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Zwei Zeitzeugen

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Für Florian Steiner als PR-Manager zu arbeiten war der Jolly Joker für einen jungen, hungrigen Doktor der Kommunikationswissenschaften. Ich hatte in Salzburg und Leipzig studiert, mich auf Politische Kommunikation spezialisiert und ein Praktikum in den USA vorzuweisen. Meine bisherigen Jobs in diversen Werbeagenturen waren weder fordernd noch erfüllend und schon gar nicht top bezahlt. Ich wollte mehr, sagte ohne zu zögern »Ja«, als ich das Angebot bekam, die Partei der Neuen Stärke propagandatechnisch zu unterstützen.

Florian war der geborene Politiker. Er hatte ein gewinnendes Lächeln, ein offenes Gesicht und erinnerte vage an Michael J. Fox in Doc Hollywood. Sein Kommunikationsstil war hundert Prozent authentisch, einzig Wortwahl und Körpersprache hatten wir ein klein wenig im Hinblick ihrer Wirkung auf das Unbewusste optimiert. Er punktete mit der Wahrheit, auch wenn sie unangenehm war, und mit absoluter Transparenz, wofür er stand und was er zu tun gedachte. Florian konzentrierte sich nicht auf die Konkurrenz-Parteien, sondern auf die Zukunft der Alpenrepublik. Man konnte richtig spüren, wie er erst das Vertrauen und dann die Herzen seiner Zuhörer gewann. Zusätzlich spielten wir auf dem Klavier der Sozialen Medien, seine persönliche Interaktion mit den Wählern stand aber definitiv im Vordergrund. Die Kampagne ruhte auf drei Kernbotschaften, die er wie ein Mantra wiederholte:

An oberster Stelle stand sein Handlungsversprechen. Florian erklärte unumwunden, dass er im Falle einer absoluten Mehrheit eine Volksabstimmung einberufen würde, die ihm als Staatsoberhaupt mehr Rechte zugestand und die Legislaturperiode auf acht Jahre ausweitete. »Lange genug haben Politiker die Zukunft unseres Landes und Europas durch Reformunwilligkeit, Parteistreitigkeiten und Schönlügen aufs Spiel gesetzt. Damit ist Schluss, wenn Sie mir Ihr Vertrauen und Ihre Stimme schenken«, rief er der applaudierenden Menge zu. Mit dieser Position gewann er zahlreiche Wähler, die aus Frust über die etablierten Parteien zu den Rechts- oder Linkspopulisten übergelaufen waren. Macher-Qualitäten verkaufen sich.

»Unser Sozialsystem ist in seiner aktuellen Form nicht mehr finanzierbar« lautete seine zweite zentrale Botschaft. »Ich glaube an die soziale Verantwortung der Gesellschaft gegenüber Schwächeren und von Schicksalsschlägen Gebeutelten. Gleichzeitig glaube ich an die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft und die Pflicht, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Einer für alle und alle für einen – darin liegt unsere Stärke. Ich bin überzeugt, dass das Gefühl, einen solchen Beitrag zu leisten, sowohl der physischen wie der psychischen Gesundheit eines Menschen zuträglich ist.«

Arbeitslosen sollte ihre Unterstützung nur in Verbindung mit wöchentlich zwölf Stunden verpflichtender Sozialarbeit, entsprechend ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten, gewährt werden. Sozialisten und Grüne reagierten naturgemäß mit einem Aufschrei. Florian argumentierte, dass genügend Studien die negativen Folgen von Arbeitslosigkeit auf die Psyche sowie ihren Zusammenhang mit Alkoholismus und Selbstmord untermauerten. Dies sei hauptsächlich auf das Gefühl der Wertlosigkeit, Abhängigkeit und Hilflosigkeit sowie den Verlust von Sozialkontakten zurückzuführen. Sein Programm ziele deswegen darauf ab, den Arbeitslosen das Gefühl des Gebrauchtwerdens zu geben und sie aus ihrer fortschreitenden Passivität und Isolation herauszuholen.

Linke Medien sprachen von Zwangsarbeit, andere titulierten das Konzept von radikal über erfrischend bis wert darüber zu diskutieren. Mir war klar, dass die Mehrheit der brav arbeitenden, steuerzahlenden Wähler Florians Plan goutieren würde. Ich hatte aber rasch gelernt, ihm nie mit dem Stimmenfang-Potenzial seiner Kampagnen-Statements zu kommen. Er verabscheute es, dem Volk nach dem Mund zu reden. Seine magische Anziehungskraft bestand gerade darin, dass er seine Botschaften nicht nach Popularität, sondern nach innerer Überzeugung wählte.

Das dritte große Wahlkampfthema war die nach wie vor anhaltende Flüchtlingsproblematik. Auch hier war sein Standpunkt klar, wenn auch weniger mehrheitstauglich, was mir einiges an Bauchweh bereitete: Europa habe eine ethische Verpflichtung zur Hilfe, nicht nur aufgrund westlicher Werte, sondern auch, weil es seine Hände nicht in Unschuld waschen könne, was die Situation in den Krisenländern anging. »Es ist eine Illusion zu glauben, dass dichtgemachte Grenzen das Problem lösen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die Ursachen in den jeweiligen Ländern zu beseitigen. Das dauert. Inzwischen haben wir die moralische Pflicht zur Hilfeleistung. Dies betrifft sowohl eine faire Verteilung der Flüchtlingslast in der EU – Länder, die sich weigern, haben in der Union nichts verloren – sowie eine Unterstützung der Nachbarstaaten der Krisenländer, wie Jordanien oder den Libanon, bei der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen.«

Florian betonte, dass er die Sorgen der Bevölkerung betreffend Kriminalität, radikalem Islamismus und sozialer Überforderung verstand. Gleichzeitig machte er klar, dass es hier um fundamentale Menschenrechte ging und die Einwanderung, sofern die Integration gelinge, sowohl wirtschaftliche wie demographische Vorteile mit sich brächte. Er scheute nicht davor zurück, die Bürger mit anklagenden Bildern von auf der Flucht umgekommenen Menschen, darunter zahlreiche Kinder, zu konfrontieren. Gezielte Verfälschungen und Fehlinterpretationen in von den Rechten gerne präsentierten Kriminalitätsstatistiken entlarvte er gnadenlos und konterte, dass das Risiko eines ausländischen Tatverdächtigen, angezeigt zu werden, doppelt so hoch sei wie das eines Einheimischen und sich die Mehrzahl der Körperverletzungen in den Lagern unter den Flüchtlingen ereignete. Weiters erklärte er ruhig und geduldig, dass Männer unter dreißig besonders anfällig für Straftaten seien und der Anteil Vierzehn- bis Dreißigjähriger in der EU um die zehn Prozent lag, während er bei Zuwanderern über dreißig Prozent ausmachte. Florian leugnete keinesfalls, dass Asylwerber überdurchschnittlich an Gewaltverbrechen beteiligt seien. »Pferchen Sie einmal hunderte junge, einheimische Männer in einem Lager zusammen, allein und einsam, ohne Arbeit, ja, ohne Perspektive. Was glauben Sie, was dann passiert?«, gab er zu bedenken. »Eine gerechte, gleichmäßige Verteilung wirkt nicht nur der Kriminalitätsproblematik der Massenunterbringungen, sondern auch unbegründeten Ängsten in der Bevölkerung entgegen und erleichtert die Integration.«

Auch in dieser zündstoffträchtigen Thematik war sein Programm glasklar und ruhte auf drei Grundfesten: gerechte Aufteilung, Mittel für Integrationsmaßnahmen und Druck auf die EU zu gemeinsamen Strategien. Jede Kommune in der Alpenrepublik würde entsprechend ihrer Größe ein Kontingent an Flüchtlingen zugeteilt bekommen und sich für deren Integration verantwortlich zeichnen. Gleichzeitig drängte er auf eine EU-weite Ausrollung dieser Kontingente. Parallel dazu würde Florian Steiner vermehrt Mittel für Integrationsmaßnahmen, wie Sprach- und Wertekurse, frei machen, die Anerkennung von Ausbildungen erleichtern und bürokratische Hürden für Arbeitsgenehmigungen abbauen. Druckausübung auf die EU zum gemeinsamen Kampf gegen den Terror des »Islamischen Staates« und Aufforderung zu Entwicklungshilfe rundeten sein Konzept ab. Wiederaufbau, Schaffung von Bildungseinrichtungen in den betroffenen Ländern sowie eine faire Handelspolitik gegenüber den armen Staaten Afrikas – sprich, Abkehr von subventionierten Billig-Agrar-Exporten, die die Existenz afrikanischer Bauern bedrohen – standen dabei im Vordergrund.

Beim Thema Zuwanderung engagierte sich auch seine intelligente und schöne Frau: »Terror und radikaler Islam haben erst dann gewonnen, wenn wir Europäer angesichts der Flüchtlingskrise unsere Werte und die Ideale der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vergessen. Egal welche Ethnie oder Herkunft, wir alle gehören zur Gattung Mensch.« Propagandatechnisch begrüßte ich Camilles Intervention. Bei dieser heiklen Thematik brauchten wir jede Unterstützung. Ihre Emotionalität bot die ideale Ergänzung zu Florians Auftritt, dass sie darüber hinaus hübsch anzusehen war, war auch kein Schaden. Ich war sicher, dass sie einige zusätzliche Wähler einfangen würde.

Am Ende bekam Florian Steiner knapp über zweiundsechzig Prozent der Stimmen. Es war eine Sensation.

***

Florian Steiner löcherte mich zum Thema Konditionierung durch Belohnung und Bestrafung. Die positive und negative Verstärkung von Verhaltensmustern hatte es ihm angetan. Brennend interessiert war er auch an dem einige Jahre zurückliegendem Vorfall der Konditionierung von Künstlicher Intelligenz. Microsoft hatte einen KI-Bot namens Tay entwickeln, der im Netz, auf Twitter, Snapchat und dergleichen, lernen sollte, wie junge Menschen miteinander kommunizieren. Das Training erfolgte mittels Texten und Fragen. Der Versuch musste nach wenigen Stunden abgebrochen werden. Bald konnte Tay, mit einem weiblichen Avatar versehen, Witze erzählen und Fotos kommentieren, allzu bald leugnete sie den Holocaust, pries Hitler und Völkermord und zeichnete sich durch rassistische wie sexistische Bemerkungen aus. Dies hatte sie sich offenbar aus den Tweets anderer Twitter-Nutzer zusammengereimt. Wie der Lehrer, so der Schüler.

Interessant an Florian Steiner war, dass er nicht nur über einen IQ von hundertfünfundfünfzig verfügte, sondern es sich bei ihm auch um eines dieser raren Individuen handelte, bei denen keine der beiden Hirnhemisphären dominant war. Durch diese perfekte Balance konnte er je nach Belieben fokussierte Rationalität, Klarheit und die Macht zu manipulieren ausspielen oder auf eine emotionalere, breitere Sicht der Welt und ein Verständnis der größeren Zusammenhänge setzen. Dies ermöglichte ihm, frei zwischen den Tonarten von Machiavelli und Erasmus zu variieren, ein enormes Asset in der Branche des Stimmenfangs.

Wirkten Florians Brillanz und Eloquenz in seiner Jugend oftmals einschüchternd, hatte er mit fortgeschrittener Reife gelernt, dem durch jungenhaften Charme und Charisma gegenzusteuern. Farblose, schwächelnde Politiker der Mitte hatten ein Machtvakuum hinterlassen, das den extremen Rändern Manövrierraum bot. Mit dem perfekten Mix aus verwegenem Tatendrang, rationalen Argumenten und emotionalen Visionen trat Florian Steiner den Rückeroberungs-Feldzug an. Gerade sein kühner Machtanspruch und seine mutigen Zukunftsversprechen ließen die Menschen etwaige Vorbehalte gegenüber seinem autokratischen Stil vergessen. Faszinierend. Ich zweifelte nie daran, dass er eine außergewöhnliche Karriere vor sich hatte und den Geschicken der Alpenrepublik seinen Stempel aufdrücken würde.

Der Alpendiktator und Menschenfreund

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