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Ich werde dich retten

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Also, ich soll Herrn Dorsday anpumpen … Irrsinnig. Wie stellt sich Mama das vor? Warum hat sich Papa nicht einfach in die Bahn gesetzt und ist hergefahren? – Wär' grad' so schnell gegangen wie der Expressbrief. Aber vielleicht hätten sie ihn auf dem Bahnhof wegen Fluchtverdacht – – Furchtbar, furchtbar! Auch mit den Dreißigtausend wird uns ja nicht geholfen sein. Immer diese Geschichten! Seit sieben Jahren! Nein – länger. Rätselhaft, dass wir uns immer noch halten. Wie man sich an alles gewöhnt! Dabei leben wir eigentlich ganz gut. Mama ist wirklich eine Künstlerin. Das Festessen am letzten Neujahrstag für vierzehn Personen – unbegreiflich. Und der Papa ist dabei immer gut gelaunt.

Und da halte ich den Brief in der Hand. Der Brief ist ja irrsinnig. Ich soll mit Dorsday sprechen? Zu Tode würde ich mich schämen. – – Schämen, ich mich? Warum? Ich bin ja nicht schuld. – Wenn ich doch mit Tante Emma sprechen würde? Unsinn. Sie hat wahrscheinlich gar nicht so viel Geld zur Verfügung. Der Onkel ist ja ein Geizkragen. Ach Gott, warum habe ich kein Geld? Warum hab' ich mir noch nichts verdient? Warum habe ich nichts gelernt? O, ich habe was gelernt! Wer darf sagen, dass ich nichts gelernt habe? Ich spiele Klavier, ich kann Französisch, Englisch, auch ein bisschen Italienisch, habe kunstgeschichtliche Vorlesungen besucht – Haha! Und wenn ich schon was Gescheiteres gelernt hätte, was würde es mir helfen? Dreißigtausend Gulden hätte ich mir keineswegs erspart. – –

Das Leben ist traurig. Und ich sitz' da ruhig auf dem Fensterbrett. Und der Papa soll eingesperrt werden. Nein. Nie und nimmer. Es darf nicht sein. Ich werde ihn retten. Ja, Papa, ich werde dich retten. Es ist ja ganz einfach. Ein paar Worte, ganz liebenswürdig, das ist ja mein Fall, – haha, ich werde Herrn Dorsday behandeln, als wenn es eine Ehre für ihn wäre, uns Geld zu leihen. Es ist ja auch eine. – Herr von Dorsday, haben Sie vielleicht einen Moment Zeit für mich? Ich bekomme da eben einen Brief von Mama, sie ist in augenblicklicher Verlegenheit, – vielmehr der Papa – – ›Aber selbstverständlich, mein Fräulein, mit dem größten Vergnügen. Um wieviel handelt es sich denn?‹ – Wenn er mir nur nicht so unsympathisch wäre. Auch die Art, wie er mich ansieht. Nein, Herr Dorsday, ich glaube Ihnen Ihre Eleganz nicht. Was täte der Rudi, wenn der Papa eingesperrt würde? Würde er sich erschießen? Aber Unsinn! Erschießen und all die Sachen gibt's ja gar nicht, die stehn nur in der Zeitung.

In einer Stunde ist das Essen. Was zieh' ich an? Das Blaue oder das Schwarze? Heut wär vielleicht das Schwarze richtiger. Zu weit ausgeschnitten? Jedenfalls muss ich umwerfend aussehen, wenn ich mit Dorsday rede. Seine Augen werden sich in meinen Ausschnitt bohren. Widerlicher Kerl. Ich hasse ihn. Alle Menschen hasse ich. Muss es gerade Dorsday sein? Gibt es denn wirklich nur diesen Dorsday auf der Welt, der dreißigtausend Gulden hat? Am liebsten möcht' ich tot sein. Ah, wie entsetzlich! – Paul, wenn du mir die Dreißigtausend verschaffst, kannst du von mir haben, was du willst. Das ist ja wie aus einem Roman. Die edle Tochter verkauft sich für den geliebten Vater, und hat am End' noch ein Vergnügen davon. Pfui Teufel! Nein, Paul, auch für dreißigtausend kannst du von mir nichts haben. Niemand. Aber für eine Million? – Für einen Palast? Für eine Perlenkette? Wenn ich einmal heirate, werde ich es wahrscheinlich billiger tun. Ist es denn gar so schlimm? Die Fanny hat sich am Ende auch verkauft. Sie hat mir selber gesagt, dass sie sich vor ihrem Mann graust. Nun, wie wär's, Papa, wenn ich mich heute Abend versteigern würde? Um dich vor dem Zuchthaus zu retten. Sensation –! – Wie weit ist Wien? Wie lange bin ich schon fort? Wie allein bin ich! Ich habe keine Freundin, ich habe auch keinen Freund. Wo sind sie alle? Wen werd' ich heiraten? Wer heiratet die Tochter eines Betrügers? – Eben erhalte ich einen Brief, Herr von Dorsday. – ›Aber es ist doch gar nicht der Rede wert, Fräulein Else, gestern erst habe ich ein Bild von Rembrandt verkauft. Sie machen mich verlegen, Fräulein Else.‹ Und jetzt reißt er ein Blatt aus seinem Scheckbuch und unterschreibt mit seiner goldenen Füllfeder; und morgen früh fahr' ich mit dem Scheck nach Wien. Auf jeden Fall; auch ohne Scheck. Ich bleibe nicht mehr hier. Ich könnte ja gar nicht, ich dürfte ja gar nicht. Ich lebe hier als elegante junge Dame und Papa steht mit einem Fuß im Grab – nein im Gefängnis. Das vorletzte Paar Seidenstrümpfe. Den kleinen Riss grad unterm Knie merkt niemand. – Warum tust du mir das an, Papa? Wenn du noch etwas davon hättest! Aber an der Börse verspielt! Ist das der Mühe wert? Und die Dreißigtausend werden dir auch nichts helfen. Für ein Vierteljahr vielleicht. Vor anderthalb Jahren war es ja fast schon so weit. Da kam noch Hilfe. Aber einmal wird sie nicht kommen – und was geschieht dann mit uns? Rudi wird nach Rotterdam gehen in die Bank. Aber ich? – Habe ich alles? Fertig zum Essen? – Was tue ich aber eine Stunde lang, wenn ich Dorsday nicht treffe? Vielleicht ist gerade ein Milliardär angekommen. – Sie oder keine. – Ich nehme den weißen Schal, der steht mir gut. Ganz ungezwungen lege ich ihn um meine herrlichen Schultern. Für wen habe ich sie denn, die herrlichen Schultern? Ich könnte einen Mann sehr glücklich machen. Wäre nur der rechte Mann da. Aber ein Kind will ich nicht haben. – Noch etwas Puder auf den Nacken und Hals, einen Tropfen Parfüm ins Taschentuch, Schrank zusperren, Fenster wieder auf, ah, wie wunderbar! Ich bin nervös. Ach, soll man nicht unter solchen Umständen nervös sein. Die Schachtel mit dem Veronal hab' ich bei den Hemden. Auch neue Hemden brauche ich.

Unheimlich, riesig der Cimone, als wenn er auf mich herunterfallen wollte! Noch kein Stern am Himmel. Der Duft von den Wiesen! Ich werde auf dem Land leben. Einen Gutsbesitzer werde ich heiraten und Kinder werde ich haben. So, das Fenster bleibt offen. Wenn's auch kühl wird. Licht ausdrehen. So. – Ja richtig, den Brief. Ich muss ihn zu mir nehmen für alle Fälle. – Leer ist das ganze Treppenhaus! Immer um diese Zeit. Meine Schritte hallen. – Wer sitzt denn dort an dem kleinen Tisch? Nein, Dorsday ist es nicht. Gott sei Dank. Jetzt vor dem Essen wäre es doch unmöglich, ihm etwas zu sagen. – Warum schaut mich der Portier so merkwürdig an? Hat er am Ende den Expressbrief von der Mama gelesen? Mir scheint, ich bin verrückt. Ich muss ihm demnächst wieder ein Trinkgeld geben. – Die Blonde da ist auch schon zum Essen angezogen. Wie kann man so dick sein! – Ich werde noch vors Hotel hinaus und ein bisschen auf und ab gehen. Oder ins Musikzimmer? Spielt da nicht wer? Ich vernachlässige mein Klavierspiel. In Wien werde ich wieder regelmäßig üben. Überhaupt ein anderes Leben anfangen. Das müssen wir alle. So darf es nicht weitergehen. Ich werde einmal ernsthaft mit Papa sprechen – wenn noch Zeit dazu sein sollte. Es wird, es wird. Warum habe ich es noch nie getan? Alles in unserem Haus wird mit Scherzen erledigt, und keinem ist scherzhaft zu Mut. Jeder hat eigentlich Angst vor dem Andern, jeder ist allein. – Da kommen Cissy und Paul. Ja, sie muss sich endlich umkleiden zum Essen, sonst hätten sie noch im Dunkeln weiter Tennis gespielt. – Sie sehen mich nicht. Was sagt er ihr denn? Warum lacht sie so dumm? Wär' lustig, ihrem Gatten einen anonymen Brief nach Wien zu schreiben. Wäre ich so was imstande? Nie. Wer weiß? Jetzt haben sie mich gesehen. Ich nicke ihnen zu. Sie ärgert sich, dass ich so hübsch aussehe. Wie verlegen sie ist.

„Wie, Else, Sie sind schon fertig zum Essen?” – „Wie Sie sehen, Frau Cissy.” – „Du siehst wirklich entzückend aus, Else, ich hätte große Lust, dir den Hof zu machen.”– „Erspar' dir die Mühe, Paul, gib mir lieber eine Zigarette.” – „Aber mit Vergnügen.” – „Dank schön. Wie ist das Spiel ausgefallen?” – „Frau Cissy hat mich dreimal hintereinander geschlagen.” – „Er war nämlich zerstreut.” O Gott, – Dorsday mit Frau Winawer! Sie grüßen. Sie gehen weiter. Ich habe zu höflich zurückgegrüßt. Ja, ganz anders als sonst. O, was bin ich für eine Person. – „Also, bis später, Else, bis später, Paul.” – „Küss' die Hand, gnädige Frau.” „Bis später, Frau Cissy.” – „Also, mach’s gut, Else.” – Gott sei Dank. Paul küsst mir die Hand. Das tut er sonst nie. „Mach’s gut, Paul.” Wo hab' ich die schmelzende Stimme her? Er geht. Ich ziehe den Schal um meine Schulter und stehe auf und geh' vors Hotel hinaus. Ich fühle den Blick von Dorsday auf meinem Nacken, durch den Schal. Frau Winawer geht jetzt hinauf in ihr Zimmer. „Ich bitte Sie, Herr Portier –” „Fräulein wünschen den Mantel?” – „Ja, bitte.” – „Schon etwas kühl die Abende, Fräulein. Das kommt bei uns so plötzlich.” – „Danke.” Soll ich wirklich vors Hotel? Gewiss, was denn sonst? Jedenfalls zur Tür hin.

Fräulein Else

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