Читать книгу Im grünen Tann - Arthur Achleitner - Страница 4

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„Topp, 's gilt! Was isch jez Trumpf?“

„Chrütz!“

„Gstoche! Hesch wieder verlore!“

„Bisch du ne Glückskind!“ staunt Michel.

Jobbeli aber streicht das gewonnene Geld insgesamt ein und zieht sein

Messer.

„Was wilsch bi Gott du miterm Messer, Jobbeli?“

„'n Gwinnst will i einkassiere!“

„Mitem Messer?“

„Frili! Dein Ohrläppli werden mer gli habe!“

„Tod und Teufel!“ prasselt Michel auf und fährt zurück; doch Jaköble faßt zu, es ist ihm Ernst, das im Spiel gewonnene Ohrläppchen abzuschneiden. Chüngi zetert und schreit aus Leibeskräften um Hilfe; die Burschen raufen, Michel sucht dem Gegner das Messer zu entwinden, und Jobbeli sticht wutentbrannt blindlings zu. Mit einem Weheruf sinkt Michel zu Boden, die Hand auf die Brust pressend, aus welcher warmes Blut quillt. Jobbeli flüchtet zur Thür hinaus, auf den Ochsenwirt prallend, der schleunigst dem Verwundeten zu Hilfe springt, so daß der Übelthäter ungehindert entfliehen kann. Zwei Knechte tragen den Schwerverletzten ins väterliche Haus.

* * * * *

Der gutmütige, schläfrige Sepli ist richtig gehorsam und ob der Eheabbruch-Drohung ganz verdattert den toten Bühl hinangestapft durch Nebel, Wind und Schnee und hat den Streitpeter aufgesucht im Wirtshaus „Zum dürren Ast“. Der Vertrauensmann ist gottlob zu Hause; das verkündete Thrinele gleich beim Eintritt in das windschiefe, verklebte Haus, und Sepli atmete auf, wie von banger Sorge befreit, nachdem er vor der Hausmauer den Schnee von den Füßen abgestoßen hatte. Von der Salpetersache will er freilich jetzt ebenso wenig wissen, wie vordem; aber es ist ihm doch lieb, den Wirt anzutreffen, damit er seiner Vroni doch wenigstens beteuern kann, mit dem Salpeterer-Vertrauensmann gesprochen zu haben. Was aus der Unterredung werden wird, das mag der Himmel wissen, der Sepli weiß es nicht. In der warmen Gaststube begrüßt Sepli, sich an dem einzigen Tisch niederlassend, das Maidli mit der Bitte, dem Ätti zu sagen, daß er mit ihm reden möchte. „Und leng mer e Schöppli, Thrinele!“ fügt er bei und öffnet sein Wams, denn die Stubenwärme setzt ihm bereits tüchtig zu. Rasch ist Sepli bedient, und auch der Astwirt findet sich gleich darauf ein, um nach dem Begehr zu fragen. Jetzt ist der kitzlige Moment gekommen, wo Sepli mit der Farbe herausrücken muß. Und so stottert er denn etwas dergleichen, daß er auf Wunsch seines Eheweibes wegen der Salpeterersache heraufgekommen sei und dieserhalb mit dem Peter reden wolle bezw. müßte.

Der Wirt sattelt augenblicklich um, als er das Wort „Salpeterer“ gehört, vergewissert sich, daß kein Unberufener in der Stube ist und wispert dann dem Besucher ins Ohr, doch lieber in die obere Stube zu kommen, wo sie die Angelegenheit zeugenlos und in aller Ruhe besprechen könnten. Oben sei es noch nicht gar so warm, fügt Peterle bei als Empfehlung des oberen Gelasses und beschwichtigt den um sein Schöppli besorgten Gast augenblicklich durch die Mitnahme von Wein und Brot. „Den Rock tragsch selber!“ bedeutet Peter und schreitet voran.

In der oberen Stube angelangt, verschließt der Wirt sorgsam die Thüre und fragt den Besucher nach seinem Begehr.

Da ist nun der gefürchtete Augenblick; was soll Sepli nun sagen? In arger Verlegenheit kratzt er sich hinterm Ohr und stottert dann mühsam heraus, daß sein Weib der Vereinigung beitreten wolle.

Überrascht blickt Peter auf den Gast und fragt dann entgegen: „Und du,

Sepli?“

„Ja, ich, no!“

„Wie, du willsch nit?“

„I weisch ja gar nüt!“

„So, du weisch nüt von unserer Sach! Na, da will i dir oebbes verzähle!“

Und tief Atem holend, beginnt Peterle, sichtlich von der Hoffnung erfüllt, den Gast für die Salpeterersache zu gewinnen, die Entwicklung derselben zu schildern. „Hör zu!“

„Ja!“ sagt Sepli und stärkt sich durch einen Schluck.

„Die Salpeterer sind entstanden als politisch-religiöser Bund, als der Propst von Sankt Blasien im Jahre 1719 ein Dinggericht zu Remetswil ankündigte und auch richtig durch seine Amtsluit, den Waldvogt und die zwölf Waldrichter, eröffnete. Der Vogt verlas den Dingrodel von Anno 1467 als erneute Grundlage des Gerichts. Gegen diese Grundlage von Anno dazumal erhob der Einungsmeister Friedolin Albiez zu Birdorf Protest wegen Verjährung, wasmaßen der Dingrodel durch die Gnade der Kaiser längst abgethan, die Leibeigenschaft aufgehoben worden sei. Schwer stritten sich der Vogt und der Einungsmeister, und schlau erklärte der Waldvogt, daß es sich nicht um das abgeschaffte Wort Leibeigenschaft, sondern um die damit verbundenen, von dem Kaiser selbst als rechtskräftig anerkannten und deshalb unentwegt fortbestehenden Gebühren und Schuldigkeiten handle?[3] Aber alle Schlauheit der Deutung und Wortklauberei nützte dem Waldvogt nichts, die Wäldler hielten zum Einungsmeister und gingen unter Protest vom Dinggericht weg. Damit fing die Gärung an — ich han's alles genau in den Akten —, die sich verstärkte, als einige Jahre später der Abt Blasius III. unter Genehmigung der Regierung eine Verzeichnung der Ehen, Kinder, der Entlassenen, Urgroßahnen, Klosterluit und Unfreien zur Feststellung der Leibeigenschaftsgefälle in der Grafschaft Hauenstein vornehmen ließ. Und in dieser Zeit war's unser Hans Albiez zu Buch im Pfarrsprengel Birdorf, der Salpeterhannes, mit Schweizerblut von mütterlicher Seite in den Adern, der fest eingriff mit seiner Rede Gewalt, mit durchdringendem Verstand und trutzigem Sinn, mit Begeisterung für die zu Recht erkannte Sache. Hannes verkündete die Lehre, daß die Grafschaft nicht zu Österreich, sondern zum Deutschen Reich gehöre, daß sie frei, reichsunmittelbar sei, und dem Kaiser lediglich pro Kopf jährlich zwölf Kreuzer Schirmgeld zu zahlen habe. Auch Sankt Blasien habe kein Recht auf das Land, das wider der Hauensteiner Willen zu Wien an den Waldpropst verkauft worden sei. Und so kam's zum Krieg gegen die Machthaber, der größte Teil der Waldeinung schloß sich der gewaltigen Bruderschaft unter Albiez Führung zusammen. Bloß die ‚Halunken‘ thaten nicht mit, die feigen Schufte.“

„Wer seist?“ warf Sepli erstaunt ein.

„Die Halunken, die zum Propst und zu Österreich hielten! Die Salpeterer aber verschworen sich, die fremden Fürsten abzuschaffen, die Steuern, Zinsen und Abgaben aufzuheben in der ganzen Grafschaft. Frei soll jeder Hotze sein, nur Gottes Wort soll allein richten über uns! Und Hans ging nach Wien zum Kaiser, unsere heilige Sache verfechtend; er redete tapfer für unser Recht und unsere Freiheit. Ihm glaubte der Kaiser und gab ihm einen Gnadenbrief, die Salpeterersache siegte.[4] Nur die Tröndle's thaten noch immer nicht mit, aber der neue Redmann und die Einungsmeister aus unseren Reihen besorgten ihnen das Nötige. Die Regierung zu Freiburg aber setzte ihre ganze Macht ein, den kaiserlichen Gnadenbrief[5] zu erlangen, ließ Albiez verhaften, im Gefängnis schmachten, wo ihn eine böse Krankheit von allen Leiden und aus seinem Martyrium erlöste. Seine Mahnung zu geeintem Widerstand hielten die Salpeterer heilig, fest standen sie gegen St. Blasien, dessen neuem Abt Franz Schechtelin die Huldigung ebenso tapfer verweigert ward, wie dem früheren Propst Blasius. Weg mußte die Leibeigenschaft! Mann für Mann stand auf, und auch die Weiber thaten mit! Lieber die Ehe ab, als hörig sein!“

„Ah, ah!“ stammelte Sepli.

„Was seist?“

Unwillkürlich plappert der verwunderte Sepli heraus, daß sein Eheweib ihm heute morgen mit der gleichen Drohung zugesetzt und ihn dadurch veranlaßt habe, zu Petern zu gehen.

Frohlockend prahlte Peter, daß solche Weiber die richtigen Bundesgenossen seien, vor schier hundert Jahren so gut wie heute. Handeln die Weiber auf dem Wald alle derart, so kann es nicht fehlen, und muß die alte Freiheit wiederkehren wie einst zur Zeit der Grafen Hans von Hauenstein! Peter gratuliert dem Sepli zu solch' tapferem Weib, um das Sepli zu beneiden wäre.

Den Sepli fröstelt es bei solcher Rede, und am liebsten wär' er auf und davon.

„I will dir aber weiter verzähle: was die Regierung auch befehlen mochte, es nützte nichts; fest stand der Bund, eitel war jegliches Patent, die Salpeterer rissen die Schriftstücke von den Kirchentüren und schonten nur des kaiserlichen Adlers. Wer in der Familie nicht zur heiligen Sache stand, wurde ausgestoßen. Man nennt das ‚purifiziere‘! Bei Nacht, an geweihten Orten, wurden Versammlungen abgehalten, immer mehr Anhänger scharten sich um die Waldfahne und um den neuen Führer Martin Thoma, den füürigen Müller am Haselbach. Er nahm zu Gurtweil und Hochsaal Anno 1727 den gesamten Salpeterern den Treuschwur ab und gab die Losung aus: Los von St. Blasien, los von Österreich! Und vor Weihnachten selbigen Jahres kamen die Sendboten von Wien zurück mit drei kaiserlichen Befehlen, wonach das Wort „leibeigen“ auf ewig abgethan sein soll, doch bestünden die Pflichten fort, und St. Blasiens Rechte müßten ungekränkt bleiben. Der Kaiser forderte: Man solle auf dem Wald Ruhe halten, dem Stift alle Gebühren zahlen und mit Handgelübde huldigen, auch den Sicherungsbrief[6] ausstellen; dagegen dürfe St. Blasien das Wort „leibeigen“ nie mehr gebrauchen. Und mit dem dritten Kaiserbrief wurde die Friburger Regierung aufgefordert, die verhafteten Achtmannen allsogleich auf freien Fuß zu setzen[7]. Sepli! Das muß herrlich gsi si! Und dem Abt muß der Schreck in alle Glieder g'fahre si, denn er zeterte und lehnte jegliches Handgelübde ab. Und gezittert werden die Halunken auch gehörig haben, denen es nun an den Kragen ging.[8] So mußte der Biber Hannes von Herrischried dran glauben, wie der Halunken-Redmann Tröndle von Niederalpfen….“

„Was ist diesen geschehen?“ fragt Sepli, dem der Angstschweiß auf der

Stirne steht, dazwischen.

„Den Biber Hannes, weisch, dem Großvater vom jetzigen Biber in Herrischried, hat man fast zu Tode „behandelt“; dem giftigen Tröndle nahm man die Pferde, ließ ihm den Weiher ab, fischte ihn aus, verstopfte seine Brunnen und nahm ihm den Mammon ab für die heilige Sache!“

„Das isch ja Raub!“

„Das verstehsch du nit, Sepli! Jeder Halunke isch Gegner und muß bekämpft were!“

„Ah, ah! Also bekämpft Ihr au mi?“

„Wenn du nit Salpeterer wirsch, schon!“

„I mag aber nit! I fercht' mi!“

Einlenkend sucht Peter den ruheliebenden furchtsamen Besucher zu beruhigen mit dem Hinweis, daß es ja heutzutage nicht mehr so scharf zugehe wie damals, und daß die jetzige Bruderschaft lediglich durch passiven Widerstand kämpfe. Heute sei auch nicht zu befürchten, daß wieder Soldaten auf Bauernkosten ins Land gelegt werden.

„Soldaten seist?“

„Ja, weisch, damals waren die Salpeterer noch strammer, nit so landsem (langsam), man versteckte sich nicht hinem Lädemli (hinter dem kleinen Fensterladen) und schielte oebsch (etwa) nach den Husaren, man klopfte die Soldaten, besonders an jenem Pfingstdienstag[9] mit Füsi (Flinten), Spießen, Heugabeln und Prügeln.“

„Wer isch hernach 'prügelt wore?“

„Hm! Es isch bide Thile schlecht gange. Doch fercht' di nit, Sepli! Wir mache die Sach' annersch, wir führe nimme Krieg mit Waffen. Es goht au minem Papier!“

So sehr sich Peter bemüht, den Besucher für die Salpeterersache zu gewinnen, Sepli will nicht anbeißen, er macht Ausflüchte und schickt sich zum Gehen an. Ärgerlich begleitet Peter den Gast hinunter ins Erdgeschoß und sagt zu Sepli, er solle sich die Sache wenigstens noch einmal überlegen. Im selben Augenblick stolpert Jobbeli zur Hausthüre herein, erhitzt, verstört, blutbespritzt, so daß der Vater erschrocken fragt, was denn passiert sei. Der ängstliche Sepli steht wie angewurzelt, und Thrinele springt aus ihrer Stube herbei, zu fragen, was sich ereigne. Jobbeli will nicht mit der Sprache heraus und sucht sich davon zu drücken, doch der Vater besteht fest und scharf darauf, daß Jaköble beichte. Auch fragt der Vater, ob der Bursch Botschaft vom Hottinger über Riedmatter's Gang nach Basel habe.

Jobbeli stottert heraus, daß er auf Hottinger nicht mehr warten konnte, weil er schleunigst flüchten müßte.

„Hat 's en Chlapf gebe? Red', Jobbeli!“

Nun kann der Bursch nicht mehr entrinnen, er erzählt, seine

Handlungsweise nach Kräften beschönigend, den Vorfall im „Ochsen“ zu

Herrischried bis zu dem Stich in Michels Brust.

Angstvoll hat Thrinele diesem Bericht gelauscht; wie Jobbeli aber erzählt, daß er — aus „Notwehr“ — den Michel niedergestochen habe, schreit Thrinele entsetzt auf und sinkt in die Kniee. Gleich darauf rafft sich das Maidli auf, packt ein Umhängtuch und stürmt hinaus in die abendliche Dämmerung. Ihr folgt nach kurzem Abschiedsgruß Sepli, der froh ist, das Haus hinter sich zu haben, und nun durch Schnee und Abendnebel heim geht zu seinem Salpetererweibe. Der Wirt aber zieht Jobbeli in die Wohnstube, um sich alles haarklein erzählen zu lassen und zu überlegen, was nun zu geschehen habe. Ein „Mordchlapf“ und eine Halunkenfamilie: ein übles Ding, das durch Wehrgeld kaum „abzuschaffen“ sein wird. Wenn es doch wenigstens Salpetererleute wären, da würde selbst bei einem Mordchlapf die Abschaffung[10] möglich sein. Aber so wird es seine Schwierigkeit haben, denn der Ätti des Gestochenen als Halunke, als Mitglied der Partei der „Ruhigen“, wird höchst wahrscheinlich nach dem Büttel schreien und zu Amt laufen. Und bald genug werden die Schergen den Bühl heraufkommen, um den Jobbeli zu holen. Drum wird es besser sein, wenn sich der Bursch bei Zeiten auf die Strümpfe und eine Wallfahrt nach Maria-Einsiedeln macht. Über der Schwyzer Grenze ist Jobbeli geborgen, doppelt gesichert, denn wie lang wird's dauern, dann möchten sie Jobbeli auch noch unter die Soldaten stecken. So giebt der schlaue Ätti dem Bürschli weisen Rat und hartes Geld, wie Jobbeli sich hinüber drücken soll in die freie Schweiz; doch der Bursch meint, so arg werde es doch nicht pressieren. Bis der alte Biber zum Amt nach Säckingen kommt und die Büttel wieder herauf zum Bühl werden leicht einige Tage vergehen. Lauft 's Bürschli dann über Rißwihl durch's Albthal hinunter zum Rhein, so kriegen die Büttel ihn sicher nicht. Der Alte glaubt zwar, eine sofortige Flucht wäre das Sicherste; da aber Jobbeli die eine Nacht wenigstens noch daheim verbringen und sich ordentlich ausschlafen möchte, so giebt der Ätti sich schließlich zufrieden. Dann aber fällt ihm bei, daß 's Maidli ja gleich nach der Ankunft des Jobbeli das Haus verlassen habe und wie toll davongerannt sei. Was das wohl zu bedeuten haben mag? 's Thrinele war ja ganz auseinander, wie Jobbeli verzählte vom Geräufe und dem Messerstich: „Dunderschiß! Sollte der Michel oebbe gar 's Maidli's Holderstock (Geliebter) sein! Dunderschiß, da soll doch der Dunder und 's Wetter Bide in Erdsboden abe verschlage! So en Verdruß!“

Jobbeli hat sein Lager aufgesucht, und auch Ätti löscht das Licht und begiebt sich zur Ruhe, hin und her überlegend, wie die böse Sache zu schlichten sei. Sein Haus darf Thrinele, die ungeratene Tochter, nimmer betreten; hat sie sich mit einem Halunken eingelassen, soll sie auch bei ihm bleiben. Lange meidet den sinnierenden Alten der wohlthätige Schlaf; doch endlich überkommt ihn der Schlummer, er träumt hinüber in die himmlische Grafschaft.

* * * * *

Still fallen draußen die Schneeflocken hernieder; es ist völlig windstill, totenruhig am einsamen Bühl und weit und breit kein Lebewesen. Doch aus dem Tann keucht eine dunkle Gestalt herauf, sich zeitweilig vergewissernd, daß niemand der frischen Fährte im Neuschnee folge. Der Mann nimmt die Richtung zum Wirtshaus und stapft quer über die Bühlhalde, hastig, als fürchte er just die letzte Strecke. Und endlich vor dem Hause stehend, wartet der nächtliche Wanderer nicht erst, bis der hochgehende Atem sich beruhigt, er klopft dreimal stark an die Thür und erneuert das Pochen, als alles still im Hause bleibt. Endlich regt sich etwas, ein schlürfender Schritt wird hörbar, und gedämpften Tones fragt der Wirt hinter der verriegelten Thüre, wer Einlaß fordere.

„Im Namen der seligsten Jungfrau Maria, mach' uf!“ ruft der Mann. Jetzt öffnet Peter und läßt den nächtlichen Besucher ein und macht in der dumpfen Gaststube Licht, bei dessen Aufflackern der Wirt den Hottinger von Herrischried erkennt. „Bi Gott, du bisch selber! Was bringsch du? Hescht 'n Ägidi troffe am Rhi? Was seit er?“

Hottinger fordert zunächst Labung, ein christlich gemessenes Schöppli, und erst als der Wein vor ihm auf dem Tische steht und Hottinger sich durch einen tüchtigen Schluck gestärkt, vermeldet er flüsternden Tones die Botschaft, dass Ägidi richtig in Basel beim Advokaten gewesen sei und einen österreichischen Oberst[11] gesprochen habe.

Unwillkürlich fährt Peterle auf, in höchster Spannung fragt er, was der

Österreicher gesagt habe.

Der Oberst habe — so fährt Hottinger fort — versichert, mit dem Österreichischwerden sei 's augenblicklich nichts, es ginge demnächst gegen die Franzosen, doch sei einstweilen der Accis aufgehoben.[12]

„Was seist?“

„Jo, sell hat er gseit, der österreichische Obrist, und Ägidi hat gseit, ich soll dir's noch heut Nacht vermelde. Und wil der Jobbeli nit in Herrischried gsi isch, bin ich selber chome!“

Peter ist ganz Feuer und Flamme; die Kunde von der Accisaufhebung erregt ihn in hohem Maße. Er denkt nicht weiter über die Wahrscheinlichkeit der Meldung nach; die Kunde klingt wie Sphärenmusik, sie wird die Säumigen, die Ängstlichen aufrütteln und in die Arme der Bruderschaft führen. Die Salpeterersache wird aufs neue aufblühen. Den Accis wird man rundweg verweigern und Chriesi (kleine Waldkirche) brennen frei, ohne Steuer, und wenn's der Regierung nicht recht ist, soll sie's nur sagen, die Salpeterer werden ihren Mann stellen. In diesem Sinne spricht sich Peter aus und fragt sodann, ob Ägidi als Führer besondere Verhaltungsmaßregeln gegeben habe.

Hottinger erzählt, daß Ägidi befohlen habe, es solle heimlich alles sich bewaffnen und die Kunde vertraut von Mund zu Mund getragen werden. Der Accis soll rundweg verweigert, der Accisor dort, wo er grob wird, hinausgeworfen werden. Es gelte diesmal ernstlichen Widerstand zu leisten. Die Bewaffneten werde Ägidi's Sohn, der Magnus führen, dem die Salpeterer gehorchen sollen. Weitere Kunde werde erfolgen, worauf losgeschlagen werden soll.

Peter reibt sich vergnügt die Hände; nun wird die ersehnte Zeit des Dreinschlagens endlich anbrechen. Hottinger erhebt sich, hält vor der Thüre Auslueg, drückt dem Bundesgenossen stumm die Hand, und stapft den Bühl hinab durch die stille Winternacht. Peter holt noch in selber Stunde das alte Schrotgewehr aus dem Winkel hervor und macht es schußfertig. Er will jeden Augenblick bereit sein zum Kampf. Dann löscht er sorglich wie immer das Licht und legt sich nochmals zur Ruhe.

* * * * *

War das ein Jammer im Hause bei Bibers, als man den guten Michel totwund gestochen auf der Bahre brachte! Der alte Martin hatte behaglich auf der „Chauscht“ („Kunst“, die Ofenbank) gelegen und die Glieder am riesigen Kachelofen gewärmt, das ausgerauchte Tubakpfifli im Munde und seinen Gedanken nachhängend. Mütterchen saß am Fenster und ließ das Spinnrädchen surren, emsig arbeitend mit fleißiger Hand. Die schweren Männertritte im Flur ließen Mütterchen auffahren, erschrocken horchte sie, und auch Ätti zuckte zusammen: solcher Lärm ist etwas Unerhörtes im Biberhause. Und dann pochte es an der Stubenthüre, der „Ochsen“wirt schiebt den Kopf herein und flüstert, die Alten sollten nicht erschrecken, aber dem Michel sei etwas passieret.

Mit einem gellenden Schrei namenloser Angst stürzt die Mutter auf den Wirt zu, der erschrocken zurückprallt, sie reißt die Thüre vollends auf, und unter Weherufen wirst sie sich auf den todesblassen, blutüberströmten Sohn, der ohnmächtig auf der Bahre liegt. Zitternd folgt ihr der alte Biber, dem die Kniee schlottern und die Pfeife aus dem Mund gefallen ist. Rasch faßt sich die Alte; hier thut Hilfe not. Auf ihr Geheiß wird Michel entkleidet und in sein Bett gebracht. Eine Dirn muß schleunigst zur Kräuterkäthe um Heilkräuter laufen. Mit bebender Hand legt Mütterchen einen neuen in Schnee getauchten Verband auf die Wunde, indes Biber sich vom „Ochsen“wirt den Hergang des Unglückes erzählen läßt. Gestochen, gemordet sein Bueb von einem Salpetererbueben! Unheil über Unheil kommt doch von diesen Leuten! Aber der Mordchlapf soll gerochen werden! Nicht durch neue Blutthat, doch das Gericht soll eingreifen.

Der Wirt erbietet sich, einen Knecht zu Amt nach Säckingen zu schicken, auf daß Anzeige erstattet werde. Ob auch der Pfarrer geholt werden solle?

Ätti will damit noch warten; so weit werde es hoffentlich doch noch nicht gefehlt sein. Kommt der Pfarrer mit dem Sterbsakrament in's Haus, so geht es Michel wirklich aus Leben. Lieber will der Alte den Kreuzvogel[13] in die Krankenstube stellen.

„Hesch aber an en richtigen Kreuzvogel, Märte?“ fragt der Wirt.

„Frili, er het en Schnabel uf de rechte Sit, das hilft vor Tod!“

„Gott gib's! B'hüet Gott derwil, Märte! Und wege 's Amt will ich 's schon besorge!“ Der „Ochsen“-wirt begiebt sich heim, und Ätti nimmt das Vogelbauer mit dem Kreuzschnabel und trägt es in Michels Stube, wo er den Sympathievogel aufs Fensterbrett stellt und dann leise Mütterchen fragt, wie es mit Michel stünde.

Die Alte schüttelt den Kopf und horcht, das eine Ohr auf Michels Brust legend, ob das Herz noch schlägt. Und einzelne Tropfen aus ihren rotgeweinten Augen fallen auf das Linnen.

Unten im Flötz werden abermals Schritte laut, und die Hausthüre fällt schwer ins Schloß; die alte Biberin winkt Ätti, er solle nachsehen. Vielleicht ist die Kräuterkäthi gekommen! Sie hofft es wenigstens und bedenkt im Augenblick nicht, daß diese noch gar nicht da sein kann.

Ätti schleicht hinunter. Gedämpftes Stimmengewirr dringt in die stille

Krankenstube; Mütterchen horcht auf das Gemurmel, doch vermag sie kein

Wort zu erfassen. Wer wohl gekommen sein mag zu abendlicher Stunde? War

das nicht ein Schluchzen, ein Ruf aus gequälter Menschenbrust?

Unwillkürlich verläßt Muetti das Krankenbett und horcht zur Thüre hinaus. Seltsam, eine Weiberstimme! Und Ätti schilt, er will vom Maidli nichts wissen, er weist ihr die Thür! Und das fremde Maidli beschwört den Ätti, weinend, in Verzweiflung, sie zu Michel zu lassen, um ihn zu pflegen und zu warten.

Muetti humpelt die Treppe hinunter, sie muß sehen und hören, was das zu bedeuten hat.

Großer Gott, 's Thrinele vom toten Bühl ist's, die zur Nachtzeit gekommen ist und Krankenpflegerin bei Michel sein will! Woher das Maidli von dem Unglück weiß!

Der Bruder, Jobbeli hat die Unthat eingestanden, und in ihrer

Herzensangst ist's Thrinele auf und davon und durch Schnee und Nebel

nach Herrischried gelaufen, weil es ihr das Herz abdrückt vor Angst und

Schrecken.

Das Herz abdrücken vor Angst! Wegen dem Michel. Der Alten dämmert etwas auf, das Maidli hat ein Herzensgeheimnis verraten vor Angst und Schrecken. Muetti fühlt Mitleid, doch Ätti will nichts vom Maidli wissen. Wär' nicht übel! Der Bruder bringt 'n Michel schier um, und die Schwester vom Mörder will als Pflegerin ins Haus! Und die ganze Sippe gehört zum Streitpeterle und ist salpeterisch! Nein, nein, Ätti will davon nichts wissen. In wilder Verzweiflung wirft sich Thrinele auf die Kniee und umklammert Muetti, laut schluchzend und bittend, und in bitterster Angst und Herzensnot gesteht 's Maidli, daß es den Michel liebt, treu, ehrlich und ehrsam und für ihn in den Tod gehen wolle. Und im Namen der barmherzigen Gottesmutter sollen die Alten erlauben, daß sie den Totwunden pflegt Tag und Nacht, bis Michel wieder gesundet. Dann wolle Thrinele gerne das Haus wieder lassen und niemand mehr belästigen.

Muetti hat sich begütigend, gerührt zu Thrinele herabgebeugt und das Maidli dann zu sich heraufgezogen. Ihr ist so weich um's Herz. Noch ein Wesen, das den armen Michel liebt aus ganzer Seele. Und Ätti ist stumm geworden; sich abwendend wischt er sich eine Thräne aus dem Auge. Muetti nimmt Thrinele unter'm Arm und sagt. „So goh mit in Gottes Namen!“ Beide begeben sich in Michels Stube, wo Thrinele alsbald das Amt freiwilliger Krankenpflege übernimmt. Und seltsam! Kaum hat Thrinele die Stirn des Schwerverwundeten berührt, da hebt sich die Brust, das Leben kehrt zurück. Welch' ein Glück!

Im grünen Tann

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