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Zwischen häuslichem Schutz und wildem Raum 5

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Streunen ist eine sehr eigenwillige Weise, in der Welt zu sein. Für gewöhnlich wird das Streunen Tieren zugesprochen. Katzen sind hierzulande vermutlich die bekanntesten »Streunerwesen«. Sie bewegen sich – sofern sie nicht absolute Wohnungs- oder Hauskatzen sind – sozusagen nach Lust und Laune nach draußen, sie streifen durch das Gebiet, ohne ersichtliches Ziel; halten inne, setzen sich, laufen weiter. Sie erkunden den Raum, nahezu belanglos, ohne von ihm etwas zu wollen, nur um sich in ihm zu bewegen. Eine Katze am Streungang ist nicht auf der Jagd, zumindest so lange nicht, bis ihr etwas ganz interessant Erscheinendes über den Weg läuft, das sie daran erinnert, dass sie auch eine Jägerin ist. Und selbst dann ist nicht sicher, ob unsere Katze das genüssliche Streunen zugunsten des erregenden Jagens aufgibt.

Ich verstehe nichts von Katzen, bin ihnen weder besonders zunoch abgeneigt, aber in Sachen Streunen können wir von ihnen lernen. Ihre Mischung aus häuslicher Anhänglichkeit und wildnisorientiertem Bewegungsverhalten ermöglicht, dass wir sie relativ häufig und gefahrenfrei wahrnehmen, ja sogar beobachten können. Ich vermute, dass auch Wildschweine, Feuersalamander, Rehe und Dachse, ja vielleicht sogar alle Vierbeiner streunen, und wahrscheinlich streunen auch Vögel. Milane zum Beispiel sind sehr elegante Luftstreuner. Der Unterschied liegt wohl nur darin, dass all diese »Wildtiere« entweder sagenhaft schnell verschwinden oder uns gar als Beute oder Feind ausmachen, wenn wir ihnen im Nahbereich begegnen. Dann ist es mit ihrem Streunen vorbei – und damit auch mit unserem Zuschauen.

Hier noch eine wichtige Unterscheidung, ehe wir weiterziehen: Eine Katze, die ihre Streunschlaufen zieht, ist nicht mit einer ständig streunenden Katze zu verwechseln. Eine ständig streunende Katze hat – weshalb auch immer – kein »Haus«, in das sie durch ein Katzenklapptürchen gelangt, wann immer es ihr beliebt. Die ständig streunende Katze beginnt einen Verwilderungsprozess, der durch die viele Jahrtausende währende Koexistenz von menschlicher und kätzlicher Spezies gar nicht so einfach ist und meist doch dadurch unterbrochen wird, dass die betroffene Katze sich eine neue Wohnung samt deren Bewohner:in sucht. Wer kennt nicht jemanden, der von einer zugelaufenen Katze regelrecht erobert wurde? Das funktioniert freilich nur bei einem ausgewogenen Verhältnis von Häusern und Katzen. Andernfalls kann es schon zu hauslosen Katzenhorden kommen, die mit Vorliebe Restaurant-Viertel überfallen. Übrigens oft zeitgleich mit den Touristenhorden, aber das ist ein anderes Thema.

Nun aber zurück zu jenem Streunen, das sich im speziellen Zusammenspiel aus häuslichem Schutzort und offenem Wildraum entwickeln kann. Es ist auch für uns Menschen möglich, zumindest für jene, die einen häuslichen Schutzort und einen offenen Wildraum einigermaßen in Reichweite haben. Leider ist das jedoch nicht selbstverständlich, und so ist auch die Kunst des Streunens – so wie viele Erbschaften aus frühen Zeiten der Menschgeschichte – vom Aussterben bedroht.

Streunen ist jene Bewegung im Raum, die keinem Ziel folgt und vor nichts flüchten muss. Die nichts wollen muss und ganz bestimmt nichts vermessen, erkennen, vergleichen. Sie muss nichts nehmen und nichts geben, auch wenn wir, solange wir atmen, gar nicht anders können als fortwährend zu nehmen und zu geben. Wir können beim Streunen den Raum und seine Dinge ganz einfach in ihrem Zusammenwirken belassen und müssen nichts (können aber, wenn es sich einstellt) aus ihm herauszoomen, herausextrahieren oder gar isolieren. Wir können das Zusammenleben sinnlich wahrnehmen, uns in und mit diesem Gewebe erkunden und ein wenig vom ständigen Werden überrascht werden. Das ist herrlich!

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