Читать книгу Der Midrasch Debarim Rabba - August Wünsche - Страница 4
EINLEITUNG.
ОглавлениеDer Midrasch zum fünften Buche Mose, אלה דברים רבה oder מדרש דברים רבה genannt, begleitet den biblischen Text nicht fortgehend, sondern hebt nur gewisse Verse heraus, welche als Themen hingestellt und verschieden variirt werden. Bei dieser Behandlungsweise kann es nicht fehlen, dass der Ausleger, um immer einen neuen Sinn zu eruiren, zu Wortspielen greifen oder dem Worte eine andere Bedeutung vindiciren muss. So wird gleich zu Anfang aus der Aehnlichkeit von דְבָרִים mit דְבוֹרים, Bienen gelehrt, dass Worte der Zurechtweisung in ihrer Wirkung dem Honig der Bienen an Süsse gleichen; עיר מצור, die befestigte Stadt wird auf Rom bezogen, welches die Völker bedrängt. Oefter wird ein Wortspiel zu Andeutungen und Lehren benutzt, wie z. B. רַב genug = רב Herr, Lehrer. סב את ההָר wird gedeutet: סיבב את הוֹרו, er hat seinen Vater Mahlzeiten bereitet; והתחילל בו wird von חילה abgeleitet und ואשׂמם und ich will sie setzen, wird als אשׁמה gedeutet. Auch andere Mittel, wie Zerlegen eines Wortes in zwei, oder Versetzung der Buchstaben, werden herangezogen, wenn es gilt, dem Schriftworte einen geheimnissvollen Sinn abzugewinnen. Ein Beispiel dieser Art ist: מכאוב, was in מה כאב zerlegt wird. Aehnlich verhält es sich mit ובבהמתך und unter deinem Vieh, was = ובבהמין שלך und unter deinen Viehtreibern, ferner mit ומלך und den König, was bald = ומלוך und herrsche (nämlich über deine Leidenschaft), bald = ואל למולך und nicht dem Molech, bald = המליכהו setze ihn als König ein, genommen wird. Besonders vieldeutig erscheinen die Ausdrücke בעקב und ואתחנן, letzterer durchläuft geradezu die ganze Bedeutungsreihe des Stammes חנן. Eine eigenthümlich mystische Auslegung erfahren die Worte צפונה, הן, זאת u. s. w. Was die Durchführung der einzelnen Themen anlangt, so dürften am geistvollsten, wenigstens nach der praktischen Seite hin, die Worte: שׁמע ישׂראל höre Israel! aufgefasst sein. Mancherlei Originelles bietet die letzte Parascha: Moses Segen betreffend. Zunächst wird darauf hingewiesen, dass jeder Segnende seinen Segen stets mit dem Worte angefangen habe, womit der Vorgänger den seinigen geschlossen. So endigte Abraham seinen Segen mit יתן, womit Jizchak begann, dieser endigte ihn mit קרא, womit Jacob begann, dieser endlich endigte ihn mit וזאת, womit Mose wieder anhub.
Nicht uninteressant ist ferner in demselben Abschnitte der Rangstreit zwischen dem Protoplasten, Noach, den drei Altvätern und Mose. Jeder will wegen seiner Verdienste grösser und bevorzugter als Mose erscheinen, jedoch Mose stellt sie alle in Schatten, da seine Thaten alles überragen, womit die Ahnen sich brüsten.
Mit grosser Lebendigkeit und schönen, Herz und Gemüth ansprechenden Zügen ist der Tod Moses geschildert. Der Gesetzgeber will nicht sterben. Als Gott den Todesengel zu ihm sendet, um seine Seele in Empfang zu nehmen, bringt er denselben durch das Aussprechen des vollen Gottesnamens zur Flucht. Sodann erscheint Mose in einem Gespräch mit seiner Seele, wobei derselben die Worte Ps. 116, 8. 9 in den Mund gelegt werden. Im letzten Absatz endlich macht Mose Gott Vorstellungen darüber, dass er nicht über den Jordan gehen, sondern sterben soll. Als er sieht, dass ihm alles, was er vor dem Allerhöchsten vorbringt, nichts hilft, sondern dass der Gerichtsbeschluss über ihn besiegelt ist, zieht er einen Kreis um sich, legt sich Fasten auf, hüllt sich in Sack und Asche und stellt sich in Gebet und Flehen vor Gott, so dass Himmel und Erde und alle Ordnungen der Schöpfung erbeben, auf Gottes Befehl jedoch schliessen sich die Himmelsthore und verhindern das Aufsteigen seines Gebetes vor dem Thron der göttlichen Herrlichkeit. Nachdem Samael, das Haupt aller Satane, ohne die Seele Moses zu Gott zurückgekehrt ist, lässt sich Gott selbst in Begleitung der drei Dienstengel: Michael, Gabriel und Sagsagel von den Himmeln herab, um sich mit Moses Begräbniss zu beschäftigen. Mose kann nicht länger widerstreben, auf Gottes Geheiss senkt er seine Augen, legt die Hände auf die Brust und zieht die Füsse zusammen. Mittelst eines Kusses[1] nimmt Gott die Seele seines Frommen zu sich, worauf Gott, der heilige Geist, die Himmel, Josua, die Dienstengel und die Israeliten in verschiedene Bibelworte einstimmen.
Soviel in Kürze über den Charakter des Midrasch Debarim rabba. Es gilt noch ein Wort über äussere Anlage desselben zu sagen.
Unter allen im Midrasch Rabbot enthaltenen Midraschim ist Midrasch Debarim r. der einzige, welcher jeder Erörterung des Textwortes eine Halacha vorausgehen lässt. Diese Eigenthümlichkeit erklärt sich entweder aus der Zeit der Abfassung oder Redaction unseres Midrasch. In der Zeit der Talmudlehrer, wo die Discussion und Festsetzung des rituell gesetzlichen Stoffes die Hauptsache bildete, leitete der Vortragende den trocknen Gegenstand mit haggadischem Inhalte ein, um die Gemüther in die geeignete Stimmung zu versetzen. In den späteren Zeiten, wo der Vortrag dem ganzen Volke galt und zwar regelmässig am Sabbath und an den Festen, bildete der ethische Inhalt in den Vorträgen den Hauptbestandtheil, eine Halacha wurde nur als Einleitung und Uebergang kurz vorangestellt, sie wurde nicht um ihrer selbst willen behandelt. Aehnliches kam auch vereinzelt schon in den Zeiten des Talmuds vor. In den späteren Midraschim, wie Tanchuma, Petikta rabbati, ist dies gradezu Regel. Auch unser Midrasch gehört dieser Classe an. Die angeführten Halachot sind immer mit Bezug auf das folgende haggadische Element gewählt. Da im Midrasch Debarim r. nur solche Halachot angezogen werden, welche das religionsgesetzliche Leben der Juden längst sanctionirt hatte, über die also keine Meinungsverschiedenheit mehr obwaltete, so fehlt nicht nur die Motivirung, sondern auch die Namhaftmachung der Autoritäten. Die betreffenden Halachot sind folgende, 1) Darf der Israelit das Gesetzbuch in jeder Sprache niederschreiben? 2) Darf der Israelit, der als Gelehrter oder Richter über die Gesammtheit gesetzt ist, allein Recht sprechen? 3) Was ist der Lohn des Israeliten, der gewissenhaft in der Elternverehrung ist? 4) Wie hat ein Israelit sich auf der Reise, wenn er Geld oder sonst etwas bei sich führt, beim Anbruche des Sabbaths und bei eintretender Finsterniss, zu verhalten? 5) Darf der Israelit laut beten? 6) Darf der Israelit nach dem Schema warten mit dem Gebet der 18 Benedictionen? 7) Darf der Israelit die Ecke seines Haupthaares rund herum wachsen lassen? 8) Welche Dinge waren dem ersten Menschen verboten? 9) Hat der Israelit, welcher das Schema gelesen, aber nicht genau auf die Aussprache geachtet hat, seine Schuldigkeit gethan? 10) Darf der Israelit einen aus Gelenken zusammengesetzten Leuchter am Sabbath von einem Orte zum andern tragen? 11) Welchen Segen spricht man, wenn man aus Durst Wasser trinkt? Antw.: Gelobt sei der, durch dessen Wort alles geworden! 12) Wenn ein Israelit sich vermählt hat, wer hat die Kosten für das Schreiben des Ehekontractes zu bezahlen? 13) Darf der Israelit die Strafreden (Flüche) in vielen Abtheilungen lesen? 14) Darf der Israelit das Blut eines geschlachteten Thieres am Festtage zudecken? 15) Darf der Verwandte eines Angeklagten Recht sprechen? 16) Darf ein israelitischer König, wenn er eine Streitsache (einen Prozess) hat, seine Sache vor Gericht anhängig machen? 17) Welches sind die Dinge, welche die Erhaltung des Friedens zum Zweck haben? 18) Muss ein ohne Vorhaut gebornes Kind beschnitten werden? 19) Darf der mit einem Aussatzmal Behaftete sich von einem ihm verwandten Priester besichtigen lassen? 20) Darf der Vorbeter nach jedem Verse des Priestersegens Amen! sagen? 21) Darf ein Israelit, welcher im Begriff steht in der Thora zu lesen, weniger als drei Verse lesen? 22) Was hat derjenige zu thun, der das Morgen- (Schacharit-) oder Mussaph- (Zusatz-) oder das Abend- (Mincha-) Gebet vielemal nicht verrichtet hat, entweder weil er nicht Musse hatte zu beten, oder weil es ihm an Zeit dazu fehlte, oder weil er sich auf der Reise befand und vergessen hatte zu beten? 23) Was hat der für eine Benediction zu sprechen, welcher im Begriffe steht, in der Thora vorzulesen? 24) Darf der Israelit beten, wenn die Leiche noch vor ihm liegt? 25) Darf ein Israelit, welcher am Ohre leidet, sich am Sabbath heilen lassen? 26) Was hat ein Vorbeter zu thun, wenn er sich geirrt hat? 27) Darf ein Israelit, welcher hinaufsteigt, um in der Thora vorzulesen, lesen, bevor er den Segen gesprochen hat? Dem entsprechend ist der Inhalt der einzelnen Abschnitte dieser. 1) Nutzen und Verdienst der Zurechtweisung. 2) Die bei den Richtern erforderlichen Eigenschaften und die Pflicht des Gehorsams gegen die Richter. 3) Die lange Dauer der Macht des frevelhaften Reiches Esaus (Roms) ist eine Belohnung, weil Esau das Gebot der Elternverehrung in hohem Masse geübt. 4) Wenn auch Roms Macht von langer Dauer ist, so ist sein Fall sicher, ebenso wie Israels Erhebung. 5) Der hohe Werth des andächtigen Betens. 6) Obwohl Gott in den höchsten Höhen thront, so ist er doch jedem Betenden nahe, 7) Das böse Beispiel der Vorgesetzten wirkt ansteckend auf die Gesammtheit. 8) Die Abschaffung der Blutrache durch Anordnung der Asylstädte. 9) Das Bekenntniss der Einheit Gottes (Sch’ma) ist ein Erbtheil von den Söhnen Jacobs, sie beruhigten damit den sterbenden Vater. 10) Gott ist treu; Belohnung und Strafe folgt oft spät, aber sicher. 11) Die Wunder, die Gott beim Schilfmeer und in der Wüste durch den sprudelnden Felsen gethan, geben Bürgschaft, dass auch beim Uebergang über den Jordan und in allen Folgezeiten Gott die Israeliten beschützt. 12) Das Verhältniss Gottes zu Israel gleicht einem Ehebunde, die Gesetztafeln sind der Ehekontrakt 13) Bewahrt der Mensch die Thora, das Licht Gottes, das in seiner Gewalt ist, so bewahrt Gott die Seele, des Menschen Licht, das in Gottes Gewalt ist. 14) Wohlthätigkeit wird von Gott reichlich belohnt. 15) Gewissenhafte Handhabung des Rechtes von Seiten der Richter ist eine der Stützen des göttlichen Thrones. 16) Die Angeber (Delatoren) sind das Verderben des Staates, wo sie nicht sind, da ist der Staat kräftig und siegreich. 17) Die Harmonie der Welten ist ein Vorbild zu harmonischem, einträchtigem Leben. 18) Uebe die göttlichen Gebote, die kleinen wie die grossen, ohne Rücksicht auf die grössere oder geringere Belohnung; sei gewissenhaft im Kleinen, vor allem sei auch liebevoll und barmherzig gegen die Thiere. 19) Missgunst und Verläumdung ziehen dem Menschen Unheil und Verderben zu. 20) Das Gotteshaus ist ein Lebensquell, es bringt dir des Segens Fülle. 21) Die Thora ist ein theures Besitzthum, selbst die Dienstengel haben sich nach ihr gesehnt. 22) An Kains und an Chiskias Beispiel kann man die Wirksamkeit des Gebetes erkennen. 23) Zum Wohle der Menschen gab Gott die Thora, sie ist Erquickung dem ganzen Wesen. 24) Auch ein Mose, dessen Gebet so oft für sein Volk wirksam gewesen, muss vom Leben scheiden. 25) Das Ohr, welches auf die Worte der Zurechtweisung hört, erwirbt für Körper und Geist Gesundheit und Kraft. 26) Mose war würdig, den Segen zu ertheilen, da er alle die in Ps. 24 genannten Eigenschaften bewährte. 27) Nicht das Lernen der Thora ist die Hauptsache, sondern das Handeln darnach.
Durch diese 27 halachischen Fragen wird der Midrasch Debarim r. innerlich in 27 ziemlich gleichgrosse Abschnitte gegliedert, im Druck freilich sind nur 11 Abschnitte (Paraschot) unterschieden. Beinahe jeder Abschnitt hat einen messianischen Schluss. Die Erlösung wird durch verschiedene biblische Trostworte dem frommen Gemüthe zu Herzen geführt. Mehrere Stellen tragen einen polemischen Charakter; so sind die Worte in Par. 6: יש אחד ואין שני גם בן ואח אין לו אין לו אח ולא בן gegen das christliche Dogma der Trinität gerichtet, weshalb dieselben auch von der Censur in meiner Venediger Ausgabe von 1545 gestrichen sind.
Hinsichtlich der Composition des Midrasch Debarim r. ist zu bemerken, dass derselbe nicht nur zahlreiche Excerpte aus den beiden Talmuden enthält, sondern auch aus den übrigen pentateuchischen Midraschim, wie Beresch. r. und Wajikra r.; selbst aus den Haggadas zu Kohelet und dem hohen Liede ist vielfach geschöpft worden.
Da nach Zunz (die gottesdienstlichen Vorträge der Juden S. 253) R. Nathan der Midrasch Debarim r. noch nicht bekannt war, und ob er Raschi bekannt war, sehr zu bezweifeln ist, die ersten sicheren Anführungen vielmehr erst von der Mitte des 12. Seculums datiren, auch Charakter, Ton und Schreibart auf eine ziemlich späte Zeit hindeuten, so werden wir nicht fehl greifen, wenn wir behaupten, dass derselbe von allen pentateuchischen Midraschim der jüngste ist.
Diese Sage beruht auf der Deutung der Worte: על פיו.