Читать книгу Villa im Tiergarten - Artur Hermann Landsberger - Страница 7
Viertes kapitel
ОглавлениеInge, Baronin von Linggen, griff durch. Sie wies jedem seine Zimmer an und zwar ein Wohn- und Schlafzimmer, während der Eßsaal und ein Salon zu gemeinsamer Benutzung dienten. Sie selbst begnügte sich mit einem Zimmer, nahm allerdings das zweite, daran anstoßende Bad für sich in Anspruch, ließ aber für die Dienerschaft, die im oberen Stock untergebracht war, ein besonderes Bad einrichten. Burg wurde Rolf entzogen und avancierte zum Hausmeister, dem das gesamte Personal, auch die Chauffeure, unterstanden, während Fräulein Fleck mit ihren beiden Küchenmädchen selbständig war und zur unmittelbaren Vorgesetzten die Baronin hatte. Frida erhielt den Titel „Kammerzofe“, wurde äußerst adrett eingekleidet und hatte nur in den Wohnzimmern Staub zu wischen. Außer ihrer Kleidung erhielt sie ein Frisierabonnement, durfte sich alle vierzehn Tage manikuren lassen und zweimal wöchentlich im Baderaum der Baronin baden.
„Sie und Burg“, sagte Frau Inge zu Frida, „sind sozusagen das Aushängeschild für die Verfassung, in der sich unser Haus befindet. Das wandelnde Gewissen der Reinlichkeit, vor dem jeder Gedanke, es in irgendeiner Form zu beschmutzen, zuschanden wird.“
„Baronin meinen ...“, erwiderte Frida und hatte wohl die Absicht, Nachtgeheimnisse auszuplaudern. Frau Inge fiel ihr ins Wort:
„Ich meine nichts und alles. Jedenfalls wird kein Mann von Takt einem wie Burg aussehenden Kammerdiener zumuten, einer Dame, die nicht ins Haus gehört, den Morgenkaffee zu servieren, so wenig wie man Ihnen mit diesem Aussehen zumuten wird, die dazugehörigen Kleidungsstücke auszubürsten.“
Am Tage, an dem Frau Inge ihren Einzug hielt, glichen die gemeinsamen Räume und ihr Zimmer einem blühenden Garten. Unabhängig voneinander hatte jeder seiner Freude über die neue Hausgenossin Ausdruck gegeben. Und wie nachhaltig diese Freude war, ergab sich aus zwei Umständen. Einmal genügte es, daß Frau Inge durch Burg bekanntgegeben hatte, daß sie um ein Uhr frühstücken und um sieben Uhr dinieren werde, um sämtliche Mitbewohner, die bis dahin zu ganz verschiedenen und zwar zu den verrücktesten Zeiten, meist auswärts, ihre Mahlzeiten eingenommen hatten, nun regelmäßig um eins und um sieben im Eßsaal erscheinen und besonders des Abends so lange bleiben zu lassen, bis Frau Inge sich zurückzog. Versuchen gegenüber, sie nach dem Essen zu bestimmen, mit in ein Theater zu gehen, die hauptsächlich Etville, Rolf und ich unternahmen, blieb sie ablehnend. Es gab eine gräflich Steinbottsche Familie, eine Frau von Linggen-Emmerau und einen etwa sechzigjährigen Baron Lotze, der ihr Onkel war — mit diesen besuchte sie hauptsächlich Konzerte, sah sie bei sich des Nachmittags zum Tee und ging auch zu ihnen ins Haus. Das einzige Entgegenkommen, das sie zeigte, war die Bereitwilligkeit, des Morgens von sieben bis acht mit Rolf und Etville im Tiergarten spazierenzureiten. Etville, der nichts unversucht ließ, um in gesellschaftlichen Verkehr mit ihr zu kommen, fand durch gemeinsame Bekannte Eingang bei Steinbotts, machte zunächst der Frau Gräfin den Hof und erfuhr, daß ihre Kusine, Baronin Inge von Linggen, wegen ihrer Extravaganzen in der ganzen Familie bekannt sei. Dank ihrem Geist, ihrem Charme und vor allem dank der Tatsache, daß sie selbst in den verrücktesten Situationen, in die sie durch ihre Absonderlichkeiten schon geraten war, stets Dame geblieben sei, sei ihre gesellschaftliche Position unerschüttert.
„Auch Frau Inges neueste Verrücktheit,“ sagte die Gräfin, „die Leitung Ihres Junggesellenheims zu übernehmen, hat zwar Kopfschütteln erregt, aber niemand auf den Gedanken gebracht, die Beziehungen zu ihr abzubrechen.“
„Und was, glauben Sie, bezweckt die Baronin damit? Doch nicht eine Ehe?“
„I Gott bewahre! Sie hätte innerhalb ihrer Kreise haben können, wen sie wollte.“
„Bei uns auch!“ sagte Etville.
„Ich glaub’s! Aber was ich für möglich halte, ist, daß sie sich in den Kopf gesetzt hat, aus den fünf Junggesellen in kürzester Zeit fünf Ehemänner zu machen.“
„Ausgeschlossen!“ widersprach Etville. „Solange die Baronin im Hause ist, heiratet keiner von uns.“
„Sie werden es alle tun, wenn sie es will — ihr zuliebe!“
Etville, der immer leicht erotisch gestimmt war, kam sofort auf eine falsche Fährte. Er machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte:
„Um den Preis — freilich! — Da heiratet man sogar!“ Die Gräfin verstand ihn nicht und sagte:
„Na, also!“
Aber für Etville lag darin nur eine Bestätigung für das, was er dachte, daß nämlich Frau Inge, wenn davon das Gelingen ihres Planes abhing, zu jedem Opfer bereit sei. Also auch zu dem, in dem für ihn die Erfüllung seiner Wünsche lag. Durch diese Feststellung, die ihn nicht gerade heiter stimmte — denn der Gedanke an eine Ehe mit einer Frau, die nicht Frau Inge war, ging ihm schwer ein — glaubte Etville seinen Mitbewerbern, die sichtbar noch völlig im Dunkeln tappten, voraus zu sein.
Nur etwas vergaß er. Und den gleichen Fehler begingen die andern. Keiner dachte an die Folgen, die unausbleiblich mit ihrem Stimmungs- und Gefühlswechsel verknüpft waren und den vor allem die verschiedenen Häslein zu fühlen bekamen. Da innerhalb ihres Milieus jede von ihnen eine besondere Klasse war, so dachten sie, schon aus Prestigegründen, gar nicht daran, vor irgendeinem Eindringling, den sie nicht einmal kannten, zu kapitulieren. Jede von ihnen verfügte über eine Zahl von Prätendenten, die nur auf den Augenblick warteten, in dem sie die Nachfolge antreten konnten. Die Gefahr, auf dem trocknen zu sitzen, bestand also nicht. Aber sie waren sich und vor allem ihrem Nachfolger einen ehrenvollen Rücktritt schuldig. Darin erschöpfte sich ihre Politik. Für alles andere sorgten ihre äußeren Reize. Waren die in den Kreisen, die den Ton angaben, anerkannt, so durfte die Zeit ruhig ihren Tribut fordern. Einmal als Klasse abgestempelt, behaupteten sie sich vierzigjährig noch mit Erfolg gegenüber den hübschesten Frauen von zwanzig Jahren, die wohl auch in diesen Kreisen verkehrten, aber, falsch lanciert, nicht als „zugehörig“ betrachtet wurden. Und wie jede Gesellschaftskaste ihren eigenen Ehrbegriff hat, so auch diese.
Po Gri, der berühmte Filmstar, pfiff darauf, — durfte pfeifen. Po Gri war ein Begriff für sich, der sich nicht einreihen ließ. Rief sie über den Spieltisch dem Croupier zu: „Idiot!“ so lachte alles, und der Croupier war blamiert. Tat es das sehr viel jüngere und hübschere Häslein, so war man empört, und der Croupier verbat sich energisch jede Beschimpfung von seiten dieser „Dame“.
Mehr gefährdet, mußte Häslein trotz Auto, Villa, Perlenkette und Zofe auf der Hut sein. Und da sie, vielleicht war’s auch ihre mit mehr Instinkt begabte Zofe, wahrnahm, daß Rolf nicht mehr so pünktlich kam wie ehedem, hin und wieder sogar ohne das geringste „cadeau“, wie sie sich infolge eines achttägigen Aufenthalts in Paris ausdrückte, beim Souper ohne Appetit und den Komplimenten gegenüber, mit denen Dritte sie auszeichneten, ohne Eifersucht war, so rüstete sie zur Abwehr.
„Was meinst du, was ihm fehlt?“ fragte sie ihre Zofe, und die erwiderte:
„Entweder steckt eine Frau dahinter — oder er leidet infolge zu vielen Sektgenusses an einer chronischen Magenverstimmung.“
„Meinst du, man wartet ab?“
„Im Gegenteil: man beugt vor.“
„Wie?“
„Die Magenverstimmung wäre natürlich das kleinere Uebel. Unter Umständen sogar ein Glück. Ein kranker Magen gibt schlechte Laune und lähmt die Energie.“
„Du meinst, daß er mir dann jeden Wunsch erfüllt?“
„Vor allem einen!“
„Welchen?“
„Ich habe in meiner zwanzigjährigen Zofenlaufbahn drei Fälle erlebt, in denen Männer in hohen sozialen Stellungen nur infolge eines chronischen Magenleidens ihre Freundin geheiratet haben. Ich kenne die Stimmungen bei solchen Krankheiten genau. Wenn man vor allem die Krisen geschickt nutzt, erreicht man von diesen Kranken alles.“
„Himmlisch!“ rief Häslein. „Ich werde beten, daß es das ist!“
„Ich fürchte, es wird das andere sein.“
„Woraus schließt du das?“
„Aus seiner Zerstreutheit.“
„Und du meinst, daß ...“
„Allerdings! Der Ansicht bin ich!“
„Was tue ich da?“ fragte sie erregt.
„Vor allem nichts Unüberlegtes. Das ist schon viel.“
„Das ertrag’ ich nicht!“
„Zunächst einmal müssen wir wissen, wer es ist.“
„Diese Baronin natürlich!“
„Schon ist es eine! Wer weiß, in welchem Grünkramkeller die groß geworden ist! Heute kauft sich jede bessere Kokotte einen Baron.“
„Vielleicht! — vielleicht auch nicht! Man sieht sie nicht! Niemand von seinen Freunden kennt sie.“
„Er ist eifersüchtig! Er schließt sie ab! — Er liebt sie! — Entweder, er gibt sie auf oder ...“
„Oder?“ fragte die Zofe, und Häslein erwiderte:
„Oder ich höre auf, ihn zu lieben.“
„Das letzte dürfte einfacher sein.“
„Ich will aber nicht!“
„Zunächst einmal müßte man wissen, wie sie aussieht.“
„Wie wird sie schon aussehen! Du weißt ja, was für Frauen er liebt. Sieh dir Po Gri an! Ordinär, häßlich, geschminkt.“
„Er liebt ja wohl auch andere,“ erwiderte die Zofe und wies auf den Spiegel, vor dem Häslein stand.
„Liebt er mich denn? — Vielleicht, wenn ich mich entstelle! — Aber ich werde ihm nicht meine Schönheit opfern. Es gibt ja Gott sei Dank noch andere, die mich schätzen. Ich bin nicht auf ihn angewiesen.“
„Bestimmt nicht! Aber sorgen Sie, daß die Trennung von Ihnen ausgeht — nicht von ihm. Es wird den Kreis Ihrer Bewerber verdoppeln, wenn es heißt, daß Sie dem eleganten, reichen Rolf den Laufpaß gegeben haben.“
„Gemacht! — Heute noch! Aber sehen muß ich sie doch.“
„So suchen Sie sie auf!“
„Was ziehe ich an? — Rasch, telephonieren Sie an die Schneiderin. Sie muß mir sofort das neue Kleid schicken. Und an die Gerstel! das Pariser Modell! — Oh! ich werde ihm schon zeigen, wie ich aussehen kann!“
Sie begann in fieberhafter Eile, sich anzuziehen. Als die Zofe vom Telephonieren kam, sagte Häslein mit vorwurfsvoller Miene:
„Weshalb hast du mir den Trick mit dem Magenleiden nicht früher erzählt?“
„Warum sollte ich denn?“ fragte die.
„Weil er längst das schönste Magenleiden haben könnte. Statt dessen habe ich fünf Monate lang noch darauf geachtet, daß er nicht so viel Mayonnaisen und Schlagsahne ißt und den Sekt nicht so kalt hinuntergießt! Das hat man von seiner Güte! Wie könnte sein Magen heute aussehen! Und statt meine Rivalin aufzusuchen, könnte ich vielleicht heute schon seine Frau sein!“
Die Zofe hatte Mühe, sie zu beruhigen, und Häslein, das bittere Tränen weinte, dabei wenn möglich aber noch reizvoller aussah, beruhigte sich erst, als die Zofe ihr versprach, den Nachfolger gleich von Anfang an, statt mit Zärtlichkeit, „auf Magen“ zu behandeln.
Eine andere Tonart schlug Lola, einer der strahlendsten Sterne am Berliner Nachthimmel, an. Als ihre Wirtin auf Veränderungen im Wesen Baron Etvilles aufmerksam machte, erwiderte sie:
„Quatsch! Lass’n man! Er nimmt’s mit der Treue nicht so genau. Ich muß sagen, ich auch nicht. — Mag er sich amüsieren! Was wird das schon sein, was er da wieder am Halse hat? Ich weiß, was ich kann und wert bin. Bisher ist er noch von jeder verliebter als zuvor zu mir zurückgekehrt!“
„Das ist anders diesmal,“ erwiderte die Wirtin. „Er hat das Bummeln eingestellt. Das ist mehr als bedenklich. Ein Mensch, der wie er an ein regelmäßiges Leben gewöhnt ist und plötzlich anfängt, um zehn Uhr schlafen zu gehen und um acht Uhr aufzustehen, der ist entweder schwer krank oder bis über beide Ohren verliebt.“
„Ich muß sagen, du hast recht! Sie macht ihn krank. Wer weiß, mit was für Mitteln! Mit Koks und Morphium wird sie meinen Liebling ruinieren, und wenn er zu mir zurückkehrt, wird er ein verbrauchter Mann sein!“
„Darum müssen Sie versuchen, ihn zu retten.“
Lola sprang aus dem Bett. Etwa um die gleiche Zeit, zu der Häslein in ihr neues Kleid stieg.
„Ich gehe hin,“ rief Lola, „und verschaffe mir Gewißheit.“ —
Hildegard von Strichlitz hatte ihrem Vater die Bescheinigung von Töns abgegeben und erklärt:
„Dumm ist es ja.“
„Wieso?“ fragte der.
„Weil Töns’ Vater einer der reichsten Männer von Europa ist.“
„Was hat das damit zu tun?“ fragte der Alte und wies auf den Schein, den er noch immer in der Hand hielt.
„Nun,“ sagte Hilde zögernd, „vielleicht — ich bin ja nicht dumm — hätte er mich geheiratet.“
Der Vater sah sie verdutzt an.
„Nun ja,“ fuhr sie fort. „Zumal er so viel für den Adel übrig hat.“
„Und dieses Zettels wegen, auf dem er dir bescheinigt, daß du ein braves, unschuldiges Mädchen bist, meinst du, wird er, wenn er überhaupt die Absicht hatte ... — das verstehe ich nicht.“
„Du bist eben rückständig, Papa.“
„So erklär’ es mir!“
„Es war nicht so einfach, die Bescheinigung zu bekommen. Er stellte allerlei verfängliche Fragen.“
„Er ist eben gewissenhaft. Und da er dir deine Unschuld bescheinigt hat“ — er stutzte — „im übrigen, das hatte ich ja gar nicht verlangt.“
„Er legte Wert darauf.“
„Also hat er Interesse an dir.“
„Das schon! sogar sehr starkes!“
„So freu dich doch!“
„Er hat es immer gehabt — vorher — aber jetzt, nach dem Zettel, läßt er nichts mehr von sich hören.“
„Das ist allerdings sonderbar.“
„Und die andern auch nicht!“
„Welche andern?“
„Gott, er wohnt doch nicht allein.“
„Wohnt gar eine Frau bei ihm?“
„Das ist’s!“ rief Hilde, als wenn er das erlösende Wort gesprochen hätte. „Bestimmt steckt eine Frau dahinter! Aber ich lasse mich nicht an die Wand drücken! Ich überzeuge mich!“
„Was willst du tun?“
„Hingehen!“
„Schickt sich das auch?“
„Ich weiß, was ich meinem Namen schuldig bin.“
„Recht, mein Kind!“ sagte der Alte und fuhr ihr über das Haar. „Sorge für unsern Ruf — viel mehr als ihn hat uns die Zeit ja nicht gelassen!“
Und während Häslein in ihren Zobel schlüpfte und Lola sich die schwarzen Seidenstrümpfe anzog, nahm Hildegard von Strichlitz ihr Kostüm aus dem Schrank und zog sich an, um in die Tiergartenvilla zu gehen.
Als erste hielt Häslein in ihrem Protoswagen vor der Tiergartenvilla. Sie hatte auf der Fahrt weniger über die Mittel, mit denen sie Rolf zurückeroberte, als über die Form nachgedacht, in der seine Absetzung und die Thronerhebung seines Nachfolgers, für die drei in engere Wahl kamen, erfolgen sollte. — Häslein brauchte mit ihren schönen Händen nur in den Hexenkessel der großen Welt hineinzugreifen und durfte sicher sein, daß jeder, den sie herausgriff, mit Freuden „ja“ sagte. Die Herren von der amerikanischen Botschaft, die seit Monaten das Häslein jagten, waren Favoriten. Nicht der Valuta wegen — auf die sie pfiff. „Geld macht nur glücklich, um andere damit zu erfreuen,“ war eine Redensart, mit der ein finanziell kurzatmiger Lebemann um sie geworben hatte. Häslein, das für solche Wendungen, in denen sich ihre seelische Tiefe erschöpfte, schwärmte, war dem ehrenvollen Rufe des jungen Legationsrats zwar nicht gefolgt, hatte dankbar aber die Wendung in ihren Wortschatz aufgenommen. — „Vielleicht, wenn die Pelzpreise nicht immer weiter anziehen —“ hatte sie ihm erwidert, und er hatte versprochen, sich nach der deutschen Botschaft in Moskau versetzen zu lassen und in Alaska auf Weißfüchse zu jagen. „Gut!“ hatte sie erwidert, „gehen Sie auf Jagd. Wenn Sie zurückkommen, reden wir weiter.“ — Da er nicht gegangen war, so hielt sie ihn nicht mehr für einen Gentleman und gab ihm das so deutlich zu verstehen, daß er seine Werbung aufgab. — Nein, die Chancen für die Amerikaner lagen im Persönlichen. Diese Art Männer mit den breiten Schultern, fand sie, standen ihr, dem grazilen Persönchen, ausgezeichnet, und sie richtete es daher wenn möglich auch immer so ein, daß ein Amerikaner an ihrer Seite war, wenn sie ein Lokal oder Theater betrat. Und einer befand sich fast immer in Rolfs großer Bummelgesellschaft.
So kam es, daß Häslein etwas zerstreut war, als es jetzt aus dem Auto stieg, die Treppen der Villa hinaufging und dem öffnenden Diener sagte:
„Ich ... möchte ... die ... die Dame, die hier den Haushalt führt, sprechen.“
Der Diener, der sie nicht kannte, betrachtete sie eindringlich und stellte fest, daß es sich nicht um Fräulein Fleck, sondern nur um die Baronin handeln könne. Er nahm ein silbernes Tablett und reichte es ihr.
Sie stutzte einen Augenblick, sagte:
„Ach so!“
nahm aus ihrer Goldtasche die erste beste Karte, die ihr in die Hand fiel und legte sie auf das Tablett. Es war zufällig die Karte eines spanischen Attachés, der ihr am Morgen ein paar Blumen gesandt hatte.
Der Diener ging wie üblich damit zu Burg, gab ihm die Karte und sagte:
„Die Dame wünscht die Baronin zu sprechen.“
„Dame ist gut,“ erwiderte der. „Sie schlafen wohl?“
Und als ihm Burg die Karte unter die Nase hielt, erwiderte er:
„Möglich, daß auch ein Herr dabei gewesen ist.“
Burg ging zur Baronin. Die erwiderte:
„Kenne ich nicht. Im übrigen empfange ich keine Herren.“
Als Burg in den Vorraum kam, in dem das Häslein wartete, war er von ihrem Reiz so stark beeindruckt, daß auch er zunächst den Spanier gar nicht vermißte. Schließlich aber besann er sich und sagte nach einer vollendeten Verbeugung:
„Verzeihung! Hängen Gnädigste mit dieser Karte zusammen?“
Ohne einen Blick darauf zu werfen, sagte sie:
„Aber ja! Ich habe einen wichtigen Grund! Ich muß sie sprechen.“
„Die Baronin?“
„Was für eine Baronin?“ Sie entsann sich und wiederholte lächelnd: „Die Baronin —“ Und bei sich dachte sie: „Wenn ich nur wollte, könnte ich heute Prinzessin sein.“ — Zum ersten Male schien ihr dieser soziale Aufstieg praktisch doch von Bedeutung, und auf der Starterliste wurden die Amerikaner länger und der junge Prinz von Niederleisitz rückte als Favorit an die erste Stelle.
Nach einer Rückfrage bei der Baronin wurde Häslein endlich vorgelassen, ohne zu ahnen, daß in diesem Augenblick vor der Villa ein gewöhnliches Droschkenauto hielt, dem die für den Vormittag viel zu elegant gekleidete Lola entstieg.
Als Häslein der Baronin gegenübertrat, dachte diese:
„Allerliebst!“, während dem Häslein das Herz ein wenig in die Hosen sank, da sie fühlte, daß Frau Inge eine richtiggehende Baronin war.
Da Frau Inge, die wieder die Karte des spanischen Attachés in der Hand hielt, sah, daß Häslein nicht recht einen Anfang fand, so begann sie:
„Kommen Sie im Auftrage dieses Herrn?“
„O nein!“, erwiderte Häslein, die annahm, Rolf sei gemeint. „Er weiß gar nicht, daß ich hier bin. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, Baronin, wenn Sie es ihm nicht erzählten. — Ich laufe keinem Manne nach. Ich komme nur, um mich zu orientieren und danach meine Maßnahmen zu treffen.“
„Ich verstehe. Sie wollen den Herrn, der vermutlich Ihr ...“ — hier stockte sie schon, denn dies Häslein konnte ebenso gut eine femme de luxe wie eine Dame der Gesellschaft sein, obschon sie für letztere reichlich hübsch und reserviert war. Also wagte sie es und sagte: „... Freund ist, hier unterbringen. Das ist nicht möglich. Dies Haus ist keine Pension.“
„Aber Herr Graezer wohnt doch hier,“ erwiderte Häslein, und der Irrtum klärte sich eben auf, als Burg ein Fräulein Lola Monts meldete.
„Die Dame kenne ich auch nicht,“ erwiderte Frau Inge, wobei es Häslein erst zum Bewußtsein kam, daß es vergessen hatte, seinen Namen zu nennen. Sie tat es in so netter Form, daß Frau Inge höflich sagte:
„Es sollte kein Vorwurf für Sie sein,“ und zu Burg gewandt fortfuhr:
„Wie sieht die Dame aus?“
„Etwas anders,“ erwiderte Burg, „ohne daß man mit Bestimmtheit etwas behaupten könnte.“
Häslein, das Lola Monts vom Sehen kannte und genau wußte, wer es war, fand die Charakteristik Burgs vorzüglich, zog es aber vor, zu schweigen. Erst als Frau Inge sich an sie wandte und fragte:
„Haben Sie vielleicht den Namen mal gehört?“, erwiderte sie:
„Ja! In Lebekreisen ist er, glaube ich, bekannt.“
Burg wollte sich zurückziehen.
„Was ist?“ fragte ihn Frau Inge.
„Ich wollte die Dame abweisen.“
„Aber nein! — Wenn es Sie nicht stört,“ wandte sie sich an Häslein, und die erwiderte gar nichts — „so lasse ich bitten.“ Und gleich darauf rauschte Lola ins Zimmer — fesch, forsch und ohne Scheu.
„Ah!“ sagte sie, als sie Häslein erblickte, das persönlich zu kennen, lange ihr Wunsch war, und schien die Absicht zu haben, sie wie eine alte Bekannte zu begrüßen. Aber Häslein senkte den Kopf und schloß die schönen Augen, so daß Lola wütend den Mund verzog und stehen blieb. Alles das sah und verstand Frau Inge, verstieß Häslein zuliebe gegen die gesellschaftliche Form, wahrte sichtlich Distanz und bat Lola, Platz zu nehmen.
Lola wartete denn auch gar nicht erst Frau Inges Aufforderung ab, sondern plauderte munter drauf los.
„Sie müssen nämlich wissen,“ begann sie, „daß ich den Baron, dessentwegen ich komme, schon seit zweieinhalb Jahren kenne, und ich muß offen sagen, nächst dem schwedischen Grafen — ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen, den großen, blonden, schlanken, der sich so in den Hüften wiegt, wenn er geht, beinahe wie ein Mannequin — Ich sage Ihnen, Sie lachen sich tot — aber man gewöhnt sich dran — also jedenfalls, ich muß offen sagen, wenn Sie mich vor die Wahl stellen, ob ich lieber auf den Grafen oder den Baron verzichte — ich glaube fast, ich entscheide mich für den Grafen.“
„Ja, was geht das mich an, für wen Sie sich entscheiden?“ fragte Frau Inge.
„Oho!“ erwiderte Lola. „Das geht Sie sehr viel an! Oder glauben Sie, ich merke nichts? Ich merke alles! Da brauche ich mit einem Mann nur zweimal zusammen gewesen zu sein, dann weiß ich, klappt’s oder klappt’s nicht.“
„Und was, bitte, haben Sie bemerkt?“
„Bei den meisten, ich muß sagen, da pfeif ich drauf, ob sie mich oder eine andere nehmen. So bin ich! Das dürfen Sie mir glauben! Ich gönne jeder ihr Glück. Aber an den schwedischen Grafen und den Baron, da kommt mir keiner! Zwei Männer darf eine Frau wie ich ja wohl beanspruchen.“
„Und Sie fürchten, daß ich Ihnen den Baron ...“
Lola lächelte und machte eine ablehnende Handbewegung.
„Furcht vor Frauen kenne ich nicht! Und dann: es gibt soviel Männer! Hier allein wohnen doch fünf!“
„Das stimmt,“ bestätigte Frau Inge.
„Wenn ich nicht irre, sogar der reiche Rolf!“
„Auch das ist richtig!“
„Da halten Sie sich doch an den!“
Häslein wurde unruhig, beherrschte sich aber.
„Ich muß sagen,“ fuhr Lola fort, „so schön ist der Baron doch nicht.“
„Auf seine Schönheit hin habe ich ihn mir offen gestanden noch nicht angesehen,“ erwiderte Frau Inge.
„Worauf denn?“ fragte Lola erstaunt und sagte mit einem Blick auf ihre Perlenkette: „Ich muß sagen, Sie machen nicht den Eindruck, als ob Sie auf Geld zu sehen brauchen.“
„Heutzutage,“ meinte Frau Inge lächelnd.
Lola erregte sich:
„Sie geben also zu?“
In diesem Augenblick erschien Burg und meldete:
„Fräulein von Strichlitz.“
„Was will denn die?“ entfuhr es Frau Inge, und Burg erwiderte:
„Sie behauptet, Frau Baronin dringend sprechen zu müssen.“
„Ich habe so ein Gefühl,“ sagte Frau Inge mehr zu sich, „als ob auch sie ...“ — Sie überlegte einen Augenblick lang und sagte dann: „Ich lasse bitten.“
„Noch eine?“ fragte Lola, als Hildegard von Strichlitz ins Zimmer trat.
„Ich staune auch,“ erwiderte Frau Inge und stellte die Damen, ohne daß man einen Namen verstand, einander vor. Lola war aufgestanden, während Häslein, der auch Hilde vom Sehen bekannt war, sitzen blieb.
„Was führt Sie her?“ fragte Frau Inge verbindlich.
Hilde sah sich um und gab zu verstehen, daß sie die Baronin gern allein gesprochen hätte.
„Die Damen sind aus demselben Grunde hier,“ erwiderte Frau Inge.
Hilde tat erstaunt und sagte:
„Sie wissen doch gar nicht ...“
„Ich weiß! — Die Dame“ — und sie wies auf Häslein — „ist Herrn Graezers wegen hier, Fräulein Lola des Barons wegen und Sie, wenn ich nicht irre, um Herrn Töns’ wegen bei mir vorstellig zu werden.“
„Es stimmt,“ erwiderte Hilde. „Wenigstens in erster Linie.“
„Wie soll ich das verstehen?“
„Nachdem ich doch das Schriftstück habe,“ sagte Hilde.
„Was ist nach dem?“ fragte Frau Inge.
„Nun,“ sagte sie zögernd, „da besteht kein großer Unterschied mehr.“
„Zwischen wem?“
„Wo ich nun doch auch ihn kenne — ich meine richtig ...“
„Ich weiß, ich weiß,“ wehrte Frau Inge ab. „Aber was folgt daraus?“
„Daß nun kein Unterschied mehr besteht zwischen ihm und den andern.“
„Ach so! — Die Person spielt für Sie demnach keine Rolle.“
„Gewiß! — Der eine ist mir lieber als der andre — aber wenn“ — und sie wandte sich an Lola und Häslein — „etwa ältere Rechte bestehen, so würde ich — schon, weil ich ja die Jüngste bin ...“
„So!“ sagte Lola, „das wäre erst festzustellen.“
Frida, ganz in Schwarz mit weißem Spitzenhäubchen, trat ins Zimmer:
„Frau Baronin, die Manikure.“
Frau Inge warf einen Blick auf ihre Nägel und sagte:
„Nicht nötig!“, und Hilde fuhr, ohne abzuwarten, bis Frida wieder draußen war, fort:
„Ich würde mich dann eben mit Herrn Töns begnügen.
Frida, die aus Neugier absichtlich langsam zur Tür ging, stutzte, zog ein kleines Spitzentuch aus der Tasche und fuhr, als wenn sie Staub wegwische, damit über den Flügel.
Frau Inge sagte lächelnd:
„Sie werden sich schmutzig machen, Frida.“
„Ach nein, Frau Baronin,“ erwiderte sie, „der Flügel ist ganz sauber. Ich habe ihn heute früh gewischt.“
„Dann richten Sie Ihre Bestellung aus,“ befahl Frau Inge, worauf Frida hinausging, um hinter der Tür zu horchen. Als sie draußen war, wandte sich Frau Inge wieder an Hilde von Strichlitz.
„Also, Fräulein von Strichlitz, was denken Sie eigentlich? Glauben Sie wirklich, ich werde Ihren Leichtsinn unterstützen?“
Hilde hatte sofort Tränen im Auge, ergriff Frau Inges Hände und sagte schluchzend:
„Ach Gott, Baronin, wenn Sie wüßten!“
Frau Inge hatte nun doch das Bedürfnis, sie allein zu sprechen, sagte aber:
„Wenn ich was wüßte?“
„Sie meint vermutlich, wie teuer alles ist!“ sprang Lola ihr bei.
„Das auch,“ sagte Hilde unter Tränen, „aber das meinte ich nicht.“
„Sondern?“
„Wie schrecklich alles ist. — Auch zu Hause.“
„Und das, meinen Sie, ist der geeignete Weg, es zu ändern?“
„Der bequemste!“ erwiderte Lola und lachte, während Hilde zur Erde sah und sagte:
„Ich bin doch so jung.“
„Schon wieder!“ sagte Lola. „Wie jung sind Sie denn?“
„Achtzehn!“
„Wer’s glaubt!“
„Und da will man doch sein Leben genießen.“
„Also, meine Damen,“ sagte Frau Inge, stand auf und erhob die Hand zum Schwur. „Ich gelobe Ihnen — Frida!“ rief sie plötzlich, die sie an der Tür vermutete und die denn auch unüberlegterweise hereinstürzte — „Also, meine Damen, ich gelobe Ihnen, weder heute, noch je Ihre Kreise zu stören! Ich entsage feierlich und für alle Zeiten jedem Anspruch auf jedwedes männliche Wesen in diesem Hause.“ Sie trat an Häslein heran und bekräftigte ihren Eid durch einen festen Händedruck. Das Gleiche tat sie mit Lola und Hilde — nur bei Frida zögerte sie einen Augenblick, war aber um so erstaunter, als die von selbst die Hand ausstreckte, so daß ihr gar nichts anderes übrig blieb, als einzuschlagen.
„Aber,“ fügte sie hinzu, „und das gilt für alle“ — dabei sah sie Frida an, „ich mache zur Bedingung, daß Sie Ihre Schäferstunden nicht hierher verlegen. Ich kann meinen Herren nicht verbieten, Sie zu empfangen.“
„Sie haben es aber verboten — dem Baron wenigstens,“ erwiderte Lola, und Häslein meinte:
„Rolf wohl auch.“
„Ist mir nicht eingefallen.“
„Ich muß wohl sagen, das ist eine Gemeinheit!“ erklärte Lola. „Mich wimmelt er seit acht Tagen damit ab, daß er mich Ihretwegen nicht empfangen kann.“
„Rolf mich auch.“
„Eine Rücksicht, die ich nie verlangt habe.“
„Dann liebt er Sie!“
„Rolf am Ende auch.“
„Dafür bin ich nicht verantwortlich.“
„Sie geben es zu?“
„Ich weiß es nicht und habe auch kein Interesse daran, es festzustellen.“
„Es wäre Ihnen gleichgültig?“ fragte Häslein erstaunt, während Hilde von Strichlitz resigniert sagte:
„Ja, wenn man so hübsch ist!“ — und Lola beinahe erbost auf Frau Inge losfuhr und rief:
„Sie lieben einen andern!“
„Meine Damen,“ wehrte Frau Inge in aller Ruhe ab, „ich muß doch bitten, mich nicht zur Diskussion zu stellen! Sie haben mein Wort und nun erbitte ich Ihres: dies Haus rein zu halten.“
Sie versprachen es der Reihe nach — als letzte wieder Frida, die auch zurückblieb, als die anderen sich verabschiedeten.
„Na, Frida,“ sagte Frau Inge, „wird er Sie denn auch heiraten?“
„Heiraten?“ rief sie erstaunt und wurde rot bis über beide Ohren.
„Das gehört sich doch wohl — da Sie ein ordentliches und fleißiges Mädchen sind.“
Frida flog jetzt am ganzen Körper und rief:
„Ja! Ist das denn möglich?“
„Meinem Gefühl nach, ja. Ich nehme doch an, daß er Sie liebt.“
„Er schwört es.“
„Nun also! — Warum sollte er Sie da nicht heiraten?“
„Und Frau Baronin würden ...?“
„Was?“ fragte Frau Inge.
„Mit ihm sprechen?“
„Erst lernt euch einmal gründlich kennen,“ erwiderte Frau Inge. „Früher war die Reihenfolge umgekehrt. Da lernte man sich erst kennen und dann — aber heute!“
„Ich würde mich ja nie trauen, ihn danach zu fragen.“
„Also werde ich euren Ausgang auf denselben Tag verlegen“ — Frida sah sie erstaunt an — „Da wird sich ja dann bald zeigen, ob es auf beiden Seiten eine tiefere Neigung ist.“
„Ich fürchte ...“
„Was fürchten Sie?“
„Er liebt Sie!“
„Burg — mich?“
„Der auch!“
„Wie auch? Wer denn noch?“
„Nun, Herr Töns,“ erwiderte sie und schlug die Augen nieder.
„Herr Töns!“ erwiderte Frau Inge und traute ihren Ohren nicht. „Und der ...“
Frida schüttelte den Kopf und sagte:
„Seit Frau Baronin hier sind, nicht mehr.“
„Gehen Sie jetzt,“ sagte Frau Inge, ließ noch einmal die vier Frauen an ihrem Auge vorüberziehen, lächelte, warf sich auf die Chaiselongue und dachte:
„Wie überall! — Immer dasselbe! Wenn man doch mal etwas Neues erlebte!“