Читать книгу Lu die Kokotte - Artur Landsberger - Страница 8
IX
ОглавлениеKommerzienrat Mohr saß in seinem Privatkontor und las in einem Brief, der schwarz umrändert war. Die letzte Seite las er laut. Er tat das stets bei Dingen, die ihm wichtig waren oder Freude machten.
»Ich kann auch heute nicht schließen, ohne Ihnen für alles Gute, das Sie an uns tun, von Herzen zu danken.
Wo wären wir heute ohne Sie! Ich muß es immer wieder bedauern, daß sich Menschen im Verkehr so wenig kennenlernen. Das kommt wohl daher, daß gerade die Besten selten aus sich herausgehen, wenn sie unter Menschen sind. Hätte meine Luise Sie früher gekannt – so, wie sie Sie heute kennt —, sie hätte schon damals freudig in Ihre Werbung gewilligt.
Welch gütiges Geschick, daß Ihre Liebe standhaft blieb! Weiß ich doch mein Kind geborgen!
Ihre dankbar ergebene
Frau Professor Fanny Kersten.«
Er schnalzte mit der Zunge und schob den Brief in eine kleine Mappe, in der er die »Korrespondenz Professor Kersten« aufbewahrte. —
Ganz schmerzlos wird das eines Tages kaum enden, dachte er. Ich hasse sentimentale Liebschaften; wenn aber die Gefühlswalze gar von der Mutter aufgezogen wird, dann geht’s selten ruhig ab. Er stand auf.
Auf alle Fälle: es war der Mühe wert. So viel Stolz und Widerstand hatte ich selten bei einer Frau zu brechen. Und wie schnell sie den Wesenszug meines Charakters erkannt hat. Haß hat gute Augen. Seitdem müht sie sich ab, möglichst gleichgültig zu erscheinen. Und ich habe doppelte Arbeit.
Er ging im Zimmer umher.
Ein Diener kam und meldete Herrn Aletto aus Rom.
Mohr zog die Schultern in die Höhe.
»Darf ich ihn vorlassen, Herr Kommerzienrat?«
»Unsinn! Ich kenne ihn nicht; wer hat ihn herbestellt?« fragte er wütend.
»Er sagte, er käme in persönlicher Angelegenheit.«
»Das kann jeder Esel sagen. In welcher?«
»Darüber könne er nur mit dem Herrn Kommerzienrat selbst sprechen!«
»Schicken Sie ihn ins Sekretariat – oder sonstwo hin.«
»Das habe ich versucht – aber er macht es so dringend . . .« Im selben Augenblick öffnete sich die Tür und Aletto trat ein.
»Sie werden mich nicht abweisen!« sagt er bestimmt; »ich bin . . .«
»Das werden wir sehen«, unterbrach ihn Mohr; »was ist das für eine Kühnheit! Hier meldet man sich an – dazu sitzt mein Sekretär im Vorzimmer und verteilt Besuchszeiten . . . Sie befinden sich hier in keinem Trödelladen, wo jeder ein- und ausgeht, wie’s ihm paßt.«
»Ich muß Sie sprechen«, wiederholte Aletto; wenn möglich noch bestimmter als zuvor.
»Das ist doch eine seltene Dreistigkeit«, schrie Mohr zum Diener gewandt; der sah verlegen zur Erde, zog leicht die Schultern in die Höhe und flüsterte:
»Meine Schuld ist es nicht, Herr Kommerzienrat.«
»Sagen Sie, bitte, dem Diener, daß er sich entfernt«, forderte Aletto.
»Das wird ja immer besser!« brüllte Mohr. »Wer sind Sie?«
»Das werde ich Ihnen sagen, sobald der Diener draußen ist.«
Mohr gab dem Diener wütend ein Zeichen, und er ging.
»Also!!« sagte er und zitterte vor Wut.
»Ich heiße Aletto, bin Kunstmaler und habe die Absicht, Fräulein Kersten zu heiraten«, sagte er ruhig und sicher.
Mohr fuhr zusammen; einen kurzen Augenblick; dann fragte er ziemlich bestimmt:
»Was geht das mich an?«
»Man sagte mir, daß Sie der Vormund sind«, erwiderte Aletto und ließ ihn nicht aus den Augen.
Der Kommerzienrat biß die Lippen aufeinander – schnalzte mit der Zunge – überlegte – bot Aletto einen Stuhl an – ging an seinen Schreibtisch und setzte sich.
»Danke! Ich stehe!« sagte Aletto kurz.
»Wie Sie wollen«, erwiderte Mohr.
»Ich sagte Ihnen bereits,« begann Aletto, »aus welchem Grunde ich bei Ihnen bin.«
»Wollen Sie mir, bitte, noch einmal Ihren Namen nennen«, bat der Kommerzienrat.
»Aletto, Sohn des verstorbenen Akademieprofessors Henrico Aletto, Kunstmaler aus Rom.«
»Ich danke«, sagte er kurz und machte eine Bewegung, aus der Aletto entnahm, daß er entlassen sei.
»Was bedeutet das?« fragte er lebhaft.
»Ich werde Erkundigungen über Sie einziehen und je nachdem diese ausfallen, Ihnen Nachricht zukommen lassen, ob es Zweck hat, auf diese Angelegenheit zurückzukommen. Das wird, denke ich, in drei bis vier Wochen möglich sein.«
»Ich bedaure!« erklärte Aletto. »Ich betrachte Ihre Einwilligung nur als Formalität . . .«
»Erlauben Sie mal«, unterbrach ihn Mohr.
Aber Aletto fuhr unbekümmert fort: ». . . die das Gesetz nun mal verlangt.«
»Und die ich, falls es das Interesse meines Mündels fordert, verweigern werde.«
Er wollte weitersprechen; aber Aletto trat dicht an ihn heran, sah ihm fest in die Augen und wiederholte:
»Es ist lediglich Formsache, ich sagte Ihnen das schon, wenn ich um Ihre Einwilligung bitte. Denn wir werden uns heiraten – verlassen Sie sich darauf – auch gegen Ihren Willen.«
Den Kommerzienrat reizte die Entschiedenheit, mit der Aletto für seine Liebe focht. Zweifellos liebte Luise diesen Menschen und begehrte ihn. Und je mehr sich ihre Leidenschaft zu Aletto vertiefte, um so bestimmter mußte sich alles gegen ein Zusammensein mit ihm auflehnen. Der Gleichmut, mit dem sie jetzt alles ertrug, und gegen den er erfolglos kämpfte, war dann gebrochen. Und deshalb war ihm dieser Aletto durchaus willkommen. Er peitschte die Gefühle Luises auf, riß sie aus ihrer Empfindungslosigkeit und Stumpfheit; brachte alles wieder in Bewegung, rief in ihr wieder jenen wilden, ungestümen Trotz wach, der gerade nachzulassen drohte, und den er bei ihr über alles liebte. Ja, Kommerzienrat Mohr war ein Gourmet in Liebesdingen. Dieser Aletto, das erkannte er deutlich, bedeutete für ihn einen Glücksfall sondergleichen. Nun hieß es, gescheit sein, geschickt operieren und sich nicht durch unüberlegtes Handeln um die Vorteile dieses Zufalls bringen.
»Ich sage ja nicht nein«. lenkte Mohr ein. »Aber Sie werden zugeben, daß es meine Pflicht ist, mich genauer über Sie zu informieren. Wie gesagt, ich stehe Ihrem Plane, mein Mündel zu heiraten, durchaus nicht ablehnend gegenüber. Nur will ein derartiger Schritt in so jugendlichem Alter doch bedacht sein. Ich weiß nichts von Ihrem Lebensgang, Ihrer Familie, Ihren Verhältnissen, Sie werden zugeben . . .«
Aletto erinnerte sich jetzt, daß der eigentliche Zweck, aus dem er hier war, ja die Regelung des Finanziellen war. Daß der Kommerzienrat so sprach, fand er durchaus natürlich. Im Grunde konnte es für diesen Halunken ja gar nichts Günstigeres geben, als wenn er Luisen, die er auf dem Gewissen hatte, in eine gesicherte Ehe half. Und daß er obendrein noch sein Geld zurückerhielt, mußte ihm diese Wendung nur um so willkommener machen. Viel besser also, dachte Aletto, schon Luises wegen, wenn sich alles in Ruhe erledigt. Und er kämpfte allen Haß, der ihn immer von neuem packte, wenn er diesem Menschen in die Augen sah, gewaltsam nieder.
»Ich verstehe Sie durchaus,« sagte Aletto, »und da ich die Auskünfte nicht zu scheuen brauche, so habe ich gegen Ihren Vorschlag nichts einzuwenden. Nur möchte ich bei dieser Gelegenheit eine Regelung in Vorschlag bringen, die für mich so wichtig ist, daß ich von ihr meine Werbung abhängig mache!«
Der Kerl ist fabelhaft, dachte Mohr. Ein verbindliches Wort – ja, nicht einmal das, nur mein veränderter Tonfall genügt ihm, und er knüpft Bedingungen an seine Werbung, ohne noch zu wissen, ob sie mir überhaupt genehm ist . . . Aber er sprach es nicht aus. Im Gegenteil: er blieb verbindlich, machte eine kurze Handbewegung und sagte:
»Bitte!«
Und Aletto begann.
»Meine Braut«, sagte er, und Mohr gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, »hat mir mit großer Offenheit erzählt, daß die Zuschüsse, von denen sie augenblicklich leben, nicht von der Familie, sondern von Ihnen fließen.«
Der Kommerzienrat setzte sich gerade und nickte zustimmend.
»Ich weiß nicht, ob Ihnen mein Mündel auch gesagt hat, daß Herr Professor Kersten ohne einen Pfennig Vermögen zu hinterlassen . . .«
»Ich weiß«, wehrte Aletto ab.
»Man kann daher nicht gut von Zuschüssen sprechen; es ist in Wirklichkeit denn auch so, daß ich den Unterhalt der Familie bestreite.«
»Eben, eben!« warf Aletto ein. »Das muß ein Ende nehmen, und zwar von heute ab.«
Mohr sah ihn groß an und staunte.
»Wie denken Sie sich das?« fragte er ihn.
»Indem ich das von heute ab übernehme – natürlich in der gleichen Form, in der es bisher von Ihrer Seite aus geschah.«
»Sie wollen . . .?«
»Desgleichen werde ich Ihnen diejenigen Summen zurückerstatten, die Sie bisher verauslagt haben.«
»Ich kenne Ihre Verhältnisse nicht, Herr Aletto; . . . aber im übrigen: das alles sind Dinge, die sich dann ganz von selbst finden werden.«
»Wann?« fragte Aletto.
»Nun, ich meine, wenn es sich zeigt, daß ich Ihrer Werbung meine Zustimmung geben kann, dann würde ich mit Rücksicht auf die Jugend meines Mündels und auf die besonderen Verhältnisse im Hause Kersten auf alle Fälle dafür sein . . .«
»Bitte!« warf Aletto ungeduldig ein.
». . . daß mit der offiziellen Verlobung noch ein Jahr gewartet wird.«
»Das ist vollständig ausgeschlossen!« rief Aletto erregt. »Dafür liegt nicht die geringste Veranlassung vor.«
»Das dürfte sich so im Augenblick schwer entscheiden lassen«, erwiderte Mohr in aller Ruhe.
Aletto aber verlor seine Haltung.
»Ich lasse mich auf keinerlei Versprechungen ein, die in der Zukunft liegen; ich bestehe – und zwar aus ganz besonderen Gründen– darauf, daß jetzt, in diesem Augenblick, die ganze Angelegenheit geregelt wird.«
»Aber . . .« warf der Kommerzienrat ein und wollte etwas erwidern; doch Aletto ließ ihn nicht zu Worte kommen.
»Wollen Sie oder wollen Sie nicht?« fragte er mit großer Bestimmtheit.
Mohr überlegte: »Und zwar aus ganz besonderen Gründen«, wiederholte er sich. Was mochte er damit meinen? Daß Luise ihm etwas von ihren Beziehungen erzählt hatte, war ausgeschlossen! Der Gedanke allein war widersinnig! Immerhin konnte sie ihm angedeutet haben, daß auch er Interesse für sie habe – hm, das leuchtete ihm ein – und zwar ein Interesse, das nicht nur das eines Vormundes war. Gewiß, so mochte es sein! So erklärte sich dann auch Alettos Erregtheit, der das Gefühl hatte, einem Nebenbuhler gegenüberzustehen.
Er stand also auf, tat verlegen, suchte nach Worten, sah zur Erde und sagte:
»Ich weiß nicht, ob Luise Ihnen gesagt hat . . .«
»Was?« fragte Aletto.
»Auch ich liebe Luise.«
Es fehlte nicht viel, und Aletto saß ihm an der Kehle. Dieser Mensch wagte es . . .
»Ich habe einen Vorschlag,« stammelte Mohr, als er die drohende Haltung Alettos sah, »ich trete zurück!«
»Ah!« sagte Aletto.
»Vorausgesetzt, daß die Familie Ihre Werbung meiner vorzieht!«
»Das wird sie!« rief Aletto. »Ich bin einverstanden und habe nur eine Bedingung . . .«
»Die wäre?«
»Keinen Aufschub!«
»Wie ist das zu verstehen?«
»Sehr einfach! Eine sofortige Zusammenkunft, der ich natürlich beiwohne.«
»Das wird schwer zu erreichen sein.«
»Ich bestehe darauf.«
»Ich werde es versuchen.«
»Um wen handelt es sich?« fragte Aletto.
»Nun, vornehmlich um den Professor Mallinger als Senior der Familie, dann den Geheimen Kommerzienrat Walther, den Oberlehrer Sasse und eventuell noch um den Regierungsrat Störmer, auf den man aber eventuell verzichten kann.«
»Wollen Sie sich, bitte, mit den Herren telephonisch in Verbindung setzen!«
»Gewiß! Und wohin lasse ich Ihnen Nachricht geben?«
Aletto schüttelte den Kopf. »Gar nicht! Ich bleibe bei Ihnen!«
»Was?« rief Mohr entsetzt, und Aletto erklärte mit großer Bestimmtheit:
»Ich gehe, bis der Familienrat zusammentritt, nicht von Ihrer Seite.«
Der Kommerzienrat riß das Maul weit auf und schnalzte mit der Zunge; das freilich erschwerte den Fall bedenklich. Aber – und er beruhigte sich schnell – mit den Leuten wird dieser Tolpatsch nicht umzugehen wissen; er wird es an der nötigen Reserviertheit und den Formen fehlen lassen; und daran wird er mehr als an seinen Gründen scheitern.
Er kannte diese Menschen; wer sie bei ihren Schwächen nahm, blieb Sieger.
»Meinetwegen!« sagte er daher in aller Ruhe; »ich hoffe, die Zeit wird Ihnen nicht lang werden.« Er ließ sich mit dem Professor, dem Geheimrat Walther und dem Oberlehrer Sasse verbinden; der Zufall wollte es, daß er sie alle antraf; und es wurde für eine Stunde später ein Rendezvous in der Wohnung des Professors vereinbart.
Während Aletto, den Rücken zur Stube, am Fenster stand, gab der Kommerzienrat noch eine Reihe geschäftlicher Anweisungen, befahl sein Automobil, sagte zu
Aletto kurz:
»Bitte!«
Sie gingen die Treppe hinunter, bestiegen den Wagen und fuhren, ohne ein Wort zu sprechen, zur Wohnung des Universitätsprofessors.
– — – — – — – — – —