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Einleitung des Herausgebers
ОглавлениеArthur Rosenberg, Historiker und Politiker, wurde am 19. Dezember 1889 in Berlin geboren und hat auch die längste Zeit seines leider kurzen Lebens in Berlin gewirkt. An der Friedrich-Wilhelm-Universität studierte er Alte Geschichte und Archäologie, wurde ein Schüler des großen deutschen Althistorikers Eduard Meyer, schrieb im Jahre 1913 seine Doktordissertation über das Thema »Der Staat der alten Italiker, Untersuchungen über die ursprüngliche Verfassung der Latiner, Osker und Etrusker«, habilitierte sich an derselben Universität und veröffentlichte im Jahre 1921 ein Buch mit dem Titel »Einleitung und Quellenkunde zur römischen Geschichte«.
Bis zum Jahre 1933 hat Rosenberg an der Friedrich-Wilhelm-Universität Vorlesungen über Alte Geschichte gehalten. Es spricht für die Republik von Weimar, daß der Althistoriker Arthur Rosenberg einige Jahre lang politisch tätig sein konnte, als Vertreter der KP vier Jahre lang Mitglied des Reichstags war und sich aktiv im Untersuchungsausschuß des Reichstags für die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im ersten Weltkrieg betätigte. Nach seiner Trennung von der KP widmete sich Rosenberg ganz seiner Lehrtätigkeit, bis er im Jahre 1933 gezwungen wurde, Deutschland zu verlassen.
Mit seinem Buch über die »Entstehung der Deutschen Republik 1871–1918«, das im Jahre 1928 erschien, war sein Name weit über die Fachkreise bekannt geworden. Sein Buch »Geschichte des Bolschewismus« war eines der ersten kritischen Werke über das Wesen und Wirken der Partei Lenins und Stalins.
In England fand Rosenberg ein Asyl und konnte an der Universität in Liverpool wieder Vorlesungen über Alte Geschichte halten, gleichzeitig fuhr er fort, sich mit Zeitproblemen zu beschäftigen, und veröffentlichte in rascher Folge mehrere Werke, die in Deutschland unbekannt geblieben sind. So erschien im Jahre 1934 in Karlsbad eine Schrift mit dem Titel »Der Faschismus als Massenbewegung, sein Aufstieg und seine Zersetzung«, im nächsten Jahre erschien die Fortsetzung der »Entstehung der Deutschen Republik« mit dem Titel »Geschichte der Deutschen Republik«, die vom Büchermarkt völlig verschwunden ist und die wir dem deutschen Leser als nächsten Band vorlegen werden. Im Jahre 1938 veröffentlichte Rosenberg sein letztes Buch unter dem Titel »Demokratie und Sozialismus. Zur politischen Geschichte der letzten 150 Jahre«.
Rosenbergs Bücher wurden damals nicht nur in deutscher Sprache in Karlsbad und Amsterdam herausgegeben, sondern auch in viele andere Sprachen übersetzt. Besonders in England und in den USA gewannen sie eine große Leserschaft und machten den Namen des aus Deutschland vertriebenen Gelehrten und Schriftstellers schnell bekannt. Als Rosenberg im Jahre 1938 nach den USA kam, erhielt er bald einen Lehrauftrag für Geschichte am Brooklyn College, doch am 7. Februar 1943 mußte er im Alter von nur 54 Jahren sein arbeitsreiches Leben beenden.
Rosenberg hat für dieses Buch wichtiges und wertvolles Material verwenden können, das entweder inzwischen ganz verschollen oder aber bisher von keinem Historiker wieder verwandt worden ist. Besonders für jene Kapitel, in denen die Geschichte des deutschen Zusammenbruchs im Jahre 1918 und der Vorgänge in den Wintermonaten 1918/19 geschildert wird, stand Rosenberg Material zur Verfügung, das den meisten heute unbekannt ist.
Seit fast zweiundzwanzig Jahren ist in der historischen Literatur die Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung zum Niemandsland geworden, das nur noch selten betreten wird und sogar für viele fast tabu ist. Gerade auf diesem Gebiet aber gibt Rosenberg heute dem vorurteilslosen Leser, der nicht den Schlagworten des Tages erliegen will und sich von den Beeinflussungsversuchen der nationalsozialistischen Zeit freizumachen sucht, Anregungen und Aufschlüsse; er versucht, ihn die Vorgänge von einer Seite her sehen zu lassen, die lange Jahre verschlossen bleiben mußte. Die Darstellung Rosenbergs dürfte auch manche zum Dogma gewordene Auffassungen zur Diskussion stellen und den unvoreingenommenen, nicht unterrichteten Leser mit dem Wesen und Wollen politischer Gestalten bekannt machen, die für viele reine Klischeefiguren geworden sind. Diese Feststellung betrifft besonders Rosa Luxemburg und auch in einem gewissen Sinne Karl Liebknecht.
Seit dem Erscheinen von Rosenbergs Buch sind besonders in den letzten Jahren eine Fülle von Schriften, die die gleiche Zeit behandeln, nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch im Ausland erschienen. Der Herausgeber hat in den Literaturangaben besonders auf im Ausland erschienene Schriften hingewiesen, weil sie keineswegs sämtlich bisher ins Deutsche übertragen wurden. Unser Wissen über viele Vorgänge und Personen ist bereichert worden, zahlreiche Personen, die besonders in der Zeit der Republik von Weimar tätig waren, haben ihre Erinnerungen veröffentlicht, versuchten, ihr Handeln zu rechtfertigen, und haben auch lebhafte Diskussionen hervorgerufen, die zum Teil außerhalb Deutschlands in politischen Emigrationskreisen stattgefunden haben. So steht heute dem Historiker ein weit umfangreicheres Material zur Verfügung als einst Rosenberg, außerdem aber ist man bekanntlich meist klüger, wenn man, wie Bismarck gesagt hat, vom Rathaus kommt. Dennoch darf man behaupten, daß die Grundauffassungen Rosenbergs heute noch große Aufmerksamkeit verdienen, selbst wenn man nicht mit ihnen in allem einverstanden sein sollte. Die Eigenart seiner Betrachtungsweise und die Lebendigkeit seiner Darstellung sind ungewöhnlich.
In der Auffassung und Behandlung der Vorgänge wie der führenden Persönlichkeiten, besonders in den Jahren 1919 bis 1930, weicht Rosenberg weitgehend und auch grundsätzlich von Auffassungen und Bewertungen anderer Historiker ab, die in den letzten Jahren gleichfalls Bücher über diese Periode veröffentlicht haben. In der Auffassung mancher Vorgänge nähert sich Rosenberg den Darstellungen, die Professor Ludwig Bergsträßer in der neuesten Auflage seiner »Geschichte der politischen Parteien in Deutschland« und Professor Georg W. F. Hallgarten in seinen Werken »Imperialismus vor 1914« und »Hitler, Reichswehr und Industrie. Zur Geschichte der Jahre 1918 bis 1933« gegeben haben. In seiner Behandlung der Bismarckzeit unterscheidet sich Rosenberg gleichfalls von den herrschenden und überlieferten wie auch erneut geäußerten Auffassungen der meisten deutschen Historiker und widerspricht auch grundsätzlich den Revisionisten, die heute eine Korrektur der kritischen Auffassungen der Bismarckzeit vorzunehmen suchen. Rosenberg widersetzte sich den Versuchen, Wesen und Wirken Bismarcks mit einer Legende zu umgeben. Er sieht als entscheidendes Jahr in der deutschen Entwicklung des 19. Jahrhunderts nicht 1862, sondern 1849 an, in dem die Versuche einer demokratischen Erneuerung Deutschlands endgültig zum Scheitern verurteilt wurden. In einem gewissen Sinne kann man von Rosenberg als einem Erben der demokratischen und liberalen Geschichtsschreiber der Mitte des vorigen Jahrhunderts sprechen, wie sie besonders von dem fast vergessenen und verkannten Gervinus repräsentiert wurden. Gleichzeitig aber hat Rosenberg auch erneuernd gewirkt, nachdem er durch die Schule Franz Mehrings, des überzeugten Vertreters des historischen Materialismus, gegangen war. Man darf aber nicht vergessen, daß Rosenberg nie ein Doktrinär und Konformist gewesen ist, sondern sich stets ein freies, unabhängiges und vor allem undogmatisches Urteil bewahrte und auch zuweilen eigenwillig, wenn nicht gar eigensinnig und herausfordernd seine Meinungen zum Ausdruck brachte. Er war auch keineswegs von Widersprüchen frei, wie etwa aus seiner Auffassung des Generals Ludendorff hervorgeht, den er für einen genialen Strategen, aber für einen törichten Politiker hielt.
Rosenberg hat sein ganzes Leben dem Studium der Alten Geschichte gewidmet und war Schüler Eduard Meyers, der ihm eine Vorstellung von der Entwicklung historischen Geschehens in großen und langen Zeitläufen übermittelt hatte. Der Althistoriker Rosenberg versuchte, von Vorgängen und handelnden Personen weiten Abstand zu nehmen und bestimmte Linien im Verlaufe einer zeitlichen Entwicklung zu verfolgen, um die Kontinuität feststellen zu können, die sich im Verlaufe von 50 bis 60 Jahren in der Geschichte der politischen deutschen Parteien in ihrem Verhältnis zu den herrschenden Gruppen bemerkbar gemacht hat. Der Althistoriker hatte sich wiederholt mit Verfassungsfragen im alten Italien beschäftigt, und so lag es nahe, daß er auch in der deutschen Entwicklung auf das Verhältnis der Parteien und Regierenden zu Verfassungsfragen besonderen Wert legte. Er ließ auch nie die Zusammenhänge zwischen den deutschen Vorgängen und der gesamteuropäischen Entwicklung aus den Augen und versuchte, Deutschland nicht isoliert, sondern als einen Teil Europas zu sehen, auch wenn er nicht immer ein gewisses Vorurteil, besonders gegenüber den Westmächten in den ersten Nachkriegsjahren, zu unterdrücken vermochte. Dabei wird man zuweilen, ebenso wie bei der Beurteilung deutscher Persönlichkeiten, beobachten, daß Urteile über manche Personen entweder zu hart oder aber auch zu günstig ausgefallen sind. Ein politisch reifer Leser, der die Bewertung anderer gelten läßt und im Meinungsaustausch die notwendige Voraussetzung für wahre Erkenntnis sieht, wird solche Urteile als Anregungen gebührend würdigen und auch zum Anlaß nehmen, seine eigene Meinung zu überprüfen.
Man muß sich auch stets bewußt sein, daß Rosenberg selbst eine Zeitlang im politischen Tageskampf gestanden hat, nie ohne Auseinandersetzungen leben konnte, eine ungewöhnlich einfallsreiche, auch schillernde, unruhige Persönlichkeit gewesen ist, die stets vom polemischen Geist beseelt war und sich in Widersprüchen gefiel. Gerade diese Eigenschaften aber machten die Bücher Rosenbergs besonders anziehend, farbig und in ihrer Art ungewöhnlich, so daß sie Anlaß zu fruchtbaren Aussprachen über jene Zeit werden können und müßten, die der Machtergreifung Hitlers vorausging.
Eine jüngere Generation, der die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und besonders auch das Wesen der Republik von Weimar entweder fremd geblieben ist oder aber nur in entstellter Form dargeboten wurde, wird aus diesem Buch viel erfahren und wohl Nutzanwendungen ziehen können. Rosenberg selbst hat sich nach seinem Rückzug aus dem öffentlichen politischen Leben als Nonkonformist ein unabhängiges Urteil bewahren können und entging auch der Gefahr, ins andere Extrem zu verfallen. Sein historisches Denken, seine wissenschaftliche Schulung und seine Aufrichtigkeit bewahrten ihn vor der Gefahr, sich verblenden zu lassen, er ist weder ein Renegat noch ein Teufelsbeschwörer geworden, denn vor solchen Anfällen retteten ihn sein strenger, scharfer analytischer Verstand, seine Kenntnis der Geschichte und das Verlangen, Ereignisse im großen Rahmen geschichtlicher Entwicklung zu sehen, wie er es von seinem Lehrer und Meister Eduard Meyer gelernt hatte. Er war kein Pamphletist, sondern ein Geschichtsschreiber, der sich zwar selber nie verleugnete, aber stets um die Ermittlung historischer Wahrheit bemüht war, ohne je zu vergessen, daß der Mensch irren kann.
Angaben über die seit dem Erscheinen dieses Werkes veröffentlichten Arbeiten findet der Leser in den folgenden zwei Werken: Ludwig Bergsträßer »Geschichte der politischen Parteien in Deutschland« und Peter Rassow »Deutsche Geschichte im Überblick, ein Handbuch«. Bergsträßer zitiert auch die jüngst erschienene Literatur, die sich besonders mit der SPD und der KPD beschäftigt. Hier sind nicht nur die Lebensbeschreibungen führender Sozialdemokraten, sondern auch die Werke von Paul Fröhlich und Ruth Fischer zu nennen; Ruth Fischer bringt auch zahlreiche wichtige Hinweise auf Publikationen. Ferner wird man Literaturangaben im Buche A. Joseph Berlaus »The German Social Democratic Party 1914–1921« finden, Wirken und Persönlichkeit Eduard Bernsteins ist von Peter Gay in seinem inzwischen deutsch erschienenen Buche »The Dilemma of Democratic Socialism« behandelt worden. Über die Beziehungen zur Sowjetunion unterrichten besonders für die Jahre 1918 bis 1924 die Werke von Isaac Deutscher, dessen Stalin-Biographie auch deutsch vorliegt, und besonders Edward Hallet Carr in folgenden Werken: »German-Soviet Relations between the Two World Wars 1919–1939«; »The Bolshevik Revolution 1917–1923«, 3 Bände; »The Interregnum 1923–1924«.
Mit der gleichen Periode, die Rosenberg dargestellt hat, beschäftigen sich die Werke von Erich Eyck: »Bismarck, Leben und Werk«, 3 Bände; »Das persönliche Regiment Wilhelms II. Politische Geschichte des deutschen Kaiserreichs von 1890–1914«; »Geschichte der Weimarer Republik, vom Zusammenbruch des Kaiserreichs bis zur Wahl Hindenburgs 1918–1925«.
Über die Wirksamkeit des deutschen Generalstabs sind besonders nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zahlreiche Bücher im Inland und auch im Ausland veröffentlicht worden, von denen nur das bereits erwähnte Buch von Hallgarten, ferner das Werk von Richard Görlitz »Der deutsche Generalstab« und das umfassende Buch von John W. Wheeler-Bennett »The Nemesis of Power« genannt seien. Das auch deutsch erschienene Werk von Wheeler-Bennett hat in Deutschland heftige Kritik hervorgerufen, ohne daß bisher von deutscher Seite eine von der Tradition abweichende Darstellung erschienen ist. Im Jahre 1936 veröffentlichte Wheeler-Bennett bereits ein Buch über den russischdeutschen Friedensvertrag von 1918 »Brest-Litowsk, the forgotten Peace«, in diesen Zusammenhang gehört auch das im Jahre 1939 erschienene Buch von Bernhard Menne »Krupp or the Lords of Essen«.
Da die deutsche Hitlerbiographie nach dem Kriege noch nicht geschrieben wie auch die Gestalt Hindenburgs noch nicht behandelt wurde, muß man auf die im Ausland erschienenen Bücher von Konrad Heiden, Emil Ludwig und Rudolf Olden verweisen.
Die Haltung des Generals Groener und vor allem seine Beziehungen zu Friedrich Ebert im Winter 1918–19 sind gerade in der letzten Zeit Gegenstand lebhafter Erörterungen und Auseinandersetzungen geworden, ohne daß aber eine Korrektur der Auffassungen Rosenbergs vorgenommen werden müßte. Der Darstellung John W. Wheeler-Bennetts in »The Nemesis of Power« hat Professor Gerhart Ritter in einem Aufsatz widersprochen, der in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 20. April 1955 erschienen ist. Über Groener selbst erschien jüngst eine Lebensbeschreibung seiner Tochter Dorothea Groener-Geyer.
Über die Beziehungen des Kaiserreichs und der Republik von Weimar zum Vatikan findet man wertvolle Aufschlüsse in Friedrich Wilhelm Foersters Selbstbiographie »Erlebte Weltgeschichte 1869–1953«; dies Buch gibt gleichzeitig Aufschlüsse über die von Rosenberg behandelte Periode. Ferner ist zu nennen: Konstantin Prinz von Bayern, »Der Papst, ein Lebensbild«.
Über die monarchistische Bewegung in der Republik von Weimar berichtet Walter H. Kaufmann mit reichen Quellenangaben in »Monarchism in the Weimarer Republic« im Jahre 1953 in New York.
Herrn Professor Dr. Ludwig Bergsträßer und Frau Lotte Rosenberg-Snierzcynski bin ich für Hilfeleistung beim Zustandekommen dieser Ausgabe zu großem Danke verbunden.
Dr. Kurt Kersten