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Zum Hof Ufrichte Paul, der Zimmermann

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Meister, Gesellen und ehrbare Leut, nach Wochen schwerer Arbeit ist Richtfest heut, zum Rohbau gefügt, von kundiger Hand, steht stolz dieses Haus aus Meisterhand.« (Auszug aus Pauls Richtspruch)

Schwalbenschwanz, Kopfband, Andreaskreuz, Pfette – Paul, der erfahrene Zimmermann, kennt sie alle, die Verzapfungen und Verbindungen, die in den historischen Bauten des Schwarzwalds verwendet wurden. Seit 48 Jahren ist Paul mit Leib und Seele Zimmermann.

In seiner langen Laufbahn hat er so alles gebaut, was es mit Holz zu zimmern gibt: aufwendige Sanierungen alter Schwarzwaldhöfe mit der Errichtung eines neuen Dachstuhls, mit Altholz wiederhergestellte Altaraufsätze in einer Kapelle, der Neubau eines Brunnenhäusles aus alten Materialien, ein Backhäusle auf alt getrimmt, eine diffizile Treppe oder auch die Restaurierungsarbeiten an einer Mühle – seine Kunstwerke füllen einige Fotobücher. Es ist faszinierend zu entdecken, dass man mit wenigen Verzapfungen monumentale Bauwerke errichtet hat, und das zu einer Zeit, in der es außer Manneskraft nur wenige Hilfsmittel gab. So ist der Spaziergang mit Paul in der historischen Ölmühle in Simonswald ein Ausflug in die Baugeschichte des Schwarzwalds.



Malerisch umrahmt von der wilden Gutach und dem Mühlenkanal, schmücken rote Geranien die 300 Jahre alte historische Ölmühle. Innen erwartet die Besucher ein liebevoll eingerichteter Wohnteil mit Stube und einem hübschen Kachelofen mit Eckbank. Von der schrägen Tür der Stube, die durch die Neigung automatisch zufällt, bis über den Schub, ein Brett, das an der Außenwand herausragt, konisch zugeschnitten ist und dem Anziehen der Holzdielen im Inneren dient, sind viele simple und gleichzeitig hoch raffinierte Bauelemente zu entdecken, die sich unsere Vorfahren ausgedacht haben. Auch im größten Meisterwerk der Schwarzwälder Volkskunst, dem monumentalen Eindachhof, sind viele solcher Finessen zu sehen. Mit einfachen Hilfsmitteln hat man versucht, sich das Leben und die Arbeit leichter zu gestalten. Je nach Region und Wetterlage entstanden unterschiedliche Haustypen; sie sind alle aus Holz gezimmert, im Kinzigtal mit einem gemauerten Untergeschoss. Traditionell wurde das hölzerne Skelett aus Pfosten und Riegeln auf einem Schwellenkranz aufgestellt, nur wenige Verzapfungen und hölzerne Nägel halten das tragende Gerüst zusammen, auf dem der monumentale Dachstuhl aufgerichtet wird. An der Hanglage gebaut, ermöglicht die Hocheinfahrt den direkten Zugang zur Tenne, auf der das Heu und die landwirtschaftlichen Geräte aufbewahrt wurden. Markant sind die tief heruntergezogenen Dächer in den Höhenlagen des Hochschwarzwalds, die die Bewohner gegen schwere Schneemassen und kräftige Windstürme schützen. Ein Speicher, ein Brenn- und Backhäuschen, ein Milchhäuschen und der bunte Bauerngarten vervollkommnen das Bild und verleihen dem Schwarzwald seinen unvergleichlichen Charme.

Pauls Leben hätte einfacher beginnen können. Tragischerweise wird sein Vater im Alter von nur 29 Jahren bei der Arbeit im Stall vom Blitzschlag getroffen. Die zu dieser Zeit üblichen genagelten Schuhe leiten den Blitz vom Verteilerkasten in die Erde ab, er ist augenblicklich tot – sechs Wochen vor Pauls Geburt. Die junge Mutter hat nun ein Kleinkind, Pauls ältere Schwester, und den Säugling zu versorgen. Früh lernt Paul, was es heißt, der Mann im Haus zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Für ihn stand auch ganz früh fest: »Ich schaff in der Nähe, dann ist die Mutter nicht alleine.« In der Verwandtschaft wird ein Haus umgebaut, und so entdeckt Paul zufällig den Beruf des Zimmermanns, an dem der handwerklich versierte Jugendliche gleich Gefallen findet. Das Arbeiten an der frischen Luft, die einzigartige Haptik des Materials Holz und die Möglichkeit, tagtäglich zu sehen, was man an dem Tag verrichtet hat, gefallen ihm nach den vielen Jahrzehnten im Beruf immer noch. Dabei stellt der erfahrene Zimmermann hohe Ansprüche an sich selbst und führt in aller Bescheidenheit aus: »Wenn’s mir gefällt, dann ist es okay.«

Viele Bräuche und Rituale, die seit Jahrhunderten bestehen, verlieren heute an Bedeutung, so verhält es sich auch im Handwerk. Bei den Zimmerleuten hingegen werden die jahrhundertealten Traditionen heutzutage noch gelebt. Die Bekannteste ist sicherlich die Walz, auf die sich der frisch gelernte Geselle begibt, um auf der Wanderschaft Erfahrungen zu sammeln und Fertigkeiten zu erwerben, vorausgesetzt er ist schuldenfrei, ledig und kinderlos. Auf der Walz und zu anderen feierlichen Anlässen tragen die Zimmerleute ihre Kluft, eine stolze Tracht, die unter anderem aus dem Zimmermannshut, einer schwarzen Weste mit Perlmuttknöpfen, einem kragenlosen weißen Hemd, einer Hose mit weitem Schlag und schwarzen Schuhen besteht. Wenn der Rohbau eines Hauses fertiggestellt und der Dachstuhl errichtet sind, wird das Richtfest gefeiert. Hoch oben auf dem Dach, traditionell geschmückt mit einem Richtbaum, spricht der Zimmermann den Richtspruch, stößt auf das Wohl der Hausbesitzer an und wirft das Glas zu Boden, denn Scherben bringen Glück. Anschließend wird gefeiert, und mit ein bisschen Glück erlebt man den Zimmermannsklatsch, eine traditionelle Vorführung der Zimmerleute. Rhythmisch singen und klatschen sie im Takt, je zwei Zimmerer stehen oder sitzen einander gegenüber. Vergnüglich ist es anzuschauen, aber es ist doch ein ernstes Lied, das Zimmerleute mahnt, ein sorgfältiges Gerüst zu bauen und füreinander Sorge zu tragen: »Früh morgens um halb sechse steh’n wir auf und steigen aufs Gerüst hinauf. Darum aufgeschaut, fest Gerüst gebaut, und auf seinen Kamerad vertraut! Holz her!« Für den Beruf des Zimmermanns spielen Vertrauen und Kameradschaft eine wichtige Rolle, neben Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. »Und Ehrfurcht vor dem Gewitter, das ist bei mir geblieben«, fügt Paul hinzu.


Tipp

Wer nicht in den Genuss der Zimmermannsrituale kommt, der kann sich immer noch an der historischen Ölmühle im Simonswald erfreuen. Eine Getreidemühle, ein Backhäusle und eine Trachtenausstel-lung runden das Angebot ab. Seit über 20 Jahren betreut der Brauchtumsverein die historische Ölmühle samt Areal und bietet neben dem Lohnmühlen auch kaltgepresstes Walnussöl an, aus handverlesenen Simonswälder Nüssen. Dafür hat sich der aktive Brauchtumsverein Großartiges überlegt: Alle Rentner des ländlichen Simonswalds werden aktiv rekrutiert und zum Nüsseknacken eingeteilt. So kommt keine Langeweile auf und die Kameradschaft der Zimmerleute wird auch bei den Senioren der Ölmühle aktiv gelebt.

Kontakt

Zimmerei-Holzbau Helmle

Am Häuslerain 10

79263 Simonswald

Tel.: 07683 337

E-Mail: holzbau.helmle@t-online.de

www.holzbau-helmle.de

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