Читать книгу Unter den Hohen Tauern - Arthur Achleitner - Страница 4
Zweites Kapitel
ОглавлениеDem Befehl entsprechend war der hünenhafte Jäger Xandl wohl in die obersten Reviere gestiegen, aber mit dem Marsche zum Felsgewirr des „Natterriegel“ eilte es ihm nicht. Viel wichtiger hielt er eine Aussprache mit dem Kollegen Eichkitz, dem er erzählen wollte, was in der Million-Hütte an Neuigkeiten zu hören gewesen war. Deshalb stapfte Xandl pfadlos durch das steinige Gebiet des „Scheibling“ und suchte mit dem Fernrohr das Gstattmaier-Revier ab, hoffend, den Kollegen irgendwo sehen zu können. Diese Erwartung erfüllte sich nicht. Einen Besuch der Pyrgas-Hütte mußte sich Xandl versagen, der Dienst erlaubte eine solche Zeitvergeudung nicht. Und mit dem unerbittlich strengen Jagdleiter Hartlieb war nicht zu spaßen. Aber ein Mittel zur Verständigung des Kollegen wußte Xandl doch: Deponierung einer schriftlichen Nachricht in der tiefer gelegenen Plechauer-Alm, wo Eichkitz sicher in den nächsten Tagen einkehren wird. Der Höhenverlust hatte für einen Jäger nicht viel zu bedeuten. Also stieg Xandl zur Plechauer-Alm herab. In der Hütte traf er den schönen Eichkitz in eifriger Unterhaltung mit der schmächtigen Sennerin Burgl, die einen Schreckensschrei ausstieß, als Xandl plötzlich auftauchte und spottlustig rief: „Tue mir nix, ich tue dir auch nix!“
Eichkitz ließ sich nicht in Verlegenheit bringen, vom Kollegen hatte er keine Unannehmlichkeiten zu befürchten; gelassen meinte er: „Je, der Xandl! Bist natürlich – dienstlich da, wie ich!“
Die Sennerin benutzte die Gelegenheit, das Kämmerlein zu verlassen, und machte sich vor der Hütte zu schaffen.
„Dienstlich grad nicht! Hab dir einen Zettel bei der Burgl hinterlegen wollen, die große Neuigkeit, wo der Graf Thurn, der wo der Hofchef von der Duhrlauch ist, in der Million-Hütt’n verzählt hat!“
„Schieß los!“ meinte Eichkitz und zupfte an seinem Bärtchen.
„Ja! G’sagt hat er, der Graf, er hätt bis jetzt keine Abschußerlaubnis! Ausschauen tuets akrat so, als tät die Fürstin – schußneidisch sein! Spannst was, Eichkitz?“
Gelassen erwiderte der hübsche Bursch: „Ich wüßt nicht, warum ich darüber heiß werden sollt! Wir kriegen ja doch keine Abschußerlaubnis! Und ob der Graf jaagern darf oder nicht, das kann uns wurscht sein!“
„Ich bin der Meinung, daß es schief geht, wenn die Duhrlauch schußneidisch ist! Das gang grad noch ab!“
„Bist irrig, Xandl! Ist die Fürstin wirklich schußneidisch, so haltet sie was auf ihre Jagd! Das kann uns nur freuen!“
Xandl schüttelte den Kopf. „Ist überhaupt zwider, daß wir keinen Herrn nimmer haben! Weiberwirtschaft im Jagdbetrieb, der Teufel soll s’ holen!“
„Bist irrig, Xandl! Justament das Weiberregiment g’fallt mir!“
„Ah na! Wird nicht sein! Weiber haben verdammt viel Mucken und Launen!“
„Das schon! Kann auch zuweilen höllisch zwider sein und werden! Aber weil die neue Besitzerin ein Weib ist, kann derjenige nur profitieren, der es versteht, das Weib zu behandeln!“
„Jessas, na! Wie du daherredest so leicht und ausg’schamt! Du bist nur ein Jaager, und sie eine wirkliche Fürstin! Die wird sich in Ewigkeit nicht von dir behandeln lassen! Gstampert wirst katschaus in der ersten Minut, wo du anfangst, frech z’ werden!“
„Bist wieder irrig, Xandl! Von Frech-werden ist keine Red! Im Gegenteil! Demütig sein, katzbuckeln, einschmeicheln, vorsichtig anpirschen, und grad nur das reden, was sie gern hört, die Duhrlauch! Z’viel von der Jagd wird sie eh nicht verstehen! Versteht sie aber gar nix, ist es noch besser! Um so leichter laßt sie sich anbleameln...!“
„Wo der Oberförster so streng und scharf ist!“
„Bist wieder irrig! Ich glaub, die strenge harte Zeit für uns ist bereits vorbei! Und beim Weiberregiment wird der hantige Hartlieb mit sich und seiner Stellung Arbeit g’nug haben! Sauer wird ihm sein Dienst werden! Für uns aber wird es besser und leichter! Wenigstens ich spekulier darauf!“
„Wenn du dich nur nicht verspekulierst!“
„Keine Sorg, Xandl! Auf die Weiberbehandlung versteh ich mich! Der Fürstin wird die b’sonders schwache Seit’n wohl auch und bald abzugucken sein! Da ist mir nicht bang!“
„Tue, was du willst! Ich verbrenn mir die Finger nicht! Und jetzt muß ich springen, muß Dienst machen auf ’m Natterriegel!“
„Dank schön für die Botschaft! Sag nichts, daß wir uns ’troffen haben! Der Hartlieb wird eh immer fuchtig, wenn er merkt, daß Jaager bei Sennerinnen einkehren! Eh schon wissen! Aufs Wiederschauen gelegentlich! B’hüt dich, Xandl!“
„Auch soviel!“ Xandl verließ, die Sennerin kurz grüßend, die Alm in unbehaglicher Stimmung. Für die Art, wie Eichkitz die Lage auffaßte, fehlte es dem Hünen an dem nötigen Verständnisse. Xandl fürchtete sich geradezu vor dem Weiberregimente im Jagddienst.
Eichkitz griff nach Büchse und Bergstock, um den Reviergang fortzusetzen.
Die Sennerin Burgl hantierte am Brunnen und rief spöttisch: „Pressiert es jetzt auf einmal mit dem Dienstmachen? Was haben denn die Jaager so Wichtiges zu verhandeln g’habt?“
„Der Xandl fürchtet sich so vor der Fürstin!“ antwortete ironisch der hübsche Jäger.
Burgl ließ das Wasserschaffl fallen und trippelte auf Eichkitz zu. „Was sagst?“
„Fürchten tuet er sich vor der Duhrlauch!“
„Warum denn? Ist die Fürstin etwa ein harbes Weib?“
„Derweilen wissen wir noch gar nix!“
„Schaden könnt es nix, wenn sie einen gewissen Jaager z’sammenstauchen tät! Von wegen Hoffart und Eitelkeit! Ist ja ganz aus der Art, wie du mit die Weiberleut umspringst! Kein bisserl Achtung vor dem weiblichen Geschlecht! So ein Sausewind! Gleich immer aufs Verführen aus! Schamst dich nicht?!“
„Wüßt nicht warum! Küß d’Hand, gnä Fräuln!“ spottete Eichkitz.
Nun erzürnt, sprang Burgl in die Hütte.
Der hübsche Jäger wanderte über den grünen sonnigen Almboden und lachte in sich hinein: „Wirst schon noch zahm werden, Wildkatzl!“
* * *
Als der Forstwart Gnugesser sein Falstaff-Bäuchlein zum Wiedschlag auf dem Raschanger hinaufschleppte, seufzend und nach Luft schnappend, warteten bereits zwei spindeldürre Bergbauern auf ihn, der Simerl und der Zangerl, rauchend, mit Tabak ordinärster Sorte die Waldluft verpestend. Und sogleich lamentierten sie, mit dem Warten soviel Zeit verloren zu haben.
In seiner Herzensgüte entschuldigte sich Gnugesser, daß er beim besten Willen nicht früher habe kommen können; der Weg nach Admont und über Hall zurück und zum Raschanger sei weit und beanspruche Zeit. „Dafür soll nun jeder geschwind sein Holz angewiesen bekommen!“
„Nur nix übereilen! Ich bitt, geben S’ mir den Schindelstamm mehr herunten, wo die Bringung leichter ist und nicht soviel Zeit, Müh und Geld kostet! Wo ich den Stamm auch noch zahlen muß!“ meinte der Simerl und begann nun, der Bergsohle zustapfend, einen schönen Baum zu suchen. An jeder Fichte hatte der Bauer etwas auszusetzen, kein Stamm war ihm schön und astfrei genug. Und immer maulte der Simerl: „Wo ich den Stamm zahlen muß!“
Lächelnd mahnte Gnugesser zur Eile und Zeitersparnis. „Such dir die Fichte aus, aber bald! Der Zangerl möchte ja auch heute noch seine Schnitthölzer! Und ich möcht dann meine Ruh bekommen!“
Endlich hatte Simerl einen Stamm gefunden, von dem er glaubte, daß die Fichte zu Schindeln gehe. Simerl nahm die Untersuchung vor, langsam und umständlich, bis festgestellt war, daß der Baum „gut kliebe“. Und nun wollte Simerl den Stamm sofort gefällt haben.
„Mußt schon warten, bis die Holzer von oben kommen! Morgen wird der Stamm gefällt werden! Aber vorher mußt die Tax in der Kanzlei des Oberförsters zahlen!“
Davon wollte Simerl aber nichts wissen. Aus dem Gejammer merkte Gnugesser, daß es dem Bauern darum zu tun war, den Stamm zu erhalten, das Geld dafür aber schuldig zu bleiben. Infolge dieser Wahrnehmung unterließ es der pflichttreue Forstwart, die ausgesuchte Fichte anzuplätzen.
Simerl sah sich durchschaut und ging fluchend heim.
Der gleichfalls zaundürre Zangerl holte die forstamtliche Quittung hervor zum Beweise, daß er den Betrag für drei Schnitthölzer bereits erlegt habe.
„Gut! Dann hat die Auszeigung einer schönen astfreien Tanne keine Schwierigkeit!“ versicherte Gnugesser und machte sich auf die Suche eines besonders kräftigen Baumes.
Da begann aber der Zangerl zu zetern und zu protestieren mit einem ungeheuerlichen Wortaufwand. Mit aller Entschiedenheit wehrte er sich gegen die Zuweisung einer – Tanne. „Wo ich Holz brauch für den Boden der Schlafkammer. Einen tänneren Boden will ich nicht und nehm ich nicht! In Ewigkeit nicht! Wo ich die Tax bereits bezahlt hab!“
Verwundert fragte Gnugesser, warum denn der Bauer Tannenholz nicht nehmen wolle.
Ein Blick unsäglichen Bedauerns, einer Geringschätzung ob solchen Mangels an Wissen streifte den Forstwart. Im belehrenden Tone erklärte Zangerl: „Will der Herr ein Forstwart sein und weiß nicht, daß im tännernen Holz die Flöh wachsen!“
Gnugesser lachte aus vollem Halse. Und schluckend versicherte er, davon bis jetzt nichts gewußt zu haben.
„Solche Leut sein Förster! Tannenholz erzeugt Flöh, das weiß jeder Bergbauer, nur der Forstwart weiß es nicht! Also die Tann nehm ich nicht! Ich will einen fichtenen Stubenboden!“
Benjamin Gnugesser lachte, daß sein Bäuchlein hüpfte. „Kannst eine astreine Fichte haben! Wir vom Forstamt wollen es nicht verantworten, daß der Zangerlbauer samt Familie von den Flöhen aufgefressen wird!“
Fast eine Stunde verfloß, bis Zangerl eine Fichte gefunden hatte, die seinen Ansprüchen genügte. Dieser Stamm wurde dann vom Forstwart mit dem Plätzhammer gemerkt und zur Fällung angewiesen.
Damit hatte das Tagwerk Gnugessers ein Ende. Müde trollte er hinunter zum Forsthause beim Dörflein Hall.
Ein alter Quadernbau mit neuem Ziegeldache am Sträßlein, beschattet von Fichten; „Steinkasten“ pflegte der Forstwart dieses Dienst- und Wohngebäude zu nennen, in dem er mit seiner ihm vor zwei Jahren angetrauten Gattin Amanda hauste. Forstwarts im Parterre, der Oberförster Hartlieb im oberen Stockwerke, wo sich auch die Forstkanzlei und das Jagdamt befinden. Hier wohnte auch zur Zeit Graf Thurn, dem Hartlieb zwei Zimmerchen hatte abtreten müssen. Straßenseitig befand sich ein Nutzgärtchen, das den Bewohnern des Forsthauses in beschränktem Maße Salat und Gemüse lieferte. Besonders gepflegt sah das Gärtchen aber nicht aus; es entbehrte wohl der sorgsamen Hand.
„Grüß Gott, Weiberl! Da bin ich endlich und nicht wenig müd und hungrig!“ rief Benjamin beim Eintritt in die Stube und hing Hut und Gewehr auf den Kleiderständer neben der Türe.
Frau Amanda zuckte überrascht zusammen und schob hastig eine Zeitung in das Nähkörbchen. „Du bist schon da?“ stieß die junge, blasse Frau aus und erhob sich, um dem Gatten einige Schritte entgegenzutrippeln. Über mittelgroß, sehr schlank, scharf geschnitten das Gesicht und die Nase, eckig die Gestalt – machte Amanda Gnugesser auf den ersten Moment einen ungünstigen Eindruck; bei näherer Betrachtung offenbarte sich jedoch die überraschende Schönheit des Auges. Große braune Rätselaugen, unergründlich, seltsam leuchtend. Wundervoll auch das rehfarbige Haar in reichster Fülle, nur mangelhaft frisiert, leichthin aufgesteckt, in Unordnung geraten. Im einfachen Kattunkleide sah Frau Amanda einem Dienstmädchen gleich, das durch Vernachlässigung der Toilette gleichgültig jeden Zauber der Weiblichkeit zerstört, weil niemand da ist, für den man sich putzen und schmücken konnte. Aus Kleidung und Körperhaltung offenbarte sich eine Gleichgültigkeit, die geradezu aufreizte, nach der Ursache zu forschen. Nur Benjamin Gnugesser fragte nie danach, er sah die Vernachlässigung, die, wenn nicht zerstörte, so doch geminderte Anmut des Weibes nicht. Er war von Anbeginn durch die Braut nicht verwöhnt worden. Entgegen dem allgemeinen Brauche, daß Mädchen sich vor Männern nur im Zustande einer gewissen Vollkommenheit in der Toilette, Frisur und sehr guter Laune sehen lassen, hatte Fräulein Amanda, damals Lehrerin, sich nie bemüht, ihr Wesen und ihre Erscheinung zu idealisieren oder Illusionen zu erwecken. Sie wollte nicht täuschen. Und als Ehefrau negierte sie rundweg die Behauptung, wonach das Eheglück um so besser gefördert werde, je vollkommener es die Gattin verstehe, den Mann in der Illusion, ein Ideal zu besitzen, ständig zu erhalten. Die Gleichgültigkeit der zum Zölibat verurteilten Lehrerin gegen Kleider, Schmuck, Tand und unzählige Kleinigkeiten hatte Amanda in den Ehestand mitgebracht. Und die Fortdauer dieser Gleichgültigkeit hatte eine bestimmte Ursache.
Scherzend erwiderte Benjamin: „Es ist nur mein Geist, der bei dir erschienen ist. Er hat aber Hunger und Durst!“
„Mußt dich schon gedulden! Die Stunde deiner Heimkehr war mir nicht bekannt, ich muß also erst kochen! Den Durst wirst wohl selber löschen können! Flaschenbier ist im Keller!“
„Dank schön für die Auskunft! Werde gleich in den Keller hinabspazieren! Vorher möcht ich aber wissen, was es zu schnabulieren gibt!“
Mit leichtem Spott sprach Amanda: „Etwas ganz Feines, Kalbsfüße!“
Benjamin schnalzte mit der Zunge, rief: „Nobel, grad nobel!“ und stapfte in den Keller.
Frau Amanda kehrte schnell an den Nähtisch zurück und verschloß die vorhin weggelegte Zeitung gleich einer Kostbarkeit in der Schublade einer Kommode, deren Schlüssel sie einsteckte. Dann begab sie sich in die kleine Küche, wo die Dunkelheit sie zwang, Licht zu machen.
Im dämmerigen Wohnstübchen leerte der Forstwart das Fläschchen Bier, entledigte sich der schweren Bergstiefel, schlüpfte in bequeme Hausschuhe und stellte sich an das offene Fenster, um zu beobachten, wie die Dämmerung mählich in die Nacht überging. Für den Forstmann und Jäger war dieses oft gesehene Schauspiel aber doch etwas langweilig. Auch knurrte der Magen, der Hunger zerstörte die Poesie des Sommerabends. Benjamin wollte sich die Wartezeit verkürzen und irgend etwas lesen. Er steckte die kleine Hängelampe an und nahm von der Kommode den dort liegenden Pack Zeitungen. Und groß wunderte er sich, wie wohl diese Zeitungen, dem Titel nach in Köln erscheinend, in die steierische Bergeinsamkeit und just in das Forsthaus Hall bei Admont gekommen sein mochten.
Eine Weile blätterte er diese Zeitungen durch, sah dann das Datum an und legte die „ollen Kamellen“ geringschätzig weg. Lektüre war sein Fall überhaupt nicht, für alte Zeitungen hatte er aber ganz und gar kein Interesse.
„Dauert das lang, bis die Kalbsfüße kommen!“ brummte der hungrige Förster. In Gedanken entschuldigte er gutmütig die Gattin, die als frühere Lehrerin ungern kochte. Daß Amanda sich so spät am Abend abmühte, Kalbsfüße zu backen, fand Gnugesser sehr nett und dankenswert.
Endlich erschien die Gattin mit der Speise. Krebsrot waren Amandas Wangen, dunkelbraun, fast schwarz gebrannt die Kalbsfüße.
Auf den ersten Blick erkannte Benjamin, daß die Kalbsfüße überhitzt gebacken und wahrscheinlich ungenießbar sein würden. Dennoch lobte er den Eifer und dankte für die Aufopferung. Und zur Belohnung wollte er das zweite Fläschchen Bier der Gattin abtreten.
Amanda lehnte ab mit dem Hinweise, daß sie grundsätzlich den Alkohol meide.
Mit Todesverachtung würgte der Gatte die außen verbrannten, innen fast noch rohen Kalbsfüße hinab und goß mit allerdings verdächtigem Eifer Bier darauf.
Gottlob merkte Amanda nichts, sie saß am Tische, seltsam in Gedanken vertieft.
Den fuchsigen Patriarchenbart glättend, fragte Benjamin, wie denn die Zeitungen aus Köln sich in das Haller Forsthaus verirren konnten.
Amanda griff nach einem widerspenstigen Strähnchen ihres herrlichen Haares und erwiderte in gekünstelt ruhigem Tone: „Die hat mir unser Pfarrer, der Pater Wilfrid, gebracht!“
„So? Na, was soll denn Interessantes drinstehen?“
„Der Roman ist sehr schön!“
„Nix für ungut, Weiberl! Aber ich meine doch, dem Pfarrer hätt was Gscheiteres einfallen können, als einer Hausfrau einen Roman zum Lesen zu geben!“
Beleidigt warf Amanda den Kopf auf und scharf erwiderte sie: „Schinden und rackern darf sich die Frau, eine geistige Erholung wird ihr aber nicht gegönnt! Von Fortbildung gar nicht zu sprechen! Als frühere Lehrerin habe ich andere geistige Bedürfnisse als Bauernweiber!“
Gutmütig beteuerte Benjamin, daß seine Bemerkung nicht schlimm gemeint sei. „Kannst ja tun und lesen, was du willst! Ich red dir gewiß nix drein! Bin ja ein genügsamer, bescheidener Mensch!“
„Den Mangel an Verkehr mit Leuten von Bildung empfinde ich bitter! Wir leben in einer geradezu trostlosen Abgeschiedenheit! Meine einzige Hoffnung ist, daß durch die Fürstin vielleicht ein Verkehr mit den Kammerfrauen sich wird ermöglichen lassen...!“
„Nix für ungut, Weiberl! Ich bin nur ein Forstwart, ein Waldmensch, aber um den Verkehr mit Domestiken reiß ich mich nicht! Diese Sorte aufgeblasener hochnäsiger Menschen ist mir zu minder und nicht nach meinem Geschmack!“
Amanda hob die eckigen Schultern und spottete: „Mußt halt schauen, daß die Fürstin sich mit dem Herrn Forstwart huldvollst abgibt!“
„Fehlgeschossen, Weiberl! Die Duhrlauch ist mir zu hoch! Art zu Art!“
„Stimmt! Ich hätte das bedenken sollen, als es noch Zeit war!“
„Ich glaub gar, du willst sticheln? Bist heute schon sehr merkwürdig spitz und stachlig! Hast denn Verdruß gehabt? Bist etwa krank? Blaß schaust aus, Weiberl!“
Amanda ging unvermittelt auf ein anderes Thema über und fragte, ob unter der neuen Herrschaft eine Gehaltsaufbesserung möglich sein könnte.
„Nicht daran zu denken! Wir dürfen froh sein, wenn das gesamte Personal unvermindert und mit unveränderten Löhnen übernommen wird!“
„Wieviel festes Gehalt hast du denn zur Zeit?“
„Seltsame Frage! Du weißt doch, daß ich tausendachthundert Kronen Fixum habe!“
„Ja doch! Aber ich weiß nicht, ob das Schußgeld eingerechnet ist!“
„Warum willst du denn das wissen?“
„Ich möchte nicht vom Finanzamt unangenehm überrascht werden, wenn beispielsweise das Einkommen höher ist und demgemäß ein größerer Steuerbetrag zu zahlen sein würde! Muß das Schußgeld auch versteuert werden?“
„Keine Idee! Wir haben nur wenig Raubzeug, also ist das Schußgeld minimal! Jedes Sechserl braucht man denn doch nicht dem Finanzamt auf die Nase zu binden!“
„Glaubst du, daß es unter der neuen Herrschaft größere Trinkgelder geben wird?“
„Nix für ungut, Weiberl! Aber was du eben gesagt hast, das ist höheres Blech! Ich bin als Forstwart Beamter, der selbstverständlich kein Trinkgeld annimmt! Jagdgehilfen halten die Hand hin, so Jagdgäste Weidmannsheil gehabt haben! Niemals aber die Beamten!“
„Na, na! Mit dem ‚fürstlichen‘ Einkommen von tausendachthundert Silberlingen brauchst die Nase nicht gar so hoch zu tragen! Eine Aufbesserung, egal von welcher Seite sie kommt, wäre hocherwünscht als Zuschuß zu dem viel zu knappen Wirtschaftsgeld!“
„Ah, so lauft der Has! Tut mir leid, aber das Haushaltsgeld kann ich beim besten Willen nicht erhöhen! Mußt schon schauen und trachten, daß du damit auskommst! So, müd, krachmüd bin ich, freu mich auf das Bett! Gehst auch schlafen?“
„Ich werd noch ein bisserl lesen! Gute Nacht, Beni!“
„Gute Nacht, Weiberl!“ Benjamin trat zur Gattin und gab ihr den Gutenachtkuß, den Amanda kaum erwiderte. „Nix für ungut, wenn ich schon schlafe, wenn du kommst!“
„Orgle nur zu! Gute Nacht!“
Horchend blieb Amanda am Tische sitzen. Sie holte geräuschlos das sie so mächtig interessierende Zeitungsblatt aus der Kommode hervor, als kräftige Gutturaltöne die Gewißheit gaben, daß der Gatte schlief. Wieder las die Frau den kurzen Artikel, dessen Inhalt ihre ganze Denkkraft, ihr Sinnen und Streben in Anspruch nahm, ihre Zukunft gründlich umgestalten wird und muß.
Wie Amandas schöne Augen aufleuchteten bei dem Gedanken, die in dem Artikel angedeutete Reform durchzuführen! Zunächst in ihrer Ehe! Dann aber soll dafür gesorgt werden, daß die Wohltat der Reform auch anderen Hausfrauen zuteil werde! Nötigenfalls wird die Neuerung im ehelichen Haushalt erkämpft werden... Amanda wird einen Frauenbund gründen. Der früheren Lehrerin, ihrer Intelligenz und Geistesschulung gebührt selbstverständlich der Vorsitz. Eine große Mission harrt ihrer, und ihr Leben wird einen neuen Inhalt erhalten und lebenswert werden.
Die Gedanken der einsamen Frau sprangen um zwei Jahre zurück und beschäftigten sich mit der Frage, warum Amanda ihren Beruf aufgegeben hatte und die Ehe mit Benjamin Gnugesser eingegangen war. Eine Ehe, die nicht befriedigte. Freilich hatte sie der Beruf auch nicht befriedigt. Nur einen einzigen Vorteil hatte die Stellung in den Augen Amandas: die feste Besoldung. Die Arbeit in der Schule wurde gelohnt. Um der Selbständigkeit und des Gehaltes willen war Amanda Lehrerin geworden. Nicht aus Freude und Liebe zu diesem Berufe. Ihr Brot mußte sie sich verdienen, die mittellose Tochter eines inzwischen verstorbenen Subalternbeamten wollte nach Möglichkeit unabhängig sein, finanziell gesichert in der Welt stehen, an jedem Monatsersten Bargeld in die Hand bekommen. Dieses Ziel war erreicht worden. Aber eine gute Lehrerin war Amanda nicht; diese Tatsache erkannte sie selbst wie auch die Ursache: den Mangel an Berufsliebe. Aus diesem Mangel mußte eine Abneigung gegen diesen Beruf erwachsen, die sich in dem Maße steigerte, als sich die Widerwärtigkeiten in Schule und dörflichem Leben vermehrten. Die Schule und der Lehrberuf verlangen Begeisterung und liebevolle Hingebung, so Ersprießliches geleistet werden soll. Fräulein Amanda hatte die Schule aber lediglich als Versorgungsanstalt betrachtet. Konflikte, Reibereien, Rügen konnten nicht ausbleiben, verleideten die Stellung. Prüfungen der Kinder ergaben Mißerfolge, die der Lehrerin angekreidet wurden und zu Strafversetzungen führten. Sogar von Entlassung aus dem Schuldienst war gesprochen worden. Und diese Drohung hatte Amanda auf den Gedanken gebracht, die Versorgung im Ehestande zu suchen und anzustreben. Benjamin war im gleichen Orte angestellt und gleich der Lehrerin aß er im Gasthause; sie trafen sich täglich und wurden Freunde. Und als Beni zum Forstwart ernannt worden war, warb er um Amandas Hand, denn Beni war in Amanda ehrlich verliebt und blind gegen den Mangel jeglicher Körperreize. Der Lehrerin hingegen war es nur um eine anderweitige Versorgung zu tun. Liebe empfand sie nicht, weder zum Gatten noch zum Hauswesen. Von der Führung eines Haushaltes konnte die Ex-Lehrerin keine Ahnung haben. Er war auch danach. Es ging zur Not, denn einiges lernte Frau Amanda ja doch, freilich unter Geldopfern für verpfuschte Speisen. Und es wird mit „Ach und Krach“ weitergehen dank der Herzensgüte Benis. Der Verstand sagte Amanda, daß sie nie eine richtige und tüchtige Hausfrau werden könne.
Amanda begann zu später Stunde zu rechnen, nachdem sie den ihr Inneres aufwühlenden Zeitungsartikel abermals gelesen hatte. Achtzehnhundert Kronen festes Einkommen bezieht der Gatte. Würde ein Drittel abgezogen als Entlohnung für die Arbeit der Hausfrau, so würde Beni kaum imstande sein, mit der verbleibenden Summe alle Bedürfnisse des Lebens und Haushalts zu bestreiten. Demnach muß eine Gehaltserhöhung angestrebt werden.
Frau Amanda horchte plötzlich auf, beruhigte sich aber sofort, als sie die Stimme des heimgekehrten Oberförsters erkannte. Hartlieb schloß die Haustür auf und ließ dem Grafen Thurn den Vortritt.
Schnell nahm Amanda die Lampe vom Tisch, trat in den Flur, um den Herren die Treppe zu erleuchten.
Graf Thurn dankte freundlichst für diese liebenswürdige Aufmerksamkeit und fügte bei, daß die Fürstin übermorgen nachmittag ankommen werde. „Frau Forstwart haben wohl die Güte, für die Schmückung des Forsthauses zu sorgen, ja? Und dankbar werde ich sein, wenn Sie mir behilflich sein wollten, die Front des Jagdschlössels zu zieren! Das Personal kommt nämlich erst übermorgen früh hierher, also zu spät für die Ausschmückung!“
„Mit größtem Vergnügen, Herr Graf!“
„Schön! Verbindlichsten Dank! Nun aber gute Nacht, Frau Forstwart!“
Amanda begleitete mit der Lampe die Herren bis in das obere Stockwerk. Dann kehrte sie in ihre Wohnung zurück und begab sich zur Ruhe. Fand aber lange nicht den Schlaf, da sich schwere Gedanken an Reform, Gehaltsaufbesserung, auch an die Zukunft unter der neuen Herrschaft durch ihren Kopf wälzten. Eine große Rolle spielte auch die Fürstin Sophie von Schwarzenstein, die neue Gebieterin des Haller Jagdgutes...