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KAPITEL III.
VON DEM, WAS EINER HAT

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Richtig und schön tat der große Glücksäligkeitslehrer EPIKUROS die menschlichen Bedürfnisse in drei Klassen getheilt. Erstlich, die natürlichen und nothwendigen: es sind die, welche, wenn nicht befriedigt, Schmerz verursachen. Folglich gehört hieher nur victus et amictus. Sie sind leicht zu befriedigen. Zweitens, die natürlichen, jedoch nicht nothwendigen: es ist das Bedürfniß der Geschlechtsbefriedigung; wiewohl Epikur Dies im Berichte des Laertius nicht ausspricht; (wie ich denn überhaupt seine Lehre hier etwas zurechtgeschoben und ausgefeilt wiedergebe). Dieses Bedürfniß zu befriedigen hält schon schwerer. Drittens, die weder natürlichen, noch nothwendigen: es sind die des Luxus, der Ueppigkeit, des Prunkes und Glanzes: sie sind endlos und ihre Befriedigung ist sehr schwer. (Siehe Diog. Laert. L. X, c. 27, §. 149, auch §. 127.)

Die Gränze unsrer vernünftigen Wünsche hinsichtlich des Besitzes zu bestimmen ist schwierig, wo nicht unmöglich. Denn die Zufriedenheit eines jeden, in dieser Hinsicht, beruht nicht auf einer absoluten, sondern auf einer bloß relativen Größe, nämlich auf dem Verhältniß zwischen seinen Ansprüchen und seinem Besitz: daher dieser Letztere, für sich allein betrachtet, so bedeutungsleer ist, wie der Zähler eines Bruchs ohne den Nenner. Die Güter, auf welche Anspruch zu machen einem Menschen nie in den Sinn gekommen ist, entbehrt er durchaus nicht; sondern ist, auch ohne sie, völlig zufrieden; während ein Anderer, der hundert Mal mehr besitzt als er, sich unglücklich fühlt, weil ihm Eines abgeht, darauf er Anspruch macht. Jeder hat, auch in dieser Hinsicht, einen eigenen Horizont des für ihn möglicherweise Erreichbaren: so weit wie dieser gehn seine Ansprüche. Wann irgend ein innerhalb desselben gelegenes Objekt sich ihm so darstellt, daß er auf dessen Erreichung vertrauen kann, fühlt er sich glücklich; hingegen unglücklich, wann eintretende Schwierigkeiten ihm die Aussicht darauf benehmen. Das außerhalb dieses Gesichtskreises Liegende wirkt gar nicht auf ihn. Daher beunruhigen den Armen die großen Besitzthümer der Reichen nicht, und tröstet andrerseits den Reichen, bei verfehlten Absichten, das Viele nicht, was er schon besitzt. Daß nach verlorenem Reichthum, oder Wohlstande, sobald der erste Schmerz überstanden ist, unsre habituelle Stimmung nicht sehr verschieden von der früheren ausfällt, kommt daher, daß, nachdem das Schicksal den Faktor unsers Besitzes verkleinert hat, wir selbst nun den Faktor unsrer Ansprüche gleich sehr vermindern. Diese Operation aber ist das eigentlich Schmerzhafte, bei einem Unglücksfall: nachdem sie vollzogen ist, wird der Schmerz immer weniger, zuletzt gar nicht mehr gefühlt: die Wunde vernarbt. Umgekehrt wird, bei einem Glücksfall, der Kompressor unsrer Ansprüche hinaufgeschoben, und sie dehnen sich aus: hierin liegt die Freude. Aber auch sie dauert nicht länger, als bis diese Operation gänzlich vollzogen ist: wir gewöhnen uns an das erweiterte Maaß der Ansprüche und werden gegen den demselben entsprechenden Besitz gleichgültig. Dies besagt schon die homerische Stelle, Od. XVIII, 130-137, welche schließt:

Τοιος γαρ νοος ϵστιν ϵπιχϑονιων ανϑρωπων, 'Οιον ϵφ' ημαρ αγeι πατηρ ανδρων τϵ, ϑϵων τϵ.

Die Quelle unsrer Unzufriedenheit liegt in unsern stets erneuerten Versuchen, den Faktor der Ansprüche in die Höhe zu schieben, bei der Unbeweglichkeit des andern Faktors, die es verhindert. –

Daß die Wünsche der Menschen hauptsächlich auf Geld gerichtet sind und sie dieses über Alles lieben, wird ihnen oft zum Vorwurf gemacht. Jedoch ist es natürlich, wohl gar unvermeidlich, Das zu lieben, was, als ein unermüdlicher Proteus, jeden Augenblick bereit ist, sich in den jedesmaligen Gegenstand unsrer so wandelbaren Wünsche und mannigfaltigen Bedürfnisse zu verwandeln. Jedes andere Gut nämlich kann nur EINEM Wunsch, EINEM Bedürfniß genügen: Speisen sind bloß gut für den Hungrigen, Wein für den Gesunden, Arznei für den Kranken, ein Pelz für den Winter, Weiber für die Jugend u. s. w. Sie sind folglich alle nur αγαϑα προς τι, d.h. nur relativ gut. Geld allein ist das absolut Gute: weil es nicht bloß EINEM Bedürfniß in concreto begegnet, sondern DEM Bedürfniß überhaupt, in abstracto.

Leute, die von Hause aus kein Vermögen haben, aber endlich in die Lage kommen, durch ihre Talente, welcher Art sie auch seien, viel zu verdienen, gerathen fast immer in die Einbildung, ihr Talent sei das bleibende Kapital und der Gewinn dadurch die Zinsen. Demgemäß legen sie dann nicht das Erworbene theilweise zurück, um so ein bleibendes Kapital zusammenzubringen; sondern geben aus, in dem Maaße, wie sie verdienen. Danach aber werden sie meistens in Armuth gerathen; weil ihr Erwerb stockt, oder aufhört, nachdem entweder das Talent selbst erschöpft ist, indem es vergänglicher Art war, wie z. B. das zu fast allen schönen Künsten, oder auch, weil es nur unter besondern Umständen und Konjunkturen geltend zu machen war, welche aufgehört haben.

Handwerker mögen immerhin es auf die besagte Weise halten; weil die Fähigkeiten zu ihren Leistungen nicht leicht verloren gehn, auch durch die Kräfte der Gesellen ersetzt werden, und weil ihre Fabrikate Gegenstände des Bedürfnisses sind, also alle Zeit Abgang finden; weshalb denn auch das Sprichwort »ein Handwerk hat einen goldenen Boden« richtig ist. Aber nicht so steht es um die Künstler und virtuosi jeder Art. Eben deshalb werden diese theuer bezahlt. Daher aber soll, was sie erwerben, ihr Kapital werden; während sie, vermessener Weise, es für bloße Zinsen halten und dadurch ihrem Verderben entgegengehn. – Leute hingegen, welche ererbtes Vermögen besitzen, wissen wenigstens sogleich ganz richtig, was das Kapital und was die Zinsen sind. Die Meisten werden daher jenes sicher zu stellen suchen, keinenfalls es angreifen, ja, wo möglich, wenigstens /8 der Zinsen zurücklegen, künftigen Stockungen zu begegnen. Sie bleiben daher meistens im Wohlstande. – Auf Kaufleute ist diese ganze Bemerkung nicht anwendbar: denn ihnen ist das Geld selbst Mittel zum ferneren Erwerb, gleichsam Handwerksgeräth; daher sie, auch wenn es ganz von ihnen selbst erworben ist, es sich, durch Benutzung, zu erhalten und zu vermehren suchen. Demgemäß ist in keinem Stande der Reichthum so eigentlich zu Hause, wie in diesem.

Ueberhaupt aber wird man, in der Regel, finden, daß Diejenigen, welche schon mit der eigentlichen Noth und dem Mangel handgemein gewesen sind, diese ungleich weniger fürchten und daher zur Verschwendung geneigter sind als Die, welche solche nur von Hörensagen kennen. Zu den Ersteren gehören Alle, die durch Glücksfälle irgend einer Art, oder durch besondere Talente, gleichviel welcher Gattung, ziemlich schnell aus der Armuth in den Wohlstand gelangt sind: die Andern hingegen sind Die, welche im Wohlstande geboren und geblieben sind. Diese sind durchgängig mehr auf die Zukunft bedacht und daher ökonomischer, als jene. Man könnte daraus schließen, daß die Noth nicht eine so schlimme Sache wäre, wie sie, von Weitem gesehn, scheint. Doch möchte der wahre Grund vielmehr dieser seyn, daß Dem, der in angestammtem Reichthume geboren ist; dieser als etwas Unentbehrliches erscheint, als das Element des einzig möglichen Lebens, so gut wie die Luft, daher er ihn bewacht wie sein Leben, folglich meistens ordnungsliebend, vorsichtig und sparsam ist. Dem in angestammter Armuth Geborenen hingegen erscheint diese als der natürliche Zustand; der ihm danach irgendwie zugefällene Reichthum aber als etwas Ueberflüssiges, bloß tauglich zum Genießen und Verprassen; indem man, wann er wieder fort ist, sich, so gut wie vorher, ohne ihn behilft und noch eine Sorge los ist. Da geht es denn wie Shakespeare sagt:

The adage must be verified, That beggars mounted run their horse to death. (Das Sprichwort muß bewährt werden, daß der zu Pferde gesetzte Bettler sein Thier zu Tode jagt.)

Henry VI. P. 3. A. 1.

Dazu kommt denn freilich noch, daß solche Leute ein festes und übergroßes Zutrauen theils zum Schicksal, theils zu den eigenen Mitteln, die ihnen schon aus Noth und Armuth herausgeholfen haben, nicht sowohl im Kopf, als im Herzen tragen und daher die Untiefen derselben nicht, wie es wohl den reich Geborenen begegnet, für bodenlos halten, sondern denken, daß man, auf den Boden stoßend, wieder in die Höhe gehoben wird. – Aus dieser menschlichen Eigenthümlichkeit ist es auch zu erklären, daß Frauen, welche arme Mädchen waren, sehr oft anspruchsvoller und verschwenderischer sind, als die, welche eine reiche Aussteuer zubrachten; indem meistentheils die reichen Mädchen nicht bloß Vermögen mitbringen, sondern auch mehr Eifer, ja, angeerbten Trieb zur Erhaltung desselben, als arme. Wer inzwischen das Gegentheil behaupten will, findet eine Auktorität für sich am Ariosto in dessen erster Satire. Jedenfalls aber möchte ich Dem, der ein armes Mädchen heirathet, rathen, sie nicht das Kapital, sondern eine bloße Rente erben zu lassen, besonders aber dafür zu sorgen, daß das Vermögen der Kinder nicht in ihre Hände geräth.

Ich glaube keineswegs etwas meiner Feder Unwürdiges zu thun, indem ich hier die Sorge für Erhaltung des erworbenen und des ererbten Vermögens anempfehle. Denn von Hause aus so viel zu besitzen, daß man, wäre es auch nur für seine Person und ohne Familie, in wahrer Unabhängigkeit, d. h. ohne zu arbeiten, bequem leben kann, ist ein unschätzbarer Vorzug: denn es ist die Exemtion und die Immunität von der dem menschlichen Leben anhängenden Bedürftigkeit und Plage, also die Emancipation vom allgemeinen Frohndienst, diesem naturgemäßen Loose des Erdensohns. Nur unter dieser Begünstigung des Schicksals ist man als ein wahrer Freier geboren: denn nur so ist man Herr seiner Zeit und seiner Kräfte und darf jeden Morgen sagen: »der Tag ist mein.« Auch ist ebendeshalb zwischen Dem, der tausend, und Dem, der hundert Tausend Thaler Renten hat, der Unterschied unendlich kleiner, als zwischen Ersterem und Dem, der nichts hat. Seinen höchsten Werth aber erlangt das angebotene Vermögen, wenn es Dem zugefallen ist, der mit geistigen Kräften höherer Art ausgestattet, Bestrebungen verfolgt, die sich mit dem Erwerbe nicht wohl vertragen: denn er kann jetzt seinem Genius leben und wird der Menschheit seine Schuld dadurch hundert fach abtragen, daß er leistet, was kein Anderer konnte, und etwas hervorbringt, das ihrer Gesammtheit zu Gute kommt, wohl auch gar ihr zur Ehre gereicht. Ein Anderer nun wieder wird, in so bevorzugter Lage, sich durch philantropische Bestrebungen um die Menschheit verdient machen. Wer hingegen nichts von dem Allen, auch nur einigermaaßen, oder versuchsweise, leistet, ja, nicht ein Mal, durch gründliche Erlernung irgend einer Wissenschaft, sich wenigstens die Möglichkeit eröffnet, dieselbe zu fördern, – ein Solcher ist, bei angeerbtem Vermögen, ein bloßer Tagedieb und verächtlich. Auch wird er nicht glücklich seyn: denn die Exemtion von der Noth liefert ihn dem andern Pol des menschlichen Elends, der Langenweile, in die Hände, die ihn so martert, daß er viel glücklicher wäre, wenn die Noth ihm Beschäftigung gegeben hätte. Eben diese Langeweile aber wird ihn leicht zu Extravaganzen verleiten, welche ihn um jenen Vorzug bringen, dessen er nicht würdig war. Ganz anders nun aber verhält es sich, wenn der Zweck ist, es im Staatsdienste hoch zu bringen, wo demnach Gunst, Freunde, Verbindungen erworben werden müssen, um durch sie, von Stufe zu Stufe, Beförderung, vielleicht gar bis zu den höchsten Posten, zu erlangen: hier nämlich ist es im Grunde wohl besser, ohne alles Vermögen in die Welt gestoßen zu seyn. Besonders wird es Dem, welcher nicht adelig, hingegen mit einigem Talent ausgestattet ist, zum wahren Vortheil und zur Empfehlung gereichen, wenn er ein ganz armer Teufel ist. Denn was jeder, schon in der bloßen Unterhaltung, wie viel mehr im Dienste, am meisten sucht und liebt, ist die Inferiorität des Andern. Nun aber ist allen ein armer Teufel von seiner gänzlichen, tiefen, entschiedenen und allseitigen Inferiorität und seiner völligen Unbedeutsamkeit und Werthlosigkeit in dem Grade überzeugt und durchdrungen, wie es hier erfordert wird. Nur er demnach verbeugt sich oft und anhaltend genug, und nur seine Bücklinge erreichen volle 90°: nur er läßt Alles über sich ergehn und lächelt dazu; nur er erkennt die gänzliche Werthlosigkeit der Verdienste; nur er preist öffentlich, mit lauter Stimme, oder auch in großem Druck, die litterarischen Stümpereien der über ihn Gestellten, oder sonst Einflußreichen, als Meisterwerke; nur er versteht zu betteln: folglich kann nur er, bei Zeiten, also in der Jugend, sogar ein Epopte jener verborgenen Wahrheit werden, die Göthe uns enthüllt hat in den Worten:

»Ueber's Niederträchtige

Niemand sich beklage:

Denn es ist das Mächtige,

Was man dir auch sage.«

W. O. DIVAN.

Hingegen Der, welcher von Hause aus zu leben hat, wird sich meistens ungebärdig stellen: er ist gewohnt tete levee zu gehn, hat alle jene Künste nicht gelernt, trotzt dazu vielleicht noch auf etwanige Talente, deren Unzulänglichkeit vielmehr, dem médiocre et rampant gegenüber, er begreifen sollte; er ist am Ende wohl gar im Stande, die Inferiorität der über ihn Gestellten zu merken, und wenn es nun vollends zu den Indignitäten kommt, da wird er stätisch oder kopfscheu. Damit poussirt man sich nicht in der Welt: vielmehr kann es mit ihm zuletzt dahin kommen, daß er mit dem frechen Voltaire sagt: nous n’avons que deux jours à vivre: ce n’est pas la peine de les passer à ramper sous des coquins méprisables: – leider ist, beiläufig gesagt, dieses coquin meprisable ein Prädikat, zu dem es in der Welt verteufelt viele Subjekte giebt. Man sieht also, daß das Juvenalische

Haud facile emergunt, quorum virtutibus obstat Res angusta domi,

mehr von der Laufbahn der Virtuositäten, als von der der Weltleute, gültig ist. –

Zu Dem, WAS EINER HAT, habe ich Frau und Kinder nicht gerechnet; da er von diesen vielmehr gehabt wird. Eher ließen sich Freunde dazu zählen: doch muß auch hier der Besitzende im gleichen Maaße der Besitz des Andern seyn.

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