Читать книгу Vincent, nie hast du mich gemalt - Askson Vargard - Страница 3
ОглавлениеI. SZENE
Vincent in Arbeit hinter der Staffelei vertieft, während Sien ihm Modell steht.
SIEN. Was siehst du in mir?
VINCENT. Eine Frau, die mir Modell steht.
SIEN. Und, was noch?
VINCENT. Reicht das nicht aus?
SIEN. Nein.
VINCENT. Du musst stillsitzen, sonst funktioniert es nicht.
SIEN. Bin ich wenigstens deine Frau?
VINCENT. Das wäre anmaßend. Freilich, ich habe dich in den Wintermonaten aufgenommen, als du ...
SIEN. Pssst mein Lieber, davon wollten wir nicht mehr reden - du hast es mir versprochen.
VINCENT. Richtig. Aber, dass du schwanger warst, darf ich wohl erzählen? Ohnehin sind wir hier allein zu zweit. Niemand kann uns hören. Und überhaupt, warum dieses ‚Pssst‘? Auf diese Art bringen Mütter ihre Kinder zum Schweigen.
SIEN. Und Frauen ihre vorlauten Gatten, die nicht wissen, was sich geziemt in Gegenwart des Kindes (streichelt sich über den Bauch).
VINCENT. In welchem Monat bist du?
SIEN. Was spielt das für eine Rolle? Streichst bestimmt schon heimlich die Tage am Kalender ab und wenn der Bastard dann das Tageslicht erblickt und sein Schreien deine Kreativität stört, sind wir obdachlos, hä?
VINCENT. Das traust du mir also zu? Von Den Haag herkommend, sah ich dich im Matsch der Straßenrinne stehen. In deinem Rücken die verlassene Stadt, vor deiner Brust das unheimliche Land und dorthin habe ich dich mitgenommen in diese zugegebenermaßen baufällige Hütte, aber was hat uns bislang zum Überleben gefehlt? Sogar an warmen Bädern hat es dir nicht gemangelt, die dir überaus wohltaten. Darüber hinaus hast du Essen und ein warmes Bett.
SIEN. Und mein Geld?
VINCENT. Von welchem Geld sprichst du bitteschön?
SIEN. Du stellst dich heute wieder dümmer an, als du aussiehst (steht auf).
VINCENT. Nein, bitte setz dich wieder, so wie eben. Die Pose war grandios, das Licht perfekt. Wer den Moment ungenutzt verstreichen lässt, ärgert sich eine Ewigkeit über die verlorene Chance.
SIEN. Dann Ehre den Moment!
VINCENT. Ich bitte dich inständig.
SIEN. Dann gib mir mein Geld. Als ich dich frug, was ich bin, hast du geantwortet ein Modell. Nun, wenn dem so ist, bestehe ich auf Gage! Eine Unverfrorenheit behauptest du? Es war deine Masche, um mich in dieses Loch zu locken, erinnerst du dich? Demnach steht mir, wenn ich meine Arbeit richtig erledige, und weiß Gott das tat ich stets, wenigstens eine Aufwandsentschädigung zu. Und sieh dich um! (Zeigt mit dem Finger durch das spartanisch eingerichtete Zimmer)
VINCENT. Ich habe die Gulden bereits dem Vermieter gegeben, er war gütig genug uns Aufschub zu gewähren, ich konnte seine Geduld nicht länger auf die Probe stellen, zumal du alles bekommst, was ich habe.
SIEN. Damit kannst du nicht einmal eine Person glücklich stellen.
VINCENT. Ich bin glücklich!
SIEN. Siehst aber nicht so aus.
VINCENT. Dann setz dich.
SIEN. Erst die Bezahlung.
VINCENT. Siehst du diese leeren Taschen? Du siehst es nicht, aber sie haben Löcher so groß, dass Schweizer Emmentaler vor Neid erblassen würde. Jegliche Münzen und Scheine, die ich hineinstecke, fallen sofort heraus.
SIEN. Aber du weißt doch, wie du mich noch zufrieden stellen kannst, oder? (Umrahmt mit ihren Zeigefinger Vincents Lippen)
VINCENT. Na gut! (Steht auf, geht in den Hintergrund und bringt ihr eine Flasche)
SIEN. Brav! (Trinkt) Mit diesem Schuss Realitätsaufbesserer sollte es klappen. War ich zum Fenster oder vom Fenster in deine Richtung geneigt?
VINCENT malt eifrig weiter, während er schweigend dafür umso gestikulierender Instruktionen erteilt. Jetzt liegt ein Schatten auf deinem Gesicht.
SIEN. Die Haltung ist bis aufs Haar identisch.
VINCENT. Das Licht ist verwelkt. Die scharfen Kanten des Schattens sind aufgelöst. Aber vielleicht gelingt es trotzdem. Hier ein Strich und da ein Strich und fertig!
SIEN steht auf und sieht entsetzt auf die Leinwand. Das soll ich sein?
VINCENT. Du hast dich bewegt, wie gesagt, das Licht war dahin.
SIEN. Schau dir mein Gesicht an! Eine heillose Schmiererei ist das! Als du sagtest, du seist Maler, habe ich mich geschmeichelt gefühlt, dir Modell stehen zu dürfen, aber das spottet wirklich jeder Beschreibung. Du bist zu schnell. Lass dir beim nächsten Mal mehr Zeit für die Feinheiten, die entscheidenden Details, darauf kommt es beim Malen an, je detailreicher jemand malt, desto besser.
VINCENT. Vielleicht siehst du nur zu schnell! Was verstehst du schon von Kunst? Du beurteilst sicherlich auch ein Buch nur nach seinen gedruckten Buchstaben, anstatt die Zwischenräume zu betrachten und welches Gefühl und welche Töne in ihnen mitschwingen.
SIEN. Ich beurteile das, was ich sehe und was ich sehe, ist wenig schmeichelhaft. Würde ich diese Frau, wenn sie überhaupt durch diese Attribute verdient diesem Geschlecht anzugehören, sehen, würde ich sie frank und frei heraus als das hässlichste Geschöpf verspotten, das jemals lebte.
VINCENT. Wenn du so handelst, überragst du ihre Hässlichkeit titanenhaft.
SIEN. Untersteh dich, mich anzugreifen. Wenn ich kritisiere, dann vielleicht aufgrund meines Unvermögens, deswegen verabreiche ich noch lange keine verbalen Ohrfeigen gegen einen realen Menschen. Die Leinwand und was auf ihr abgebildet ist, bist nicht du!
VINCENT. Mag sein, dann ist es, als beleidigst du mein Kind, ist die Stärke der Schelte damit tatsächlich abgemildert?
SIEN. Los, dann beleidige mein Kind
VINCENT. Du bist verrückt geworden.
SIEN. Nein, ich war schon immer verrückt. Als könntest du eine normale Frau lieben, du pendelst zwischen den Extremen und bekommst von jedem einen Schlag, das hält dich unermüdlich in Bewegung.
VINCENT. So bist du nur, wenn du getrunken hast.
SIEN (reicht ihm die Spirituosenflasche). Dann trink, vielleicht nähern wir uns dann wieder einander an.
VINCENT. Oder wir driften wie Eisschollen auseinander, weit genug, dass du beim Süd- und ich beim Nordpol erst wieder zu Halten kommen. Außerhalb jeder Sicht, entfernt jeden Fühlens.
SIEN. Ein Schluck ist kein Schluck, du würdest also mit deinem Vorhaben nicht brechen und trotzdem probieren.
VINCENT. Verführerin.
SIEN. Das ist mein Kapital als Frau, was ist deins? (Verlässt mit höhnendem Gelächter den Raum, als sie das blasse Gesicht Vincents studiert, der keine Antwort hervorbringt)
II. SZENE
Vincent und Theo. Beide sehen einander nicht, da sie brieflich
miteinander korrespondieren. Sie lesen dem Publikum jedoch
laut den Inhalt ihrer verfassten Zeilen vor.
THEO an Vincent, welcher begierig ein Couvert aus der Brusttasche hervorzieht und das Siegel bricht. Mich verlangt es, dir nahe zu sein! Deine Stirn mit ihren pulsierenden Schläfen an meine Brust pressen und sie mit meinem Herz im Gleichklang schlagen lassen, ist was ich will. Es gibt Wege der Kommunikation, mit denen wir voneinander berichten, aber die Bedeutung der Worte nimmt ab mit jedem Kilometer, mit dem sich die Nachricht vom Verfasser entfernt. Was halte ich in den Händen? Eine Beschreibung, die vor einer gewissen Zeitspanne Gültigkeit besaß, aber heute? Mich beruhigt das unverbrüchliche Wissen, dass der Briefbogen von deinen Fingern berührt wurde. Ihre dunklen Abdrücke am Briefpapier bezeigen mir, dass du durchweg gemalt, aber hast du auch gegessen und getrunken? Geraucht hast du! Ich rieche den billigen Knaster, den du so gerne mit deinen Wangen walkst, bevor du ihn in satten Wolken ausstößt. Kaufe dir zur Abwechslung einen aus Dänemark von John Aylesbury zum Exempel. Die Marke genießt einen ausgezeichneten Ruf, wenngleich Tabak trotzdem Tabak bleibt. Mir wird wohl zumute, wenn ich dich versorgt wisse. Aus jenem Grund, muss ich meinen Zeilen einen ernsten Ton beimischen, denn obschon ich dir gerne finanziell aushelfe und du weißt, dass es daran nie gemangelt hat und nie mangeln wird und eine Rechenschaft mir gegenüber überflüssig ist, so ertappe ich meine Gedanken, wie sie um die Frage kreisen, wofür die letzte außerplanmäßige Geldsendung verwendet wurde? Wie beglückt wäre ich, wenn du mir schriebst, dass du sie verlebt hast, aber dann roch ich deinen stinkenden Tabak! Bitte versteh, dass das Leben zum Leben da ist und obgleich du dich als Gärtner meiner Finanzen profilierst, von denen wir künftig die saftigen Früchte ernten werden – irgendwann – so ist die ständige Arbeit deiner Seele, die vorwiegend aus Überreiztheit besteht, unzuträglich. Schüttle nicht deinen Kopf! Ich kenne dich, denn du bist mein Bruder. Falls ich mich irre, dann deswegen, weil wir uns nach dieser langen Trennung der Jahre erneut kennenlernen müssen. Ja, von dieser Vorstellung träume ich des nächtens wie tagsüber, dass wir die Mauer, die uns trennt, einreißen und zusammenfinden. Gäbe es für solch eine Wiedervereinigung einen geeigneteren Ort als Paris? Gerade ein angehender Künstler findet hier Versenkung, Inspiration und das Wesentliche: die Ablenkung!
VINCENT an Theo. Leben heißt sterben! Wir sind beladen von den Wünschen, mit denen wir fremde und unsere eigenen Erwartungen erfüllen wollen, aber jedem ist die Verwirklichung selbiger nicht gegeben. Meine Arbeit fordert mich, ich gebe dir recht, mein körperlicher Zustand ist gelinde gesprochen ein Hohn vor der Schöpfung, aber (und das ist das Entscheidende) sie belastet mich nicht. Unweigerlich betaste ich meine Rippen und zähle sie, wie manche die Schafe vorm Einschlafen. Was aber nutzt mir ein gesunder Körper, wenn ich ihn als unbrauchbar empfinde? Werkzeuge müssen genutzt und dürfen ausschließlich nur geschont werden, um ihre Funktionalität zu gewährleisten. So wie die Rasierklinge nach Da Vinci, die sich versteckt, um weiterhin wie neu zu glänzen, aber durch ihre Nichtbenutzung rostet. Ich fühle einen Tätigkeitsdrang in mir, der getrieben ist vom Bewusstsein des Todes. Jede erwachte Idee in mir, drängt ans Tageslicht, nicht behutsam, sondern mit brachialer Gewalt und mein Durst ist erst gelöscht, sobald es vollbracht ist, denn nichts verdrießt mich mehr als die Vorstellung, ein Werk unvollendet zurückzulassen. Wie du siehst, ist dein Sorgenbrunnen mein erquickendes Elixier, meine Triebfeder, die uns, wie du selbst sagst, später ein einträgliches Geschäft ermöglicht. Womöglich lasse ich mich, wenn es soweit ist, dann bereitwillig von dir bekehren zugunsten des Müßiggangs. Bis dahin muss ich arbeiten! Und dieses Tun kostet mich zeitwillig mehr als mir lieb ist, weil ich weiß, dass ich dir jede Farbtube schuldig bleibe, solange sie kein Einkommen generiert. Der materielle Aufwand ist das eine, das andere ist der zeitliche Aspekt, das mir Nötige zusammenzutragen, denn du wirst dir sicherlich denken können, dass Kunsthändler und jene, die den Bedarf dafür anbieten, rar in dieser ländlichen Gegend gesät sind. Paris! Oh Paris, das Überangebot wäre da bestimmt meine Verzweiflung. Ich baue auf dich und dein Durchhaltevermögen, sodass deine Sendungen zusätzlich zu den erforderlichen Gulden mit Hoffnung begleitet werden, neben der Misstrauen keinen Platz findet. Ich danke dir – für diesen Monat und verspreche, dass ich deine Ausgaben nicht weiter erhöhe.
III. SZENE
Vorheriger, der geradewegs, nachdem er das Papier passgenau für den Umschlag zurecht faltete das Heim verlassen möchte, aber von der wütenden Sien gehindert wird.
SIEN. Halt! Unser Streit ist nicht beigelegt und außerdem habe ich Lust, mich mit dir zu zoffen. Wo willst du hin?
VINCENT. Zur nächsten Postfiliale. Ich habe einen Brief, der verschickt werden muss.
SIEN. Dein Mäzen?
VINCENT nickt.
SIEN. Wenn dem so ist, dann eile geschwind wie der Wind. Lass dich auf seinen Schwingen zur Post führen und dulde keinen Aufschub oder willst du die einzige Person verärgern, die bisher für deine Bilder Geld ausgibt? Falls du ein Zögern beim Postbeamten spürst, weil der Brief dringend versendet werden muss, dann richte ihm liebe Grüße von mir aus.
VINCENT. Wenn es der Sache dient, dann werde ich ihn von dir grüßen.
SIEN. Warte! Welchen Namen wirst du ihm ausrichten?
VINCENT. Na deinen – Sien.
SIEN. Unter dieser Abkürzung kennt er mich nicht.
VINCENT. Also unter deinem bürgerlichen Namen etwa: Clasina Maria Hoornik?
SIEN. Mich dünkt, es muss mindestens eine Dekade zurückliegen, als ich diesen Namen letztmalig hörte. Woher kennst du ihn überhaupt?
VINCENT. Du hast ihn mir im Fieberwahn verraten, als ich dir kalte Umschläge anlegte.
SIEN. Logisch! Im gesunden Zustand hättest du ihn mir nie entlockt. An diesem Namen hängen Erinnerungen, die ich trachte zu vergessen, deshalb soll er ausgelöscht werden.
VINCENT. Wie darf ich ihn dann aber von dir grüßen?
SIEN. Mit meinem Künstlernamen - Sag ihm schlicht und ergreifend La Belle.
VINCENT. Dein Künstlername?
SIEN, indem sie Vincent zur Tür hinausschiebt. Ja, Künstlername! Jetzt sieh zu, dass du rauskommst und sei lieber froh darüber, dass diese Gefälligkeit uns lediglich einen Gruß kostet. (Allein) Jeder kann Künstler sein, der es schafft, seinen Emotionen und Leidenschaften Zügel anzulegen, um sie exhibitionistisch in einem gläsernen Schaukasten auszustellen, wo sie von denen, die zwar des Fühlens fähig sind, aber zu ausdrucksschwach für das gleiche Tun sind, misshandelt werden.
Vorherige summt gedankenverloren eine Melodie, die an ein unbestimmtes französisches Chanson erinnert und wandelt dabei ziellos über die Holzdielen des Zimmers. Aus dieser Trance wird sie durch ein harsches Klopfen an der Eingangstür gerissen erweckt.
SIEN vermutet Vincent und schreit. Die Tür steht offen!
ANTON. Vincent?
SIEN. Hoppla, wer sind denn Sie?
ANTON. Ist Vincent zugegen?
SIEN. Er ist aus, bei der Post, aber ich erwarte ihn jede Minute zurück.
ANTON. Ausgezeichnet! Dann werde ich, solange er unterwegs ist, hier drinnen warten, weil draußen, sie verstehen (deutet mit einem Fingerzeig aus dem Fenster), kündigt sich ein Unwetter an. Vorhin wanderte ich über die Stoppelfelder, da verdunkelten die graublauen Wolkengebilde die Landschaft. Ich steigerte die Intensität meiner Schritte, um vor der Bedrohung zu entfliehen.
SIEN. Und da nehmen Sie Zuflucht zu dem Einzigen, den sie in der Gegend kennen?
ANTON. Zufall führte mich kaum hierher. Gott weiß, wie ich das puritanische Dasein verabscheue mit seinen Spießbürgern, die hälftig aus harter Arbeit und aus frommer Gläubigkeit bestehen. Die Verhältnisse variieren, aber die Inhaltsstoffe bleiben konstant. Nein, nicht einmal in der Freizeit verlasse ich mein Den Haag, außer in gewichtigen Sonderfällen.
SIEN. Demnach muss Vincent einen erhöhten Status bei Ihnen einnehmen. (Überlegt) Oh, ich Dummerchen, wie konnte ich mich so unhöflich gegen Sie benehmen, wo Sie die weite Anfahrt auf sich genommen haben? Der Zufall hat Sie womöglich nicht hierhergeführt, aber womöglich jene unberechenbare Kraft, die dafür gesorgt hat, dass Vincent wegen ihnen zur Post unterwegs ist, um Ihnen zu antworten.
ANTON. Worauf sollte er bitte antworten? Wir hatten seit Monaten keinen Kontakt.
SIEN. Dann sind sie nicht sein Förderer?
ANTON. Nicht direkt. Gewissermaßen war ich das und ich versuche das auszunutzen, um es wieder zu werden. Ihrer Interessiertheit zu Folge sind Sie seine Frau?
SIEN. Nicht direkt. Noch nicht zumindest.
ANTON. Ah, das gemeinsame Kind (deutet auf den Schwangerschaftsbauch).
SIEN schüttelt den Kopf.
Peinliches Schweigen erfüllt den Raum. Hin und wieder ist ein bedeutungsvolles Luftholen vernehmbar, als möchte einer von beiden einen Satz beginnen, welcher schlussendlich doch verschluckt wird. Aus der Ferne ist das Fatschen einiger Fußschritte im Schlamm hörbar.
VINCENT tritt ein, ohne den Besuch zu bemerken. Der Postbeamte hat erstaunlich auf deine Grüße reagiert. (Erkennt Anton) Nanu! Anton?
ANTON. Genau der, es ist eine Weile her.
VINCENT. Was führt dich in diese verlassene Heidegegend?
ANTON. Du mein Freund, du bist es wert, dich überall aufzusuchen! Jeden Umstand nehme ich dafür in Kauf.
SIEN. Klärt mich bitte jemand auf? Ich bin übermäßig verdutzt, ich dachte, außer deinem Mäzen und mich gibt es niemanden, mit dem du in Kontakt stehst.
ANTON. Sein Stern wird aufgehen und wetteifern mit der Leuchtkraft des Nordsterns, dann, wenn er unübersehbar über den nichtigen am dunklen Firmament thront, werden ihn Gönner mit Gaben überhäufen, um ein wenig von dem Glanz, den er verströmt, abzubekommen.
SIEN. So?
VINCENT. Höre nicht auf die Worte des Schmeichlers.
SIEN. Es gibt eine stolze Anzahl an Malern, was macht Sie in Ihrer Weissagung deshalb derartig fest?
ANTON. Um im Bild des Astrologie zu bleiben, so stechen uns besondere Sterne aus zwei Gründen entgegen: Erstens leuchten sie aus eigenem Bestreben heller als ihre Nachbarn und zweitens, weil ihre Umgebung aus verschiedenen dunkelblauen Abstufungen besteht, ergo je dunkler das Umfeld, desto krasser die Wirkung bei der Abhebung. Es braucht Künstler der Mittelmäßigkeit, um einen Genius zu erkennen.
SIEN geht bedächtig auf die Staffelei zu und fühlt die groben Pinselstriche nach, die ihr Gesicht darstellen sollen. Beim besten Willen: Wie soll diese Kleckserei jemals als Kunst durchgehen?
ANTON. Weil sie Ihnen heute nicht als Kunst verständlich ist, heißt das nicht, dass es morgen genauso bleiben muss. Die Kunst lebt, sie ist ein tosender Strom und kein stiller Gletschersee. Sie ist veränderlich und reißt hinfort, was lose am Uferrand liegt und bildet um. Sie kennen akkurate Bildnisse von vornehmen Damen, die sich selbstsicher im Glanze ihrer Schmuckcolliers rekeln oder hoheitliche Gemälde von Männern, die zum Herrscher geboren das Licht dieser Welt erblickt haben.
SIEN. Wer kennt sie nicht? Diese monumentalen Darstellungen werden die Jahrhunderte überdauern. In prächtigen Goldrahmen prangen die Gesichter einer Zeit und werden ihr besser dienen als dieses Gruselkabinett. (Zu Vincent) Wo hast du dein schreckliches Handwerk nur erlernt?
ANTON. In meinem Atelier, und zwar bei mir höchstpersönlich. Ich habe Vincent den ersten Malkasten geschenkt und ihn ermuntert ein Freigeist zu sein.
VINCENT. Deswegen die Lobeshymnen! Ein Lehrer kann unmöglich seinen Schüler rügen, der Flügge geworden ist und außerhalb seiner Fittiche steht. Jede Kritik muss automatisch auf seine Schule zurückfallen, weswegen jegliche Kritik im Keim erstickt wird, bis es zu einem Emblem des Ateliers umgewandelt wurde.
ANTON. Es schmerzt außerordentlich, wenn bei der Ordensverleihung der Stich der Nadel mokiert wird.
SIEN. Jetzt, wo ich trefflich im Bilde bin, ist mir Ihre Selbstbeweihräucherung zuwider. Da es gerade nicht regnet, empfehle ich mich zu einem Spaziergang.
ANTON. Aber denken sie an meine Worte: Nur weil es gerade im Moment trocken ist, heißt das nicht, dass es keinen Regen mehr gibt.
SIEN. Ist recht, aber solange ich den Sonnenschein nicht als Schlechtwetter preise, werde ich die Schmierereien nicht als Kunst gelten lassen. (ab)
ANTON. Sie ist kritisch …
VINCENT. Ich kenne gegen mich keinen größeren Kritiker als meine Wenigkeit.
ANTON abwesend. … Und übertrieben hübsch.
VINCENT. Sie war in einem bemitleidenswerten Zustand, als ich sie fand. Ihr Zustand ist stabil, aber die Schwangerschaft verlangt ihrem geschwächten Körper alles an Kraft ab, weswegen ich ihr ihre Stimmungsschwankungen leicht verzeihe.
ANTON. Du hast sie gefunden? In dem Sinne als sei sie eine filigrane Orchidee am Wegesrand, die du gepflückt hast?
VINCENT. Eine dem Erdboden entrissene Blume ist nicht mehr schön, sie ist tot. Hier auf dem Land sind solche exotischen Blumen ohnehin ausgeschlossen.
ANTON. Betrachte es metaphorisch und lass deinen Geist zirkulieren!
VINCENT. Das tue ich durchaus. Ich ließ nach deiner Manier meine Gedanken schweifen und sie kamen stets auf dich zurück, weswegen ich deinen Besuch, mehr als du ahnst, danke, aber sprich zuerst du, der du den Weg auf dich genommen hast, was dich in meine bescheidene Wohnstube führt?
ANTON. Hör gut zu, es gibt großartige Neuigkeiten, über die ich mit niemanden zuvor gesprochen habe.
VINCENT. Sprich offen.
ANTON. Unmöglich, ich bin dermaßen aufgekratzt und ein solches Thema will wohlüberlegt sein. Ich quartiere mich im Dorf ein und sammle mich, dann reden wir.
VINCENT. Du kannst bei uns übernachten, wir haben einen schlichten Futon, das wird genügen.
ANTON. Wo denkst du hin? Ich brauche meine Freiräume! Meine Morgentoilette halte ich ab, wann ich will und möchte dabei ungestört sein. Ich ziehe in den Buytenhof. Morgen reden wir über ein gemeinsames Projekt – Ade. (ab)
VINCENT. Ist das Möglichkeit? Da erscheint mir aus dem Nichts, wie im Traume, mein Lehrmeister und ist obendrein von derselben Eingebung gequält wie ich. Es ist nun nötig jede Minute sorgfältig zu planen. Wie wären meine Pläne besser erreichbar, wenn ich das Schlafen verneinen könnte? (sucht aufgeregt nach einer Feder und einem Billett. An Theo) Bruderherz, es ist etwas Unverhofftes geschehen in Bezug auf meine Zukunft. Ich führe es dir zu gegebener Zeit ausführlicher aus. Für den Moment erbitte ich, dass du Vertrauen fasst und mich mit weiterem Geld in Höhe, die dir angemessen dünkt, unterstützt - wie gesagt, die Änderung kam prompt aus heiterem Himmel. (Eilig zur Tür ab)
IV. SZENE
Auftritt Sien, die Theodorus und Anna ins Haus führt.
THEODORUS zu Anna. Schau dir den Sumpf der Verkommenheit genau an. Dieses Satanswerk, die Malerei hat einen redlichen Mann zu einem Lumpen vermaledeit. Pfarrer hätte er werden können. Er hatte bereits sein Studium begonnen.
SIEN. Er hat einen Mäzen, der seine Kunst unterstützt.
ANNA zu Theodorus. Bevor du den Teufel an die Wand malst, warte wenigstens ab, was dein Sohn selbst zu seiner Gesellschaftsflucht zu sagen hat. Womöglich gibt es vernünftige Gründe, die er aufführt.
THEODORUS. Verrückt ist er!
SIEN. Mir spendet er Nächstenliebe, wie es Christus gewollt hätte.
THEODORUS. Was weißt du liederliches Weibsbild von Nächstenliebe?
SIEN. Ich weiß, dass man Menschen mit Respekt gegenübertritt und nicht ihrem Äußeren nach beurteilt.
THEODORUS. Du redest redlich, weißt du überhaupt, von wem du das Kind empfangen hast?
SIEN. Was braucht es einen Vater, der es nicht liebt! Es braucht Wärme und Nahrung zum Überleben – so einfach sind die Tiere gestrickt. Da unterscheiden wir uns nicht von ihnen.
ANNA beschwichtigend. Wir danken Ihnen, dass sie uns in die Unterkunft unseres Sohnes geführt haben, aber wir ziehen es vor, ihn hier allein zu erwarten, um eine zuträgliche Aussprache zu finden. Ich bitte Sie daher, meinen Gatten zu entschuldigen und rechne auf ihr Verständnis.
SIEN. Nein, Gott verdammt!
ANNA. Nein? Entschuldigen Sie.
THEODORUS. Hör auf, diese Kreatur zu siezen, du merkst wohl, dass sie dich missversteht.
SIEN. Ich missverstehe bewusst, aber da ich hier wohne, habe ich ein Recht, empfangen zu dürfen, wer mir gefällt und sie gefallen mir beide gar nicht. Ich wünsche, dass Sie zu einem neuerlichen Zeitpunkt vorstellig werden. Ich werde Vincent ihre Ankunft mitteilen.
Vincent tritt in das laute Geschehen sichtbar überrascht ein, abermals unerwarteten Besuch zu erhalten.
VINCENT. Mutter? Vater?
THEODORUS. Da ist er!
VINCENT. Ich verstehe nicht.
ANNA. Wir ebenso wenig, das kannst du glauben, wenn du ansonsten schon jedem Glauben abgeschworen zu haben scheinst. Unsere Auseinandersetzungen wollten wir beilegen, weil wir wissen, dass …
THEODORUS. Nichts wollten wir beilegen! Bekehrt musst du werden zur evangelischen Kirche. Wofür standen die Protestanten ein? Ich als Verteidiger der niederländisch-reformierten Kirche schaffe es nicht einmal, meinen eigenen Sohn vom Atheismus abzubringen?
SIEN. Blutsverwandte sind die unnachgiebigsten Zweifler. Sie sehen im Zugeständnis ihre Position gefährdet.
VINCENT. In dem Fall brauchst du keine Angst haben Vater, denn ich galt der Familie seit je als unförmiger Klotz am Bein, der unliebsam mitgeschleift wird, weil es der Pflicht gebiert. Im Studium, quasi als ich begann, die Pfade zu beschreiten, die von mir erwartet wurden, erlebte ich eine Eintracht, die als heilig bezeichnet werden konnte, aber wie schlugen mir Wellen des Hasses entgegen, als ich vom Weg abkam.
THEODORUS. Du und deine Kraftausdrücke, weißt du überhaupt, wie verzehrend Hass ist? Kannst du seine Bedeutung wirklich ermessen?
ANNA. Niemand hasst irgendwen, erinnern wir uns an die guten Zeiten.
VINCENT. Ja, versuchen wir es. Ich erinnere mich an den 22. Dezember, wo der Keller unaufgeräumt blieb und Theodorus in einem seiner cholerischen Anfälle drohte, die gesammelten Zeitschriften zu verbrennen, obwohl er wusste, dass Anna die Rezepte noch nicht daraus entfernt hatte. Seine Drohung war so heftig, dass sie es mit der Angst bekam und wie eine arme Magd bis weit über Mitternacht hockte. Ihr Antlitz verkrustet derweil, wie ein Kerzenständer, an dem das Wachs herabläuft – nur waren es bei ihr Zähren.
THEODORUS. Diese Dramaturgie ist nicht steigerungsfähig.
VINCENT. Durch dich ohne weiteres. Keine Banalität war dir zu klein, um sie groß aufzubauschen, bis sie die Familie erstickte.
ANNA. Du vergisst die positiven Erlebnisse.
VINCENT. Nie habe ich vergessen, dass ihr das Credo pflegtet, mir täglich etwas Neues von der Welt zu zeigen.
THEODORUS. Deine Dankbarkeit schwingt stets in deinen Reden wie eine Rachekeule mit.
VINCENT. Bist du zartbesaitet oder warum verstehst du die Kritik bloß, wenn sie dir gezuckert verabreicht wird?
THEODORUS. Rede, ich habe einen unerschrockenen Magen.
VINCENT. Dafür müsste dieses Menschenorgan Stein zermalmen können. Damals kam ich zu spät und deine Sätze donnerten blitzhaft auf mein Haupt herab.
THEODORUS. Pünktlichkeit ist eine Tugend, der man sich rühmt, oder bist du jemals nach dieser Lektion wieder später als zur vereinbarten Zeit nachhause gekommen?
VINCENT. Nie! Und weißt du warum? Weil ich mir lieber während des Laufschritts in die Kleider urinierte, anstatt zwei Minuten Rast zu halten. Ich hatte Angst vor deiner Tyrannei und dem Ungewissen der Folgen.
THEODORUS. Du lügst!
VINCENT. Du warfst mich vom Stuhl, mein Hinterkopf prallte auf dem Boden auf und schmerzte. Benommen bekam ich einen Schlag verabreicht und dann noch einen. Selbst meine dünnen Knabenarme konnte ich nicht zum Schutze heben, deswegen sah ich dein feuriges Gesicht, welches dem Platzen nahe war und den Schaum, der giftig in deinen Mundwinkeln zusammenlief.
THEODORUS. Du bringst mich in Verruf vor einer Fremden.
SIEN. Ihnen fremd, aber Ihren Sohn umso bekannter (küsst Vincent).
THEODORUS. Was hat das zu bedeuten?
VINCENT. Wir lieben einander und sind ein Paar.
THEODORUS. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen (wütend ab).
ANNA. Was ich ursprünglich sagen wollte ist, dass wir wissen, dass die Vergangenheit unveränderbar ist, lasst uns darum die Zukunft fröhlicher gestalten.
VINCENT. An mir soll es dabei nicht liegen.
ANNA. Du weißt, wie dein Vater ist. Es nützt darum nichts, wenn du die Wahrheit auf der Messerspitze führst. Wir wussten von deinem Bruder, in welche Region du gezogen bist und uns wurde dein Eremitenleben vorausgesagt, deswegen kamen wir und in diesem Punkt gebe ich deinem Vater recht – das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Nie ist alles schon gesagt (ab).
SIEN spöttisch. Wir hätten ihnen ein Quartier einrichten können.
VINCENT. Der Futon ist für solche Logis ungeeignet.
SIEN. Weißt du, was beim Vergessen hilft?
VINCENT. Das Wissen füreinander da zu sein. Die Wärme eines Leibes zu spüren, der einen löscht, wenn man brennt?
SIEN. Was ich meine ist Weinbrand, denn der wärmt dich von innen nach außen und somit allumfänglicher!
VINCENT. Ich muss Herr meiner Sinne sein! Die Zeit, die ich benötigte, um mich von der Macht, die mein Vater über mich hatte, zu befreien, ist unwiederbringlich – ich verschwende keine Zeit mehr, die ich zur kreativen Arbeit nutzen kann und mache mich zur Geisel der Flasche.
V. SZENE
Anton tritt aufgrund seiner unerwiderten Klopfens ins Haus von Vincent und Sien ein.
ANTON bleibt vor der Staffelei stehen und betrachtet ruhig das Gemälde. Dieser Ausdruck des Leidensschmerzes muss die eigene Seele dazu zwingen, Anteil zu nehmen an diesem unbekannten Schicksal. Ich möchte sie zu mir heranziehen, sie trösten und ihr ins Ohr flüstern, dass alles gut wird, obwohl ich es nicht wissen kann. Aber diese hoffnungsschwangere Floskel macht jedem Mut, dem auch ein Strohhalm zum Festklammern fehlt. Das Bild lebt von den Gefühlen, denn technisch gibt es Potential. Die Proportionen, im Besonderen die der Hände wirken fremd, aber jene Dissonanz ist der ausschlaggebende Grund, warum es Blicke gefangen nimmt und aus einer ganzen Reihe mühelos heraussticht. Betrachtet man es in Folge dann eine Sekunde intensiv, so ist man ihm verfallen. Ein meisterhaftes Gemälde, bei dem ich spüre, dass es der Anfang des Befreiens ist, der zur Eigenständigkeit führt. (Will weitergehen, bleibt aber dennoch stehen) Es könnte von mir sein!
VINCENT, der ungehört Anton in den Rücken schleicht. Störe ich?
ANTON. Ich bin überwältigt von dieser Schönheit.
VINCENT. Hoffentlich nicht allzu sehr, denn unsere letzte Unterhaltung mussten wir deswegen abbrechen – also, was hat dich hergeführt?
ANTON. Du hattest damals den Kopf voller Ideen, ich sah dir förmig an, wie dir schwindelig davon wurde. Sobald du ein Vorhaben für ein bestimmtes Motiv gefasst hast, setzt du die Mine auf die Bütten ab, aber es bleibt bei diesem Punkt, denn sogleich überfiel die Idee zu einem anderen Motiv. Ein sprudelnder Quell, dem kein Flussbett gegeben ist, nützt nichts und niemand, höchstens seiner unmittelbaren Umgebung. Es braucht den festen Lauf, um das Wasser fortzutragen.
VINCENT. Ich habe enorm dazu gelernt und von deiner Kunst profitiert.
ANTON. Weniger von meiner als die von Millet, den ich dir damals als französischen Maler des Realismus vorstellte. Sammelst du weiterhin Bilder von ihm?
VINCENT. Und ob! Ein unsäglicher Gewinn, diesen Künstler zu kennen, welcher ein Born der Inspiration darstellt. Theo arbeitet mittlerweile, wie ich seinerzeit, in einer Kunsthandlung und er ist von Kunst im Allgemeinen hellauf begeistert und schafft es, Expertise aufzubauen. Wenn ihm zufällig ein Millet unter die Hände kommt, denkt er meiner. So konnte ich mir eine überschaubare Sammlung zusammensparen.
ANTON. Rührend, wie ihr füreinander sorgt. Was gibst du ihm als Ausgleich?
VINCENT. Ich gebe ihm meine Bilder, allerdings bisher mit mäßigem Erfolg.
ANTON. Jeder Anfang ist schwer, mäßig ist dabei dennoch besser als Nichts.
VINCENT. Es ist eine höfliche Formulierung für Nichts.
ANTON. Ich konnte ja nicht ahnen!
VINCENT. Ich bekümmere mich darum nicht, ja bisweilen kann ich es verstehen, ich muss die Studien im Stile Millets erst beenden, bevor ich selbstständig male. Dieser Krückstock als Halt ist mir Notwendigkeit.
ANTON. Und die Landschaft, seine Landschaft sozusagen ist sicher auch förderlich. Schon bei der Anreise fühlte ich mich eher von der Vorahnung von Ölfarben als von Landluft umgeben.
VINCENT. Jeder der Arbeiter ist es Wert, ihn ein Leben lang zu zeichnen und zu malen. Die Handgriffe, und mit welcher Sicherheit sie ausgeführt werden, sind allegorisch. Der Säer! Ich betrachte ihn aus der Ferne und ein unachtsamer Mensch würde meinen, dass er schlicht die Samen ausstreut, ich erkenne darin aber eine Melodie, die Wesenseinheit mit der Umgebung im ständigen Austausch mit Geben und Nehmen und bei der Aussaat gibt er in vollen Händen dem Mutterboden zurück. Jedes liliputanische Samenkorn hat genau jenen Platz bekommen, den er es zugedachte.
ANTON. Einfache Leute konnten dich immer schon mehr beeindrucken als die Pfeffersäcke.
VINCENT. Weil ihre Existenzen hohl sind. Sie sind die Orangenschale, die parfümhaft riecht und die gern angesehen wird, aber das Innere mitsamt dem Fruchtfleisch, welches sie umhüllen und dadurch verdecken, ist die Nahrung, die sättigt.
ANTON. Darin stimme ich mit dir überein.
VINCENT. Ich werde es dir an einem Beispiel näherbringen und zwar habe ich den Sämann als Modell eingeladen.
ANTON. Für mich? Das waren der Umstände zu viel.
VINCENT. Keineswegs – nur glückliche Fügung – so kannst du meine neue Technik beurteilen, wenn dir mein Bild so gefällt, vielleicht kannst du …
ANTON. … unter keinen Umständen! Wo denkst du hin? Wenn der Lehrer vom Schüler Ratschläge empfängt, herrscht Anarchie. Jede Stufe, die wir auf die Hierarchieleiter emporklettern, ist hart erkämpft, ein willfähriges Herschenken heißt, den erworbenen Abstand geringschätzen.
VINCENT. Wenn du kein Interesse daran hast, wieso bist du dann aufs Land gekommen, um mich aufzusuchen?
ANTON. Ich deutete es bereits an, ich möchte dir einen Vorschlag unterbreiten. (Barsches Klopfen an der Tür).
VI. SZENE
Vorherigen, Sämann
PATIENCE erstaunt eintretend. Mich deucht, meine Augen wollen mich auf den Arm nehmen, wollen mir einen elenden Streich spielen oder erkennen sie etwa leibhaftig den Bauernmaler Anton Mauve?
ANTON verlegen. Genau den.
PATIENCE. Nein!
VINCENT. Doch!
PATIENCE. Keiner vor Ihnen und gewiss keiner nach Ihnen wird unseren Berufsstand trefflicher malen, als Sie. Sie beschönigen die Realität nicht, deswegen werden sie auf dem Land verehrt. Die Romantik unserer Arbeit sind ausgewachsene Flausen. Schafe hüten, Kühe treiben, den Pflug übers Feld schieben, Wäsche waschen, Brennholz sammeln. All das wird verehrt von den Städtern, die keinen Schimmer davon haben, dass wir von früh bis spät rackern. Ja, wir lehnen wirklich hin und wieder an einem Birkenstamm mit einer Maiskolbenpfeife. Laster solcher Art verhelfen uns zu Verschnaufpausen, aber wir zittern dabei, weil unsere Muskeln überreizt sind.
ANTON. Das erkennen Sie aus meinen Gemälden?
PATIENCE. Wer nicht? Die gemäßigten Farbaufstriche entsprechen der Kahlheit unserer Herzen, aber auch eine freie Fläche ohne jeglichen Firlefanz kann liebreich wirken. Wir sind arm, aber glücklich – wie ihre Bilder.
ANTON. Gemessen Ihrer Ausführung, fass ich letzteres als Kompliment auf.
PATIENCE. Zweifelsfrei, das können Sie! Seien Sie gewiss, dass es niemand da draußen gibt, der nicht Ihren Namen kennt. Anton Mauve (indem er den Namen dahin haucht).
VINCENT. Siehst du, du hättest hier keinerlei Probleme, Modelle zu finden. Im Gegenteil, du müsstest Termine vereinbaren und getreulich einen Kalender pflegen. Wenn es zu Überschneidungen kommt, weißt du ja, wo du mich findest.
ANTON setzt ein affektiertes Lächeln auf.
VINCENT. Geschweige denn, dass sie Gulden von dir verlangten. Es wäre ihnen eine Ehre vor dir zu sitzen, ganz lammfromm die brüchigen Hände in den Schoss gelegt und ihr Leben auf der Leinwand gebannt zu wissen.
ANTON. Wenn du das meinst.
VINCENT. Das ist offensichtlich. Mir hingegen haftet lediglich der üble Geruch des Misstrauens an, weil ich zugezogen bin und mich keiner kennt, deswegen muss ich mir Vertrauen erkaufen, aber meine Aufwendungen dafür sind begrenzt. Deswegen (bittet mittels einer förmlichen Handbewegung PATIENCE Platz zu nehmen) habe ich keine Geduld für verschwendete Zeit.
PATIENCE. Sie malen mich?
VINCENT. Freilich, wir haben darüber gestern Vormittag gesprochen – Sie erinnern sich?
PATIENCE. Verschwommen, Sie haben mir Geld geboten und ich empfand es als willkommene Abwechslung, aber da ich so unverhofft in diese Szene getreten bin, dachte ich nun, dass es ein Vorwand war, denn das Häuslein würde bersten vor dem Herandrängen der Bauern, die das Mauerwerk umzingeln, wenn sie wüssten, dass Anton Mauve zugegen ist.
VINCENT. In gewisser Hinsicht haben Sie durch diese Bekanntschaft bereits Ihren Lohn erhalten.
PATIENCE. Wer konnte damit rechnen? Gerechnet habe ich hingegen mit den Einnahmen, die ich sonst auf dem Feld verdient hätte.
VINCENT. Und was Sie hier sehen, ist mein Feld, wo ich zu Werke gehe, um mein Brot zu verdienen.
PATIENCE setzt sich mit verschränkten Armen widerwillig hin. Sodann beackern Sie mich.
VINCENT beginnt mit Schraffierungen. Ich werde Sie malen, wie ich Sie sehe. Rechnen Sie demnächst mit meinem Besuch, sodass ich Sie auch in Bewegung ausreichend betrachten kann. Mir schwebt ein Motiv vor, wie Sie gerade einen Ausfallschritt unternehmen und mit der Rechten beherzt in den Samensack greifen und die künftige Ernte durch die Finger gleiten lassen. Ein blasses Gelb schwingt im Himmel mit, während im Hintergrund auf einer Anhöhe ein Ochsengeschirr angespannt wird.
PATIENCE, der eine zunehmend offene Sitzhaltung annimmt. Sie machen mich neugierig. Ist die Idee nach Mauve?
ANTON beschaut mit seichtem Nicken die Entwicklung des Bildes. Die Idee ist frisch und trägt weder Staub noch Moder.
PATIENCE. Prompt spüre ich das Prickeln in meinem Bauch, wie es mich kitzelt und ich platzen möge vor heiterem Lachen.
VINCENT. Halten Sie genau diese Position, indem Sie auf den Gehstock gelehnt sind und den Blick direkt auf mich richten. So verewigt wird Ihr Abbild künftig noch von Vielen betrachtet.
PATIENCE. Ich kann es nicht erwarten!
ANTON. Geduld!
PATIENCE. Das sagen Sie dahin, als ob ich keine Neugier besäße. Wann wird es fertig sein!
VINCENT. Eben jetzt.
PATIENCE. Schon?
VINCENT. Ja – Details entstehen durch das Auge, nicht den Pinsel, deswegen halte ich mich mit solcher Arbeit zurück.
PATIENCE. Aber die Komposition muss wachsen, Strich um Strich. Nur weil ich schnell säe, folgt meiner Schuhsohle nicht gleich der erste Halm.
VINCENT. Sehen und urteilen Sie selbst!
PATIENCE sieht etwas skeptisch. Die in Falten gelegte Stirn wird etwas gelichtet, bleibt aber trotzdem größtenteils verfinstert.
ANTON. Achten Sie auf das strahlende Kolorit und wie die warmen Orangetöne des Hintergrundes sowie des Strohhutes, der alleingenommen schon eine Sonne darstellt, eine Komplementärverbindung eingehen mit dem Karibikblau Ihres Hemdes. Meisterlich!
PATIENCE. Sie sagen es. Ich bin ein einfacher Mann und weiß, worauf es in der Landwirtschaft ankommt, aber in der Kunst wie auch in allen Genüssen kann ich nur auf eins vertrauen: Es muss mir gefallen und dieses Portrait gefällt mir!
VINCENT. Ich werde es Ihnen schenken!
PATIENCE. Ich habe an meinen Wänden einzig praktische Dinge hängen, wie Werkzeuge und andere Geräte, ich würde es dadurch entwürdigen.
VINCENT. Sie würden es heben, weil es ist, wo es hingehört in den Schoß der Arbeit.
ANTON im Spaß. Wenn Sie nicht wollen, dann nehme ich es.
PATIENCE. Es ist ein Geschenk und das lehnt kein höflicher Mensch ab.
VINCENT. So ist‘s recht! Sehen Sie, Ihre aufgelöste Skepsis drang mich zu diesem Tun, denn schwierig ist es, Neue hereinzulassen, wenn im Ofen das Alte glimmt und die Zimmer erwärmt. Wohlan, ich habe Ihre Adresse und werde es Ihnen nach vollständiger Trocknung persönlich zustellen.
PATIENCE. Danke (ein starkes Räuspern befällt den Mann).
VINCENT. Wie wird Ihnen? Saßen Sie im Zugwind und sind unterkühlt?
PATIENCE hält offensichtlich die geöffnet Handschale hin und blickt abwesend im Zimmer umher.
VINCENT. Verstehe (er durchwühlt seine Hosentaschen und gibt ihm vier Gulden).
PATIENCE. Ich danke dem Herrn Künstler und Herr Mauve, es war mir eine außerordentliche Freude. Wenn ich bei der nächsten Messe diese Geschichte zum Besten gebe, wird sie mir niemand glauben.
ANTON. Das Mögliche wird stets herabgewürdigt durch die beschränkte Vorstellungskraft des Unmöglichen.
PATIENCE ab unter tiefer Verbeugung.
VII. SZENE
Vorherigen
ANTON. Kanaille!
VINCENT. Der Sämann?
ANTON. Blutsauger.
VINCENT. Sei nicht ungerecht.
ANTON. Betrüger. Der, der ungerecht ist, bist du! Auf Gedeih und Verderben möchtest du dich selber zugrunde richten? Du verschenkst Bilder und bezahlst diejenigen gar dafür? Das ist die Krone der Absurdität. Neben Materialausgaben hast auch du Zeit geopfert.
VINCENT. Wirtschaftliches ist nie von Belangen, solange die Grundbedürfnisse gesichert sind. Ihm hat das Bild offensichtlich zugesagt, da kam ich kaum umhin, ihm diese Freude zu bereiten.
ANTON. Du hast die Berufung verfehlt, denn wenn du Freude spenden möchtest, werde professioneller Komiker, lass dich anstellen in Amt und Würden, beispielsweise als Clown.
VINCENT. Du machst dich über mich lustig, aber lass dir gesagt sein, dass du mit deiner Einschätzung nicht weit entfernt bist, denn im aufrichtigen Lachen eines Menschen sehe ich seine Schönheit. Niemand ist dann hässlich und jeder ist liebenswert.
ANTON. Ich mache mir Sorgen. Die rauen Sitten sind ungewohnt. Du könntest leicht ausgenutzt werden, deswegen würde ich es allzu gerne sehen, wenn wir wieder zusammenarbeiten.
VINCENT. Zusammenarbeiten?
ANTON. Du sagst es. Wir haben uns beide entwickelt, uns betört das gleiche Thema. Daraus könnte eine monumentale Serie entstehen! Im Speziellen sehe ich eine Reihe an Schöpfen, von Bauern Mägden, Familien, einfach den Menschen vom Lande. Ihre Darstellung kommt ohne das Profane aus, weil die Portraits es ohnehin ausatmen. Bist du dabei?
VINCENT. Das klingt fantastisch!
ANTON. Du machst wirklich gerne Freude, aber ist es das, was du willst?
VINCENT. Unbedingt! Schon lange wollte ich dir den Vorschlag machen, eine Art Künstlerkommune zu gründen, in der wir einander heben. Kein anderer wäre mir dafür lieber als du!
SIEN’s Stimme aus dem Hintergrund. Vincent! Wo bist du?
ANTON. Du wirst jetzt von ihr gebraucht und später von mir – Auf bald! (Ab)
VIII. SZENE
Vorheriger, Sien
SIEN. Kümmerst du dich gut um mich?
VINCENT. Natürlich kümmere ich mich um dich.
SIEN. Hör genauer zu, dann gibst du bessere Antworten. Die Frage war, ob du dich gut um mich kümmerst.
VINCENT. Das möchte ich wohl meinen.
SIEN. Was soll aus uns werden? Aus dem Kind, was in mir heranwächst. Wird es je einen Vater haben?
VINCENT. Jetzt hörst du aber schwer! Ich habe geschworen, dir den Mann und dem Baby den Vater zu ersetzen.
SIEN. Zwei Menschen in einem und dann möchtest du noch Künstler sein? Wie viele Gesichter kann ein Mensch haben?
VINCENT. Eins, aber dieses schimmert je nach Sonneneinstrahlung in veränderbaren Tönen und Zügen, aber immer gehört es einem facettenreichen Menschen.
SIEN. Wie erklärst du dir, dass der eine Mensch, der du vorgibst zu sein, kein Geld für mein Modellstehen zahlt und der zweite Mensch, der ebenfalls du bist, diesen Bauerntölpeln die Gulden in die Hand drückt. Ja, ich habe es klimpern gehört.
VINCENT. Aber er ist davon abhängig!
SIEN. Jeder ist ein Sklave seines Einkommens oder von dem, der es ihm gibt. Du stellst mich schlechter als diesen Bauern und kokettierst mit diesem Städter – Anton Mauve – diesen Speichellecker, der dich umsurrt wie eine Biene und dich mit Honig übergießt, bis du an ihm kleben bleibst.
VINCENT. Er redet stets überschwänglich von dir, wenn er dein Bild sieht.
SIEN. Und das weckt kein Misstrauen und keine Eifersucht in dir?
VINCENT. Wieso sollte es? Ich habe das Bild gemalt, es erfüllt mich mit Stolz Anerkennung zu finden.
SIEN. Er begehrte nicht das Bild, sondern die die Frau mit gleicher objektiver Lust. Bist du blind für seine Avancen? Der nächste Schritt ist der, dass er im Vorbeigehen, den Flaum meiner Armhärchen berührt. Als ob eine Frau, gerade eine durch die Schwangerschaft überempfindliche, solche Hahnerei übersehen würde.
VINCENT. Das bildest du dir ein, so wie du dir einbildest, dass ich unzureichend für dich sorge. Die ersten Wände eines Hauses bieten keinen Schutz, lass mich das Dach für uns bauen. Mit der Hilfe von Anton, mit dem ich eine Malergemeinschaft gründen will.
SIEN. Und deine Eltern?
VINCENT. Was soll mit denen sein?
SIEN. Da wieder! Behandelst du jemanden gut, wenn du ihn vor deinen Verwandten verleugnest, ja wenn diese im Unwissen darüber lässt, ob es eine Partnerin an deiner Seite gibt?
VINCENT. Mein elterliches Verhältnis ist zerrüttet. Meinen Vater konnte ich genügen, solange ich nach seiner Pfeife tanzte, aber als ich begann, mir Meinungen und Anschauungen zu bilden, war es aus. Das Lot wackelte und mit ihm fiel der häusliche Segen. Was nützt es, sich daran die Schuld zu geben und daran mürbe zu werden, wie meine Mutter. Sie ist der mythologische Prometheus und mein Vater der Geier – jeden Tag reißt er ihre Eingeweide in Stücke, sie schreit, ist aber gefangen – im Gegensatz zu Prometheus nicht durch Schellen, die am Kaukasus geschmiedet wurden, sondern von ihrer Hilflosigkeit und dem Glauben, alleine wie eine Primel einzugehen.
SIEN. Damit ist die Schleife gebunden! Du hast es selbst zugegeben. Deine Mutter glaubt, nicht selbstständig zu sein und womöglich ist das von deinem Vater beabsichtigt, denn so schafft er eine Abhängigkeit. Ich sage es nur ungern, aber du wirst zu ihm!
VINCENT. Du weißt, wie es schmerzt, mit ihm verglichen zu werden. Ich sehe in ihm den liebenden Vater. Auf seinen Bauch lag ich als Kind, nicht auf dem der Mutter. Seine Wärme war mir stets holder, aber ich liebe ihn nicht, weil der Dämon in ihm die Oberhand gewann.
SIEN. Auch du hast einen Dämon in dir, mit dem du ringst, der dich übermannt, sobald du schwach bist.
VINCENT. Was verlangst du, dass ich mir Absolution bei dir erkaufe?
SIEN. Solange ich Geld bekomme, bist du nicht wie dein Vater.
VINCENT. Ich habe keins mehr.
SIEN. Du sagst stets, dass du keines besitzt, aber kommt es hart auf hart, dann funkelt in deiner Hand eine Münze.
VINCENT. Wir haben also einen Notfall.
SIEN. Kein Geld zu haben ist ein Notfall.
VINCENT. Selbst da kann ich diesmal keine Abhilfe schaffen.
SIEN. Du Geizhals! Schreib an deinen Mäzen. Sei auch in diesen Beschaffungsmaßnahmen kreativ, wenn es dir dein Kapital schützen soll.
VINCENT als ob er dadurch auf etwas hingewiesen wurde. Du hast recht! Ich muss ihm schreiben, ich habe es versprochen. Wie spät ist es? Womöglich bekomme ich heute die nächste Sendung von ihm. Gibt Sien ein Zeichen, dass sie sich zurückziehen soll. Sien ab.
IX. SZENE
Vorheriger
VINCENT an Theo. Du bist weise Theo, denn obwohl du zum jetzigen Zeitpunkt gerade einmal mein erstes Schreiben erhalten hast, überschlagen sich die Ereignisse, aber der Reihe nach. Ich knüpfe an, als ich dir kurzerhand letztens das Billet schickte. Mein Lehrmeister, Anton Mauve, ist bei mir unverhofft eingetroffen, man könnte fast sagen eingeschlagen, ja das trifft, eingeschlagen wie ein Blitz. Dieses charakteristische Aufzucken war ausreichend, um meinen Traum einer Künstlergemeinschaft wiederzubeleben. Freilich war er nie tot, aber braucht es zur Verwirklichung die passenden Menschen, die aus demselben Holz geschnitzt sind, wie man selbst. Anton hat mich angeleitet und mir die Augen geöffnet für die Kunst. Bis ich ihn traf, war sie für mich eine leblose Form, die neben dem notgedrungenen Alltag dahinvegetiert. Töricht! Die Kraft des einen kann zur Kraft von hunderten, die Kraft von hunderten zur Kraft von tausenden Gleichgesinnten werden! Jedenfalls lasse ich es gerne auf den Versuch ankommen, aber dazu ist Geld ein unerlässliches Übel. Geld, Geld und nochmals Geld, alleine die Nennung verstopft mir den Rachen, sodass ich gezwungen bin auszuspucken. Wie kann dieses Tauschmittel Henker darüber sein, in welchem Maße Kunst an die Öffentlichkeit gelangt? Du wirst mir entgegnen, und deswegen nehme ich es gleich vorweg, dass die Menschen die Kunst weitertragen wie eine olympische Fackel und jeder angesteckt wird, der es berührt. Es mag sein, dass du recht hast, wie eingangs erwähnt, aber in der Fülle, wo jede Schneeflocke einander gleicht, wer nimmt sich die Mühe, sie mikroskopisch zu betrachten, wo sie erst ihre Unterschiede offenbart? Dieses Hindernis ist überwindbar mit Kapital, beziehungsweise mit seiner verschwenderischen Verwendung, denn mit Kieselsteinen müssen wir uns beladen und sie in der Hoffnung von uns werfen, irgendwen zu treffen, sodann bin ich bereit, meine Bilder in den Wettstreit mit anderen Künstlern treten zu lassen. Soll der Bessere gewinnen! Wobei ich durchaus an keinen Disput interessiert bin im Sinne, welcher besser, also wer es verdient hat, als der beste Maler zu gelten, denn so etwas gibt es nicht. Ich benötige keinen Bekanntheitsgrad, der, wie mich deucht, mein Handeln negativ einfärbt, da Intensionen von den Erwartungen herrühren, die außerhalb meines Wesens stehen. Die richtige Kunst setzt sich durch, was richtig ist, weiß ich nicht (bricht das Schreiben ab, da Sien hereinplatzt).
SIEN. Post! Post ist da! Der Briefträger hat mich erschrocken, als ich mich gerade draußen auf der Hollywoodschaukel hin und her in einen oberflächlichen Schlaf wippte. Er kommt aus Paris meinte der Bote, das riecht man bereits am Geruch. Diese parfümierten Kuverts kommen immer aus Paris, wie aus einer anderen Welt. Leider steht kein Absender drauf, aber es ist erwiesen, dass es dein Mäzen sein muss (überreicht den Brief).
VINCENT. Wie aufgeregt du bist. Auf was wartest du? Nein, ich öffne ihn, sobald du die Türe hinter dir geschlossen hast, denn das sind Privatangelegenheit.
SIEN. Aber gibt es Privateres, als das, was wir teilen?
VINCENT. Beginne bitte nicht erneut mit diesem Thema. Ich sage dir dann, was drinstand.
SIEN beleidigt. Du weißt, dass es mir nicht darauf ankommt.
VINCENT. Prima, umso besser (macht eindeutige Handbewegungen, als verscheuche er eine Taube; Sien ab).
THEO an Vincent. Unvorstellbar! Als ich eben aus dem Atelier heimkehrte, lag auf meinem Bürotisch ein Stapel Umschläge, aber ich war zu sehr abgemattet, so sehr, dass ich die lästige Aufgabe der Sondierung für Mittwoch vorgesehen habe. Zur Not hätte ich sie bis zum Wochenende hinausgezögert, wenn die Freizeit es zulässt, Arbeit zu verrichten, aber magisch blieb ich bei jedem neuerlichen Vorbeigehen an dem Stapel haften, als rufe eine Stimme mich, näherzutreten. Ich fächerte sie auf und in der Tat, erkannte ich sofort deine arabeske Schrift und fühlte mich schuldig, den Brief, oh es waren mehrere, ihrer zwei, warten zu lassen. Es waren höchstens anderthalb Stunden, aber für die entschuldige ich mich bei dir. Um dich nicht unnötig warten zu lassen, kürze ich diese Zeilen ab, da diese Sendung noch mit der nächsten Postfuhre dich erreichen soll. Bald habe ich bestimmt mehr Gelegenheit dir zu antworten, vielleicht bereits schon darauf, was du mir zu schreiben ankündigst.
VINCENT an Theo. Uns verbindet eben ein stärkeres Band, denn bloße Bruderschaft. Dass du mich verstehst, bedeutet mir ungleich mehr, als das Geld, was du deinem Schreiben beigefügt hast. Manchmal glaube ich, missverstanden zu sein von aller Welt und beginne an mir zu zweifeln – soll ich oder die Welt verrückt sein? Ein jeder erhebt Ansprüche, die ich erfüllen möchte, weil sie mich gering dünken, aber in Summe verzweifle ich an ihnen, deswegen danke. Danke für das Materielle und das andere auch, wenngleich ersteres in absehbarer Zeit aufgebraucht sein wird. Die Ersteinrichtung für ein Atelier ist auf dem Land zwar günstiger, aber aufwendiger in seiner Beschaffung darum teuer. Anton wird seinen Beitrag leisten, aber du verstehst, wenn ich trotzdem gerade am Anfang kein Schuldner sein möchte. Unsere Kunst soll auf einer Ebene stehen, wie wir! Als ich deine Sendung erhielt, befand ich mich gerade im Aufsetzen des Schriftstücks an dich. Wie oft sagt man solcherlei? „Gerade als du, wollte ich auch“-Floskeln überhört man gern, aber diesmal ist sie treffend. Ich muss mich ebenso beeilen, den Brief vor dem heutigen Sendungsschluss aufs Postamt zu bringen, wobei ich mich verurteile. Du zeigst dich großzügig und verdienst detailreichere Ausschmückungen von mir und von dem, was hier geschieht. In der Distanz ist man sich auch innerlich fern, daran ist nichts zu machen, wenngleich unser Band nicht reißt, so wird es zumindest strapaziert. Das Verhältnis zu unserem Vater ist für mich schwierig einzuordnen. Grundsätzlich denke ich, er meint es gut, bloß fällt es schwer gemessen an seiner Ausdrucksweise, daran zu glauben. Unvermittelt stand er plötzlich mit meiner Mutter vor mir und polterte los, wie du es von früher kennst. Ich war geplättet. Hast du eine Ahnung, woher sie wussten, in welcher Ortschaft sie nach mir suchen mussten? Die beiden verschwanden dann hastig, wie sie erschienen sind, haben sich aber in der Gegend eine Unterkunft gesucht. Bestimmt durch Zufall die gleiche wie Anton. Zurzeit wird mein Haus umgarnt und es spitzt sich eine lebensverändernde Entscheidung zu. Ich muss lernen loszulassen, wird am Ende doch stets alles anders, als erhofft (faltet eine Skizze zurecht und steckt sie eifrig in den Umschlag).
Sien tritt auf leisen Sohlen über die Schwelle ein, als könne sie Vincent bei etwas ertappen, das verrät wie viel Geld in dem Umschlag war.
SIEN. Und?
VINCENT. Und was?
SIEN. Du weißt, was ich meine!
VINCENT. Was ich weiß ist, dass ich den Brief schleunigst aufs Amt bringen muss. Er hat es verdient, dass man ihn nicht warten lässt (ab).
X. SZENE
SIEN allein. Oh, ich merke wohl, wie meine Art und meine offensichtlichen Bestrebungen zu offensiv ihn anmuten. Ich muss Vincent Luft zum Atmen lassen, sonst stirbt er mir. Oder er sucht das Weite, was für mich streng genommen seinem Tode gleichkommt. Ich muss also die Truhe aufsperren und mein Verführerwerkzeug herauskramen und ölen. Das trefflichste von ihnen ist die Eifersucht. Nichts hat je so gut geholfen, um den Partner zu bezeigen, dass seine Gunst keine Einzigartigkeit genießt. Wir werden schon herausfinden, ob dieser Anton Mauve sein Bild oder das lebende Motiv bewundert. um ihn an mich zu binden.
XI. SZENE
Vorherige, Anton
ANTON. Verzeihung, ich werde später erneut mein Glück versuchen.
SIEN herausfordernd. Versuchen Sie es doch jetzt.
ANTON. Madame?
SIEN. Ich habe bemerkt, wie gierig sie vorhin Vincents Bild gemustert haben. Sie mögen seinen Stil?
ANTON. Ihr Mann hat einen Blick fürs Schöne, das muss man ihm lassen. Warum sollte er sich in Natura mit weniger zufriedengeben als auf der Leinwand?
SIEN kichert kindisch. Sie sind mir ein Charmeur!
ANTON. Bitte nicht! Ich kenne die Fänge, die Sie nach mir ausstrecken, aber es wird nicht gelingen.
SIEN. Dabei schienen Sie bei unserem ersten Treffen für Eroberungen unerschrocken.
ANTON. Der Eindruck täuschte nicht, wenigstens in dem Augenblick.
SIEN. Was ist jetzt anders?
ANTON. Das Jetzt ist anders, daran liegt es. Sie vermuten, in mein Gesicht zu sehen, welches dem von unserem ersten Treffen nicht unähnlich ist, aber hinter der Fassade sind Gewitterwolken aufgezogen und haben das Schädelgebälk verdunkelt und mit ihm meine Fleisch- und Sinneslust.
SIEN. Das ist traurig, wenn Sie ohne Zutun zu einem neuen Menschen werden. Dabei empfand ich den ersten recht sympathisch. Darf ich Sie denn kennenlernen?
ANTON. Das wird nichts nützen.
SIEN. Wie?
ANTON. Weil ich demnächst nach Den Haag zurückkehre.
SIEN. Wie?
ANTON. Was meinen Sie mit diesem „Wie“? Natürlich so, wie ich hergekommen bin. Mit Kutschen und größtenteils zu Fuß.
SIEN. ABER?
ANTON. Ah Sie können also auch zweisilbig, das ist angenehm zu wissen, obschon es Vögel gibt, die sie darin übertrumpfen.
SIEN. Schluss mit dem Blödsinn! Sie kommen in mein Heim und beleidigen mich. Vincents Begeisterung darüber wird zu vernachlässigen sein, er würde sich wohl in Ihnen getäuscht sehen und …
ANTON unterbricht sie. Und was? Sie wagen es, eine Drohung gegen mich auszusprechen? Gegen mich, seinen Lehrmeister? Gegen den, den er verehrt? Gegen den, mit dem er eine Kommune gründen möchte? Daran erkenne ich deutlich, dass Sie ihn keineswegs kennen. Seitdem er sich von seinen Eltern befreien konnte und den eigenen Weg beschreitet, den eines Künstlers bedarf er dem, was seinem Werk zuträglich ist zum Überleben. Eine Entscheidung treffen zwischen dem bürgerlichen oder der künstlerischen Welt ist längst geschehen.
SIEN. Deswegen hört er aber nicht auf zu existieren und Menschen brauchen Menschen zum Menschsein.
ANTON. Sie kennen die Künstler schlecht.
SIEN. Wenn das so ist, wie Sie sagen, sollte jeder sie meiden.
ANTON. Die Geächteten sind wir seit je, was glauben Sie, woraus meine Stimmungsschwankungen herrühren?
SIEN. Er wird bei mir bleiben!
ANTON. Was sind Sie mehr als eine Konkubine, die ihn manipuliert für ihre Zwecke. Sie schlucken? Ja, ich habe sie durchschaut, was allerdings eine leichte Übung darstellte, denn ich muss Sie nicht kennen, um zu wissen, dass Sie sind wie alle.
Stimmen von Theodorus und Anna, die sich lautstark vor der Eingangstür streiten.
SIEN. Hören Sie das?
ANTON. Da haben wir vor lauter Streitereien den leiseren Streit nicht gehört.
SIEN geht zur Tür.
XII. SZENE
Die Vorherigen. Theodorus und Anna, die überrascht werden vom Aufspringen der Tür und eintreten.
THEODORUS, indem er Anton erblickt. Aha! Wie du siehst Anna, wollte uns die Frau, die uns herführte doch nur Narren, sie wohnt mit diesem Kerl unter einem Dach. Unser Vincent bezieht die Hütte wahrscheinlich zur Untermiete, dass die beiden ihren Lustbarkeiten nachkommen können. So, wie ich es mir von Anfang an dachte.
SIEN. Selbst ohne abstruse Beschuldigungen, machen Sie sich in ihrem Gebaren genug lächerlich, da bedarf niemand sonst.
ANTON. Und überhaupt, was glauben Sie, wen Sie vor sich haben?
ANNA. Schweig still, wir kennen die beiden gar nicht - wieso einen Streit vom Zaun brechen?
THEODORUS. Sei lieber du still. Diese beiden Subjekte, die sich offensichtlich mit Gott überworfen haben, leben in der Einöde, um seinen Blick zu entgehen und glauben, dass sein Auge sie unentdeckt lässt, aber ich bin sein Auge, durch mich sieht er die Schmach, die an ihm vergangen wurde.
ANTON. Verzeihen Sie, aber ich bin wie Sie, lediglich auf Besuch. Mein Name ist Anton Mauve.
THEODORUS. Ich kenne vorwiegend Madonnenmaler und wie solch einer sehen Sie mir weiß Gott kaum aus. Ihr ungekämmter Bart, ihre hochmütigen Augenbrauen, das und vieles mehr verkündet mir Hochmut statt Demut vor dem Herrn. Es mangelt Ihnen an Gehorsam, denn Sie scheinen mir renitent gegen den Herrn zu sein. Kommen Sie zurück zu Ihrer Herde.
ANTON. Wenn Sie wüssten, wie weltfremd Sie klingen. Ich soll mich vor Gott beugen? Haben Sie in den Kirchen, im Besonderen in den italienischen Kathedralen und Kapellen die düsteren Darstellungen des Tizian, des Tintoretto oder Caravaggio bewundert? Erschienen sie Ihnen von Gott oder vom Teufel beseelt? Los reden Sie!
THEODORUS. Ich kenn die Herren allesamt nicht.
ANTON. Sie geben also zu, nicht allwissend zu sein, aber in der Gottfrage und in puncto der Szene, in die Sie eingetreten sind, sind Sie urteilsfähig? Wir haben selbst gehört, wie Sie mit ihrer Frau vor der Tür gestritten haben, deswegen haben wir sie geöffnet. Ergo könnten wir einen ähnlich schäbigen Eindruck von Ihnen haben.
ANNA. Da haben wir es. Wärst du nur still gewesen. Hebt einer das Schweigen auf, geht es zu, wie im Hühnerstall und Verleumdung jagt Verleumdung. Ja, wir haben uns gestritten, aber es war eine Kleinigkeit.
XIII. SZENE
Vincent tritt in den Tumult ein. Die Gespräche verstummen, als sie seine Anwesenheit bemerken.
VINCENT. Das Empfangskomitee steigert seine Anzahl von Besuch zu Besuch.
THEODORUS. Spar dir deinen Spott mein Sohn. Es ist ernst. Es bedarf Erklärungen, um dieses Knäuel der Verwirrungen zu entfitzen. Sag uns als erstes, um den Schock im Rahmen zu halten, wer dieser Herr ist und in welcher Verbindung du zu ihm stehst?
VINCENT. Dieser Herr ist Anton Mauve, mein Lehrmeister, der mich zur Malerei gebracht hat.
ANNA. Ach, Sie sind der Maler Anton Mauve?
ANTON. Gibt es einen zweiten?
THEODORUS. So, Sie sind also der schändliche Verführer, der meinen Sohn vom rechten Weg abbrachte?
VINCENT. Er brachte mich von gar nichts ab, er zeigte mir, was ohnehin schon in mir saß, er brachte es zum Vorschein. Das allein war jedoch nicht der Bruch mit dem Theologiestudium. Das war deine harte Hand, die meinte, dass diese beiden Flammen der Leidenschaft einander verzehren müssen und ich eine Entscheidung fällen muss. Ich suchte Erhöhung durch beide, aber du tratst sie mir unter den Beinen weg, ich hingegen suchte beide miteinander zu vereinen, denn glaube oder glaube nicht, dass ich der Kirche nie abgeschworen habe.
THEODORUS. Wie kannst du dich gottesfürchtig nennen, aber gegen jegliche Lehre verstoßen? Wieso wohnst du bei diesem Lustbarkeitspärchen?
VINCENT. Anton ist zu Besuch, wie ihr, nur ist er willkommen.
ANNA. Sag das nicht. Es wird alles wieder gut.
THEODORUS. Zu welchem Zweck? Es muss plausibel klingen, um es wirklich zu glauben.
VINCENT. Auch wenn es dich nichts angeht, so beabsichtigen wir, hier eine Künstlerkommune zu gründen, um die Abbilder der Arbeiter und Bauern zu malen. Wir honorieren sie mit Ewigkeit, während du sie als Prediger beladest mit Schuldgefühlen, sodass sie ihren Kopf nie heben werden.
SIEN. Ich muss diese Unterhaltung stören, aber frage ihn genau, bevor du eventuell Geld für eine gemeinsame Sache ausgibst, die unreal ist. Ihr lauft eventuell auf einer Ebene, aber trotzdem versetzt, denn ihn drängt es zurück nach Den Haag.
VINCENT. Ist das so?
ANTON. Ja! Und weißt du auch warum? Alleine dieses schlechte Schauspiel gibt uns einen Eindruck von den ganzen kleinbürgerlichen Wichtigtuern, denen wir abgeschworen haben. Die Schwere liegt in der Luft und beeinträchtigt jede Arbeit.
VINCENT. Aber das ist echt, das ist das, was wir malen wollen. Wonach sonst, wenn nicht nach lebenden Vorbildern, in denen sich das Arbeiterleben reflektiert.
ANTON. Gipsmodelle. Wir können in der Stadt unendlich viele davon besorgen. Wir modellieren sie nach unseren Vorbildern, bloß ohne die Litanei, permanent zu betonen "Bitte stillsitzen", "Bitte mehr zum Licht wenden" oder "Halten Sie bitte die Augen geöffnet".
VINCENT. Wenn ich lebendig malen möchte, dann geschieht dies unmöglich anhand toter Materie. Bleib hier und du wirst sehen, dass es eine Frage der Gewöhnung ist. Du kannst dich an alles gewöhnen.
ANTON. Ich will aber nicht!
VINCENT. Verzeih, dann will ich auch nicht. (Anton rückt in den Hintergrund zur Staffelei und besieht den Sämann)
ANNA, die das kollektive Schweigen bricht. Mein Armer, Malen ist das einzige für dich, oder?
VINCENT. Das ist es nicht, aber in ihr kann ich sein, wer ich bin, nirgends sonst gelingt es mir.
THEODORUS, der von Weitem einen flüchtigen Blick auf die Staffelei wirft. Diese Farbsprenkler, das sollst also du sein?
SIEN. Beleidigen Sie ihn nicht.
THEODORUS. So, Sie besitzen mehr Expertise in Kunstfragen? Für mich ist das bloße Schmiererei eines Blenders, der sich Maler nennen möchte, weil er sonst nichts ist.
SIEN. Was sagen Sie dann dazu, dass er einen Mäzen besitzt? Einer der ihm regelmäßig Geld zukommen lässt, wenn er danach fragt, einer, der an ihn glaubt und unterstützt. Das braucht er.
ANTON kehrt unverwandt zurück. Vincent, wenn du dieser Mätresse glauben schenkst, bist du verloren. Ab und an spielt sie dir das Scharmützel vom holden Weib in Not, aber du wirst nie ihr Ritter sein, der sie auf einem weißen Ross gen Sonnenuntergang führt, dafür ist sie zu durchtrieben. Dein Mäzen gilt ihr mehr, als deine Person.
SIEN schreit ihn an. Was fällt dir ein?
ANTON. Maske für Maske.
SIEN. Hast du jemals erlebt, wie es ist, einen Freier nach dem anderen gewähren zu lassen, bis einer dir ein Kind verpasst. Dieser Mistkerl hat mich berufsunfähig gemacht, was sollte ich anderes tun, als dem nächstbesten Schwächling um den Hals zu fallen, bevor es zu spät für mich ist. Lieber den, als gar kein Geld.
THEODORUS. Apropos.
VINCENT. Nein, bitte. Lass diesen Riesenspaß ungekrönt.
ANNA. Hier stehen ausnahmslos Ruinen, belass es dabei, wenn daraus wieder ein Haus gebaut werden soll.
THEODORUS. Es ist ein Mäzen?
SIEN. Ein Mäzen.
THEODORUS. Der regelmäßig Geld schickt?
SIEN. Der regelmäßig Geld schickt, so ist es.
THEODORUS. Kam die letzten Sendungen stets, um den 10. eines Monats und haben ausgereicht, um die Miete von 125 Gulden zu begleichen und 25 für sonstige Ausgaben?
SIEN. Woher wissen Sie das?
THEODORUS. Weil ich der Mäzen bin.
VINCENT aus allen Wolken fallend. Du? Wie soll das angehen, ich habe von dir seit unserem Streit nachdem ich das Studium abgebrochen haben keinen Heller gesehen.
THEODORUS. Womöglich nicht direkt von mir, aber eventuell auf Umwegen.
VINCENT. Theo ...
ANNA. Sei deinem Bruder nicht böse. Er hat es gut gemeint, aber er selbst hat kein Geld, immerhin arbeitet er erst seit kurzem in dem Kunstatelier.
VINCENT. Raus!
THEODORUS. Wir haben dich unterstützt, da war es unser gutes Recht zu sehen, wofür wir unser sauer Erspartes verhökern. Es war die Pflicht deines Bruders uns mitzuteilen, in welchem Ort von der gottverlassenen Heide du nun wohnst.
VINCENT. Raus!
THEODORUS. Wenn du uns jetzt des Hauses verweist, hast du deinen sogenannten Mäzen verloren. Niemand wird je deine Arbeit anerkennen. Willst du wirklich die Hand beißen, die dich füttert?
VINCENT. Raus!
THEODORUS an Anton. Eine Frage noch wegen der italienischen Maler, da sie mir ja unbekannt sind. Sind ihre Bilder nun vom Allmächtigen oder von seinem ständigen Widersacher beseelt?
ANTON. Zu gleichen Teilen von beiden! (Theodorus stapft wütend ins Freie)
ANNA (bleibt kurz stehen und nimmt Vincents Gesicht in beide Hände) Oft können wir nichts, für das, was aus uns geworden ist. Wenn wir uns damit abfinden, haben wir unseren Frieden gefunden. Er ist widerlich erkauft, aber trotzdem ein Frieden. Suchst du weiter, begibst du dich aufs offene Meer und damit in eine unüberschaubare Gefahr. Du bist nicht wie ich, suche darum weiter Vincent und werde glücklich, aber suche nicht nach dem vollkommenen Glück, sondern nach dem, mit dem es sich leben lässt (Sie küsst ihn auf die Stirn und verlässt das Haus).
VINCENT. Raus!
ANTON. Überlege es dir mein Freund.
VINCENT. Ich danke dir für die Vergangenheit, wir hatten eine bewegte Zeit und ich bin dankbar für alles, was du für mich getan hast, aber bei jenem Abschnitt belassen wir es. Wir sind zu verschieden, als dass dieses Buch ein weiteres gemeinsames Kapitel vertragen könnte (Anton ab).
SIEN. Ich weiß, was du sagen möchtest: Raus!
VINCENT schließt die Tür.
SIEN. Ich darf bleiben?
VINCENT. Als ob ich nicht wüsste, dass du mich nicht liebst, aber wo solltest du jetzt hin in deinem Zustand? Bleib hier, wenn es dir angenehm ist, jedoch unter einer Vorraussetzung.
SIEN. Stelle mir jede!
VINCENT. Gib mir einen Schluck deines Weinbrandes.
SIEN. Aber du trinkst doch nicht.
VINCENT. Meine Mutter sagt, ich solle weitersuchen und dass ich mich aufs Meer begebe. Für dieses Unternehmen brauche ich einen Kompass.
XIV. SZENE
Vincent einige Tage später am Sekretär.
THEO an Vincent. Vater hat an mich telegrafiert und mir die hässliche Szene geschildert, in der auch ich eine unfreiwillige Rolle zugesprochen bekam. Er erzählte, dass du trotzdem wacker deinen Mann gestanden hast, auch wenn dir der Zorn mit jeder weiteren Enthüllung aus den Pupillen schoss. Trotz dieses Lobes, und du weißt, was das bei unserem Vater heißt, hat er jegliche Geldströme eingestellt. Was mich anbelangt, so war es stets mein Bestreben dir zu helfen, dass ich dir einen Teil der Wahrheit vorenthalte, geschah aus Selbstschutz vor dir, weil ich deine überhasteten Einfälle kenne, die dich spätestens dann reuen, sobald sie ausgesprochen sind. Was die Eltern noch nicht wissen, ist, dass die ersten Monate hervorragend für mich liefen und ich durch etliche Verkäufe auf Provision rechnen darf, das heißt eine Unterstützung, wenngleich in geringerem Ausmaß ist weiterhin möglich, aber bedenke mein Angebot! Ich würde dich so gerne in Paris haben - eine gemeinsame Wohnung zu zweit, würde einiges an Kosten sparen und hier findest du eventuell auf eigene Faust Käufer für deine Bilder, im geringsten Fall aber Gleichgesinnte. Denke bitte darüber nach und gibt mir eine Rückmeldung, sodass ich alles Weitere veranlassen kann.
VINCENT an Theo. Von all den Übeln, die mir an diesem Tage widerfahren sind, war deines am meisten zu vernachlässigen. In diesen Schwall vergaß ich sogar, weswegen ich dir zürnen sollte. Dein Angebot muss ich jedoch ablehnen. Nun, wo die Wogen geglättet sind, kann ich mich wenigstens auf das Wesentliche und zwar meine Arbeit konzentrieren.
Ein zaghaftes Klopfen veranlasst Vincent nachzusehen. Als er die Tür öffnet, steht Patience vor ihm, der die Hutkrempe nervös zwischen den Fingern kreisen lässt.
PATIENCE. Störe ich Sie?
VINCENT. Keineswegs. Treten Sie ein!
PATIENCE. Es dauert nicht lange.
VINCENT. Wenn es wegen des Bildes ist, so entschuldige ich mich, dass ich es noch nicht weitergeben konnte. Die Zeiten waren sehr stürmisch. Ich werde es sogleich abspannen und aufrollen. Dann können Sie es direkt mitnehmen.
PATIENCE. Eben darum geht es: Ich möchte es nicht.
VINCENT. Darüber haben wir schon gesprochen. Ich schenke es Ihnen. Vertrauen Sie mir und haben Sie Mut.
PATIENCE. An dem fehlt es mir. Sehen Sie, ich bin ein einfacher Sämann auf dem Feld und auch Zuhause, das heißt, ich verkehre mit einfachen Menschen und wir haben einen Stock, an dem wir uns emsig festklammern und das ist das Altbewährte. Alles tun wir hier nach altbewährter Manier. Unser Alltag ist vorbestimmt von Geburt an, genauso wie unsere Geschmäcker. Hören wir, dass irgendwo ein Gemälde aushängt denken wir automatisch an die Kirchaltare, die uns Ehrfurcht eingeben. Wir denken an die Leiden Christus und wie gering das Joch ist, welches vergleichsweise dazu auf uns lastet und sind beglückt.
VINCENT. Das sind selige Gedanken, aber was hat das mit meinem Portrait von Ihnen zu tun.
PATIENCE. Es hat Jahre gedauert, bis die Leute andere Bilder überhaupt als solche gelten ließen. Allen voran sind jene von Anton Mauve zu nennen. Er konnte als erster die Balance finden zwischen Romantik und Andacht. In seinen Bildern ist die Arbeit der, ich wiederhole, einfachen Leute erkennbar. Sie waren heilig, weil sie uns heilig darstellten und erhoben uns dann schließlich auch zur Heiligkeit.
VINCENT. Die Ausführungen hatten Sie mir bereits bei der Sitzung mitgeteilt - nun frank und frei heraus - warum möchten Sie mein Bild von Ihnen nicht?
PATIENCE. Weil es abgrundtief hässlich ist wie die Nacht. Allein darin einen bekannten Wesenszug von mir zu entdecken, lässt mich erschauern, weil ich mich mit dem Monstrum identifizieren müsste. Schlimmer ist nur das Urteil meiner Familie, die mich auslachen würde, jedes Mal, wenn sie an diesem Ding vorübergehen. Wen könnte ich noch zu mir einladen? Mein Haus ist Baustelle, phasenweise ein dreckiges Loch, aber wenn ich dem Bild seinen passenden Fleck zuordnen müsste, fiele mir keiner ein.
VINCENT. Danke für Ihre Ehrlichkeit. Ihr Urteil wird meine Arbeit nicht verfälschen, jedoch meine Betrachtungsweise darauf (schlägt ihm die Tür vor der Nase zu und setzt sich an seinen Platz, um den begonnen Brief an Theo zu zerknüllen. Er nimmt einen neuen Bogen). Bruder! Hier ist alles getan. Man muss die Zeichen der Zeit richtig deuten, um zu wissen, wann ein Schlussstrich gezogen werden muss und eben diesen ziehe ich hiermit. Ich werde noch heute das Nötige besorgen, um die kommenden Tage in Paris einzutreffen. An Geld werde ich das Nötigste mit mir führen, um ein Ticket zum Gar du Nord zu kaufen. Den Rest werde ich Sien überlassen. Darüber hinaus, wäre es mir sehr lieb, wenn du, solange ich noch kein eigenes Geld verdiene, weiterhin an diese Adresse Geld überweist, denn ich will Sien versorgt wissen, so wie es am besten für sie ist. Auf bald Bruder, dies sollen die letzten schriftlichen Zeilen sein, bevor wir uns in den Armen liegen nach jahrelanger Abstinenz, aber diesmal nicht für einen flüchtigen Augenblick, diesmal für immer!