich ergehen. Der Staatsanwalt schaltete sich ein, um wegen fahrlässiger Tötung zu ermitteln. Er ertrug es stoisch, und beantwortete alle Fragen. Für die Einstellung des Verfahrens interessierte sich kein Schwein mehr. Sybilles Mutter hatte gegen ihn eine einstweilige Verfügung erwirkt, damit er sich ihr nicht mehr nähern durfte. Er bedauerte diesen Schritt, aber er wehrte sich nicht.
Er hatte alles gesagt, was er wusste, bis auf eine Sache. Niemand wusste von dem Notizbuch. Friedrich hatte einen kleinen Abschnitt davon zu einem befreundeten Wissenschaftler gegeben, der ihn mit der Radiokarbonmethode untersucht hatte Das Ergebnis lag ihm seit einer Stunde vor, und seitdem hielt er das kleine rote Buch in der Hand. Auch auf seine Nachfrage hin, hatte der Paläontologe sein Ergebnis sicher bestätigt.
Die Schrift in dem Buch war sieben Millionen Jahre alt. Koller konnte sich diese Tatsache nicht erklären, aber das musste er auch nicht. Er würde in exakt 103 Tagen in der Grotte sein. Darauf konnte Bille sich verlassen, selbst wenn die Hölle zufrieren sollte.