Читать книгу Dr. Mollinar und seine Schülerin - Artur Brausewetter - Страница 5
2.
ОглавлениеAm nächsten Tage trat Doktor Mollinar in das Zimmer seines Direktors. Eine gedrungene, vierschrötige Gestalt mit herabhängenden Schultern. Auf dem kurzen Halse ein eckiger Kopf mit platter Nase. Die Lippen bartlos, die Mundwinkel tief gestellt und scharf ausgeprägt, wie man sie bei Predigern oder Schauspielern findet, das Kinn hervorstehend und mit einem dünnen Flaum schwarzer Haare bedeckt.
Aber dann die ganze Erscheinung beherrschend: zwei dunkelgraue Augen unter mächtigen Brillengläsern. Sie gaben den unregelmässigen Zügen die eigentümliche Strenge und die anziehende Männlichkeit.
„Sie haben meinen Brief erhalten, Herr Kollege —“
„Ich komme deswegen.“
„Und Ihre Entscheidung?“
Doktor Mollinar zuckte die Achseln.
„Lächerlich,“ sagte er.
„Was ist lächerlich?“
„Die ganze Geschichte — eine Kunstreiterin und höhere Bildung? Sie sollte zufrieden sein, wenn sie ihre Sprünge machen kann. Ich habe Wichtigeres zu tun.“
„Verzeihung, Herr Direktor, aber die Tür war offen.“
Eine Dame sagte es, deren Eintritt die beiden in ihrem eifrigen Gespräche nicht bemerkt hatten.
Es war auch kein Wunder, denn die Fremde hatte einen schwebenden Gang. Sie schien die letzten Worte des Gesprächs, die Doktor Mollinar gegen seine Gewohnheit mit lauter Stimme gesprochen, wohl gehört zu haben; ihr Antlitz deckte ein dichter Schleier bis an die feingeschwungenen Lippen, aber in dem leisen Tone, mit dem sie sprach, lag etwas Scheues, Eingeschüchtertes.
„Mein Mann hat mir gesagt, ich sollte mir heute bei Ihnen Bescheid holen — wegen meiner Tochter.“
„Ah, Frau Korelli, ich bitte sehr,“ und Direktor Wöhrmann wies auf das Sofa, auf das er nicht alle Mütter Platz nehmen liess, „nein, Kollege Mollinar, Sie stören nicht, ich bitte Sie, zu bleiben; die Angelegenheit geht Sie ja auch an — ja, Ihr Gatte war gestern bei mir und ich habe ihm versprochen, dass ich mich der Sache annehmen will —“
„Ich bin Ihnen dankbar. Das arme Kind hat sonst ja auch niemand —“
„Es hat seine Eltern.“
„Ja, Herr Direktor — aber wenn Vater und Mutter jeden Vormittag zur Probe gehen und Abend für Abend selber arbeiten müssen —“
„Doch Ihr Gatte sagte mir —“
„Ach, er ist so stolz auf seine Tochter. Aber eine Mutter sieht so etwas doch anders an.“
„So macht Ihnen Ihre Kunst keine Freude?“
„Freude, Herr Direktor — Freude?“ Sie sah ihn mit Erstaunen an, „unsere Arbeit ist sehr nüchtern, sie ist uns Broterwerb wie dem Handwerker sein Tagewerk, und wenn man wie ich seit zwanzig Jahren jeden Abend arbeiten und immer und immer dasselbe Lächeln zeigen — und dann — sich mit einer erwachsenen Tochter in einer Garderobe umkleiden und schmücken und bemalen und so vieles hören und sehen muss, wovor jede Mutter ihr Kind gern bewahrt, sei es auch nur eine Kunstreiterin — eine Freude, Herr Direktor, ist das nicht.“
„Und dazu hat Ihr Beruf viele Gefahren.“
„Gegen die stumpft man ab. Wer sein Kind diese halsbrecherischen Künste hat lernen sehen von Anfang bis zu Ende, unter Peitschenhieben oft, der wird hart gegen die Furcht. Zwar für die Elli zittere ich manches Mal, sie reitet ein so scheues Pferd. — Aber für mich? — Was sollte ich auch fürchten?“
Eine leise Schwermut sprach aus ihren Worten; die schmale, nervöse Hand nestelte an dem einfachen Kleide herum.
„Und Ihre Tochter ist ganz furchtlos?“
„Sie lacht über jede Furcht. Freilich, sie ist unter den Reitern geboren und gross geworden. Das ist etwas anderes als bei mir; das geht ins Blut und bleibt im Blute.“
Eine kurze Pause entstand in dem Gespräch.
„Als ich dies Kind gebar,“ fuhr dann Frau Korelli fort, „musste mein Mann mir versprechen, dass es erzogen werden sollte wie ein anderes Menschenkind. Zwar macht die Elli es mir nicht leicht mit ihrer Erziehung. Sie will nichts gelten lassen als den Zirkus und ihre Arbeit. Und dann, Sie wissen nicht, wie man das Kind umschmeichelt und verwöhnt! Wenn man ihr jetzt noch einigen Unterricht gäbe, wenn man einen Lehrer für sie gewänne, der —“
„Ich verspreche Ihnen, dass ich tun werde, was in meinen Kräften steht.“
Die Kunstreiterin war gegangen, die beiden Männer waren allein.
„Was sagen Sie nun, Herr Kollege?“
„Dass die Kunstreiterinnen auch Komödiantinnen sind. ‚Die Kultur, die alle Welt beleckt, hat auf den Zirkus sich erstreckt,’ möchte man Goethe verändern. Und ob die gute Dame recht hat, dass solche angelernte Bildung den Menschen besser macht, möchte ich für mein Teil in Zweifel zu ziehen mir erlauben.“
„Wieder Ihre alten Ketzereien!“ rief der Direktor. Aber ich sage Ihnen etwas anderes, Herr Kollege Mollinar, nämlich dies: Wenn Sie den Unterricht für dieses Mädchen auch jetzt noch ablehnen, nachdem Sie gesehen haben, wie ernst es der Mutter um ihn ist, dann übernehme ich ihn selber, trotz der geringen Zeit, die ich gerade jetzt übrig habe.“
Doktor Mollinar zuckte die Achseln. Die Strenge auf dem bleichen Antlitz nahm in diesem Augenblick einen fast finsteren Ausdruck an, aber die linke Hand, die auffallend klein war für den starken Körper, kraulte einige Male mit merklicher Unruhe in dem dünnen Bartflaum des Kinnes.
„Wenn die Komödie denn einmal gespielt sein soll,“ sagte er zögernd, „so will ich sie in Szene setzen. Ihre Zeit ist mir zu schade dazu. Aber um eins muss ich Sie vorher bitten.“
„Und das wäre?“
„Dass Sie gütigst mit niemand über diese Sache sprechen — ich mache mich nicht gern lächerlich.“