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Chancen auf Rückkoppelung

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Die Magie des Streunens, das haben wir schon gesehen, kann uns von vorgespurten Wegen abbringen. Als eine Art potenzielle Pertubation oder Verstörung lässt sie uns Erfahrungen von Spontaneität im wechselseitigen Zusammenspiel mit unserer ökologischen Nische machen. Unerwartet folgen wir darin Bewegungs- oder Handlungsimpulsen in und mit einem Raum, der auf uns ebenso unerwartet und spontan einwirkt wie wir auf ihn. Um es etwas pathetischer zu formulieren: Wir oder Elemente oder Perspektiven von uns erscheinen dem Raum so wie Elemente oder Perspektiven des Raumes vor uns erscheinen. Sie erscheinen uns als Du, so wie wir als Du erscheinen. Es kann sein, dass diese Dus einander etwas zurufen und gar einander antworten. Es kann sein, dass diese spontan entstehende Bezogenheit diese Dus verwandelt und zum nächsten führt. Es kann aber auch einfach still sein. Es kann sein, dass wir einem plötzlichen Antrieb folgen, schnell zu laufen, Steine zu sammeln oder in den See zu springen. Es kann aber auch sein, dass wir uns niederlassen, alle Viere von uns strecken, oder langsam, ganz langsam von einem Baum zum nächsten gehen und unsere Hände an ihren Stämmen entlanggleiten lassen, und wir spüren die Struktur der Rinde und spüren die Rinde unsere Handflächen spüren. Streunen erlaubt einen Wechsel von Geschwindigkeit, von Bewegung und Ruhe im Raum. Der Aufmerksamkeitsmodus, der mit dem Streunen einhergeht, führt nie und nimmer zu einer in nur eine Richtung weisenden Linie, dazu ist er zu biologisch, zu wirklich, zu lebendig, anders gesprochen: Er ist schlicht und ergreifend zirkulär.

»In der Biologie gibt es keine monotonen Werte«, schreibt Bateson und führt weiter aus:

»Ein monotoner Wert ist ein solcher, der entweder nur zu- oder nur abnimmt … Begehrte Substanzen, Dinge, Muster oder Erfahrungssequenzen, die in gewissem Sinne gut für den Organismus sind – Nahrungsmittel, Lebensbedingungen, Temperatur, Unterhaltung, Sex und so fort –, sind niemals so beschaffen, dass mehr von der Sache stets besser ist als weniger davon. Vielmehr gibt es für alle Objekte und Erfahrungen eine Quantität, die einen optimalen Wert hat. Jenseits dieser Quantität wird die Variable toxisch. Unter diesen Wert zu fallen bedeutet Entbehrung« (Bateson 1987, S. 72).

Inspiriert von Batesons Perspektive wage ich zu behaupten, dass Streunen in einer kulturellen Umwelt, die mit linearem Denken und einem ebensolchen Handeln seit ein paar Jahrtausenden in toxischer Liaison zusammenlebt, nicht nur antitoxisch ist, sondern auch eine enorme Bildungschance für zirkuläres Denken, Empfinden und Handeln. Es enthält die Chance zur Rückkoppelung unserer biologischen und kulturellen Verfasstheiten. Wir können nicht wissen, was dabei herauskommt. Aber ich vermute, dass ein Mehr an zirkulären Erfahrungen mit unserer Nische zumindest Unterschiede im mehrheitlich linearen Selbst- und Weltempfinden generieren würde. Das Wagnis ist es allemal wert.

Jetzt aber wieder zurück zur Katze, unserer Mentorin. Das Streunen der Katze ist ja eben auch nicht monoton, sondern rhythmisch, zyklisch, zirkulär. Vom Haus aus betrachtet, kommt und geht sie, im Territorium selbst wird sie vermutlich als begnadete Streunerin immer wieder neue Wege und Bereiche erkunden. Auf diese Weise lernt die Katze den Raum kennen und der Raum die Katze. Selbst wenn unsere Katze keine große Abenteurerin ist und – angenommen – oft auf denselben Strecken streunt, wird sie doch jedes Mal einem anderen Raum begegnen, weil das Wetter, die Ameisen, die Büsche, die Gräser, die Autos, die Menschen, die anderen Katzen, die Vögel nie und nimmer zwei Mal in der genau selben Konstellation erscheinen. Hier ist alles einmalig gegenwärtig, unwiederholbar, ganz und gar nicht verallgemeinerbar. Man könnte sagen eine einmalige besondere Erfahrung, die eine spezielle Beziehungsqualität zwischen der Katze und ihrer Nische bildet. Streunen ist so gesehen für naturwissenschaftliche Erkenntnisse ziemlich ungeeignet, weil sich aus diesem speziellen Beziehungsgeflecht nichts isoliert untersuchen und schon gar nicht beliebig wiederholen und überprüfen lässt. Es ist daher auch höchst unwahrscheinlich, dass sich in nächster Zukunft Streunen als wirksame Methode per Krankenkasse abrechnen lassen wird, worüber ich – ehrlich gesagt – auch sehr froh bin.


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