Читать книгу Die Frau und der Sozialismus - August Bebel - Страница 5
Vorreden
ОглавлениеZur fünfundzwanzigsten Auflage
Das »durch und durch unwissenschaftliche Bucherlebt hiermit den in der deutschen Literatur höchst seltenen Fall einer fünfundzwanzigsten Auflage, und ich hoffe, weitere werden folgen. Der außerordentlich günstigen Aufnahme, die es bei dem deutschen Lesepublikum fand, entsprechen die vielen Übersetzungen in die verschiedensten fremden Sprachen, die es seit seinem Erscheinen gefunden hat. Neben dem, daß es zweimal ins Englische übersetzt wurde (London und New York), wurde es ins Französische, Russische, Italienische, Schwedische, Dänische, Polnische, Vlämische, Griechische, Bulgarische, Rumänische, Ungarische und Tschechische übersetzt. Auf diesen Erfolg meines »durch und durch unwissenschaftlichen Buches« kann ich also stolz sein.
Zahlreiche Zuschriften, namentlich von Frauen aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen, zeigten mir weiter, wie es insbesondere in der Frauenwelt gewirkt hat und die wärmste Aufnahme fand.
Hierbei muß ich meinen herzlichen Dank denjenigen aussprechen, die mich, sei es durch Einsendung von Material oder durch Berichtigung und Ergänzung angeführter Tatsachen, unterstützten und mich so in die Lage setzten, das Buch einwandfreier zu gestalten.
Der warmen Anhängerschaft auf der einen Seite steht aber eine heftige Gegnerschaft auf der anderen gegenüber. Während die einen das Buch als das nichtsnutzigste und gefährlichste Buch bezeichnen, das in neuerer Zeit erschienen sei (in diesem Sinne sprach sich eine in Berlin erscheinende antisemitische Zeitung aus), erklären andere – darunter zwei evangelische Geistliche – es für eines der sittlichsten und nützlichsten Bücher, die es gebe. Ich bin mit dem einen Urteil so zufrieden wie mit dem anderen. Ein Buch, das über öffentliche Dinge geschrieben ist, soll wie eine Rede, die über öffentliche Angelegenheiten gehalten wird, zur Parteinahme zwingen. Nur dann erreicht es seinen Zweck.
Unter den zahlreichen Entgegnungen und versuchten Widerlegungen, die das vorliegende Buch im Laufe der Jahre hervorgerufen hat sind zwei, die wegen des wissenschaftlichen Charakters ihrer Verfasser eine besondere Beachtung herausfordern. So das Buch von Dr. H. E. Ziegler, außerordentlicher Professor der Zoologie an der Universität Freiburg i. B., das betitelt ist: »Die Naturwissenschaft und die sozialdemokratische Theorie, ihr Verhältnis dargelegt auf Grund der Werke von Darwin und Bebel«, und die diesem folgende Abhandlung von Dr. Alfred Hegar, Professor der Gynäkologie an der Universität Freiburg i. B., die den Titel führt: »Der Geschlechtstrieb«.
Die beiden Bücher machen den Eindruck, als seien sie auf Verabredung ihrer Autoren zur »wissenschaftlichen Vernichtung« meines Buches geschrieben. Dafür spricht, daß beide Autoren an derselben Universität tätig sind, beide ihre Bücher in demselben Verlag erscheinen ließen und beide die Herausgabe damit begründen, daß die ungewöhnlich weite Verbreitung, die mein Buch mit seinen »falschen« und »unwissenschaftlichen Theorien« gefunden habe, sie zu einer Widerlegung desselben anspornte. Für die gegenseitige Abmachung spricht auch ferner die Arbeitsteilung, über die beide Autoren sich (so scheint es) verständigten. Indem Ziegler meine kulturgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Anschauungen zu widerlegen versucht, wirft Hegar sich wesentlich auf die physiologische und psychologische Charakterisierung der Frau, wie ich sie in meinem Buche gebe, um diese als falsch und irrig nachzuweisen. Beide gehen dann, ein jeder von seinem Standpunkt, zu dem Versuch einer Widerlegung meiner ökonomischen und sozialpolitischen Grundauffassungen über, ein Unterfangen, das zeigt, daß sie sich hier auf ein Gebiet begeben, auf dem sie beide nicht zu Hause sind und auf dem sie deshalb noch weniger Lorbeeren pflücken als auf dem Gebiet des Fachmanns, von dem aus ich am ehesten eine sachgemäße Widerlegung hätte erwarten können.
Beide Bücher haben auch das Gemeinsame, daß sie zum Teil Gebiete behandeln, die den von mir behandelten fernliegen und nichts mit denselben zu tun haben, oder, wie namentlich Hegar, sich in Erörterungen ergehen, denen zu widersprechen ich keinen Grund habe. Beide Schriften sind ferner Tendenzschriften, die um jeden Preis beweisen sollen, daß weder die Naturwissenschaft noch die Anthropologie irgend welches Material für die Notwendigkeit und die Nützlichkeit des Sozialismus ergeben. Beide Verfasser haben auch mehrfach, wie das in Polemiken nichts Seltenes ist, das aus meiner Schrift aus dem Zusammenhang herausgerissen, was ihnen paßte, und weggelassen, was ihnen unbequem war, so daß ich mitunter einige Mühe hatte, das von mir Gesagte wiederzuerkennen.
In der Besprechung der beiden Bücher gehe ich zunächst zu der zuerst erschienenen Abhandlung Zieglers über.
Ziegler hat schon im Titel seines Buches gesündigt. Wollte er eine Kritik der sozialdemokratischen Theorien mit Beziehung auf Darwin schreiben, so durfte er nicht mein Buch zum Gegenstand seiner Kritik machen, denn es wäre eine Anmaßung sondergleichen von mir, wollte ich mich als einen der sozialistischen Theoretiker betrachten; er mußte alsdann die Schriften von Marx und Engels – auf deren Schultern wir anderen stehen – dazu ausersehen. Das hat er klugerweise unterlassen. Er konnte aber auch nicht mein Buch als eine Art Parteidogmenschrift ansehen, da ich darin, und zwar in der Einleitung, ausdrücklich erklärt habe, wie weit ich glaube in meinem Buche auf die Zustimmung meiner Parteigenossen zählen zu können. Ziegler konnte das nicht übersehen. Indem er dennoch den gewählten Titel adoptierte, war es ihm wohl mehr um das Pikante als um das Richtige zu tun.
Ich muß nun zunächst an dieser Stelle eine schwere Beleidigung zurückweisen, die Ziegler gegen Engels schleudert, dem er nachsagt, er habe in seiner Schrift »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« die ganzen Theorien Morgans kritiklos übernommen. Engels hat zwar in der wissenschaftlichen Welt einen viel zu hochgeachteten Namen, als daß der Vorwurf Zieglers dort irgendwelchen Eindruck macht. Ein objektives Studium von Engels' Schrift beweist sogar dem Laien – und zu diesen gehört im vorliegenden Falle Ziegler nicht –, wie er die Anschauungen Morgans nur adoptierte, weil sie mit den Anschauungen und Studien, die er und Marx auf diesem Gebiet gemacht haben, übereinstimmten. Und indem Engels sie adoptierte, hat er sie aus Eigenem auch weiter begründet, so daß es den Gegnern unmöglich gemacht sein dürfte, sie mit Aussicht auf Erfolg bekämpfen zu können. Was Ziegler, hauptsächlich an der Hand von Westermarck und Starcke, gegen die Anschauungen Morgans, Engels' und all derer, die mit Morgan und Engels wesentlich auf dem gleichen Boden stehen, ausführt, ist schief und haltlos und zeugt von einer Oberflächlichkeit der Auffassung, die meinen Respekt vor den Männern der Wissenschaft vom Schlage Zieglers gerade nicht erhöht hat.
Ziegler fürchtet (Seite 15 seiner Schrift), man werde auch gegen ihn die Verleumdung erheben, die ich gegen einen großen Teil der heutigen Gelehrten erhoben haben soll, nämlich die Anklage, ihre wissenschaftliche Stellung zugunsten der herrschenden Klassen auszunutzen. Ich verwahre mich dagegen, irgendwen verleumdet zu haben. Die Anschuldigung, man verleumde, scheint unseren Professoren sehr leicht aus der Feder zu fließen, wie das auch aus dem Angriff Häckels gegen mich (siehe Seite 253 dieses Buches) hervorgeht. Was ich in diesem Buche schreibe, ist, soweit ich meine eigenen Anschauungen darin ausspreche, meine volle Überzeugung, die eine irrtümliche sein kann, die aber nirgends wider besseres Wissen – und das allein wäre Verleumdung – ausgesprochen wurde. Was ich also bezüglich eines großen Teiles unserer Gelehrten ausgeführt habe, glaube ich nicht nur, ich könnte es durch zahlreiche Tatsachen beweisen. Ich begnüge mich aber, neben dem Urteil eines Mannes wie Buckle das Urteil eines Friedrich Albert Lange beizufügen, der auf Seite 15 der zweiten Auflage seiner »Arbeiterfrage« von einer gefälschten Wissenschaft spricht, die den Kapitalisten auf den Wink zu Gebote stehe. Und indem Lange weiter die herrschenden Anschauungen über die Staatswissenschaften und die Statistik erörtert, fährt er fort: »Daß solche Anschauungen (wie sie die Monarchen besitzen) auch auf den Männern der Wissenschaft lasten, ist aus der Teilung der Arbeit auf geistigem Gebiet leicht zu erklären. Bei der Seltenheit einer freien, die Resultate aller Wissenschaften in einen Brennpunkt sammelnden Philosophie, sind auch unsere gelehrtesten und erfolgreichsten Forscher bis zu einem gewissen Grade Kinder des allgemeinen Vorurteils, indem sie zwar in ihrem engeren Kreise sehr scharf sehen, außerhalb desselben aber nichts. Rechnet man dazu das Unglück einer vom Staate bezahlten und gewerbsmäßig betriebenen ›Philosophie‹, welche stets bereit ist, das Bestehende für das Vernünftige zu erklären, so wird man genug Gründe der Zurückhaltung entdecken, wo einmal die wissenschaftlichen Fragen selbst so ganz unmittelbar auf die Elemente zukünftiger Weltrevolutionen hinführen, wie das in dem Gesetz der Konkurrenz um das Dasein der Fall ist.«
Diese Ausführungen F. A. Langes sind deutlich, sie bedürfen keines Zusatzes mehr. Ausführlicheres findet Ziegler bei Lange im ersten und zweiten Kapitel seines Buches. Ziegler sagt weiter: man habe ihm geraten, seine Schrift gegen mich zu unterlassen und statt ihrer ein schon lange begonnenes Buch über Embryologie zu beenden, »das sei seiner Karriere vorteilhafter«. Ich glaube auch, daß dieses vernünftiger gewesen wäre, nicht bloß seiner Karriere wegen, sondern auch wegen seines wissenschaftlichen Rufes, der durch sein Buch gegen mich nicht gewonnen hat. – Es kann mir nun nicht beikommen, an dieser Stelle auf die Einwände Zieglers gegen die seit Bachofen und Morgan immer mehr in die wissenschaftliche Untersuchung gezogenen Geschlechtsverhältnisse der auf den Unterstufen menschlicher Entwicklung stehenden Völkerschaften ausführlich einzugehen. Es vergeht nahezu kein Tag, der nicht neue beweiskräftige Tatsachen im Sinne der Bachofen-Morganschen Anschauungen beibringt, und ich selbst habe in dem ersten Abschnitt des vorliegenden Buches einige für weitere Kreise neue Tatsachen angeführt, die nach meiner Überzeugung ebenfalls in unwiderleglicher Weise die Richtigkeit dieser Anschauungen beweisen. Die mittlerweile von Cunow erschienene Abhandlung: »Die Verwandtschaftsorganisationen der Australneger«, auf die ich im ersten Abschnitt dieses Buches zu sprechen komme, bringt weiter nicht nur eine Fülle neuer Tatsachen in der gleichen Richtung, sie beschäftigt sich auch ausführlich mit den Auffassungen Westermarcks und Starckes – den Gewährsmännern Zieglers – und widerlegt sie gründlich. Der Kürze halber verweise ich Ziegler hier darauf.
Insofern Ziegler aus Eigenem den Beweis zu führen sucht, daß das monogame Verhältnis zwischen Mann und Weib »eine auf der Natur beruhende Sitte« sei (Seite 88 seines Buches), macht er sich seine Beweisführung außerordentlich leicht. Einmal entstand ihm zufolge das monogame Verhältnis aus rein psychologischen Gründen: »Liebe, gegenseitige Sehnsucht, Eifersucht«, dann aber sagt er wieder, die Ehe sei notwendig, »denn durch die öffentliche Eheschließung erkennt der Mann der Gesellschaft gegenüber die Verpflichtung an, seiner Frau treu zu bleiben, für seine Kinder zu sorgen und seine Kinder zu erziehen«. Erst ist also die Monogamie eine »auf der Natur beruhende Sitte«, ein Verhältnis aus »rein psychologischen Gründen«, also quasi naturgesetzlich selbstverständlich, wenige Seiten später bezeichnet er die Ehe als eine gesetzliche Zwangsanstalt, welche die Gesellschaft errichtete, damit der Mann seiner Frau treu bleibe, für sie sorge und seine Kinder erziehe. »Erkläret mir, Graf Örindur, diesen Zwiespalt der Natur.« Bei Ziegler geht der gute Bürger mit dem Naturwissenschaftler durch.
Wenn die öffentliche Eheschließung für den Mann notwendig ist, damit dieser seiner Frau treu sei, für sie sorge und seine Kinder erziehe, warum sagt denn Ziegler von der gleichen Verpflichtung der Frau kein Wort? Er ahnt unwillkürlich, daß die Frau in der heutigen Ehe in einer Zwangslage sich befindet, die ihr aufzwingt, was von dem Manne erst durch ein besonders feierliches Gelübde erreicht werden muß, aber in unzähligen Fällen nicht erreicht wird. Ziegler ist nicht so beschränkt oder unwissend, um nicht zu wissen, daß zum Beispiel schon im Alten Testament die Grundlage der patriarchalischen Familie die Polygamie war, der sich die Erzväter bis zu König Salomo ergaben, ohne daß sie »die auf der Natur beruhende Sitte« davon abhielt oder »die psychologischen Gründe für die Monogamie« ihre Wirkung auf sie ausübten. Polygamie und Polyandrie, die in historischer Zeit seit Jahrtausenden existieren, und von welchen die erstere noch heute im Orient von vielen hundert Millionen Menschen als soziale Institution anerkannt ist, widersprechen aufs schlagendste den von Ziegler angeführten »naturwissenschaftlichen« Gründen und führen sie ad absurdum. Dahin kommt man eben, wenn man mit beschränkten bürgerlichen Vorurteilen fremde Sitten und soziale Einrichtungen beurteilt und nach naturwissenschaftlichen Gründen sucht, wo allein soziale Ursachen maßgebend sind.
Ziegler konnte sich auch seine Beispiele aus dem Geschlechtsleben anthropoider Affen anzuführen ersparen, um damit zu beweisen, daß Monogamie eine Art Naturnotwendigkeit sei, sintemalen die Affen nicht wie die Menschen eine soziale Organisation besitzen – und sei dieselbe noch so primitiv –, die ihr Denken und Handeln beherrscht. Darwin, auf den er sich gegen mich beruft, war in seinem Urteil weit vorsichtiger. Darwin erschien zwar die Existenz einer »Gemeinschaftsehe« und der ihr voraufgehende Zustand der Promiskuität ebenfalls unglaubwürdig, aber er war objektiv genug zu sagen, daß alle diejenigen, die den Gegenstand am gründlichsten studiert hätten, darin anderer Meinung seien als er und die »Gemeinschaftsehe« (dieser spezifische Ausdruck rührt von uns. Der Verfasser) die ursprüngliche und allgemeine Form des Geschlechtsverkehrs auf der ganzen Erde bildete, einschließlich der Ehe zwischen Geschwistern. Seit Darwin hat aber die Untersuchung der Urzustände der Gesellschaft große Fortschritte gemacht; vieles, was damals noch bezweifelt werden konnte, ist heute klar, und so würde Darwin wahrscheinlich selbst, wenn er noch lebte, seine alten Zweifel haben fallenlassen. Ziegler zweifelt die Lehre Darwins an, daß erworbene Eigenschaften vererbt werden könnten und bekämpft diese Auffassung auf das nachdrücklichste; aber die von Darwin selbst im Zweifel gelassene Anschauung, daß Monogamie das ursprüngliche Verhältnis der Geschlechter unter den Menschen gewesen sei, akzeptiert er als unfehlbar, mit der Inbrunst eines gläubigen Christen, der sein Seelenheil gefährdet sieht, wenn er nicht an das Dogma der heiligen Dreieinigkeit oder als Katholik an die unbefleckte Empfängnis Marias glauben würde. Ziegler befindet sich in schwerer Selbsttäuschung, wenn er durch seine sehr dogmatische, aber historisch und naturwissenschaftlich grundfalsche Anzweiflung erwiesener Tatsachen die Entwicklungsphasen im Geschlechtsverkehr der verschiedenen Kulturstufen der Menschheit wegleugnen zu können glaubt.
Es geht Ziegler und den mit ihm Gleichdenkenden mit dieser im Sinne Morgans aufgefaßten Entwicklung des Geschlechtsverhältnisses auf den verschiedenen Gesellschaftsstufen wie der großen Mehrzahl unserer Gelehrten mit der materialistischen Geschichtsauffassung. Die Einfachheit und Natürlichkeit derselben, durch die alle sonst so widersprechenden und unklar erscheinenden Vorgänge erst klar und verständlich werden, leuchtet ihnen nicht ein; sie ist zu einfach und gibt der Spekulation keinen Raum. Im weiteren fürchten sie – ohne sich dessen oft selbst klar bewußt zu sein – die Konsequenzen derselben für den Bestand der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung; denn gelten die Gesetze der Entwicklung auch für die Gesellschaft, wie kann dann die bürgerliche Gesellschaft behaupten, daß es über sie hinaus keine bessere Gesellschaftsordnung mehr gebe?
Ziegler begreift nicht den Zusammenhang der Lehren Darwins mit der sozialistischen Weltanschauung; ich empfehle ihm auch hier, die beiden ersten Kapitel aus F. A. Langes »Arbeiterfrage« zu lesen, betitelt: »Der Kampf um das Dasein« und »Der Kampf um die bevorzugte Stellung«; vielleicht wird ihm dort klar, was ihm bei mir unklar geblieben ist. Daß ferner Ziegler unrecht hat, wenn er glaubt, Virchows Ansicht über den Darwinismus, der zum Sozialismus führe, gegen mich verwenden zu können, habe ich nachgewiesen.
Indem ich Darwins naturwissenschaftliche Lehren als in inniger Beziehung zur sozialistischen Weltanschauung betrachte, glaubt Ziegler diese Auffassung auch damit widerlegen zu können, daß er sich auf Darwins Urteil über die Kriege und auf seine malthusianischen Anschauungen bezieht. Vor allem muß ich verlangen, daß, wenn man mich zitiert, man auch richtig zitiert. Was Ziegler auf Seite 186 seiner Schrift als meine Auffassung über den ewigen Frieden zitiert, ist grundfalsch und zeigt seine vollkommene Unfähigkeit, sich in die Gedankenwelt eines Sozialisten finden zu können. Daß manche Kriege einen kulturfördernden Einfluß gehabt, kann man unbedenklich zugeben, daß aber alle Kriege diesen Charakter gehabt, kann nur ein Ignorant in der Geschichte behaupten. Und daß gar heute die Kriege bei der massenhaften Tötung der kräftigsten Männer, der Blüte der Kulturnationen, und der massenhaften Vernichtung von Kulturmitteln, die gegenwärtig Kriege verschulden, dem Fortschritt der Menschheit förderlich sein sollen, kann nur ein Barbar noch glauben. Jeder längere Friede wäre dann nach der Auffassung der Ziegler und Genossen ein Verbrechen an der Menschheit. Was Ziegler über dieses Kapitel in seinem Buche sagt, erhebt sich nicht über die platteste Spießbürgerei. Nicht höher steht, was er, gestützt auf Darwin, über den Malthusianismus sagt. Darwins gänzlicher Mangel an sozialökonomischem Wissen verleitete ihn zu den gewagtesten Behauptungen, sobald es sich um soziale Thematas handelte; aber seit Darwin sind auf dem sozialen Gebiete so gewaltige Fortschritte gemacht worden, so daß, was für Darwin noch verzeihlich war, für einen seiner Jünger es nicht mehr ist, namentlich wenn dieser wie Ziegler mit der Prätension auftritt, auf diesem Gebiete ein maßgebendes Urteil zu haben. Was ich hierüber gegen ihn zu sagen hätte, habe ich in dem Abschnitt dieses Buches »Bevölkerung und Überbevölkerung« gesagt, ich verweise hier darauf.
Einen der Haupttrümpfe, die Ziegler gegen mich ausspielt, betrifft meine Auffassung von der Entwicklungsfähigkeit des Menschen und speziell der Frau unter vernünftigen und naturgemäßen gesellschaftlichen Beziehungen, und zwar durch Erziehung und Vererbung. Ziegler legt hier seiner abweichenden Meinung, daß Vererbung erworbener Eigenschaften ausgeschlossen oder doch erst in unendlich langen Zeiträumen möglich sei – wobei er sich auf Weismann stützt –, eine solche Bedeutung bei, daß er davon die Durchführung der sozialistischen Idee abhängig macht. Er äußert: »Ehe die Menschen der neuen sozialen Organisation sich angepaßt hätten, würde die neue Organisation längst untergegangen sein«. Dieser Satz spricht für eine eigentümlich naive Auffassung, die Ziegler von werdenden Gesellschaftsformationen hat. Er verkennt, daß die gesellschaftlichen Bedürfnisse es sind, welche neue Gesellschaftsformationen erzeugen, die Gesellschaftsformation also mit den Menschen und die Menschen mit ihr wachsen, eins aus dem anderen und beides miteinander entsteht. Eine neue Gesellschaftsordnung ist eben ohne die Menschen, welche sie wollen und befähigt sind, sie am Leben zu erhalten und zur Fortentwicklung zu bringen, unmöglich. Wenn irgendwo von Anpassung die Rede sein kann, so hier. Die günstigeren Umstände, die jede neue Gesellschaftsordnung gegenüber der früheren enthält, übertragen sich auch auf die Individuen und veredeln sie stetig.
Nach Ziegler erscheint die Auffassung von der Vererbung erworbener Eigenschaften bereits eine so abgetane, daß nur noch Rückständige an sie glauben. Als Nichtfachmann und überhäuft mit Arbeiten der verschiedensten Art, die dem hier behandelten Thema fern liegen, kann ich mir nicht beikommen lassen, auf meine eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen mich zu stützen, aber eine aufmerksame Beobachtung hat mir gezeigt, daß dieses von Ziegler mit so apodiktischer Sicherheit behandelte Thema sehr kontrovers ist und damit die anerkanntesten Vertreter des Darwinismus gegen sich hat. So veröffentlichte Dr. Louis Büchner in der »Beilage zur Allgemeinen Zeitung«, München, 13. März 1894, einen Aufsatz, betitelt »Naturwissenschaft und Sozialdemokratie«, in dem er die Zieglersche Schrift bespricht. Büchner spricht sich nicht nur gegen die Weismann-Zieglersche Auffassung aus, sondern weist zugleich darauf hin, daß neben Häckel auch Huxley, Gegenbauer, Fürbringer, Eimer, Claus, Cope, Lester Ward und Herbert Spencer sich für die Darwinsche Auffassung aussprechen. Weiter hat Hake in einer von Fachleuten sehr geschätzten Streitschrift: »Gestaltung und Vererbung. Eine Entwicklungsmechanik der Organismen«, gegen Weismann Stellung genommen. Auch Hegar spricht sich in seiner gegen mich gerichteten Abhandlung gegen Weismann aus. Ganz und gar auf dem Boden der Theorie von der Vererbung erworbener Eigenschaften steht ferner Professor Dr. Dodel, der in seiner Schrift: »Moses oder Darwin. Eine Schulfrage«Stuttgart 1895. Fünfte, vermehrte Auflage. , Seite 99 wörtlich äußert: »Von größter Wichtigkeit sind nun aber die Tatsachen der progressiven oder fortschreitenden Vererbung. Das Wesen derselben besteht darin, daß auch individuelle Merkmale, also neulich aufgetretene Merkmale, Eigenschaften jüngeren Datums auf die Nachkommen vererbt werden können.« Und Häckel schreibt über dieselbe Frage in einem Brief an L. Büchner unter dem 3. März 1894 – zitiert in der obenerwähnten Besprechung des Zieglerschen Buches durch Büchner –: »Aus folgendem Aufsatz ersehen Sie, daß mein Standpunkt in dieser fundamentalen Frage unverändert derselbe streng monistische (und zugleich Lamarcksche) ist. Die Theorien von Weismann und ähnliche führen immer zu dualisti-schen und teleologischen Vorstellungen, die zuletzt rein mystisch werden. In der Ontogenie fuhren sie direkt zum alten Präformationsdogma« usw.
Auf demselben Boden stehen Lombroso und Ferrero in ihrem Werk: »Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte«, in dem sie von den Instinkten der Unterwerfung und Hingabe sprechen, welche die Frau durch Anpassung erworben habe. Ebenso läßt Tarnowsky in eine unter gewissen Verhältnissen erworbene Perversität des Geschlechtssinnes vererben, und Krafft-Ebing spricht von dem Charakter der Frau, der durch unzählige Generationen hindurch nach einer bestimmten Richtung hin ausgebildet wurde.
Diese Angaben bezeugen, daß ich mich mit meiner Auffassung über die Vererbung erworbener Eigenschaften in angesehener Gesellschaft befinde und Ziegler mehr behauptete, als er beweisen kann.
Ziegler ist seinem bürgerlichen Beruf nach Naturwissenschaftler, aber als Zoon politicon – um mit Aristoteles zu reden – höchst wahrscheinlich Nationalliberaler. Dafür spricht die häufige Unbestimmtheit der Ausdrucksweise, wenn er für seine Beweisführung in Verlegenheit kommt; dafür sprechen ferner die krampfhaften Anstrengungen, die er macht, um die gesamte Menschheitsentwicklung mit dem gegenwärtigen bürgerlichen Zustand in Einklang zu bringen, indem er zu zeigen versucht, daß die sozialen und politischen Institutionen in bezug auf Ehe, Familie, Staat usw. zu allen Zeiten den heutigen ähnelten, womit bewiesen werden soll, daß am Ende des neunzehnten Jahrhunderts der Philister sich keine Gedanken darüber zu machen braucht, was das zwanzigste Jahrhundert ihm bringen wird.
Ich komme zu Hegar. Dieser bezeichnet sein Buch als eine sozialmedizinische Studie. Wenn er das sozial strich und den hierauf bezüglichen Teil seiner Abhandlung fortließ, hätte die Arbeit nicht unwesentlich gewonnen. Denn der soziale Teil ist äußerst dürftig und zeugt von höchst mangelhafter Kenntnis unserer sozialen Verhältnisse und Zustände. Hegar erhebt sich darin mit keinem Satze über das bürgerliche Mittelmaß hinaus, und wie Ziegler ist er gänzlich unvermögend, auch nur einen Gedanken zu fassen, der über die engsten bürgerlichen Auffassungen hinausgeht. Hegar hat daher in weiser Selbsterkenntnis sehr klug getan, daß er seinen ursprünglichen Plan (siehe Vorrede in seinem Buche), eine Bearbeitung der ganzen Frauenfrage zu unternehmen, aufgab; er wählte ein beschränktes Thema, »um so den falschen und überaus schädlichen Ansichten und Lehren entgegenzutreten, welche... insbesondere durch Bebels ›Die Frau und der Sozialismus‹ in die großen Massen geworfen werden«. Und er setzt weiter hinzu: Gute, auf wirklich wissenschaftlicher Grundlage fußende Arbeiten, wie Ribbings »Sexuelle Hygiene«, fänden dagegen verhältnismäßig wenig Anklang.
Letzteres Buch ist mir wohl bekannt, der Verfasser ist ein auf streng religiösem Boden stehender Herr. Das Buch ist aber recht geringwertig und trägt seine konservative Tendenz klar aufgedrückt. Von stark ausgeprägter Tendenz ist allerdings auch Hegars Widerlegung meiner Schrift. In seinem Eifer, zu widerlegen, beweist er mehr, als er als Fachmann beweisen kann. Dabei nimmt er überall die vornehmen Klassen in Schutz, die er als Muster von Sittlichkeit darstellt, wohingegen er Steine auf Steine auf die Arbeiter wirft, so daß man an zahlreichen Stellen glaubt, es mit einem klassenbewußten Bourgeois und nicht mit einem Manne der Wissenschaft zu tun zu haben. Soweit dagegen Hegar als Mann der Wissenschaft in seiner Darlegung wirklich objektiv ist, enthält seine Schrift eine Reihe belehrender Mitteilungen, deren Verbreitung man nur wünschen kann. Dagegen sucht man in seiner Schrift vergeblich nach großen, allgemeinen Gesichtspunkten und Maßregeln sozialer Hygiene, wie sie nur der Staat beziehungsweise die Gesellschaft durchführen kann, sobald einmal deren Notwendigkeit anerkannt ist, um das ganze Geschlecht auf dem Boden vorgeschrittenster wissenschaftlicher Erkenntnis zu erziehen.
In der bürgerlichen Gesellschaft gibt es zwei Klassen, die dem Proletariat nicht angehören, die aber, wenn sie sich von ihrer engen bürgerlichen Auffassungsweise zu emanzipieren vermöchten, mit Jubel dem Sozialismus zustimmen müßten: das sind die Lehrer und die Mediziner (Hygieniker, Gynäkologen, Ärzte). Man sollte also gerade von Männern wie Hegar und seinesgleichen erwarten, die durch ihre berufliche Stellung die zahllosen Übel kennen, an welchen die große Mehrheit der Menschen und insbesondere die Frauen wesentlich infolge unserer sozialen Verhältnisse leiden, daß sie sozialen Heil- und Umgestaltungsmaßregeln im großen, die allein wirklich helfen können, das Wort redeten. Das geschieht aber nicht. Sie verteidigen vielmehr Zustände, welche die Unnatur selbst sind, und decken mit ihrer Autorität die faul und morsch gewordene Gesellschaftsordnung einer Gesellschaft, die täglich beweist, wie ratlos sie den immer größer werdenden Übeln physischer und moralischer Natur gegenübersteht. Das ist eben das Empörende an dem Verhalten so vieler Männer der Wissenschaft, die zum Teil nur den einen Entschuldigungsgrund für sich haben, daß das gesellschaftliche Milieu, in dem sie leben, und die ihnen durch dasselbe zur zweiten Natur gewordenen Vorurteile ihnen das Darüberhinausdenken unmöglich machen; sie bleiben bei aller Wissenschaftlichkeit »Arme im Geiste«.
Hegar hat wie Ziegler eine eigene Art, zu zitieren; auch er nimmt Unwesentliches heraus und läßt Wesentliches fort und konstruiert alsdann die Widerlegung. Die große Bedeutung, die ich der normalen Befriedigung des Geschlechtstriebs für reife Menschen beilege, veranlaßt ihn hauptsächlich, gegen mich zu polemisieren, wobei er tut, als redete ich der Unmäßigkeit das Wort. Er hebt hervor, daß ich mich auf Buddha und Schopenhauer beziehe, und bezeichnet die Äußerungen Hegewischs und Buschs als veraltet, verschweigt aber, daß Autoritäten wie Klencke, Ploß und Krafft-Ebing, die sich weit eingehender als die Vorgenannten äußern, auf meiner Seite stehen. In der vorliegenden Auflage zitiere ich weiter den konservativen Moralstatistiker v. Öttingen, der auf Grund seiner statistischen Studien zu ganz ähnlichen Resultaten kommt wie ich. Diesen allen hat Hegar nichts Besseres gegenüberzustellen als eine Statistik von Decarpieux über die Sterblichkeit der Ledigen in Frankreich aus den Jahren 1685 bis 1745 (!!!) und eine solche der Eheleute nach Bauer, die sich auf die Jahre 1776 bis 1834 bezieht. Beide Statistiken sind zu einer Zeit aufgenommen, wo die Statistik noch sehr im argen lag, und können als beweiskräftig nicht angesehen werden.
Aber Hegar verwickelt sich auch in starke Widersprüche. Auf Seite 9 seiner Schrift führt er als Beweis an für die Ungefährlichkeit geschlechtlicher Enthaltsamkeit erwachsener Menschen die katholischen Geistlichen sowie die männlichen und weiblichen Ordensangehörigen, die aus freiem Willen das Zölibat auf sich nehmen. Er bekämpft den Einwand, daß diese Personen nicht enthaltsam lebten; dazu zwinge sie außer dem Pflichtgefühl die öffentliche Stellung, wodurch jeder Fehltritt dem allgemeinen Klatsch verfiele und bald zu Ohren des Vorgesetzten komme. Aber auf Seite 37 und 38 seines Buches führt er wörtlich aus: »Eine von Druruy (bei Bertillon zitiert) festgestellte Tatsache spricht doch sehr entschieden für einen direkten nachteiligen Einfluß des unterdrückten Geschlechtstriebs auf die Erzeugung dieser Kategorie von Verbrechen (Notzucht, Attentate gegen Kinder usw.). Druruy hat die während dreißig Monaten in von Laien oder von Geistlichen geleiteten Schulen vorgekommenen Ausschreitungen gegen die Sittlichkeit gegenübergestellt. 34.873 Laienschulen wiesen 19 Verbrechen und 8 Vergehen, 3.581 Kongregationistenschulen 23 Verbrechen und 32 Vergehen auf. Die von religiösen Kongregationen gehaltenen Institute zählen daher viermal mehr Vergehen und zwölfmal mehr Verbrechen gegen die Sittlichkeit!« Ich meine, wer sich selbst so widerlegt, den brauche ich nicht zu widerlegen.
Ähnliche Widersprüche enthält Hegars Schrift noch mehrere. Auf Seite 18 und 19 gibt er Sterblichkeitstabellen über Frankreich, Paris, Belgien, Holland, Preußen, Bayern, welche Auskunft geben über die Zahl der Gestorbenen in den verschiedenen Altersklassen auf je 1.000 Verheiratete oder Ledige. Diese Tabellen sprechen fast sämtlich zugunsten meiner Auffassung, denn sie ergeben, daß die Sterblichkeit der Ledigen, die jüngste Altersklasse von 15 bis 20 Jahren ausgenommen, durchschnittlich eine höhere ist als die der Verheirateten. Allerdings stirbt ein nicht unerheblicher Teil verheirateter Frauen im Kindbett oder an den Folgen des Kindbetts im Alter von 20 bis 40 Jahren, und Hegar schließt aus dieser Tatsache und aus den vielfachen Krankheiten, die aus überstandenen Geburten bei Frauen entstehen, daß die Befriedigung des Liebesbedürfnisses die Sterblichkeit bei dem Weibe erheblich steigere. Er übersieht aber, daß diese nicht am Geschlechtsverkehr, sondern an den Folgen desselben sterben, und hieran nur die physische Beschaffenheit einer großen Zahl von Frauen schuld ist, die ihnen das Überstehen des Geburtsaktes so erschwert. Und diese physische Schwäche ist wiederum die Wirkung unserer erbärmlichen sozialen Verhältnisse: schlechte Ernährungs-, Wohn-, Lebensweise, die Art der Beschäftigung, der geistigen und physischen Erziehung, der Bekleidung (Korsett) usw. Auch muß Hegar als Fachmann wissen, in wie zahlreichen Fällen mangelhafte oder falsche Geburtshilfe, oder Ansteckung durch den Ehemann die Schuld an schweren Leiden der Wöchnerinnen trägt. Alle diese Mängel könnten durch vernünftige soziale Einrichtungen und Erziehungsmethoden behoben werden, und die Folgen, die heute eintreten, wären nicht vorhanden. Indem Hegar ferner mir vorwirft, die schädliche Einwirkung unbefriedigten Geschlechtstriebs stark zu übertreiben, verfällt er in das andere Extrem; er schildert die Schäden des befriedigten Geschlechtstriebs bei der Frau derart, daß der Apostel Paulus recht erhält, der bekanntlich lehrte: Heiraten ist gut, nicht heiraten besser.
Hegar bestreitet ferner die Richtigkeit meiner Auffassung, daß bei Unverheirateten Unbefriedigtsein des Geschlechtstriebs auch auf die Zahl der Selbstmorde von Einfluß ist. Ich verweise hier zunächst auf die statistischen Angabenmeines Buches. Hegar muß aber selbst zugebe: »Im großen und ganzen ist die Selbstmordfrequenz des ledigen Standes höher.« Warum also der Streit?
Im weiteren bekämpft Hegar meine Auffassung, daß die Unterdrückung des Geschlechtstriebs bei Frauen häufig zu Geisteskrankheiten, zu Satyriasis und Nymphomanie führe. Aber auch diese Widerlegung meiner Auffassung ist ihm vollständig mißlungen. Auf Seite 80 äußert er: »Das weibliche Geschlecht ist dem Irrsinn im großen und ganzen mehr unterworfen als das männliche; doch ist der Unterschied nicht bedeutend. Dagegen findet sich eine sehr große Differenz zwischen Ledigen und Verheirateten, indem sich bei ersteren die Zahl etwa verdoppelt. Das Verhältnis tritt noch viel schärfer hervor, wenn man die Kinder, bei welchen die geistige Erkrankung nur selten beobachtet wird, nicht berücksichtigt, sondern nur die Ledigen vom fünfzehnten Jahre an rechnet. Man erhält dann eine nahezu viermal größere Irrsinnsquote für die Ledigen gegenüber den Verheirateten.« Hegar sucht zwar diese große Differenz zuungunsten der Ledigen aus verschiedenen Gründen zu erklären, und ich kann einen Teil dieser Gründe um so leichter gelten lassen, da ich nirgends behauptete, daß der unterdrückte Geschlechtstrieb die einzige Ursache krankhafter Zustände bei Ledigen bilde; aber dennoch muß Hegar schließlich zugeben: »Doch ist der Unterschied zwischen Ledigen und Verheirateten zu groß, um hieraus (aus den von ihm angeführten Gründen) allein erklärt zu werden.« Ich frage wieder: Warum dann der Streit?
Weiter sagt er Seite 23: »Nymphomanie und Satyriasis entstehen zuweilen bei sehr erheblichen anatomischen Veränderungen in dem Sexualapparat oder auch im Zentralnervenapparat.« Aber woher diese Störungen kommen, darüber gibt er nur eine sehr unbefriedigende Erklärung. Daß Nichtbefriedigung einen Beitrag zur Entstehung des Leidens bilde, gibt er zu. »Allein das erste und die Hauptsache ist doch die künstlich und gewaltsam hervorgerufene Erregung.« (!) Aber diese Erregung ist doch in der geschlechtlichen Natur des Menschen begründet, sonst wäre sie unmöglich. Daß ferner die Entstehung der Hysterie schon in alten Zeiten dem unterdrückten Geschlechtstrieb zugeschrieben wurde, gibt Hegar ebenfalls zu, er will aber diesen Grund nicht gelten lassen; dennoch äußert er Seite 35: »In früherer Zeit und, wenn auch seltener, in unseren Tagen hat man ge häufte Erkrankungen von Hysterie, hysterische Psychose, Veitstanz in geschlossenen Anstalten wie Nonnenklöstern, Mädchenpensionaten beobachtet, welche ebenfalls vielfach dem unterdrückten Geschlechtstrieb zugeschrieben worden sind.« Hegar widerspricht diesem nicht, er sucht nur die Ursachen zu erklären, gegen die ich mich ebenfalls um so weniger zu erklären brauche, als ich sie selbst bereits teilweise anführte. »Das Krankheitsbild gewinnt, zumal bei dem Weibe, leicht einen sexuellen Anstrich«, sagt Hegar weiter, ein Zugeständnis, das ich wiederum akzeptiere. Ferner sagt er: »Inwieweit bei der Entstehung solcher mit sexuellem Anstrich verlaufender Nervenleiden und Gemütsstörungen noch die gewaltsame Zurückdrängung eines der Kraft und dem Lebensalter des Beteiligten adäquaten Geschlechtstriebs mitwirkte, ist schwer zu entscheiden.« Auch dieses Zugeständnis genügt mir.
Im sechsten Abschnitt seiner Schrift behandelt Hegar die Übel, welche für die Frau aus dem Fortpflanzungsgeschäft erwachsen. Wie schon weiter oben angeführt, sieht Hegar weit größere Gefahren und Übel als vorhanden an für die verheiratete Frau als für die nichtverheiratete, obgleich er die Nachtseite der Nichtbefriedigung nicht gänzlich absprechen will. Und doch belehrt das ganze Aussehen alternder Mädchen, sogenannter alter Jungfern, sogar den Laien über die Übel des Nichtverheiratetseins. Das kann auch Hegar nicht ganz verschweigen, deshalb äußert er auf Seite 30: »Es gibt aber auch eine andere Klasse von Mädchen, welche ganz gesund sind oder wenigstens keine irgend beträchtlichere Störung ihrer Körperentwicklung darbieten, und die allmählich in ein höheres Lebensalter einrücken, ohne zu heiraten. Diese bieten nun nicht selten in mehr oder weniger ausgeprägter Weise ein Bild dar, welches mit dem der Bleichsüchtigen manches gemein hat; Gefühl der Schwäche und Hinfälligkeit, Unlust zur Arbeit, Verstimmung, große Reizbarkeit, blasses Aussehen, Abmagerung, Störungen bei Genitalfunktionen u.a.« Diese Sätze enthalten also ebenfalls wieder ein wertvolles Zugeständnis. Und dennoch Räuber und Mörder über mich, weil ich nur weniger verklausuliert als er die Dinge beim rechten Namen nenne.
Was Hegar im siebenten Abschnitt seiner Abhandlung über die Unmäßigkeit im Geschlechtsgenuß und die Folgen sogenannter wilder Liebe sagt, darüber verliere ich kein Wort. Einmal, weil er, soweit er darin gegen mich polemisiert, mich nur mißverstanden hat, ob absichtlich oder unabsichtlich, lasse ich dahingestellt sein, oder weil es sich um Ausführungen handelt, die meine Ausführungen überhaupt nicht treffen.
Im weiteren passiert es Hegar, wie allen bürgerlichen Ideologen, daß er die Wirkung an die Stelle der Ursache setzt, zum Beispiel die Trunksucht aus einem »ethischen Defekt« statt aus sozialen Ursachen ableitet. Ich habe mich in diesem Buche so gründlich über die Wirkung sozialer Verhältnisse auf alle Lebensbeziehungen der Menschen ausgesprochen, daß ich an dieser Stelle kein Wort weiter hierüber verlieren will. Sehr aufgebracht ist Hegar darüber, daß ich ausführe, wie so häufig die Töchter des Volkes von den Angehörigen der »besitzenden und gebildeten Klassen« verführt würden. Das sei unwahr, fast ohne Ausnahme seien die Schuldigen Soldaten, Arbeiter, Gesellen, Diener, selten figuriere auch einmal ein Angehöriger der besseren Stände, welcher dann seinen Fehler, an dem er vielleicht nicht einmal allein beteiligt sei, sehr schwer büßen müsse. Eine unverfrorenere Behauptung wie diese ist wohl kaum möglich. Gewiß sind die Väter der zirka 170.000 unehelichen Kinder, die in Deutschland durchschnittlich jährlich geboren werden, nur zum Teil Angehörige der »besitzenden und gebildeten Klassen«, aber prozentual stellen sie ein ungewöhnlich großes Kontingent. Leider kommt es nur gar zu häufig vor, daß Knechte, Arbeiter und namentlich Diener in vornehmen Häusern bereit sind, die Sünden ihrer Herren auf sich zu nehmen. Hegar mache doch nur einmal die entsprechenden Untersuchungen in der Geburtsklinik zu Freiburg, und er wird, wenn er in diesem Punkte überhaupt der Belehrung zugänglich ist, eines Besseren belehrt werden. Auch empfehle ich ihm, die Schrift seines jüngeren Kollegen, des Dr. Max Taube in Leipzig, »Der Schutz der unehelichen Kinder«, zu lesen, der bei Erörterung dieses Kapitels zu ganz entgegengesetzten Urteilen wie Hegar kommt. Es ist der blinde, voreingenommene Verteidiger der bürgerlichen Gesellschaft, der bei Beurteilung namentlich sozialer Momente aus Hegar spricht. So auch, wenn er sich zu einem förmlichen Panegyrikus für das in Frankreich herrschende Zweikindersystem erhebt, das nach seiner Meinung als eine Art Idealzustand anzusehen ist. Über Ursachen und Wirkungen dieses Systems habe ich mich im zweiten Abschnitt dieses Buches genügend ausgesprochen. Hegar, indem er sich zum Verteidiger dieses Systems aufwirft, übersieht wiederum vollkommen die Folgen, die dasselbe auf den Moralzustand der französischen Bevölkerung ausübt. Daß der Massenabortus, der Kindsmord, der Kindermißbrauch und die unnatürliche Unzucht sehr erheblich dadurch gefördert wurden, ist ihm, dem Gynäkologen, unbekannt.
Auf derselben Höhe der Anschauung stehen die übrigen sozialen wie die politischen Gesichtspunkte, die er gegen meine bezüglichen Ausführungen geltend macht. So zum Beispiel was er über das Recht auf Arbeit – das bekanntlich die deutsche Sozialdemokratie niemals als Programmforderung anerkannte –, über die internationalen Beziehungen, die Arbeitseinheiten und die Natur des Geldes sagt. Von wahrhaft phänomenaler Oberflächlichkeit zeugen auch seine wirtschaftlichen Ansichten über die Agrarfragen. Danach ist der Ruin des englischen Ackerbaues der Aufhebung der Kornzölle in England – die bekanntlich 1847 aufgehoben wurden – geschuldet! Daß ich mehrfach in meinem Buche hervorhebe, wie heute fruchtbarer Boden vielfach zur Anlegung von Wald verwendet werde, der dann mit Hirschen und Rehen bevölkert wird, damit vornehme und reiche Herren ihre Jagdpassionen befriedigen können, veranlaßt ihn (Seite 94) zu folgender Entgegnung: »Der Jagd zuliebe sind bei uns in Deutschland keine oder gewiß sehr wenige zu sonstigen Zwecken besser brauchbare Ländereien zu Wald angepflanzt oder sonst ihrer richtigen Bestimmung entzogen worden. Kaum gelingt es, manche Tiergattungen wie Hirsche, Wildschweine noch vor der gänzlichen Ausrottung zu schützen; freilich dem Anhänger eines einseitigen Utilitätsprinzips ist dies gleichgültig und es ist ihm schon recht, wenn der letzte Hase und das letzte Reh niedergeknallt wären. Wie sähe es aber dann in Wald und Flur aus!«
So schreibt nur ein Mann, der von dem, was sich in Wirklichkeit zuträgt, keine Ahnung hat, sonst müßte er wissen, daß unsere Bauern in Nord und Süd, Ost und West alle darin übereinstimmen, daß der Schaden, den die geflissentliche Hegung des Wildstandes in allen Teilen Deutschlands verursacht, allmählich eine Höhe erreicht hat, die eine Kalamität genannt werden muß. In der Feudalzeit konnten die Zustände hierin kaum schlimmer sein, als sie es in einer Anzahl Gegenden Deutschlands bereits geworden sind.
Auch die eigentliche Agrarfrage löst Hegar wunderbar einfach. Er schreibt (Seite 106): »Die Handelspolitik, die Art der Besteuerung, die Gesetzgebung und der gute Wille der Latifundienbesitzer werden das meiste für die Hebung des kleinen und mittleren Bauern tun müssen...« Er erhofft also vom Wolf die Rettung der Schafe. Da versagt meine Fähigkeit und meine Neigung, weiter zu polemisieren.
Stellt das deutsche Professorentum keine geschickteren Kämpen wider den Drachen Sozialismus, als die Hegar und Ziegler, dann wird dieses moderne »Ungeheuer« der bürgerlichen Gesellschaft Herr. Schlaflose Nächte machen uns solche Siegfriede nicht.
Ostern 1895
A. Bebel
Zur vierunddreißigsten Auflage
Seit der fünfundzwanzigsten Auflage dieser Schrift habe ich eine Ergänzung oder teilweise Umarbeitung derselben unterlassen. Aber die fortgesetzte Nachfrage nach dem Buche ließ es mir wünschenswert erscheinen, wieder eine Revision seines Inhalts vorzunehmen.
An den Grundanschauungen, die bisher in dem Buche zum Ausdruck kamen, fand ich nichts zu ändern. Wohl aber habe ich eine Reihe neuer Tatsachen, die seit dem Erscheinen der fünfundzwanzigsten Auflage bekannt wurden, berücksichtigt und ebenso eine Reihe neuer literarischer Erscheinungen, die beachtenswerte Auffassungen enthielten, in den Kreis seiner Erörterungen gezogen. Auch sind eine Reihe von Mitteilungen und Winken, die mir wiederum aus dem Kreise seiner Leser zugingen und wofür ich den Betreffenden hiermit meinen verbindlichsten Dank ausspreche, berücksichtigt worden.
Um das Buch an Umfang nicht noch weiter anschwellen zu lassen, war ich genötigt, unter dem zugeströmten Material eine begrenzte Auswahl zu treffen. Es wäre bei der Masse des vorhandenen Stoffes ein leichtes gewesen, seinen Inhalt zu verdoppeln. Gegen eine solche Erweiterung sprachen aber die verschiedensten Gründe.
Was das Buch bezweckt, und wie ich wohl sagen darf, in hohem Grade erreichte – Bekämpfung der Vorurteile, die der vollen Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sowie die Propaganda für die sozialistischen Ideen, deren Verwirklichung allein der Frau ihre soziale Befreiung verbürgen –, wird es auch in der nunmehr vorliegenden Gestalt und, wie ich hoffe, in noch höherem Grade erreichen. Vergeht doch kein Tag, der dem Denkenden nicht immer neue Belege dafür bringt, daß nur eine Umgestaltung von Staat und Gesellschaft von Grund aus der immer größer werdenden Zerrüttung unserer staatlichen und sozialen Zustände ein Ende bereiten kann.
Die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer solchen Umgestaltung hat nicht nur immer weitere Kreise der proletarischen Frauenwelt ergriffen, auch die bürgerliche Frauenbewegung ist in ihren Bestrebungen immer weiter getrieben worden und stellt Forderungen, die früher nur die vorgeschrittensten Elemente zu stellen wagten. Die Frauenbewegung hat in fast allen Kulturländern von Jahr zu Jahr immer mehr Boden gefaßt, und wenn in dieser Bewegung auch noch viel Unklares und Halbes zu finden ist, diese Unzulänglichkeit bleibt den in ihr tätigen Elementen auf die Dauer nicht verborgen; sie werden weiter getrieben, sie mögen wollen oder nicht.
Ein ganz besonderes Merkzeichen von dem Fortschritt der Bewegung ist die gewaltig angeschwollene Literatur über die Frauenfrage, die genau zu verfolgen die Kräfte eines einzelnen übersteigt. Wohl hält auch hier nur selten die Qualität mit der Quantität Schritt, aber sie ist ein Zeichen der geistigen Regsamkeit und schließlich ist auf anderen Gebieten geistiger Tätigkeit dieser Unterschied nicht minder groß. Die Hauptsache ist, die Bewegung marschiert und was etwa die Einsicht der einzelnen versieht, verbessert der Instinkt der Masse, die, einmal in Bewegung gebracht, ihren Weg nicht verfehlt.
Berlin-Schöneberg, den 15. November 1902
A. Bebel
Zur fünfzigsten Auflage
Im Beginn dieses Jahres waren drei Jahrzehnte verflossen, seitdem die erste Auflage dieses Buches erschien. Wie ich schon in der Vorrede zur neunten Auflage ausführte, erschien es unter exzeptionellen Verhältnissen. Wenige Monate zuvor war das Sozialistengesetz verkündet worden, auf Grund dessen alle sozialistische Literatur unterdrückt wurde. Wagte alsdann jemand dennoch die Verbreitung einer verbotenen Schrift oder gab er eine solche aufs neue heraus und wurde dabei ertappt, so war Gefängnis bis zu sechs Monaten sein Lohn. Dennoch wurde beides gewagt.
Die erste Auflage wurde in Leipzig hergestellt, aber sie erschien unter falscher Flagge. Als Verlag war Zürich-Hottingen, Verlag der Volksbuchhandlung, angegeben, woselbst auch der in Deutschland verbotene »Sozialdemokrat« herausgegeben wurde. Mit der zweiten Auflage haperte es; ich konnte sie erst 1883 erscheinen lassen, weil persönliche Hindernisse mir dieses früher nicht ermöglichten. Die zweite Auflage erschien im Verlagsmagazin Zürich. Von jetzt ab bis zum Jahre 1890 folgten weitere sechs Auflagen, jede 2.500 Exemplare stark. Die Hindernisse, die der Verbreitung des Buches entgegenstanden, wurden überwunden. Ab und zu fiel allerdings eine Sendung der Polizei in die Hände und wurden Exemplare bei Haussuchungen konfisziert. Aber diese Bücher gingen nicht verloren, sie kamen nur, allerdings unentgeltlich, in andere Hände und wurden von den Polizeibeamten, ihren Angehörigen und Freunden vielleicht mit noch größerem Eifer gelesen als von meinen Parteigenossen.
Als endlich 1890 das Sozialistengesetz fiel, nahm ich eine gänzliche Umarbeitung und bedeutende Erweiterung des Buches vor, das als neunte Auflage im Jahre 1891 in dem jetzigen Verlag erschienen ist. Die fünfzigste Auflage, die nunmehr vorliegt, enthält eine erhebliche Erneuerung des Inhalts. Auch ist der Inhalt übersichtlicher geworden durch eine Vermehrung der Kapitel und die Einteilung derselben in Unterabteilungen.
Das Buch ist bisher in vierzehn verschiedenen Sprachen erschienen, in mehreren Ländern in erneuten Auflagen, zum Beispiel in Italien und den Vereinigten Staaten. Durch die Übersetzung ins Serbische erscheint es nunmehr in fünfzehn verschiedenen Sprachen.
Das Buch hat also seinen Weg gemacht, und ich darf ohne Überhebung sagen: es hat bahnbrechend gewirkt. Nicht zuletzt haben seine Gegner wider Willen für seine Verbreitung gesorgt.
Aber es hat auch verschiedentlich Anerkennung gefunden! In seinem Werke »Die sexuelle Frage«nennt es Professor August Forel »ein wichtiges und merkwürdiges Buch«, das man mit den Vorbehalten, die er machte, »als eine bedeutende und vortreffliche Leistung bezeichnen, der man in der Hauptsache unbedingt zustimmen müsse«. Und an einer anderen Stelle sagt er, daß, obgleich er sich gegen eine Reihe Punkte wende, in denen ich nach seiner Ansicht unrecht hätte, »er meinem Buche als einer bedeutenden Leistung hohe Anerkennung zolle«.
Dieses Urteil bezieht sich auf die zweite Auflage aus dem Jahre 1883. Professor Forel scheint die späteren, wesentlich veränderten und erweiterten Auflagen nicht zu kennen. Aus diesem Grunde muß ich es auch unterlassen, auf die Kritik einzugehen, die er an der Auflage von 1883 übte.
Und ein englischer Autor, G. S. Howard, urteilt in seinem Werke »A History of matrimonial institution«: »In seinem vorzüglichen Buche über ›Die Frau und der Sozialismus‹ richtet August Bebel eine wuchtige Anklage gegen die heutigen Eheverhältnisse.« Er gibt dann eine kurze Übersicht des Inhalts und schließt: »Wie man auch von dem Heilmittel denken mag, das die sozialistischen Schriftsteller vorschlagen, wie fraglich es uns auch scheinen mag, daß unsere einzige Hoffnung auf der Begründung einer kooperativen Republik beruhen soll, das eine ist sicher: die Sozialisten haben der Gesellschaft einen wertvollen Dienst geleistet, indem sie die Tatsachen ehrlich studiert und furchtlos dargelegt haben. Schonungslos haben sie die Gebrechen bloßgelegt, an denen unsere Familie im heutigen Staate krankt. Sie haben klar bewiesen, daß das Problem der Ehe und der Familie nur im Zusammenhang mit dem heutigen ökonomischen System gelöst werden kann. Sie haben dargetan, daß nur durch die vollkommene Befreiung der Frau und die absolute Gleichstellung der Geschlechter in der Ehe ein Fortschritt möglich sei. Durch alles dieses haben sie es erreicht, daß heute schon die Allgemeinheit ein weit höheres Ideal vom ehelichen Leben sich gebildet hat.«
Die Frauenbewegung – und zwar die bürgerliche wie die proletarische – hat in den dreißig Jahren, seitdem mein Buch erschien, viel erreicht, und zwar in allen Kulturländern der Erde. Es dürfte kaum eine zweite Bewegung geben, die in so kurzer Zeit so günstige Resultate erzielte. Die Anerkennung der politischen und bürgerlichen Gleichberechtigung der Frau und die Zulassung der Frauen zum Studium auf den Hochschulen und der Zutritt zu ihr früher verschlossenen Berufen hat große Fortschritte gemacht. Selbst Parteien, die früher von ihrem prinzipiellen Standpunkt aus sich der modernen Frauenbewegung entgegenstellten, wie das katholische Zentrum und die evangelischen Christlichsozialen, haben es für nötig erachtet, aus ihrer hemmenden Stellung eine fördernde zu machen. Aus dem einfachen Grunde, um nicht ihren Einfluß auf die ihnen zugängigen Frauenkreise gänzlich zu verlieren.
Fragt man aber: Wie erklärt sich dieses Phänomen? So lautet die Antwort. Die große soziale und ökonomische Umwälzung in allen unseren Verhältnissen hat dieses herbeigeführt. Hat man, wie zum Beispiel ein ehemaliger vermögensloser preußischer Kultusminister, sieben Töchter in annehmbare Lebensstellungen zu bringen, so wird einem durch die harten Tatsachen Logik und Einsicht eingepaukt. Und wie jenem ergeht es Unzähligen in unseren sogenannten höheren Gesellschaftskreisen, auch wenn es nicht gerade sieben Töchter sind, die eine entsprechende Lebensstellung gewinnen müssen.
Daß die Agitation der führenden Frauen ihr gutes Teil zu dieser Entwicklung beigetragen hat, versteht sich von selbst. Ihre Erfolge waren aber nur möglich, weil unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung ihnen in die Hände arbeitete, genau wie der Sozialdemokratie. Selbst Engelszungen haben nur Erfolg, wenn der Resonanzboden für das, was sie predigen, vorhanden ist. Und kein Zweifel, dieser Resonanzboden wird immer günstiger, und das sichert weitere Erfolge. Wir leben bereits mitten in der sozialen Revolution, aber die meisten merken es nicht. Die törichten Jungfrauen sind noch nicht ausgestorben.
Schließlich muß ich an dieser Stelle meinem Parteigenossen N. Rjasanoff meinen wärmsten Dank aussprechen für die umfassende Hilfe, die er mir bei Bearbeitung der fünfzigsten Auflage gewährte. Er hat den Hauptteil der Arbeit geleistet. Ohne seine Hilfe wäre es mir unmöglich gewesen, schon jetzt das Buch in wesentlich verbesserter Form erscheinen zu lassen, denn Krankheit verminderte in den letzten zwei Jahren meine Leistungsfähigkeit sehr bedeutend, außerdem nahm noch eine andere größere Arbeit meine Zeit und Kraft in Anspruch.
Schöneberg-Berlin, den 31. Oktober 1909 A. Bebel