Читать книгу Kamber, Kommissar - Frankreich-Krimi - Arthur Haefliger - Страница 6
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ОглавлениеFritz Bechler – du kennst ihn ja – ist abgehauen“, hatte Hubler am Telefon gesagt. In der Tat: Kamber kannte ihn. Vor etwa zwei Jahren wurde in der Hauptstadt ein Bankeinbruch verübt, der weitherum Aufsehen erregte. Beteiligt waren zwei Ganoven, Fritz Bechler und René Martan, die, wie man später erfuhr, in früherer Zeit in Frankreich zusammen krumme Sachen gedreht und Diebereien begangen hatten, ohne dass sie von der Polizei erwischt worden wären. Als Martan eines Tages in einer Zeitung las, dass im Nachbarland eine Bank einen Hauswart suche, meldete er sich. Zum Teil mit gefälschten oder verfälschten Arbeitszeugnissen brachte er es – unerklärlicherweise – fertig, in die engere Wahl zu kommen. Zum Vorstellungsgespräch mit einem Direktor der Bank erschien er in einem korrekten gestreiften Anzug und machte im Lauf der Unterredung mit seinen Sprachkenntnissen und der Art, wie er sich ausdrückte, einen sehr guten Eindruck. Ein Techniker, der ihn auf seine handwerklichen Fähigkeiten hin prüfte, war ebenfalls durchaus befriedigt. So erhielt er die Stelle. Es war von Anfang an seine Absicht, in der Bank einen grossen Coup zu landen und mit einem Haufen Geld zu verschwinden. Zunächst aber schaute er sich gründlich um. Er bemühte sich auch, das allgemeine Vertrauen zu gewinnen. Mehr als ein Jahr lang arbeitete er, immer freundlich und dienstbereit, zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Er machte Bekanntschaft mit der Gattin des Direktors und anerbot sich, ihr ohne jedes Entgelt ihren Garten zu pflegen. Er tat es mit viel Sorgfalt. Im Frühling blühten in zwei grossen Beeten holländische Tulpen in allen Farben, im Sommer galt seine Vorliebe den Dahlien, und den Herbst kündeten Astern und leuchtend gelbe Chrysanthemen an. Im Hintergrund des Gartens legte er mit Granit-platten einen hübschen Sitzplatz an, der mit den farbigen Gartenmöbeln, die sich die Gattin des Direktors kaufte, im Sommer zu einer beliebten Plauderecke wurde. Im Geschäft war er stets von ausgesuchter Höflichkeit. War eine ältere Dame am Schalter, trug er ihr lächelnd ihre schwere Tasche zum Ausgang, einem Invaliden, der auf Krücken daherkam, hielt er die Türe offen, mit einem jüngeren Bankkunden diskutierte er lebhaft über das letzte Rockkonzert. Das geheim gehaltene Ziel war aber stets, den Geldschrank der Bank auszuräumen. Er war auf recht einfache Art gesichert. Wer Geld entnehmen wollte, musste im Direktionszimmer den Schlüssel für eine Verbindungstüre holen. Zudem musste er den Code kennen, mit dem man den Tresor öffnen konnte. Die leichte Verbindungstüre schien Martan, der handwerklich begabt war, kein unüberwindliches Hindernis zu sein. Mit einem modernen Schneidbrenner liess sich der Riegel durchtrennen und damit die Türe öffnen. Das war freilich nur möglich, wenn jemand bei der Arbeit mithalf, einer allein konnte es nicht schaffen. Schwieriger war es, den Code herauszufinden. Die massgebenden Leute der Bank kannten ihn auswendig und waren mit aller Sorgfalt darauf bedacht, ihn geheim zu halten. Martan wartete ab, bis eine Vizedirektorin in den Urlaub verreiste und eine junge Angestellte ihre Stellvertreterin wurde. Sie war mit dem Bankbetrieb nicht vertraut. Martan tauchte hin und wieder in ihrem Büro auf und fragte, ob er irgendwie behilflich sein könne. Einmal stellte er ihr einen Margritenstrauss auf den Ablegetisch. So kannte er sich bald einmal im Büro aus. Er fand heraus, wo die Angestellte den Briefumschlag verwahrte, in welchem der Zettel mit dem Tresorcode steckte, und mit viel Raffinesse gelang es ihm, ihn zu kopieren, ohne dass jemand etwas davon merkte. Wie man einen Brief öffnet und nachher wieder schliesst, ohne dass davon etwas zu bemerken wäre, musste man ihn nicht lehren. Jetzt konnte er daran denken, zur Tat zu schreiten. Er beabsichtigte, sie gemeinsam mit seinem frühern Kumpanen Bechler auszuführen. Dieser reiste an einem Wochenende zu Martan, der ein kleines Restaurant im Grünen kannte, in dem man sich ungestört besprechen konnte und das für seine exquisite Küche bekannt war. Dort trafen sie sich zum Mittagessen. Sie setzten sich im Wintergarten an einen Tisch und suchten sich auf der Speisekarte ein feines Menü aus. Das Chateaubriand, das sie auswählten, begleitete ein kühler Dôle aus gutem Hause. Nach dem Kaffee mit dem kleinen Likör erläuterte Martan dem Freund seinen Plan. Auf einer Stadtkarte hatte er den Standort der Bank angekreuzt. Auf einem Blatt, das er mitgebracht hatte, waren die Räumlichkeiten des Gebäudes eingezeichnet. Bechler sah sich alles gründlich an und stellte Fragen. Er wollte wissen, wie die Alarmanlage der Bank funktioniere, welches der Standort der nächsten Polizeiwache sei, welchen Fluchtweg man einschlagen könnte. Martan konnte seine anfänglichen Bedenken zerstreuen. Bechler war bereit, an dem kühnen Unternehmen mitzuwirken. Nach dem Plan Martans sollte während der Tat in der Nähe des Bankgebäudes ein Personenwagen bereitstehen. Der Fahrer sollte die zwei, die im Innern der Bank an der Arbeit wären, mit dem Natel alarmieren, wenn Gefahr im Verzug wäre. Nach gelungener Tat sollte er mit den beiden Dieben und der Beute davonbrausen. Bechler hatte in der Zeit, da Martan als Hauswart in der Bank arbeitete, einen Kollegen gefunden, der nichts arbeitete und auf dem Pflaster war, eine Art clochard. Mit ihm hatte er einige Diebereien begangen, so geschickt, dass sie nicht erwischt wurden. Er hielt ihn für einen zuverlässigen Komplizen, den man in den Plan Martans einweihen und als Autolenker beiziehen konnte. Bechler versprach, er werde sich ein Fahrzeug verschaffen und seinen Kollegen veranlassen, als Lenker mitzufahren. Martan war damit einverstanden. Er war grosszügig. Sein Beitrag zu der beschlossenen Tat war natürlich bedeutender als jener Bechlers; er hatte die Verhältnisse in der Bank ausspioniert und das Unternehmen vorbereitet. Trotzdem war er bereit, die Beute – nach Abzug einer reichlichen Entschädigung für den Fahrer – mit Bechler hälftig zu teilen. Als alle wichtigen Punkte in beidseitigem Einverständnis bereinigt waren, regelten sie, als Leute vom Fach, am Schluss des Gesprächs auch weniger wichtige Einzelheiten in gutem Einvernehmen. Sie schüttelten sich zum Abschied die Hand, überzeugt, es sei alles so sorgfältig vorbereitet, dass sie mit gutem Grund mit dem Erfolg des Unternehmens rechnen konnten.
An dem für die Ausführung der Tat bestimmten Tag, einem Freitag, klappte alles. Martans Komplize erschien mit seinem Freund, der einen Wagen lenkte, den sie irgendwo gestohlen hatten. Bechler nahm unter einem Decknamen mit Martan telefonisch Kontakt auf und erhielt – wie vereinbart: verschlüsselt – seine Instruktionen. Es war vorgesehen, dass sich die beiden Kumpane in der Nacht vom Freitag auf den Samstag um zwei Uhr beim Hintereingang der Bank treffen würden, der in der Dunkelheit kaum eingesehen werden konnte. Obschon Bechler kurz nach Paris in einen Stau geraten war, traf er zur vereinbarten Zeit ein. Der Fahrer parkierte den Wagen bei gelöschten Scheinwerfern in einer dunklen Ecke nahe beim Bankgebäude. Er blieb im Finstern am Steuer sitzen. Martan empfing Bechler bei der Hintertüre der Bank und führte ihn vorsichtig in das Innere des Gebäudes. Auch hier spielte sich im Wesentlichen alles so ab, wie es sich Martan vorgestellt hatte. Die Alarmanlage hatte er ausgeschaltet, gespenstisch schlichen sie im Schein der Taschenlampen durch die Gänge. Sie gelangten zur Verbindungstüre. Es war etwas schwieriger, als Martan erwartet hatte, sie mit dem Schneidbrenner aufzuknacken. Unter kräftiger Mithilfe Bechlers gelang es, ohne dass sie überaus viel Zeit verloren und übermässigen Lärm verursachten. Die Tür war offen, jetzt standen sie im Tresorraum. Die Nervosität steigerte sich. Es kam der grosse Augenblick. Beide fieberten. Über Bechlers Stirn rollten Schweisstropfen. Mit einem kleinen Zittern tippte Martan den Code ein. Auch das klappte, er konnte den Geldschrank öffnen. Mit glänzenden Augen betrachteten beide die Bündel von Geldscheinen, die ihnen eine wundervolle Zukunft verhiessen. Martan griff mit vollen Händen zu und füllte hastig die Reisetasche, die er mitgenommen hatte und die ihm Bechler offen hinhielt. Der Coup schien ein voller Erfolg zu werden. Auf der Strasse vor dem Bankgebäude bahnte sich indessen das Unheil an. Martan hatte zu wenig Sorgfalt darauf verwendet, die Fenster im Umkreis des Tresorraums zu verhängen. Ein Giessereiarbeiter, der von der Nachtschicht nach Hause ging, bemerkte im Bankgebäude einen Lichtstrahl. Er ging näher, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht getäuscht hatte. Als er einen Lichtkegel sich bewegen sah, nahm er sein Natel aus der Rocktasche und rief die Polizei an. Zur Zeit, da die Meldung des Giessereiarbeiters in der Polizeiwache eintraf, war Kommissar Kamber mit den beiden Kollegen, die ebenfalls auf Pikett waren, beim Kartenspiel. Sie vertrieben sich oft lange Wartezeiten mit Jassen. Kamber stellte den telefonischen Polizeinotruf sofort auf das Kommando der Kriminalpolizei um und ordnete an, dass seine beiden Kameraden mit dem Dienstfahrzeug zum Bankgebäude fahren und dort den Haupteingang überwachen sollten. Er selber werde sich mit seinem Privatwagen zum Hintereingang begeben, da er die Verhältnisse dort sehr gut kenne. Man werde mit dem Mobiltelefon miteinander in Verbindung bleiben. Alle drei schlüpften in die kugelsicheren Westen und steckten ihren Revolver in das Futteral. Als alle bereit waren, rannten sie zu ihren Wagen und fuhren los.
Der Fahrer in dem gestohlenen Auto hatte auch die Aufgabe des Aufpassers. Als er beobachtete, wie ein Mann vor den Fenstern des Bankgebäudes stehenblieb, hineinblickte und nachher mit dem Natel telefonierte, stockte ihm das Blut in den Adern. Er rief sofort seine beiden Kollegen an und gab eine dringende Warnung durch. Martan schloss sofort seine prall gefüllte Reisetasche und erklärte seinem Kumpanen, es wäre unvorsichtig, wenn sie beide das Gebäude auf demselben Weg verlassen würden. Er werde mit seiner Tasche durch den Haupteingang fliehen, Bechler solle den Hintereingang benützen. Dieser war zunächst etwas überrascht, dass er sich im Alleingang zurechtfinden sollte, aber es war keine Zeit zu verlieren. Sie flüchteten auf getrennten Wegen, wie es Martan angeordnet hatte.
Kamber fuhr mit seinem schnellen Wagen durch eine Abkürzung, die nur wenige kannten, in rasantem Tempo in die Nähe des Bankgebäudes. Er wollte die Diebe, wenn solche an der Arbeit waren, nicht mit dem Motorengeräusch warnen. Er eilte zum Hintereingang der Bank. Gleich nebenan stand im Schatten ein kleiner Betonblock einer Transformatorenstation. Kamber stellte sich dorthin und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Bechler kannte das Bankgebäude nicht und hatte einige Mühe, den Ausgang zu finden. Bei einer Abzweigung des Korridors verirrte er sich und musste nachher einige Schritte in die richtige Richtung zurückgehen. Er verlor dabei Zeit. Nach einer Weile stiess er die Tür zum Hintereingang vorsichtig auf, griff nach seiner Pistole und spähte nach links und rechts. Dann schloss er die Türe hinter sich und trat auf den Vorplatz. Das war für Kamber das Signal. Er stiess sich vom Betonblock ab und sprang Bechler seitlich an. Im selben Sekundenbruchteil krachte ein Schuss, den Bechler auf den Kommissar abgegeben hatte, der aber, in der Hast abgefeuert, sein Ziel verfehlte. Kamber packte seinen Gegner an den Schultern und wollte ihn zu Boden werfen. Er hatte aber nicht mit der Behendigkeit Bechlers gerechnet. Dieser packte ihn am Kopf und drückte ihn an die Mauer, wo Kamber mit der Stirn heftig aufschlug. Ziemlich benommen, wie er nach dem Aufprall war, drehte er den Gegner instinktiv mit einem Jiu-Jitsu-Griff zu Boden. Blitzschnell kniete der Kommissar mit seinem ganzen Gewicht auf ihn und machte ihn so kampfunfähig. Aus seiner Rocktasche zog er mit einem gut eingeübten Griff die Handschellen. Am einen Arm schloss er sie an, und als der Verschluss auch am zweiten Arm einklinkte, atmete er auf. Er klopfte die Rocktaschen des am Boden liegenden Verbrechers ab und behändigte den am Boden liegenden Browning, den Bechler benützt hatte. Er sicherte ihn und versorgte ihn sorgfältig in seiner eigenen Tasche. Seine Stirne schmerzte. Mit dem Taschentuch trocknete er, so gut es ging, das Blut ab, das ständig aus der Wunde rann. Er telefonierte an das Polizeikommando und ordnete an, dass man mit dem Gefangenenwagen zum Bankgebäude komme, um den Gangster abzuholen. Er nahm mit den beiden Kollegen Kontakt auf, die den Haupteingang der Bank zu überwachen hatten. Er erhielt schlechten Bericht. Martan war es gelungen, mitsamt der Beute zu fliehen, bevor die Polizei eintraf. Der Giessereiarbeiter war nach seinem Telefonanruf stehen geblieben und hatte die Szene beobachtet: Martan kam vom Bankgebäude her mit seiner Tasche dahergerannt, der Chauffeur öffnete ihm die Autotür, er schob sein Gepäck auf den Hintersitz und stieg ein. Der Lenker drehte die Fensterscheibe herunter und schaute nach hinten, wie wenn er jemanden erwarten würde. Plötzlich schloss er das Fenster hastig und brauste in höchster Geschwindigkeit davon, ganz kurz vor Eintreffen der Polizei. Die beiden Kollegen Kambers konnten noch ganz von ferne die Schlusslichter des Fluchtwagens erkennen und versuchten, die Verfolgung aufzunehmen. Sie mussten aber bald aufgeben. Der flüchtende Fahrer schien unbemerkt eine andere Richtung eingeschlagen zu haben. Sie benachrichtigten andere Polizeiposten, alles blieb ohne Erfolg. Der Fluchtwagen wurde später irgendwo an einem Strassenrand aufgefunden.
Kommissar Kamber wartete auf dem Vorplatz des Hintereingangs der Bank neben Bechler auf den Gefangenenwagen. Der in Handschellen auf dem Boden sitzende Bankdieb war sehr aufgebracht. Mit vor Wut erstickter Stimme stiess er hervor: „Du hast mich jetzt erwischt. Ich hätte in Freiheit ein sorgloses Leben führen können. Das hast du mir alles kaputtgemacht. Ich werde dir das heimzahlen. Ich werde jetzt eine Zeit lang im Knast versenkt sein, aber irgendeinmal wieder die Freiheit erlangen. Dann werde ich mit dir abrechnen, darauf kannst du mit Sicherheit zählen. Du hast mir meinen Revolver abgenommen. Ich werde dannzumal wieder einen haben und weiss damit umzugehen.“ Wütend blickte er dem Kommissar nochmals in die Augen und spuckte ihn an. Kamber hielt den Blick ruhig aus. Das Fahrzeug, mit dem Bechler abgeholt werden sollte, traf ein. Der Kommissar fuhr in seinem Wagen hinter dem Polizeiauto bis zum Untersuchungsgefängnis, wobei er immer wieder das Blut abwischen musste, das aus seiner Stirnwunde tropfte. Sie kamen an. Der Leiter des Gefängnisses führte Bechler in eine Zelle und erklärte ihm kurz, wie sich das Leben hier abspiele. Dann kam er zum Kommissar zurück. „Meine Frau ist Samariterin. Ich hole sie rasch, sie kann Ihnen an Ihrer Stirnwunde einen Verband anlegen.“ Die Frau erschien nach ein paar Minuten im Morgenrock und besichtigte die Wunde. „Es scheint nicht so schlimm zu sein, ich lege Ihnen einen Schnellverband an. Das genügt aber leider nicht. Man muss wahrscheinlich ein wenig nähen. Sie müssen in die Notfallstation des Spitals gehen.“ Sie desinfizierte die Ränder und verband die Wunde. Kamber bedankte und verabschiedete sich. Er fuhr zum Spital. Die Pflegerin, die auf Pikett war, begrüsste ihn freundlich. Er kannte sie. Sie war früher einmal seine Nachbarin gewesen, und er hatte sie gelegentlich in seinem Wagen mit nach Hause geführt, wenn er sie mit ihrer Markttasche in der Stadt antraf. Doktor Gradwohl, den Kamber ebenfalls kannte, hatte Nachtdienst. Er erschien, den Ärztemantel über dem Pyjama, und schaute sich die Wunde an. „Sie hatten es mit einem bösen Klienten zu tun, das hätte gefährlich werden können.“ „Das wäre noch gefährlicher gewesen“, sagte Kamber und zog den Revolver aus der Rocktasche, „mit dem hat er auf mich geschossen, zum Glück daneben getroffen“. Die Samariterin hatte Recht gehabt. Doktor Gradwohl machte eine kleine Narkose und vernähte die Wunde. „Wenn die Anästhesie nicht mehr wirkt, werden Sie einige Schmerzen haben, ich gebe Ihnen ein paar Tabletten mit“, sagte der Arzt und fügte dann bei: „Ich erinnere mich noch gut daran, dass Sie uns einmal einen siebenjährigen Knaben brachten, der mit dem Trottinett in ein Automobil gerast war und von dort weggeschleudert wurde. Er war am Verbluten. Sie haben ihn notdürftig verbunden und dann hierher gebracht. Wir konnten ihn retten. Es war der letzte Moment. Wenn er etwas später gekommen wäre, hätten wir ihm nicht mehr helfen können. Die Leute haben gesagt, Sie seien mit Blaulicht und dem Andreashorn wie ein Verrückter gefahren.“ „Ja, daran erinnere ich mich natürlich auch. Es war in der Tat eine tolle Fahrt, ich musste meine fünf Sinne beisammenhalten. Auch eine Kleinigkeit ist mir noch in Erinnerung: Als der Junge in den Operationssaal gebracht war und sich die Tür schloss, habe ich draussen im Gang für einmal, als Hüter der Ordnung ganz ausnahmsweise, direkt unter der Tafel ‚Rauchen verboten’ meine Pfeife angezündet.“„Sie kommen auf unsere schwarze Liste“, sagte Gradwohl und zwinkerte mit den Augen. Kambers Wunde heilte gut ab. Aber es blieb die Narbe, die man noch Jahre später auf seiner Stirn sah und auf die auch Hubler irgendwie Bezug nahm, als er am Telefon von Bechler redete und zu Kamber sagte: „Du kennst ihn ja.“
Obschon ihn all das Erlebte stark mitgenommen hatte, fuhr der Kommissar nach dem Spitalbesuch zur Polizeiwache. Er ordnete an, das Bankgebäude diskret abzusperren, im Innern Aufnahmen zu machen und die Spuren zu sichern. Da sich keine Anzeichen eines Einbruchs vorfanden, vermutete er, es könnte jemand an der Tat beteiligt gewesen sein, der irgendwie zum Bankgebäude Zutritt hatte und sich darin auskannte. Er veranlasste, beim Personal zu recherchieren und die Identität des verhafteten Einbrechers abzuklären. Er schrieb auf dem Computer einen kurzen Rapport über die Umstände des Bankeinbruchs. Nebenbei bemerkt: Den Bericht unterzeichnete er mit „Kamber, Kommissar“. Er signierte immer so.Als er einst vor langen Jahren seinen Dienst aufnahm, erhielt er einen Vorrat an amtlichem Schreibpapier mit dem Briefkopf „Kommissar Kamber“. Nachdem er ihn aufgebraucht hatte, kaufte er auf eigene Kosten Papier mit dem Aufdruck „Kamber, Kommissar“. Auch wenn einige Kollegen von einer „saublöden Marotte“ sprachen, bestand er auf dieser Reihenfolge der Anschrift. „Ich bin immer in erster Linie der Kamber, der Kommissar kommt lange nachher.“ Über all die Jahre hin blieb es bei dieser Signatur.
Er deponierte den Rapport auf dem Pult seines Kollegen und legte einen Zettel daneben, auf dem mit grossen Lettern stand: „Komme später, schlafe aus.“ Er fuhr nach Hause, legte sich ins Bett und versank in einen tiefen traumlosen Schlaf.