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EINFÜHRUNG White bringt unsere Welt zum Wackeln (I) Worin eine intellektuelle Bombe platzt und wir über eine blaue Murmel staunen. 1
ОглавлениеAm 26. Dezember 1966 trat ein 59-jähriger Mediävist und Wissenschaftshistoriker an das Rednerpult der 133. Jahresversammlung des Forscherverbands American Association for the Advancement of Science und »ließ eine intellektuelle Bombe platzen, deren schriller Widerhall noch heute ertönt«1. Lynn White Jr.s Rede2, im März 1967 in der Fachzeitschrift Science unter dem Titel »Die historischen Ursachen unserer ökologischen Krise« veröffentlicht, wurde auf dem Gebiet der Umweltwissenschaften rasch zum Klassiker und gilt heute als »grundlegende Schrift der Umweltethik«3. Der Text wurde in zahlreiche Anthologien und Lehrbücher aufgenommen und ist in Studiengängen zu Ökologie, Ethik und Umweltwissenschaften Standardlektüre. Er ist ganze fünf Seiten lang.
Nach der Veröffentlichung musste White einiges aushalten. In seinem Nachruf heißt es, »eine Protestwelle von Kirchenmännern schwappte über seinen Schreibtisch, ein anschwellender Strom von Briefen und Artikeln«4. 1973 sagte White, man beschimpfe ihn »nicht nur in der Presse, sondern auch in anonymen Schreiben, als Möchtegern-Antichristen, wahrscheinlich im Dienste des Kremls, der um jeden Preis den wahren Glauben verraten wolle«5. Dass White bis zu seinem Tod 1987 praktizierender Christ war, schien kaum jemanden zu interessieren. Er selbst bemerkte ironisch: »Hätte ich doch nur den Wissenschaftlern die Schuld gegeben.«6
Aber White hatte dem Christentum die Schuld gegeben, die Schuld an einer ökologischen Krise globalen Ausmaßes:
Wir sind zu Schlußfolgerungen gekommen, die manchem Christen nicht gefallen werden. […] Die derzeitige zunehmende Zersetzung unserer gesamten Umwelt ist das Resultat einer dynamischen Technik und Naturwissenschaft, die sich in der mittelalterlichen Welt des Abendlandes herausbildeten. […] Ohne die ausgeprägten christlichen Vorstellungen von der Natur können wir die Geschichte ihrer Entwicklung nicht verstehen. […] Folglich werden wir weiterhin in einer sich verschlimmernden ökologischen Krise leben, bis wir den christlichen Grundsatz verwerfen, daß die Natur keine andere Existenzberechtigung hat, als dem Menschen zu dienen. […] Unsere derzeitige Naturwissenschaft und unsere derzeitige Technik sind so sehr von einer orthodoxen christlichen Arroganz gegenüber der Natur durchsetzt, daß von ihnen allein keine Lösung unserer ökologischen Krise erwartet werden kann. […] In diesem Falle trifft das Christentum eine schwere Schuld.7
White zielte nicht nur auf Kirchgänger ab: In seinen Augen war auch die nachchristliche, säkulare Kultur von einer »christlichen Arroganz gegenüber der Natur durchsetzt«. »Daß die meisten Menschen diese Vorstellungen nicht als christliche erkennen«, schrieb er, »ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Kein neues System grundlegender Werte ist in unserer Gesellschaft angenommen worden, um das des Christentums zu verdrängen.«8 Atheisten und Agnostiker seien also genau so wie Theisten weiterhin mit diesen Überresten christlichen Dogmas infiziert, häufig, ohne es überhaupt zu merken.
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Whites Bombe ist so erstaunlich, weil er auf so wenigen Seiten so viele Grundannahmen zunichtemacht. Schon 1966 argumentierte er, dass die ökologische Krise nicht mehr lokal sei, sondern sich in globalem Ausmaß entfalte – und sich auf das Klima auswirke. Er argumentierte, die Wurzeln der Krise lägen nicht in Wissenschaft oder Technik, sondern in der Religion. Er argumentierte, dass selbst das säkulare westliche Weltbild auf religiösen Grundsätzen basiere, und zwar auf denen der jüdisch-christlichen Tradition. Er argumentierte, diese Tradition, insbesondere das Christentum, basiere auf einem Bild des Menschen als Unterdrücker, Beherrscher und Ausbeuter der Natur; die Existenzberechtigung der Natur bestehe in diesem Weltverständnis wiederum alleinig darin, dem Menschen zu dienen. Er argumentierte, dass wir der ökologischen Krise in keiner Weise entkommen könnten – nicht mithilfe der Naturwissenschaften, nicht mithilfe von Technik, nicht mithilfe eines neuen wirtschaftlichen oder politischen Systems – »sofern wir nicht zu einer neuen Religion finden oder unsere alte überdenken«9.
White war sich jedoch unsicher, ob ein solcher Wandel überhaupt möglich wäre. Wohlwollend verwies er auf das Interesse der damaligen »Hippies« am Zen-Buddhismus, »dessen Vorstellung von den Beziehungen zwischen Mensch und Natur fast ein Gegenstück zur christlichen ist«10. Allerdings hielt er es für unwahrscheinlich, dass eine Strömung wie der Zen-Buddhismus, tief von der Geschichte Asiens geprägt, im Westen je praktikabel wäre. Eher noch setzte er seine Hoffnung, sofern er denn welche hatte, »auf den bedeutendsten Radikalen in der christlichen Geschichte nach Christus […] Franz von Assisi«11. Franz von Assisi sei »so offensichtlich ein Ketzer« gewesen, dass der bedeutende Franziskaner Johannes Bonaventura später versucht habe, die frühe Geschichte seines eigenen Ordens zu unterdrücken. »Es ist erstaunlich«, so White über Franz von Assisi, »daß er nicht auf dem Scheiterhaufen endete.«12
Im ketzerischen Weltbild des Franz von Assisi sah White eine »bemerkenswerte Variante der Allbeseelungslehre über alle belebten wie unbelebten Dinge«13 – in anderen Worten die Überzeugung, dass alles, ob lebendig oder nicht, ein Bewusstsein oder bewusstseinsähnliche Eigenschaften besitze:
[Franz von Assisis] Brüderlichkeit mit den Werken Gottes kommt in seiner Lobeshymne auf den Weltenschöpfer deutlich zum Ausdruck: »Gepriesen seist Du, o Herr, für unsere Schwester Mond […]. Gepriesen seist Du, o Herr, für unseren Bruder Wind […] für unseren Bruder Feuer.«14
Ebendiese Sichtweise, dass allen Naturdingen ein Geist innewohnt, hatte das Christentum mit seiner Unterdrückung des alten Heidentums rücksichtslos ausgemerzt:
Im klassischen Altertum hatte jeder Baum, jede Quelle, jeder Bach und Berg seinen eigenen genius loci, seinen Schutzgeist. Diese Geister waren für die Menschen erreichbar, ihnen jedoch ganz unähnlich: Zentauren, Faune und Wassernixen beweisen diese Ambivalenz. Ehe man einen Baum fällte oder einen Bach staute, war es notwendig, den dafür zuständigen Geist zu besänftigen. Indem das Christentum die heidnische Naturbeseelung zerstörte, schuf es erst die Voraussetzungen für eine Ausbeutung der Natur. […] Die tatsächliche Alleinherrschaft des Menschen über den Geist hatte begonnen, und die alten Verbote über die Ausbeutung der Natur gerieten in Vergessenheit.15
Kurzum, als White forderte, wir müssten »zu einer neuen Religion finden«, meinte er nicht, wir sollten vom Christentum zum Islam, Judentum oder Hinduismus konvertieren. Auch betraf seine Forderung nicht nur offen religiöse Menschen. Ob Atheist, Agnostiker oder Theist – wer auch immer die Ansicht teilt, Menschen seien von der Natur getrennt und die wichtigste Aufgabe der Natur liege darin, menschlichen Bedürfnissen zu dienen, ist White zufolge unwissentlich im Netz eines eigenartig religiösen, speziell christlichen Dogmas gefangen.
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Über Whites These lässt sich streiten, und viele Umweltschützer sind anderer Meinung. Laut Heike Molitor und Pierre Ibisch von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde begegnen viele Naturliebhaber der Umwelt nach wie vor mit anthropozentrischen Ansätzen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, auch
in den Mittelpunkt moralischen Handelns. Nur dem Menschen wird ein Eigenwert zugesprochen. Daraus leitet sich der Schutz der Natur ab, die für den Menschen zu schützen ist.16
So schrieb beispielsweise ein »renommierter Forstwirtschaftsprofessor« an White, dass »wir Redwood-Wälder schützen, weil Menschen sich an ihnen erfreuen. Wenn Franz von Assisi fand, wir sollten sie für Eichhörnchen bewahren, dann predigte er eine Religion für Eichhörnchen, nicht für Menschen.«17
In einem Artikel von 2016 beobachten Michael Paul Nelson und Thomas J. Sauer, für wie viel Irritation Überlegungen wie die von White in Naturschutzkreisen noch immer sorgen:
Diskussionen über die philosophischen und ethischen Grundlagen des Naturschutzes wurden jüngst […] von einigen namhaften führenden Umweltschützern als »alberne Streitereien, die vom Eigentlichen ablenken« bezeichnet. […] Führende Umweltschützer haben all jene, die aus Prinzip eine nichtanthropozentrische oder anderweitig vom Pragmatismus abweichende Position einnehmen, bespöttelt. […] Manche Naturschützer wurden aufgrund ihrer »moralischen Gewissheit« abgetan, und es wurde behauptet, man fände es »belastend, […] unproduktiv und letztendlich kontraproduktiv […], mit anderen Naturschutzbiologen« über ideologische Angelegenheiten »diskutieren zu müssen«. »Die Realität des angewandten Umweltschutzes«, hieß es, »ist zu komplex und nuanciert für [eine solche] moralische Überzeugung.«18
Völlig konträr zu White glaubt derweil eine weitere Fraktion von Denkern, die sogenannten Ökomodernisten, dass naturwissenschaftliche und technische Lösungen uns sehr wohl aus der Krise führen würden, dass unsere »Religion« irrelevant sei und Whites Anliegen kontraproduktiv, da er uns damit auffordere, einen menschzentrierten Lebensstil aufzugeben, der mühevoll erreicht worden sei und viele Vorzüge aufweise. Laut den Ökomodernisten sei niemand ernsthaft gewillt, unseren derzeitigen, sich ständig verbessernden Lebensstandard gegen die Armut, Anstrengungen, gesundheitlichen Mängel und die allgegenwärtige Gewalt vorindustrieller Gesellschaften einzutauschen. Ökomodernisten verwerfen somit das Ideal, »demzufolge die menschliche Gesellschaft in Einklang mit der Natur leben muss«, und beharren darauf, »dass die Erde ein menschlicher Planet ist«19. In Anbetracht der ökologischen Krise bevorzugen sie technologiegetriebene Lösungen, mitunter eine drastische Ausweitung der Nuklearenergie, kluge Urbanisierung, Intensivierung der Landwirtschaft mittels genetisch veränderter Nutzpflanzen sowie CO2-Abscheidung und -Speicherung. Manche befürworten auch offen die Idee des Geo-Engineerings – im wahrsten Sinne des Wortes ein Herumbauen am Planeten Erde.
Mithilfe von Geo-Engineering soll die Klimakrise durch Technologien von noch größerem Ausmaß entschärft werden.20 Zu den Ideen gehört, mit riesigen Maschinen Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu saugen; genetisch veränderte Pflanzen mit effizienteren (schwarzen) Silikonblättern zu züchten; Milliarden von Alufolienstreifen durch die Erdumlaufbahn segeln zu lassen, um Sonnenlicht umzuleiten; Schwefeldioxid in die obere Atmosphäre einzuspeisen, um Sonnenstrahlung abzuhalten; die Weltmeere mit Eisenschlamm zu düngen, um Meerespflanzen bei der Aufnahme von Kohlendioxid anzutreiben; und, als jüngste Idee, die Antarktis mit Billionen Tonnen Schnee künstlich zu beschneien, um den Kollaps des Westantarktischen Eisschilds aufzuhalten – ein Kollaps, der den Meeresspiegel ansteigen lassen und Küstenstädte fluten würde.
Wenngleich Ökomodernisten anerkennen, dass Menschen »materiell immer zu einem gewissen Grad von der Natur abhängig sein« werden und dass »selbst wenn eine vollständig künstliche Welt möglich wäre, sich viele von uns trotzdem dafür entscheiden [würden], mehr mit der Natur verbunden zu leben«21, mag ihre Vision eines »großen AnthropozänsA«22 auf so manchen dystopisch wirken.
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White und die Ökomodernisten haben ganz offensichtlich das gemeinsame Ziel, die Klimakrise einzuhegen. Allerdings könnten ihre Ansichten, wie und warum wir das tun sollten, nicht weiter auseinandergehen. Am klarsten zeigt sich dieser Gegensatz in ganz unterschiedlichen Reaktionen auf ein berühmtes Foto: Die Blaue Murmel.
Die Blaue Murmel ist eine Aufnahme mit Symbolcharakter. Es handelt sich um ein Foto vom Planeten Erde, geknipst aus einer Entfernung von 29 000 Kilometern von einem der Astronauten der letzten bemannten Mondmission. Das Bild hat eine starke Wirkung. Michael Pollan schreibt:
Der Anblick dieses »hellblauen Punkts«, der in der unendlichen schwarzen Leere des Weltraums hing, löschte die Landesgrenzen auf unseren Karten aus und machte die Erde klein, verletzlich, einzigartig und kostbar. […] Die Kraft dieser neuen Perspektive [diente] als Inspiration für die moderne Umweltbewegung sowie die Gaia-Hypothese, [die] Vorstellung, dass die Erde und ihre Atmosphäre gemeinsam einen einzigen lebenden Organismus bilden.23
Diesen hellblauen Punkt live und leibhaftig zu sehen (noch bevor das berühmte Foto entstand), bewirkte in Edgar Mitchell, einem Besatzungsmitglied der Apollo 14, eine mystische Erfahrung:
Und plötzlich begriff ich, dass die Moleküle meines Körpers, die Moleküle meines Raumschiffs und die Moleküle im Körper meiner Partner in einer uralten Generation von Sternen geformt und erzeugt wurden. [Ich verspürte] ein überwältigendes Gefühl des Einsseins, der Verbundenheit. […] Es war nicht »sie und wir«, es war: »Das bin ich! Das ist das Ganze, alles ist eins.« Und es war von einer Ekstase begleitet, einem Gefühl wie »O mein Gott, Wahnsinn, ja« – einer Erkenntnis, einer Offenbarung.24
White bestätigt die Wirkungsmacht des Bildes. Doch dann schwenkt er in eine ganz andere Richtung als Pollan oder Mitchell:
Nichts berührte den amerikanischen Geist mehr als die Reaktion unserer Astronauten auf den Anblick dieses Planeten vom Weltall aus; man sprach vom »Raumschiff Erde«. Ökologisch gesehen ist diese Metapher eigentlich furchterregend. Ein Raumschiff ist ein durch und durch menschliches Konstrukt, ausschließlich entworfen, um menschliches Leben zu ermöglichen, zu keinem anderen Zweck. Es ist kein Zufall, dass einige unserer Raumfahrer auf der Reise zum Mond aus der biblischen Schöpfungsgeschichte lasen: Schließlich ist die Schöpfung in der jüdisch-christlichen Tradition bis ins Detail auf menschliche Nutzung und Erbauung ausgelegt, zu keinem anderen Zweck. Diese Gleichgültigkeit gegenüber einer möglichen Autonomie in anderen Lebewesen hat unsere Art technischer Entwicklung stark begünstigt und so die Verschmutzung unserer Weltkugel maßgeblich angetrieben.
Die Raumschiffmentalität ist die Krone des desaströsen menschzentrierten Blicks auf die Natur der Dinge und die Dinge der Natur, und ihr heutiger Reiz besteht darin, scheinbar ökologische Lösungen anzubieten, ohne dass bestehende Vorstellungen geopfert werden müssten. Wir befinden uns in größerer Gefahr, als wir denken.25
Die Ansätze der Ökomodernisten und des Geo-Engineerings sind der Inbegriff dessen, was White als »ökologisch furchterregend« empfand, nämlich den Planeten immer expliziter in ein menschgemachtes Raumschiff zu verwandeln und dabei nach Lösungen zu greifen, ohne »bestehende Vorstellungen« opfern zu müssen. 1967 warnte White vor den möglichen Folgen solcher Eingriffe:
Was sollen wir tun? Bis jetzt weiß niemand eine Antwort. Wenn wir nicht beginnen, über die Grundtatsachen nachzudenken, werden unsere Teilmaßnahmen neue Rückschläge bewirken, die gefährlicher sind als jene, die sie kurieren sollen.26
Derlei mögliche Rückwirkungen, im ökomodernistischen Optimismus ausgeblendet, lagen für White auf der Hand; als Historiker und Experte für mittelalterliche Technik war er sich nur allzu bewusst, wie oft in der Technikgeschichte gute Absichten von Verkettungen unbeabsichtigter Nebenwirkungen verdrängt wurden.
Allerdings muss man kein Mittelalterforscher sein, um das zu erkennen; vertraute Technologien jüngerer Zeitalter bieten genügend Beispiele. Das Wunder der Mobilität, geschaffen durch Automobil und Flugzeug; der Traum von billiger und unerschöpflicher Kernkraft; günstige, massenproduzierte Artikel seit der Industriellen Revolution; der Anstieg landwirtschaftlicher Produktivität dank chemischer Dünger und Pestizide; die Effizienz von Monokulturen und fabrikartiger Viehhaltung; das Phänomen der Verbundenheit durch Internet und Smartphone – all das hat seine Kehrseiten: Umweltverschmutzung; überwältigende Erderwärmung; bedrohliche Bestände von Atommüll und -waffen; Massenkonsum auf der Basis geplanten Verschleißes und Neukauf anstelle von Reparatur, mit der Folge weltweit wachsender Berge giftigen Schrotts; erschöpfte Böden; versiegte und verschmutzte Grundwasservorräte; eine drastisch schrumpfende Artenvielfalt; und, inmitten der am stärksten vernetzten Gesellschaft aller Zeiten, bindungslose Einsamkeit. All das gibt kaum Anlass zu Optimismus hinsichtlich der noch weitreichenderen Eingriffe, die sich Fürsprecher des Geo-Engineerings ausmalen.
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White fragte: »Was sollen wir tun?«, und antwortete: »Bis jetzt weiß niemand eine Antwort.« Aber eigentlich hatte er eine ziemlich genaue Vorstellung. Wir sollten »zu einer neuen Religion finden« – und damit meinte er wie gesagt nicht, zu einer anderen Konfession zu konvertieren, sondern uns von bestimmten grundlegenden Werten zu befreien, die zweitausend Jahre Christentum in unserer religiösen wie säkularen Kultur verankert haben. White hatte auch eine recht konkrete Vorstellung davon, wie diese neue »Religion« auszusehen hätte. In einem Artikel von 1973 benannte er es ganz klar: »Das religiöse Problem besteht darin, eine praktikable Entsprechung zum Animismus zu finden.«27
Man könnte meinen, jetzt sei es an der Zeit, White aus dem Fenster zu werfen. Denn sein »religiöses Problem« ist ein ziemlich großes – vielleicht sogar noch größer als die potenziellen Probleme, die entstünden, wenn die obere Atmosphäre mit Schwefeldioxid angereichert würde. Und dieses »religiöse Problem« ist so groß, weil sich die meisten unserer Zeitgenossen einig sind, wenn sie sich denn bei irgendetwas einig sind, dass Animismus eben nicht praktikabel ist. Animismus – die Erfahrung, dass neben nichtmenschlichen Tieren auch Pflanzen, Flüsse, Berge, Wolken, Sterne, Steine und Wetterlagen nicht leblose oder unbelebte Bestandteile der Welt sind, sondern wahrnehmende und erfahrende Wesen – bedeutet für die meisten von uns primitive Illusion, das naive »magische Denken« abergläubischer, unaufgeklärter, vorwissenschaftlicher Völker. Von dieser Warte aus betrachtet, haben wir uns nicht etwa vom Animismus gelöst, weil wir einfach eine Lebensweise vorgezogen haben, in der der Mensch als von der Natur getrennt und über sie herrschend gilt (obwohl vielleicht auch das zutrifft), sondern weil unsere mühsam konstruierte, gewissenhaft überprüfte Wissenschaft einfach recht hat und der Animismus nicht. Und deshalb, Dr. White, selbst wenn wir uns alle miteinander wieder dem Animismus verschreiben wollten, um so unser eigenes Leben zu retten, das unserer Kinder und das unseres Planeten, könnten wir das gar nicht – genauso wenig, wie wir plötzlich, um unser eigenes Überleben zu sichern, glauben könnten, die Erde bilde das Zentrum des Sonnensystems oder die Sterne blieben bis in alle Ewigkeit an ihren Punkten am Himmelszelt. Denn das ist einfach nicht so.
Dr. White, Ihre Ideen waren äußerst interessant; Sie schreiben ganz wunderbar, und Ihre Einsichten in die Technikgeschichte und deren Verflechtung mit der Religionsgeschichte sind aufschlussreich; aber wenn Sie jetzt verlangen, wir sollten eine Perspektive einnehmen, die eine »praktikable Entsprechung zum Animismus« ist, dann scheinen Sie den Bezug zum Möglichen verloren zu haben und müssen wohl doch zum Fenster raus.