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Friedrich hatte seine Studienzeit mit einem Eifer erledigt, der ihm auf der Schule fremd gewesen. Jetzt war er nach bestandenem Examen als Referendar in seiner Vaterstadt angestellt. Sein Schulfreund, der treue Helfer in allen seinen mathematischen Aengsten, war Offizier geworden und kam aus der benachbarten Garnison des öfteren zum Besuch zu den Zollbrügges, weniger Friedrichs, als seiner Schwester willen, der hold erblühenden Pauline, deren Kirschenmund noch rosiger und appetitlicher geworden, während das hübsche Antlitz mit den verführerischen Grübchen in den Wangen gegen die Backfischzeit wesentlich gewonnen hatte, sei es durch den weicheren Teint und die grössere Regelmässigkeit der Züge, sei es durch den jungfräulichen Schimmer, der sich still und keusch wie Frühlingsmorgensonnenschein über sie legte.

Eines Tages herrschte grosse Lebhaftigkeit im Hause. Frau Zollbrügge hatte das bewegteste ihrer Muttergesichter aufgesetzt und wandelte im schwarzseidenen Kleide mit feierlichem Festesrauschen von Zimmer zu Zimmer, bald allerlei wirtschaftliche Anordnungen treffend, bald Paulinen freundlich und doch sehr ernst zunickend. Diese trug ihr Einsegnungskleid und im Gürtel einen Strauss dunkelroter Nelken, und wohin sie den Fuss auch setzte, immer sah man mit ihr jenes eigenartige Glück dahinschreiten, das nur an der Seite aufblühender Mädchen geht.

Herr Zollbrügge aber, der im dunkelbraunen Ueberrock mit gelbseidener Weste eben aus dem Schlafzimmer trat, hatte heute das Gesicht eines Menschen, der an sich keinen besonderen Grund zu einer Freude verspürt (er hatte sehr viele Schulden bezahlen müssen), aus Rücksichten auf das Glück seiner Familie jedoch sich zu einer solchen verpflichtet fühlte.

Nur an Rose war keine Veränderung zu spüren, ihr Antlitz war so gleichgültig, als wäre dies ein Tag wie jeder andere und nicht Paulinens Verlobungstag.

Aber wer sie genauer beobachtete, der sah dann und wann in den ernsten grauen Augen einen Strahl aufsteigen, der wie ein Lichtdürsten aussah.

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Nun sollte auch Rose verlobt werden. Das war freilich schwieriger als bei Paulinen. Rose ging ungern aus und besuchte Gesellschaften und Bälle nur, wenn die Eltern es wünschten. Sie hatte es zu oft empfunden, wie sehr sie gegen Pauline abstach, wie man nur aus Höflichkeit ober weil man sich ihrem Vater gefällig zeigen wollte, mit ihr tanzte. Und nahte sich dann und wann ein Herr, den ihr kluges Gesicht anzog, so hatte sie etwas so Kaltes und Sprödes, dass der Versuch nicht wiederholt wurde.

Da machte ein Geschäftsfreund des Vaters im Hause seine Aufwartung, ein Herr Dorenblut. Es war kein junger Mann mehr, sein Haupthaar zeigte bereits Lichtungen und war an den Schläfen ergraut; aber sein ganzes Wesen, jedes Wort, das er sprach, trug das Gepräge einer unverderbten Kindlichkeit, die sofort für ihn einnahm. Zudem war er viel in der Welt herumgekommen und hatte sich die Beobachtungen und Erfahrungen, die er gesammelt, zu Nutzen gemacht, so dass er anziehend zu erzählen wusste.

Er war der erste Mann, der auf Rose einen gewissen Eindruck hervorzurufen schien. Sie hörte ihm gerne zu, sie fragte ihn viel und verliess das Zimmer selten, wenn er als Gast der Eltern bei ihnen weilte.

Frau Zollbrügge atmete auf und begünstigte diesen Verkehr auf jede erdenkliche Weise.

Als Herr Dorenblut aber, durch sie ermutigt, eines Tages um Roses Hand anhielt, gab sie ihm ein erschrecktes, doch entschiedenes Nein zur Antwort. Der empörten Mutter sagte sie, dass ihr dergleichen bei dem älteren Manne niemals in den Sinn gekommen, dass sie ihn gern habe erzählen hören, wohl auch mancherlei von ihm gelernt habe, dass aber zum Heiraten für sie ganz etwas anderes gehöre.

Nun hatte sie es mit allen verdorben! Der gern gesehene Hausfreund zog sich gekränkt zurück, Pauline und ihr Bräutigam nannten sie eine Närrin, die ihr Glück mutwillig von sich wies, selbst der gutmütige Vater, der durch das Fernbleiben des Herrn Dorenblut eine Reihe wertvoller Geschäftsverbindungen verlor, liess an ihr seinen Unmut aus.

Sie galt als überflüssig und fühlte selber, dass sie es war. Als sie an ihre Eltern mit dem Wunsche herantrat, das Seminar zu besuchen und das Lehrerinnenexamen zu machen, stiess sie auf erbitterten Widerstand. Das wäre ein unnützes Ding für die Tochter eines so angesehenen und vermögenden Kaufmanns! Sie sollte sich im Hause nützlich machen, die Mutter, die in der Tat anfing, zu kränkeln, bedürfte dringend der Unterstützung. Nur dass Frau Zollbrügge trotz ihrer Schwächlichkeit Rose von häuslicher Einmischung bis auf sehr geringe Obliegenheiten fernhielt.

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Pauline war längst verheiratet und in die Garnison ihres Gatten übergesiedelt. Friedrich, der sich kurz nach bestandenem Assessorexamen mit einem Rechtsanwalt der Hauptstadt zusammengetan hatte, kam sehr selten zu Besuch in seine Vaterstadt, Rose war allein mit den Eltern geblieben. Sie führte ein weltabgeschiedenes Dasein, fremd nach aussen hin, fremd im eigenen Hause. Als lebte sie auf einem einsamen Eiland und sähe wie in verschwommener Ferne das Tun und Treiben der Menschen.

Und doch — trotz ihres abgeschlossenen Daseins entging ihr eins nicht: Sie merkte, wie der sonst harmlose und lebensfrohe Vater immer sorgenvoller und die Mutter bekümmert und traurig wurde, und sie fühlte zugleich, dass diese Gemütsverstimmung ihren Grund nicht allein in dem zunehmenden körperlichen Leiden haben konnte.

Freilich . . . so recht eigentlich berührte sie auch dies nicht einmal. Man teilte ihr keine Sorge mit, man besprach nichts mit ihr, sie ging durch das Haus der Eltern wie ein Schatten, dem eine eigene Existenz nicht zukam. So verlor sie auch ihrerseits zuerst die Neigung, dann die Fähigkeit, auf die Freuden und Leiden anderer einzugehen . . . immer mehr erstarrte sie zur Eisrose.

Die Eisrose und eine andere Geschichte

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