Читать книгу Unter den Hohen Tauern - Arthur Achleitner - Страница 5
Drittes Kapitel
ОглавлениеVom Sonnengolde verklärt, sah das winzige Dörfchen Hall mit seinem netten Pfarrhause und dem hübschen, auf einem grünen Hügel thronenden Kirchlein wie ein Kinderspielzeug aus. Verstreut im Tal standen die Häuschen, meist unter Obstbäumen versteckt, die Siedlungen von Bauern und Arbeitern; ehemals vor acht Jahrhunderten bildete das Dorf die Stätten von Sudleuten, da das Benediktinerstift hier eine vielumstrittene Salzpfanne besaß. Im Norden dieses Alpendörfleins türmen sich die grauen Kalkkolosse der „Haller Mauern“ auf, deren Mittelgebirge bewaldet ist.
Im Wohngemach, zugleich Speisezimmer des schlichten, sauberen Pfarrhauses, saß Oberförster Hartlieb als Gast bei seinem Freunde Pater Wilfrid Ritter von Springenfels, der die Funktion des Pfarrers ausübte, zugleich aber Konventual des Admonter Benediktinerklosters und Gastmeister dieses Stiftes war. Wohnhaft im Stifte, kommt Pater Wilfrid zweimal in der Woche nach Hall, nimmt im Pfarrhause, das Eigentum des Stiftes ist, kurzen Aufenthalt, um sich als Seelsorger der Gemeinde zu widmen. Wird der Pfarrer weiterhin benötigt, so muß er im Stifte verständigt werden. Mit der Pünktlichkeit der Könige pflegte Pater Wilfrid an den bestimmten Tagen zur üblichen Stunde nach Hall zu kommen. Und wie ein Vater stand er jedem der Dorfbewohner mit Rat und Tat zur Verfügung. Ein großer hagerer Aristokrat im schwarzen Benediktinerhabit, dem obersteierischen sogenannten Eisenadel entsprossen, adeligen Hochofen- und Hammerwerksbesitzern, reichen Leuten zur Blütezeit der Eisenindustrie. Aus vermögender Familie stammend, hätte es der junge Ritter von Springenfels nicht nötig gehabt, eine Versorgung anzustreben; er erwählte freiwillig den Priesterberuf aus Begeisterung und trat in den Admonter Benediktinerorden ein, um in der heißgeliebten obersteierischen Heimat lebenslang bleiben zu können. Diese Heimatsliebe schloß indes große Reisen zur Urlaubszeit behufs Ausbildung und Weitung des Blickes nicht aus; wie denn auch Pater Wilfrid stetig bemüht war, die Studien aus mannigfachen Gebieten unter Ausnützung der kostbare Schätze bergenden Stiftsbibliothek fortzusetzen. Die adelige Abstammung führte dazu, daß in jenen Fällen, da von fürstlichen Gutsbesitzern in der Umgebung von Admont ein priesterlicher Stiftsherr zum Messelesen in Schloßkapellen erbeten wurde, stets Pater Wilfrid Ritter von Springenfels delegiert ward. Diese Tätigkeit trug dem Benediktiner von den Mitbrüdern den Scherznamen „Hofkaplan“ ein, wobei Pater Wilfrid um die Tafeleinladungen beneidet wurde. Intelligenz, Bildung und Noblesse kündeten Kopf und Augen dieses Benediktiners. Ein Priester wie eigens geschaffen für den Verkehr mit dem Hochadel, mit Fürsten und Königen; aber sein Umgang mit den Haller Dörflern bewies immer wieder, daß Pater Wilfrid auch ein vortrefflicher Bauernpfarrer, der opferwillige Freund der Armen und Ärmsten war. Durch den Verkehr mit dem feinen Pfarrer von Hall nahmen selbst rauhbeinige Burschen einen gewissen Schliff an. Und immer gedrückt voll war die Kirche an Sonn- und Feiertagen, da die Dörfler eine gehaltvolle Predigt ihres Pfarrers zu erwarten hatten. Kein Donnerwetter im Dialekt von der Kanzel; formvollendete, dem Auffassungsvermögen der Zuhörer angepaßte Vorträge, liebevolle Ermahnungen zu Eintracht und gottgefälligem, christlichem Leben gab Pater Wilfrid. Mußte der Haller Pfarrer, durch dörfliche Ereignisse oder Verfehlungen der Pfarrangehörigen gezwungen, scharf vorgehen, so blieben Rüge und Tadel stets vornehm in Form und Ton, die Kanzelrede vermied jede Nennung von Namen. Diese vornehme Objektivität und Schonung weckte das Ehrgefühl und erzeugte Dankempfindungen derer, die recht gut wußten, daß sie die Rüge anging.
Stolz waren die Haller auf ihren Pfarrer im Benediktinerhabit. Und neben diesem Stolz saß die Sorge, daß Hall den verehrten und allbeliebten Pater Wilfrid verlieren könnte.
„Also, womit kann ich Ihnen, Herr Oberförster, dienen?“ fragte Pater Wilfrid zum zweiten Male, da Hartlieb mit seinem Anliegen nicht herausrücken wollte. „Über die bevorstehende Ankunft der Fürstin bin ich vom Hausmarschall bereits verständigt!“
„Eben diese Ankunft macht mir Sorge! Ich bin bekanntlich alles, nur kein Hofmann! Vor dem Hofdienst graut mir, ich sehe sehr schwarz in die Zukunft! Eine Bitte hätte ich, sie hängt mit der Ankunft der Fürstin zusammen; eine Ansprache soll gehalten werden, aber ich bin kein Redner, würde jämmerlich verunglücken! Also bitte ich herzlich, daß Sie mir diese drückende Last abnehmen!“
„Gerne werde ich Ihnen, dem Freunde, dienen! Aber der Benediktiner kann doch nicht im Namen der Jägerei und des Forstpersonals die Fürstin begrüßen!“
„Der Pfarrer ist Amtsperson, hält eine offizielle Ansprache im Namen der Pfarrgemeinde! Ich hänge dann ein kräftig ‚Weidmannsheil‘ daran, die Jägerei wird schon donnernd einstimmen!“
„Das ist ein Ausweg! Gut, machen wir es nach Ihrem Vorschlag! Was nun Ihre Befürchtungen wegen des sogenannten Hofdienstes betrifft, möchte ich aufmerksam machen, daß Fürstlichkeiten von Forst- und Jagdbeamten den Hofton und das Katzbuckeln weder erwarten noch wünschen! Unangenehm sind zuweilen die Hofschranzen, liebedienerische und eingebildete Gschaftelhuber, hochnäsige Leute, die den Beamten Dienst und Leben bei Hofe sauer machen! Da indes Graf Thurn ein sehr liebenswürdiger und einsichtsvoller Herr und frei von jeglicher Kompetenzeifersucht ist, haben Sie, lieber Freund, so gut wie gar keinen Grund zu Befürchtungen!“
„Hm! Aber das Gefolge!“ meinte Hartlieb unsicheren Tones.
„Na, eine Hofdame kann doch den Jagdleiter nicht genieren und wird wohl nie Ihren Weg kreuzen! Und was sonst noch um die Fürstin wimmelt, Zofen, Kammerdiener usw., das sind Angestellte, die der Chef des Wald- und Jagdamtes gar nicht zu sehen braucht und am besten völlig ignoriert! Also Kopf hoch, lieber Freund Oberförster, schneidig in die Welt gucken, wie es der grünen Gilde ziemt! Sie erfüllen nach wie vor Ihre Dienstpflicht mit aller Berufstreue und gehen Ihren Weg ohne Seitenblicke! Um die Hofleute kümmern Sie sich keinen Pfifferling! Probatum est!“
Hartlieb dankte für den freundlichen Zuspruch. Doch der sorgenvolle Ausdruck in seinem Antlitz wollte sich nicht aufhellen.
Pater Wilfrid verstand sich darauf, in den Mienen zu lesen; der tiefe Ernst Hartliebs veranlaßte den Pfarrer, zu fragen, was denn noch das Weidmannsherz bedrücke.
Der Oberförster stieß die Worte hervor: „Der frühere Jagdherr war ein weidgerechter Mann...!“
„Ahem! Und die neue Besitzerin ist eine Frau! Da liegt wohl der Hase im Pfeffer? Und da kann nur eines empfohlen werden: Pflicht erfüllen und abwarten, wie sich die Dinge gestalten werden!“
„Gewiß! Fatal bleibt es immer, wenn eine Frau die Zügel führt! Ich als Jagdbeamter muß der Wahrheit entsprechend sagen, daß eine Gebieterin, die sich wie ein richtiger Jagdherr um alles die Jagd Betreffende eingehend kümmert, geradezu zu fürchten ist!“
„Wieso?“
„Weil sicher die Grundsätze und Anordnungen im Jagdbetriebe von einem Tag zum andern wechseln werden, je nach den mannigfachen Einflüssen, die auf das weibliche Gemüt physisch oder seelisch zu jeglicher Stunde wirken durch schlimme Berater, Günstlinge, Schmeichler und womöglich auch durch Freundinnen! Dem ehrlichen, geraden Jagdleiter wird es unendlich schwer werden müssen, auf seinem Posten auszuharren, ohne seiner Überzeugung übergroße Opfer zu bringen! Ich habe viel über die Situation nachgedacht, konnte aber selbstverständlich darüber mit meinem Personal aus triftigen Gründen nicht sprechen! Ihnen, dem Freunde, muß ich gestehen: wir bekommen eine wetterwendische Wirtschaft in das Jagdgebiet, heillose Zustände, denen selbst Sankt Hubertus machtlos gegenüberstehen wird! So gerne ich in diesen Revieren diene, die schönen Haller Berge liebe, es wird doch besser sein, wenn Ausschau nach einem anderen Posten gehalten wird! Mir schwant hier Unheil!“
„Freund Hartlieb, Sie sehen hier vielleicht doch zu schwarz! Ich als Priester kann nicht mitreden, der Benediktiner versteht vom Jagdwesen nichts! Daß Frauenherrschaft je nach Laune dem Wechsel unterworfen ist, kann freilich nicht bestritten werden! Aber es ist doch nicht anzunehmen, daß Launenhaftigkeit sich in einem Jagdbetrieb breitmachen werde! Ich kann mir dergleichen nicht vorstellen!“
„Frauensinn ist unberechenbar! Auch einer Fürstin kann ein schmucker Jagdgehilfe gefallen, Frauengunst kann einen Liebling zum tatsächlichen Jagddirigenten machen... Der verantwortliche Jagdleiter aber wird entweder fliegen oder zum willenlosen Werkzeug und Spielball herabsinken! Einem solchen Schicksal möchte ich rechtzeitig ausweichen!“
„Das sind düstere Gedanken zu Beginn einer neuen Ära! Ihre Befürchtungen erschweren die Ausarbeitung einer Begrüßungsansprache! Als Optimist hoffe ich aber dennoch, daß sich die Verhältnisse besser gestalten werden, als wir zur Stunde glauben! Und darauf wollen wir ein Gläschen Stiftswein leeren, ja?“
Die Pfortenglocke gellte durch das stille Pfarrhaus. Und kurz darauf meldete die weißhaarige, verhutzelte Dienerin Frau Erna, daß die Loidlbäuerin im Sterben liege...
„Schnell den Mesner verständigen! In zehn Minuten werde ich zum Provisurgang bereit sein!“
Die Dienerin verschwand.
Zum Oberförster gewandt, sprach Pater Wilfrid: „Verzeihen Sie! Mich ruft der heilige Dienst! Sterbende darf man nicht warten lassen!“
Hartlieb dankte herzlich für die Gewährung einer vertraulichen Aussprache und verabschiedete sich. Auf dem Wege zum Gasthause, wo der Oberförster zu speisen pflegte, traf er den Grafen Thurn, der das gleiche Ziel hatte und zu Mittag essen wollte. Sehr befriedigt sprach sich der Hofchef über die Frau Forstwart aus, die für eine hübsche Außendekoration des Jagdschlössels gesorgt und dabei viel künstlerischen Geschmack entwickelt habe. Durchlaucht werde gewiß entzückt sein.
Bei Tisch in dem bescheidenen Gasthause des Dörfleins richtete Graf Thurn an den wortkargen Oberförster die Frage, ob der Jagdfachmann es für möglich halte, daß die Jagdausübung in den wirklich herrlichen Haller Revieren einen apathischen, blasierten jungen Mann psychisch zum Vorteil verändern, aufrütteln, die Weidmannslust erwecken könnte.
In seiner ernsten Weise äußerte sich Hartlieb dahin, daß vielleicht Treibjagden auf Gams, wenn diese Jagdart noch unbekannt sei, ein gewisses Interesse bei dem Betreffenden wachrufen könne. Fehle das Jägerblut, so wird ein blasierter junger Mann nie ein weidgerechter Jäger werden. Bei Treibjagden stehe indes zu befürchten, daß im jungen Manne nicht die echte Jagdfreude, sondern die Schießwut erweckt werde. Ein „Schießer“ sei nun und nimmer ein wünschenswerter Gast in gehegten Revieren, eher zu fürchten, nach Möglichkeit hinauszuexpedieren.
„Sie werden wohl recht haben, Herr Oberförster! Aber unbegreiflich ist mir, daß sich das Jägerblut nicht immer vererbt! Der Vater des schläfrigen, apathischen jungen Mannes war passionierter Weidmann!“
„Von Beruf?“
„Nein! Nur zum Vergnügen!“
„Sportinteressen vererben sich nicht! Wer die Jagd nur als Sport betreibt, der ist noch kein echter Jäger! – Ein interessantes Gegenstück zu dem erwähnten jungen blasierten Manne können Sie, Herr Graf, im Stifte der Benediktiner zu Admont sehen und gewissermaßen bemitleiden wegen der schweren Seelenkämpfe, die der Novize Nonnosus durchkämpfen muß, um das echte, in seinen Adern tobende Jägerblut zu bezwingen!“
„Wie? Ein Novize und leidenschaftlicher Weidmann?“
„Der Leidenschaft muß der Novize Herr werden! Von Herzen gern hätte ich dem jungen Manne Jagdgelegenheit verschafft, konnte es aber nicht, da unser früherer Jagdherr unauffindbar verreist war, meine Kompetenz nicht ausreichte, um eine Abschußbewilligung zu erteilen! Ich bin sehr gespannt, zu vernehmen, ob Nonnosus die Leidenschaft überwinden wird! Er ist der Sohn eines Jägers und besitzt echtes Jägerblut! Dem Nonnosus dürfte das Ziel des höheren Jagddienstes vorgeschwebt haben, die Armut vereitelte es; der Noblesse des Abtes war es zu danken, daß der Jaagersbub auf Klosterkosten studieren durfte. Diese Wohltat will der Student durch Eintritt in den Benediktinerorden vergelten; die Dankbarkeit verhinderte ein ‚Ausspringen‘! Bis zur feierlichen Profeß muß der Novize sich bemühen, die Jagdleidenschaft zu überwinden! Leicht wird das nicht sein, zumal der arme Kerl kränkelt!“
„Ich werde mir den interessanten Mann ansehen! Glaube auch, daß sich die Fürstin dafür speziell interessieren wird!“
* * *
Die Begrüßungsfeierlichkeit am festlich geschmückten Forsthause war beendet, die Fürstin und das Gefolge zum Jagdschlößl gefahren, das drei Kilometer tiefer im einsamen waldreichen Halltale stand. Die Jagdgehilfen hatten sich entfernt, um noch Dienst in den Revieren zu tun; Forstwart Gnugesser hockte verstimmt in seiner Wohnung.
Froh dessen, daß die Feierlichkeit gut verlaufen war und die neue Gebieterin in Erwiderung auf die Ansprache des Pfarrers und auf das „Weidmannsheil“ der Jägerei erklärt hatte, daß die Jagdherrin einen richtigen Jagdbetrieb wünsche und mit allen im Frieden leben möchte, lud der Oberförster den „Festredner“ Pater Wilfrid ein, in der Jagdamtskanzlei einer Flasche den Hals zu brechen, ein Rauchopfer darzubringen und die Zeit mit Geplauder bis zum Dinerbeginn auszufüllen.
Pater Wilfrid willigte unter der Bedingung ein, daß er eine Stunde auf den Besuch des Priesters bei der kranken Siebenbrunner Bäuerin verwenden dürfe.
Während Pater Wilfrid die Treppe hinanstieg, bat Hartlieb Frau Amanda um Besorgung von Gläsern, Brot und etwas Schinken. Der Oberförster holte den Wein aus dem Keller.
Sichtlich verdrossen servierte Frau Amanda den Herren in der Kanzlei. Das ihr von Hartlieb angebotene Glas Wein lehnte sie ab mit dem Hinweise, daß sie erstens Abstinenzlerin und zweitens nicht in der Stimmung sei, ein Fest zu feiern, nachdem die Fürstin den Forstwart ignoriert und ihn nicht zum Diner eingeladen habe.
Begütigend griff Pater Wilfrid ein: „Liebe Frau Forstwart! Nur nicht brummen, wird schon kummen! Das Speisezimmer in dem Schlößl ist ein beschränkter Raum, es können nicht viele Gäste zu Tische sein! Der Herr Forstwart wird sicher ein andermal zur Tafel befohlen werden! Wenn ich Ihnen einen Rat erteilen darf, lautet er wohlmeinend und freundlich dahin: den Ärger unterdrücken, ein freundliches Gesicht auch dann zeigen, wenn der Mensch Essig und Galle auf der Zunge hat! Fürstlichkeiten muß man jeden Verdruß ersparen! Jedenfalls wird die Fürstin die Frau Forstwart gelegentlich besuchen; es wäre unklug, wenn Frau Gnugesser solchen auszeichnenden und vielleicht auch wichtigen und bedeutungsvollen Besuch unmöglich machen würde! Übrigens irren Sie, liebe Frau Forstwart, wenn Sie glauben, daß ein sogenanntes Festdiner ein Vergnügen ist! Genau genommen ist es eine Dienstessache, steife Etikette, es heißt schrecklich aufpassen und schweigen; antworten darf man nur, wenn man gefragt wurde; das Essen ist Nebensache, es wird mit wahnsinniger Eile serviert, weil die Hoheiten wie die Dienerschaft die Gäste möglichst schnell verschwinden zu sehen wünschen!“ Pater Wilfrid beschattete mit der rechten Hand seine lachenden Augen.
„Also nix für uns!“ rief Frau Amanda, die jedes Wort des hofkundigen Geistlichen glaubte, und zog sich zurück.
Aber auch Hartlieb in seiner Furcht vor dem Hofdienst hielt die Äußerung des Pfarrers für ernst gemeint und sprach davon, daß er die Einladung fürchte.
Nun schmunzelte Pater Wilfrid und witzelte: „Auch du, Brutus? Man sollte es nicht für möglich halten, daß handgreiflicher Scherz für blutigen Ernst genommen werde!“ Und nun gestand der joviale Benediktiner, daß er die Schilderung des Hofdiners absichtlich übertrieben habe, um der verärgerten Forstwartsfrau den Stachel aus der Seele zu nehmen. Das Frauenzimmer solle nur glauben, daß die Teilnahme an einer Festtafel für die Eingeladenen eine Qual sei; die Frau Gnugesser werde sich dann nach einer solchen Einladung nicht sehnen. „Das war der Zweck meiner Äußerung! Nun und nimmer hätte ich geglaubt, daß mein Freund Hartlieb darauf reinfallen könnte! Also nur keine Angst vor dem Festdiner! Eines wird aber gut sein: vorher essen, egal was, damit der Eingeladene nicht hungrig zur Festtafel komme! Also: Prost! Und ein Happen Schinken ist nicht ohne! Rauchen ist erlaubt, nur muß man vor Dinerbeginn den Mund ausspülen oder Pfefferminz nehmen, damit namentlich empfindliche Damen und ihre Geruchsorgane nicht beleidigt werden!“
Hartlieb taute etwas auf, lächelte und drohte mit dem Zeigefinger: „Pater Wilfrid von Springenfels, gerissener Diplomat, ein mit allen Salben geschmierter Höfling! Im Nebenamte Pfarrer! Wo bleibt die Wahrheitsliebe?“
Pater Wilfrid streckte die Finger, daß sie knackten, und meinte lachend: „Na ja, es ist ein alter Schnee, daß ein Hofmann nicht immer mit der absoluten Wahrheit durch das Leben gehen kann! Es gibt zahlreiche Situationen, die Notlügen geradezu erzwingen! Für den Fall, daß eine harmlose Notlüge Gutes beabsichtigt und erreicht, wird die Sünde nicht besonders groß oder schwer und gewissermaßen berechtigt sein! In solcher Erwägung habe ich als Hofmann die Frau Gnugesser ‚angeblümelt‘! Hoffentlich wird der Zweck erreicht! So, nun aber möchte ich als Pfarrer die kranke Bäuerin besuchen! Wir treffen uns zehn Minuten vor sieben Uhr vor dem Jagdschlößl! Auf Wiedersehen!“
Hartlieb begleitete den geistlichen Freund zur Treppe, und zur Verabschiedung fragte der Förster noch schnell, in welchem Anzug man zur Festtafel zu erscheinen habe.
„Dienstuniform besserer Art oder Steierertracht! Wird in der Bergeinsamkeit nicht so genau genommen von den hohen Herrschaften! Ich erscheine ja auch, wie Figura zeigt, mit schwarzem Strohhut, nicht mit der Angströhre! Couleur freilich schwarz, wegen unverbesserlich klerikaler Gesinnung!“ Lachend ging der liebenswürdige Schalk...
In die Kanzlei zurückkehrend, beneidete Hartlieb den Benediktiner um seinen Humor und um die Weltgewandtheit...
Graf Thurn, der die Fürstin zum Jagdschlößl geleitet hatte, verließ es eben, um sich eiligst zum Forsthause zu begeben und Toilette für das Diner zu machen.
Als es Zeit wurde, zum Diner zu gehen, lud Graf Thurn den Oberförster zur Begleitung ein. Und unterwegs brachte der Hofchef das Gespräch auf Wildschaden und deren Behandlung seitens des Jagdamtes.
Aus den präzisen Äußerungen Hartliebs klang die Versicherung, daß ohne Strenge und Ernst nicht durchzukommen sei. Die Ansprüche der Bauern gingen nicht nur ins Maßlose, der Wildschaden werde zuweilen sogar künstlich auf sogenannten Wildschadenackerln erzeugt, um den Jagdbesitzer schamlos schröpfen zu können. Der dümmste Bauer entwickle auf diesem Gebiete der Täuschung und Schädigung der Jagdkasse eine erstaunliche Raffiniertheit, die zu strengstem Vorgehen zwinge. Wo es sich um wirklichen, vom Hochwild hervorgerufenen Schaden handle, sei bisher stets nach Recht vergütet worden. Schwindel und Betrug hingegen wurde mit rücksichtsloser und unerbittlicher Strenge bekämpft und geahndet.
„Nun ja! Der Fachmann muß die Verhältnisse kennen! Ich will mich nicht einmischen, diese Angelegenheiten liegen außerhalb meiner Kompetenz! Sollte je die Sprache darauf kommen, möchte ich den Jagdleiter im voraus dahin informiert haben, daß unsere hohe Gebieterin den Frieden wünscht! Durchlaucht wird Ihnen Milde nahelegen!“
„Milde ist in unseren Revieren deplaziert und kostet schwer Geld! Und Milde erreicht niemals Zufriedenheit, macht die Querulanten und Schwindler nur übermütig und in ihren Forderungen unersättlich!“
„Sagen Sie das nicht der Fürstin! Es klingt zu scharf und hart für Damenohren! Würde den Jagdleiter im Lichte der Grausamkeit erscheinen lassen! Bedenken Sie, daß unser Jagdherr eine Dame ist!“
Schatten huschten über Hartliebs Gesicht. „Zu Befehl, Herr Graf! Ich danke Ihnen für die gütige Information!“
„Nehmen Sie meine gutgemeinten Worte nicht übel! Ich wollte Ihnen nützen!“
„Besten Dank, Herr Graf, für Ihr Wohlwollen! Darf ich fragen, ob für morgen oder die nächsten Tage Befehle zu Jagden zu gewärtigen sind? Wenn ja, müßten noch heute Dispositionen getroffen werden, je nachdem die Fürstin pirschen, drücken, riegeln oder treiben lassen will!“
„Bis zur Stunde ist irgendeine Andeutung nicht erfolgt! Vielleicht hören wir beim Diner Näheres darüber! Ich möchte übrigens darauf aufmerksam machen, daß Änderungen von Absichten, plötzliche Zurücknahme von erteilten Befehlen nichts Seltenes sind! Derlei darf und soll den Jagdleiter niemals verdrießen; er muß sich stets vor Augen halten, daß eine Dame gebietet! Und immer Rücksicht nehmen auf die Fürstin, die ja auch Kummer und Sorgen hat!“
In Nähe des Jagdschlößls wartete Pater Wilfrid, der sich den angekommenen Herren sogleich anschloß. Graf Thurn führte die Gäste hinauf in den Empfangssalon und blieb bei ihnen.
Ein kleiner lichter Raum, mit Zirbenholz getäfelt, an den Wänden etliche, nicht üble Jagdgemälde älterer Meister, Rohrstühle mit hohen Lehnen um einen ovalen Tisch, dessen Zirbenplatte eine hübsch entwickelte Blaufichte trug.
Hartlieb stand auf dem gelben Parkett wie auf glühenden Kohlen, unsicher, unbehaglich, in der Stimmung, die sich im steierischen Dialekt mit knappen drei Worten ausdrücken läßt: „Außi möcht i!“ Vieltausendmal lieber im Bergwalde bei schlechtestem Wetter, denn hier im Salon, des Erscheinens der Fürstin gewärtig. Derlei Situationen gewohnt, plauderten Pater Wilfrid und Graf Thurn gedämpften Tones, und der elegante Benediktiner erzählte köstliche Audienzwitze, lustige Mißverständnisse, die er geheimnisvoll flüsterte und dazu eine wahre Leichenbittermiene machte.
Die Türe wurde geöffnet, Fürstin Sophie von Schwarzenstein trat lächelnd und elastisch ein. „‚Grüß Gott‘ dem Priester, ‚Weidmannsheil‘ unserem Jagdleiter!“ sprach sie frisch und munter und reichte den Herren die schmale weiße Hand. Eine Fünfzigerin von schlanker Gestalt, noch immer eine schöne Frau, volle Büste, die Anmut der Wienerin. Leicht ergraut das Haar, Sorgenfalten um die Augen und Lippen. Einfache, dennoch elegante Dinertoilette, grauer Rock, schwarze Seidenbluse, am Halse eine Brosche von Gold mit gefaßten Hirschgrandeln.
Pater Wilfrid hauchte einen Kuß auf die Hand der Fürstin. Hartlieb begnügte sich mit einem scheuen Händedruck und stand dann bolzengerade, stumm, den Blick auf die Türe zum Speisezimmer gerichtet, durch die im leisen Katzenschritt die Hofdame kam. Ein einziger Blick und Hartliebs Wangen flammten, ein Prickeln in den Händen, ein Hämmern in den Schläfen, ein Flimmern und Gleißen vor den Weidmannsaugen. Im Nu des ersten Blickes auf diese in duftiges Weiß gekleidete Frauengestalt entstand der Gedanke an Mustela martes, an den Edelmarder. Geschmeidig und biegsam der Körper, scharf der Blick aus den braunen, sprühenden Augen, deren dunkle Brauen glänzten genau wie die dunklen Langhaare um die braunen Marderseher. Tiefbraun und schimmernd das Haupthaar, blaß wie Elfenbein das Gesicht. Und wie beim jungen Mustela die Kehle hochgelb leuchtet, trug die Dame ein goldfarbenes Seidenband um den Hals; daran hing ein Medaillon. Zwischen den leicht geöffneten Lippen schimmerten wahrhaftige Marderzähnchen.
Die eigenartige Schönheit wirkte betäubend auf den stillen, ernsten Weidmann.
Fürstin Sophie sprach: „Meine Hofdame, Fräulein von Gussitsch! Die vorzustellenden Herren sind Pater Wilfrid, der Pfarrer von Hall und Admonter Stiftsherr, und unser Oberförster, Jagdleiter Hartlieb!“
Die Herren verneigten sich.
Der Kammerdiener, ein hoch und breit gebauter, ältlicher Mann in verfeinerter Steierertracht, meldete diskreten Tones, daß serviert sei.
Freundlich nickend, befahl die Fürstin: „Gut, Norbert! Weisen Sie die Plätze an! Graf Thurn, Ihren Arm, bitte! Und Herr Hartlieb führt Fräulein von Gussitsch zu Tische!“
Wieder flammten Hartliebs Wangen, und schier hörbar klopfte das Jägerherz da „Mustela“ die Hand in den Arm des Oberförsters legte. Zu Tische geleiten konnte er die interessante schöne Dame, aber nicht einen einzigen Ton brachte er über die zuckenden Lippen. Und vergebens fragte er sich in Gedanken, wo er die Augen bei der Begrüßungsfeier gehabt haben mußte, da er die Hofdame gar nicht gesehen hatte. Allerdings war beim Empfang sein Interesse ausschließlich auf die neue Gebieterin konzentriert gewesen.
„Mustela“ war Hartliebs Tischnachbarin. Sehr angenehm und dennoch fatal, prickelnder Nervenkitzel und lähmende, hilflose Verlegenheit des an derlei Situationen nicht gewöhnten Waldbeamten: offen die Augen und doch blind.
Gut das Diner, diskret und rasch serviert, wenig Wein.
Fürstin Sophie plauderte mit Pater Wilfrid, fragte bunt durcheinander wegen der Plätze im Oratorium der Haller Kirche, nach Ortsnamen, Kirchenbedürfnissen. Und im Handumdrehen, mit graziösen Scherzesworten war Pater Wilfrid zum „Hofkaplan“ ernannt.
Kühl bis ans Herz hinan, legte Pater Wilfrid ein Stück Poularde auf seinen Teller.
„Sie sind doch jedenfalls hochbeglückt von dieser Ernennung, wie?“
„Untertänigst aufzuwarten: nicht ganz hochbeglückt, Durchlaucht! Hatte die Ernennung mindestens zum Hofburgpfarrer erhofft! Ohne Gehalt eines solchen natürlich! Weil ich nämlich ‚Hofkaplan‘ längst bin!“ Dazu schmunzelte der Schalk und verdrehte die Augen wie der balzende Urhahn.
„So ein Schwerenöter! Ich habe keine Burg, kann Sie also höchstens zum ‚Hofpfarrer‘ ernennen, für die Dauer des Haller Aufenthaltes!“
„Untertänigsten Dank!“ Pater Wilfrid ließ den Blick über die Tischgeräte in seiner Nähe suchend gleiten.
„Was suchen denn Hochwürden?“ fragte neugierig und belustigt die Fürstin.
„Senf, Durchlaucht!“
„Was? Senf zum Geflügel?“
„Zu dienen! Mit Rücksicht auf den Einfluß der Nahrungsmittel auf den Charakter...“
„Was Sie sagen! Welchen Einfluß soll denn der Senf haben, speziell auf Ihren Charakter?“
„Senf stärkt das Gedächtnis! Ich muß morgen eine Rede schwingen, habe nicht viel Zeit zum Memorieren, also nehme ich gedächtnisstärkenden Senf zur Poularde!“
Höchlich amüsiert lachte die Fürstin hellauf. Auch Graf Thurn schmunzelte vergnügt. Und Fräulein von Gussitsch zeigte die blendend weißen Marderzähnchen.
Nur Hartlieb blieb ernst und steif.
„Hat der Herr Hofpfarrer noch mehr von charakterbeeinflussenden Nahrungsmitteln auf Lager?“
„Nicht viel, Durchlaucht! Ochsenfleisch gibt Mut und Energie, Schweinefleisch führt zu pessimistischen Anschauungen...“
„Nicht übel! Was ist’s mit Kalbfleisch?“
„Böse Eigenschaft, Durchlaucht! Bewirkt Verlust der geistigen Widerstandskraft!“
„Huhu! Schrecklich! Und Hammelfleisch?“
„Die Wirkung tritt in Montenegro deutlich zutage!“
„Wieso denn?“
„Alle Bewohner der schwarzen Berge sind der Melancholie verfallen!“
Sophie kicherte: „Gräßlich! Was bevorzugen denn die Admonter Stiftsherren?“
„Wir legen Wert auf Grazie und Geist, daher trinken wir Milch und essen hauptsächlich Eier!“ Wilfrid blinzelte und senkte mit köstlich markierter Demut das Haupt.
Die hohe Frau kämpfte mit einem Lachkrampf. Und Fräulein von Gussitsch stopfte den Serviettenzipfel in ihr Mündchen. Hartlieb blickte Wilfrid vorwurfsvoll an, dann aber betroffen den Kammerdiener, der ihm den Teller wegnahm, obwohl der Oberförster vom Geflügel noch keinen Bissen gegessen hatte.
Endlich hatte die Fürstin den Lachkitzel überwunden. Sie wandte sich zu Hartlieb und fragte nach dem letzten Abschuß unter Graf Lichtenberg.
Sachlich und trocken gab der Oberförster Aufschluß: zwanzig gute Hirsche, dreißig Gamsböcke, vier Geltgeißen.
„Wie ist der Stand an Rehwild?“
„Zur Zeit haben wir etwa hundert Böcke und Geißen! Vom Auerwild sicher vierzig Hahnen! Hasen nur wenig!“
„Hegen, Herr Oberförster! Ich will viel Hasen haben! Überhaupt viel Wild! Es soll wimmeln in meinen Revieren!“
„Zu Befehl! Das Wimmeln wird aber die Ziffern der Wildschadenvergütung bedeutend erhöhen!“
Inzwischen war der Pudding serviert worden, von dem Hartlieb auch nichts erwischt hatte.
„Gesegnete Mahlzeit!“ Die Tafel war aufgehoben.
„Kaffee und Zigarren in der Veranda, Norbert!“
Eine Importe hielt Hartlieb in Händen, doch zum Rauchen kam er nicht; er mußte eine Menge Fragen der Gebieterin beantworten. Und was für Fragen! Eine Gänsehaut lief dem Förster über den Rücken, als beispielsweise die Fürstin wissen wollte, ob unter den Jagdgehilfen sich auch hübsche Burschen befänden, fesche Steierer, schneidige Kerle. Und ob die Jäger verlobt seien?
Nach solchen Fragen fand es Hartlieb begreiflich, daß die insgeheim erhoffte Abschußbewilligung, die Zuweisung einer kleinen Jagdparzelle, jämmerlich ins Wasser fiel.
Als die Fürstin ihre Zigarette ausdrückte, fragte Hartlieb, ob für morgen und die nächsten Tage Pirschen befohlen werden.
Der Bescheid lautete ausweichend. Erst mal eingewöhnen, sicheres Wetter abwarten, die Herren können anfragen, Norbert werde Bescheid geben...
Zum Abschied richtete die Fürstin an Pater Wilfrid die Bitte, für übermorgen nachmittag den Besuch im Stifte Admont anzusagen und den Cicerone zu machen.
Schluß. Die Gäste hatten sich zu empfehlen. In Gnaden huldvoll entlassen. Graf Thurn wurde zu einem kleinen Vortrage zurückbehalten.
Stumm wanderten die Freunde Hartlieb und Pater Wilfrid durch die Dämmerung auf dem Sträßlein zum Forsthause zurück. Des Försters Stimmung verriet das Köpfen von Disteln. Wo Hartlieb am Wegrande ragende Disteln sah, schlug er ihnen mit dem Stock die Köpfe ab...
Beim Hause angelangt, mahnte Pater Wilfrid zu Geduld und Ruhe.
„Danke! Der Beginn läßt sich übel an, schlimmer noch, als ich befürchtet hatte!“
„Kopf hoch, lieber Freund! Denken Sie stets an das Sprüchlein: Nicht alles Ungemach, das droht, wird dir begegnen; es muß ja nicht aus jeder Wolke regnen! – Gute Nacht!“
„Gute Nacht, Hochwürden!“
Pater Wilfrid setzte seinen Weg hinaus zum Dörflein Hall fort. Und er wunderte sich, als ihm zu verhältnismäßig später Abendstunde Frau Gnugesser mit rotem Kopf in sichtlicher Erregung begegnete, spitz grüßte und maliziös lächelte.
Grüßend schritt der Pfarrer weiter. Und in Hall bestieg er den seiner harrenden Stiftswagen, um nach Admont zu fahren.
Erst neun Uhr abends war es, doch alles Leben im Jagdschlößl schien bereits erloschen, klösterliche Stille, da die Fürstin sich zurückgezogen hatte.
In einem nordseitig gelegenen Stübchen mit Blick auf den zum Greifen nahen Tannenwald saß Martina von Gussitsch, jetzt im bequemen Hauskleide, am kleinen Tische bei Lampenschein und kritzelte etliche Notizen, die nicht vergessen werden durften und sich zu einer Art Tagebuch gestalteten. So schrieb Martina: „Zweimal täglich im Admonter Postamt nach eingelaufenen Briefen für die Fürstin fragen lassen; das Postfräulein bitten, daß eventuell mit Abendzügen eingetroffene Briefe mit Eilbote herausgeschickt werden! – Seltsam ist die Zappeligkeit der Fürstin, diese Ungeduld wegen anscheinend mit außerordentlicher Sehnsucht erwarteten Briefe vom Filius. – Einstweilen geheimnisvolle Verhältnisse! Möchte wissen, was dem Filius, Muttersöhnchen vermutlich, eigentlich fehlt; kann aber die Kammerfrau Hildegard unmöglich fragen. Nette Leute diese zwei Diener mit so drolligen Steierernamen: Norbert Saurugger, Hildegard Schoiswohl! Prachtvoll! Aber Leute, die vollstes Vertrauen genießen, sich auffallend viel aus dem – Wurschtkessel nehmen dürfen, ohne daß Durchlaucht es verübelt. – Mitwisser? – Schade, daß Prinz Emil mit seinem Adjutanten Baron Wolffsegg schon nach Dresden abgereist war, als die neue ‚Hofdame‘ den Dienst antrat. Seit neun Tagen ‚Hofdienst‘! Wenn ein kleinadeliges Mädel kein Geld hat, nur ein bisserl Protektion, macht man sie zur Lady at court, auch Maid of honour oder gar Lady of the bedchamber genannt! ‚Bettzimmerfräulein‘ auf Deutsch. – Was ich wohl in dieser ‚Hofstellung‘ erleben werde? Rosige Hoffnungen habe ich nicht! Und vor dem ‚Dienst‘ als Begleiterin der Fürstin auf Bergtouren und gar auf Jagden graut mir jetzt schon! Unsereins darf sich doch nicht echauffieren, nie derangiert aussehen, soll immer propre sein... Wie das erreichen, wenn gekraxelt werden muß?! Überhaupt will es mir unsinnig erscheinen, daß Damen jaagern! Ob wirkliche Jagdpassion die Fürstin erfüllt? Oder handelt es sich nur um eine Laune? Oder wurde dieses Jagdgut für den Filius gekauft? Warum ist Prinz Emil aber dann nicht hier, warum kutschiert er im Lande herum? Sonderbar, höchst sonderbar! Es muß irgend etwas dahinter stecken. – Vielleicht kann man vom Grafen Thurn etwas erfahren? – Was wohl der Oberförster für ’ne Seele ist? Schmucker Mann, echter Jägertyp, Waldmensch, aus Eiche geschnitzt oder aus Granit gemeißelt. Einstweilen unbeholfen, rührend naiv, ein großes Kind. Doch nicht, der tiefe Ernst, die Strenge widersprechen solcher Auffassung. Vielleicht fürchtet er die neue Herrschaft? Jagdherr eine – Frau! Komisch muß das für den Jagdoberbeamten sein, wenn nicht unangenehm von wegen der Rücksichtnahme. – Großer Gott, das Jagdkleid! Was nur soll ich anziehen? Besitze ja nur ein Lodenkostüm! Werde nun doch gezwungen sein, in dieser Kleiderfrage die Frau Schoiswohl zu fragen; denn die Maid of honour muß doch genau so gekleidet sein wie die Gebieterin auf der Jagd!... Werde mich nie, nie mit der Jagd befreunden können! Niemals!“