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Uthers Sohn

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Man bestattete Aurelius Ambrosius mit allen königlichen Ehren und Uther trauerte redlich um ihn, denn die Brüder waren einander zeitlebens herzlich zugetan. »Ich will ihm ein Grabmal errichten, über das noch die Menschen späterer Zeiten staunen werden«, schwor er.

Die Herzöge, Grafen und Barone riefen Uther zum König aus, obgleich einige unter ihnen waren, die gerne selbst den Thron Britanniens bestiegen hätten.

Die Edelherren begannen, ihre zerstörten Burgen wieder aufzubauen, die zertrümmerten Stadtmauern wurden neu befestigt und die Bauern zogen wieder den Pflug über die zerstampften Felder.

Ein harter Winter kam über das Land und ging zu Ende. Und als das Hohe Osterfest herannahte, ließ König Uther seine Boten von Burg zu Burg reiten und die Ritterschaft zu einer prunkvollen Krönungsfeier in die Hauptstadt laden. »Nicht nur die edlen Herren, sondern auch ihre Damen mögen kommen, damit ihre Schönheit uns beim Fest erfreue«, ließ er sagen.

Niemand zögerte, dieser Einladung zu folgen. So herrschte am Vorabend der Krönung in den Höfen, Gängen und Sälen der riesigen Burg ein fröhliches Gedränge und eine Pracht, wie man sie noch nie gesehen hatte. Die Herbergen der Stadt waren überfüllt mit vornehmen Gästen und viele, die spät kamen, mussten mit Zelten außerhalb der Mauern vorlieb nehmen.

Das festliche Treiben dauerte bis spät in den Abend hinein, und als es auf Mitternacht zuging, waren noch immer viele in den Straßen, auf den Wällen und vor den Stadtmauern unterwegs.

Der Himmel war voll Sterne, aber der Mond war schon untergegangen.

Da schien es plötzlich, als schimmerte am samtschwarzen Nachthimmel eine jähe Helligkeit auf wie von einer riesigen Fackel.

Das fröhliche Lachen und die unzähligen Stimmen verstummten mit einem Mal.

Und dann erscholl ein tausendstimmiger Schrei: Hinter dem Horizont stieg ein grelles Licht herauf, ein riesiger Stern, vor dem alle anderen ihren Schein verloren. Er begann, mit großer Schnelligkeit über den Himmel zu ziehen. Aber er hatte eine seltsame Gestalt. Er sah aus wie der Kopf eines Drachen, aus dessen Rachen zwei feurige Strahlen kamen; auch der Schweif und der gezackte Rücken schienen einem Drachen zu gehören und sieben Strahlen leuchteten nach verschiedenen Richtungen.

So durchraste das glühende Ungeheuer die Kuppel des Himmels und verschwand westwärts hinter den Bergen. Es war wieder Nacht, eine viel dunklere Nacht als zuvor – so schien es den erschrockenen Menschen, die erst allmählich die Sprache wiederfanden.

Der König, der, von Höflingen und Damen umgeben, auf dem äußeren Wall stand, rief nach Fackeln. »Weiß Gott«, sagte er aufatmend, »das war eine seltsame Himmelserscheinung! Was mag sie bedeuten?«

»Willst du, dass ich die Sterndeuter rufe?«, erbot sich Ulfin, sein Vertrauter, selbst noch ein wenig verstört.

Aber in diesem Augenblick fuhr der König herum. »Ich grüße dich, König Uther!«, sagte eine Stimme, die er sogleich wiedererkannte.

»Merlin!«, rief er verblüfft. »Ob du es nun glaubst oder nicht – ich habe gerade an dich gedacht!«

»Ich weiß es«, antwortete Merlin und verneigte sich. »Du brauchst deine Traumdeuter nicht zu befragen, denn ich werde dir sagen, was die Erscheinung bedeutet.«

»Ja?«, fragte Uther begierig und die Umstehenden reckten die Hälse. Manche von ihnen kannten Merlin und die merkwürdigen Geschichten, die man über ihn erzählte.

»Nicht heute, aber morgen nach deiner Krönung sollst du es erfahren«, sagte Merlin und es kam dem König nicht einmal der Gedanke, ihm zu widersprechen, obgleich er es sehr gern sogleich gewusst hätte.

»Und jetzt erlaube mir zu gehen, Herr«, fuhr Merlin fort. »Ich werde morgen nicht im Dom sein, wenn du gekrönt wirst.« Er lachte plötzlich, es war ein leises, spöttisches Lachen. Ganz nahe zum Ohr des Königs geneigt, fügte er, unhörbar für die anderen, hinzu: »Mir scheint, der Sohn des Teufels sollte keine Messe hören. Gehab dich wohl, König Uther Pendragon!«

Uther horchte auf. »Was hast du da gesagt?«, wollte er fragen. Aber Merlin war schon flink wie eine Katze im Gedränge verschwunden.

Der König wunderte sich über den seltsamen Namen, den er ihm gegeben hatte. Uther Pendragon – das bedeutete »Drachenhaupt«. Er dachte an den feurigen Drachen am Himmel – was hatte er mit ihm zu tun? Nun, morgen würde er es wissen! Damit musste er sich zufriedengeben.

Ich freue mich, dass Merlin wieder da ist, dachte er, und das schien ihm merkwürdig, denn was ging ihn dieser geheimnisvolle Fremdling an? –

Am Morgen des Osterfestes wurde Herr Uther im Dom feierlich gekrönt, der Bischof und viele Priester sangen eine Messe und der Dom vermochte die Menge der Gäste nicht zu fassen.

Nur Merlin war nicht da.

Auch beim Festmahl in den großen Sälen der Burg war er an keiner der vielen Tafeln zu sehen.

Der König sah sich ein paarmal nach ihm um. Dann vergaß er ihn.

Denn an seiner Tafel, ihm gerade gegenüber, saß Frau Igerne, die Gemahlin des Herzogs Gorlois von Cornwall, und sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte.

Und er wusste im selben Augenblick, dass er sie liebte und nie eine andere als sie lieben würde.

Das war ein Unglück, auch das wusste er.

Aber er vermochte kein Auge von ihr zu wenden, wie sie da saß in ihrem weißen Brokatgewand, das mit goldenen Fäden durchwebt war, und mit den funkelnden Steinen im Krönlein.

Und als Herr Uther schon viel von dem dunklen Wein getrunken hatte, den die römischen Händler ins Land brachten, da ergriff er die Schale, die vor ihm stand. Sie war aus purem Gold, mit Diamanten und Rubinen übersät und so kostbar, dass man eine Grafschaft dafür hätte kaufen können. Er winkte dem Ritter Ulfin und befahl ihm, Frau Igerne den Pokal zu bringen und ihr zu sagen, der König wünsche, ihn ihr zum Geschenk zu machen, weil er sie liebe.

Ulfins Gesicht zeigte deutliche Bedenken, denn es war gegen alle höfische Sitte, der Frau eines anderen Edelmannes so kostbare Geschenke zu machen! Und schon gar, ihr zu sagen, dass er sie liebe!

Doch er war ein erfahrener Hofmann und traute sich zu, diesen heiklen Auftrag so geschickt auszuführen, dass er keine üblen Folgen haben würde. So nahm er den Pokal und machte sich auf den Weg.

Aber er irrte sich. Er kam gar nicht dazu, seinen Auftrag auszuführen.

Herzog Gorlois war ebenfalls keineswegs unerfahren, und da er auch nicht blind war, hatte er mit wachsendem Zorn gesehen, dass der König Frau Igerne nicht aus den Augen ließ.

Und als der Ritter Ulfin jetzt mit dem kostbaren Pokal in der Hand an der Tafel entlangkam, stand der Herzog schnell auf. Er sprach ein paar Worte zu seiner Frau, bot ihr die Hand und führte sie aus dem Saal ohne Gruß und Abschied.

Die Gäste an der Königstafel saßen starr vor Schrecken da. Denn dies war eine Beleidigung, die der König nicht ungerächt lassen konnte, auch wenn er einen Fehler begangen hatte!

Herr Uther hatte sich in seinem Thronsitz vorgebeugt; sein Gesicht war feuerrot und ungläubiges Staunen stand darin. Das konnte doch Herzog Gorlois, der sein Lehnsmann war, nicht wagen!

Im nächsten Augenblick sprang er auf, befahl einigen seiner Ratgeber, ihm zu folgen, und verließ mit wütenden Schritten den Saal. Er riss die Tür zum Ratssaal auf und warf sich mit finsterer Miene in seinen Sessel. »Nun? Was meint ihr?«

Die erschrockenen Herren versuchten zu vermitteln. »Herzog Gorlois ist dein getreuer Vasall. Es ist wahr, er hat dich beleidigt. Aber du solltest ihn nicht sogleich bestrafen, sondern ihm erlauben, wieder vor dir zu erscheinen und deine Verzeihung zu erbitten.«

Sie mussten lange reden, ehe der König endlich einwilligte. Einer der Herren wurde zu den Gemächern geschickt, die der Herzog mit seiner Gemahlin bewohnte.

Doch er fand leere Räume. Und die Diener sagten ihm, der Herzog sei mit Frau Igerne und seinem Gefolge fortgeritten, heim nach Cornwall.

Der König tobte nicht, als er es erfuhr, er befahl auch nicht, man solle Herzog Gorlois augenblicklich verfolgen. »Lasst mich allein!«, sagte er nur und die Räte gehorchten eilig.

Dann saß er in dem großen Saal, vor den Fenstern stand die mondlose Nacht und die Leuchten an den Wänden verbreiteten nur einen trüben Schein.

Uther achtete nicht darauf, als sich die Tür wieder geöffnet hatte. Er sah Merlin erst, als er vor ihm stand.

»Ich habe dir versprochen, dir noch heute die Himmelserscheinung zu deuten, König Uther Pendragon!«

Uther fuhr auf. »Du bist es? Ich habe dich nicht gerufen! Doch, weiß Gott, ich habe sehr gewünscht, du wärest hier!«, stieß er hervor. »Aber sage mir, was soll der Name? Warum nennst du mich ›Drachenhaupt‹?«

»Weil der Drache dein Zeichen ist und weil dich in Zukunft alle so nennen werden!«, antwortete Merlin ruhig. »Die Erscheinung des Drachen am Vorabend deiner Krönung bedeutet, dass du, solange du lebst, König des Reiches sein wirst, über das er hinweggezogen ist. Die zwei Feuerzungen, die aus seinem Rachen kamen, bedeuten, dass zwei aus eurem Geschlecht gegen viele Feinde kämpfen und sie besiegen werden, du und dein Sohn. Und die sieben Strahlen, die vom Schweif des Drachen ausgingen und nach allen Himmelsrichtungen wiesen, zeigen an, welche Länder einst unter eurer Herrschaft zu Britannien gehören werden!«

Uther hatte atemlos zugehört – so herrlich schien ihm Merlins Weissagung über eine ruhmvolle Zukunft.

Aber noch war sein Zorn über Herzog Gorlois zu groß und sein Wunsch, die schöne Frau Igerne wiederzusehen, zu übermächtig. Er würde keine Ruhe finden, ehe er nicht getan hatte, was er tun musste.

So begann die Fehde zwischen König Uther und dem Herzog von Cornwall.

Natürlich wusste der Herzog, dass es Kampf geben würde. Also ließ er in Eile seine Burgen befestigen und mit Vorräten versehen.

Er brachte seine Gemahlin nach Tintagol; denn er fürchtete, der König wolle sie entführen. Tintagol aber war eine feste Burg an der Küste, an drei Seiten vom Meer umschlossen und vom Lande her nur auf einem schmalen Felsenpfad zu erreichen.

Er selbst begab sich mit einer Schar von Rittern und Knechten in die Burg Terrabil, die nicht weit entfernt war.

Dann wartete er.

Er brauchte nicht lange zu warten.

Zwölf Tage später erschien Herr Uther an der Spitze eines Heeres vor Tintagol.

Aber wieder ein paar Tage danach musste er einsehen, dass diese Burg uneinnehmbar war. Man konnte vom Lande aus keine Rammböcke und keine Sturmleitern an die Mauern heranbringen und dem Meer zu fiel der Burgfelsen senkrecht ab.

Oben an den Zinnen stand zuweilen Frau Igerne und blickte hinab auf das königliche Heer.

Und wenn sie den König sah, wie er ruhelos zwischen den Zelten hin und her ging und immer wieder zum Turm hinaufblickte, dann wunderte sie sich, dass er sie wirklich so sehr liebte, und sie war traurig, weil ihretwegen dieser Kampf begonnen hatte.

Herr Uther aber fühlte sich so übel wie noch nie in seinem Leben. Das Herz tat ihm weh, weil Igerne so schön war und so unerreichbar. Und Zorn raubte ihm beinahe die Besinnung, weil er so ohnmächtig da vor der Burg lag und nicht wusste, wie er mit Ehren diese Fehde zu Ende bringen sollte.

Unterdessen hatte er die Hälfte seines Heeres nach Terrabil geschickt und die Burg von allen Seiten eingeschlossen.

Aber es zeigte sich, dass der Herzog recht gut gerüstet war. Die Mauern hielten die Rammstöße der Belagerungsgeräte aus, die Brunnen gaben genug Wasser, das man in mächtigen Kesseln zum Kochen brachte und, wenn es Not tat, auf die Angreifer hinabschüttete. Auch ließ man dann und wann heißes Pech auf die Köpfe der armen Knechte regnen, die immer wieder versuchten, die Sturmleitern an die Mauern von Terrabil zu legen. Krieg war eben zu allen Zeiten ein grausames Handwerk!

Manchmal, des Nachts, brach Herzog Gorlois mit einer Schar seiner tapfersten Krieger blitzschnell aus irgendeinem Tor hervor und es gab Tote und Verwundete unter den überraschten Feinden. Nein, auch Terrabil war nicht leicht zu erobern! –

In einer Nacht lag Uther wie schon oft schlaflos in seinem Purpurzelt. Er hatte Ulfin rufen lassen, um mit ihm zu reden.

»Ulfin«, sagte er – Gott weiß, zum wievielten Mal –, »Ulfin, ich bin krank vor Zorn und vor Liebe zu Igerne! Ich weiß nicht, was noch geschieht, wenn ich nicht die Herzogin wiedersehen und diese Burgen erobern kann! Rate mir, was ich tun soll! Sonst werde ich gewiss noch sterben!«

Aber auch Ulfin, der schlaue Höfling, wusste keinen Rat.

»Wahrhaftig, Herr König, wenn ich auch eine Frau noch so sehr liebte, würde ich darum nicht sterben, es sei denn, ich müsste für sie kämpfen«, sagte er und seufzte ungeduldig, denn er hatte diese Reden seines Herrn schon gründlich satt.

Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Wenn dir jemand helfen kann, so ist es Merlin. Du weißt so gut wie ich, dass er mehr versteht als Essen und Trinken. Lass ihn doch kommen!«

Uther lachte unfroh. »Man kann ihn nicht einfach kommen lassen! Er kommt, wann er will!«

Ulfin hörte, wie sich der König im Dunkeln aufrichtete. »Aber du hast recht!«, hörte er ihn sagen. »Ich will Merlin suchen lassen! Und zwar sollst du selbst dich gleich morgen früh aufmachen und überall nach ihm forschen, wo er sein könnte!«

Herr Ulfin unterdrückte einen sehr unhöfischen Fluch. Da hatte er sich ja etwas Schönes auf den Hals geladen! Aber der König würde es ihm nicht erlassen, er kannte seinen Herrn viel zu genau.

So empfahl er sich höflich, aber sehr übler Laune, um noch ein paar Stunden zu schlafen.

Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo ich diesen verdammten Burschen suchen soll, war sein letzter Gedanke, ehe er einschlief.

Also ritt er am Morgen, von zwei Knappen begleitet, fort aus dem Lager, ohne Ziel, irgendeine Straße entlang.

Bald kam er an einen Kreuzweg und überlegte, ob er zur Linken oder zur Rechten reiten sollte. Da sah er einen alten Mann in einem zerlumpten Kittel an der Straße stehen. »Ein Almosen, Herr!«, bat er mit einer zitternden Greisenstimme.

»Lass mich in Ruhe!«, knurrte Ulfin und ritt vorüber.

Nicht lange danach kam er abermals an eine Kreuzung.

Mit einem Fluch riss er seinem Hengst den Zügel ins Maul. Denn da stand wieder der alte Bettler und krächzte: »Herr, eine kleine Gabe!«

Ulfin beugte sich wütend aus dem Sattel. »Wie kommst du schon wieder hierher? Bist du schneller als die Pferde?«

»Zuweilen ja«, antwortete der Alte und es klang, als lache er heimlich. »Du suchst jemanden, Herr?«, fuhr er fort. »Willst du mir nicht sagen, wen.«

»Nein!«, schrie Ulfin zornig. »Und nun scher dich fort und komm mir nicht mehr unter die Augen!«

Jetzt lachte der Alte wirklich. »Du solltest mich nicht fortschicken, Herr Ulfin«, sagte er, »denn dann müsstest du mich erst wieder lange suchen!«

Ulfin starrte ihn an wie ein Narr. Denn vor seinen Augen hatte sich der Alte blitzschnell verwandelt, ohne dass er wusste, wie es zugegangen war.

Gewiss hätte sich Herr Ulfin bekreuzigt, wenn er ein frommer Mann gewesen wäre, denn vor ihm stand Merlin.

Da er aber weder fromm noch furchtsam war, zuckte er nach einem Augenblick der Überraschung nur die Achseln und beschloss, sich über nichts mehr zu wundern.

»Steig auf, Hexenmeister!«, sagte er. »Wir wollen den König nicht länger leiden lassen.«

Leicht wie eine Feder, schwang sich Merlin hinter ihm auf den Rücken des Hengstes.

Dem aber schien der neue Reiter gründlich zu missfallen. Mit einem wilden Schnauben stieg er kerzengerade in die Höhe, und als ihm Ulfin wütend die Sporen in die Flanken drückte, schoss er aufwiehernd davon, die Augen schillernd vor Angst.

Merlin schlang die Arme so fest um den Leib des Ritters, dass es dem Armen fast den Atem raubte.

»Dein Hengst rennt, als säße ihm der Teufel im Genick!«, rief er und lachte, dass es Herrn Ulfin nun doch ein wenig graute. Denn er wusste wohl, was man im Volk über diesen merkwürdigen Mann redete – und der Aberglaube saß nun einmal tief im Gemüt seines Volkes. –

König Uther traute seinen Augen nicht, als die beiden ungleichen Ritter bald darauf vor seinem Zelt vom Rücken des schweißbedeckten Hengstes sprangen.

Merlin begrüßte ihn wie stets nach höfischer Sitte, die er wohl von seiner hochadligen Mutter haben musste, und der König begann sogleich, von seinem Zorn und seinem großen Kummer zu sprechen.

»Du bist meine einzige Hoffnung«, schloss er endlich. »Und ich weiß, dass du mir helfen kannst, wenn du nur willst.«

Merlin hatte geduldig und ein wenig nachsichtig zugehört; er merkte mit Verwunderung, dass er etwas wie Zuneigung für diesen König empfand.

»Du wirst Frau Igerne wiedersehen und auch die beiden Burgen erobern, ich verspreche es dir«, sagte er ernst, denn er wusste, dass er sehr viel versprach. Aber er wusste auch schon, dass sein Vorhaben gelingen würde. »Du musst nur alles tun, was ich dir sage«, fuhr er fort. »Allerdings werde ich dir eine Bedingung stellen. Aber du sollst sie erst erfahren, wenn alles vorüber ist. Schwöre mir, sie zu erfüllen – was es auch sein möge!«, fügte er hinzu und in seiner Stimme lag eine seltsame Heftigkeit.

»Ich schwöre!«, rief der König eifrig. In seiner Freude hätte er alles geschworen.

Merlin nickte zufrieden. »So höre! Ich werde heute, sobald es dunkel geworden ist, wieder hier in deinem Zelt sein. Und ich werde dich und Herrn Ulfin und auch mich selbst ein wenig verwandeln. Du wirst aufs Haar dem Herzog Gorlois ähnlich sein, Herr Ulfin wird dem Ritter Bastian gleichen, der ein Vertrauter des Herzogs ist, und mich selbst wird kaum jemand von Jordanus, dem Schlosshauptmann von Tintagol, unterscheiden können. Dann werde ich euch in die Burg und zu den Gemächern der Herzogin führen, ohne dass jemand Verdacht schöpft. Ich kenne einen Weg, den außer Herzog Gorlois und wenigen seiner Getreuen niemand kennt. Und jetzt gib mir Urlaub, Herr, ich habe noch einiges zu tun!«

Wie stets war er im nächsten Augenblick verschwunden, man wusste nicht, wohin. –

Der König konnte es kaum erwarten, bis es Nacht wurde. Ulfin aber wäre am liebsten weit fort gewesen. »Warum soll ich mich in diesen widerlichen Bastian verwandeln lassen? Ich kenne wenige so hässliche Männer!«, beklagte er sich. Aber Herr Uther hörte ihn nicht einmal.

Als es dunkel geworden war und im Lager allmählich Ruhe einkehrte, erschien Merlin. Er begann sogleich, in den Gewandtruhen des Königs nach allerlei Kleidungsstücken zu suchen. Dazwischen gab er verschiedene Befehle.

»Du wirst dieses schwarze Kleid mit den goldenen Borten anziehen, König Uther! Der Herzog kleidet sich gerne in Schwarz und Gold. Und für dich, Herr Ulfin, ist dieser einfache braune Rock gerade richtig, denn Bastian liebt die Einfachheit. Ich selbst werde mir diesen dunklen Mantel mit der Kapuze umlegen, denn einen solchen trägt der Schlosshauptmann, wenn er abends noch seinen Rundgang durch den Burghof macht und Nachschau hält, ob die Wachen nicht schlafen.

Und nun setze dich hierher, König Uther, und auch du, Ritter Ulfin. Ich muss mich ein wenig mit euren Gesichtern beschäftigen.«

Danach verstummte Merlin. Aber seine Hände arbeiteten emsig und es schien den beiden Männern, als schiebe und drücke und knete er allerlei an ihrem Gesicht zurecht. Es schien ihn nicht zu stören, dass im Zelt nur ein paar Kerzen flackerten, die ein ungewisses Licht verbreiteten. Seine Finger bewegten sich so flink und sicher, als wüssten sie genau, was sie zu tun hatten.

Der tapfere Ritter Ulfin fühlte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirne trat. Wenn es noch lange dauert, dann springe ich auf und erwürge ihn!, dachte er.

Aber da war es vorbei.

Merlin trat zurück, ergriff eine der Kerzen und leuchtete in die beiden Gesichter. »Es ist gut!«, sagte er kurz. Sie wandten einander mit einem Ruck die Köpfe zu. »Ha – was ist das?«, schrie Ulfin und beugte sich vor. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Denn das war nicht mehr König Uther, sondern Herzog Gorlois, der da vor ihm stand!

»Bei Gott – Herr Bastian!«, stieß dieser Herzog jetzt mit der Stimme des Königs hervor und starrte Ulfin seinerseits wie närrisch an.

»Es ist gut!«, sagte Merlin wieder. »Und jetzt müssen wir fort, sonst wird uns die Nacht zu kurz. Ich habe schon im Vorbeigehen deine Wächter draußen vor dem Zelt ein wenig eingeschläfert! Ihr haltet euch dicht hinter mir. Und dir, Herr Uther, will ich noch einen Rat geben: Bist du in Frau Igernes Kemenate, so rede nicht zu viel, damit du dich nicht verrätst. Sie wird dich für ihren Gemahl halten und dich freundlich empfangen! Sag ihr meinetwegen hundertmal, wie schön sie sei und wie sehr du sie liebst. Aber verrat dich nicht!«

Gleich darauf gingen sie draußen zwischen den Zelten auf das Gehölz zu, an dessen Rand das Lager aufgeschlagen war. Da und dort drehte sich ein Wächter nach ihnen um; aber es war ja nichts Besonderes, dass sich ein paar Kriegsleute in der Nacht draußen aufhielten, da sie tagsüber untätig im Lager herumlungerten.

Wenig später waren die drei Männer im Buschwerk verschwunden, das sich an dem Felsen von Tintagol hinzog.

Ein Gewirr von Klippen säumte die Küste und weiter draußen sah man das schwache Blinken der Wellen.

Merlin musste Augen haben wie ein Luchs. Irgendwo, mitten in den Klippen, hielt er an. Vor ihnen ragte steil der Burgfelsen auf. »Hier beginnt der Gang, den der Ahnherr des Herzogs Gorlois als Fluchtweg bauen ließ«, flüsterte Merlin. »Er ist sehr eng, steil und niedrig und führt geradewegs in den Turm, der dem Meer zu liegt.«

Er zwängte sich durch einen schmalen dunklen Spalt, den die beiden anderen nicht einmal gesehen hätten, und sie mussten ihm wohl oder übel folgen, obgleich sie sich immerfort irgendwo die Köpfe anstießen.

Es ging jetzt steil aufwärts und es war so stockdunkel wie in einem Sack.

Merlin war ihnen ein Stück voraus. Und jetzt kam von oben ein Geräusch, als öffne sich eine Tür. Kühle Luft zog in den Gang herab und dann konnten sie im Dunkel über sich das graue Viereck einer offenen Falltür entdecken.

Einen Augenblick später standen sie in einer kleinen runden Turmkammer, deren Fenster auf das Meer hinausgingen.

»Wir müssen uns beeilen«, sagte Merlin leise und öffnete behutsam die schmale Tür, die in einen gewölbten Gang hinausführte. »Wo der Gang sich nach rechts wendet, liegt die Kemenate der Herzogin. Wenn wir Glück haben, wird uns nur ihre Kammerfrau sehen.«

Sie hatten Glück. Als sie um die Ecke bogen, fiel Lichtschein aus einer Tür und eine Frau trat heraus. »Du kannst schlafen gehen!«, hörten sie die Herzogin sagen. »Ich brauche dich heute nicht mehr!«

Die alte Frau zog die Tür hinter sich zu und wollte gehen. Da sah sie die drei Männer. Sie riss die Augen weit auf vor Überraschung, öffnete hastig wieder die Tür und rief: »Frau Igerne, der Herzog ist gekommen!«

Ein leiser Ausruf kam aus dem Gemach, dann stand die Herzogin vor den Männern. Sie hatte ihren Gemahl seit dem Beginn der Fehde nicht mehr gesehen und schien ein wenig erstaunt. Die Männer verneigten sich. Sie hatten alle gewusst, wie schön sie war: Aber – nein, sie hatten nicht gewusst, dass sie so schön war!

Herrn Uther wollten die Tränen in die Augen steigen, als er sie ansah. Und als sie jetzt ohne Zögern auf ihn zutrat und ihn auf beide Wangen küsste – wie eben eine vornehme Dame nach höfischer Sitte ihren heimgekehrten Gemahl begrüßt –, da meinte er, er sei noch nie in seinem Leben so glücklich gewesen. Er hatte Merlin und Ulfin schon vergessen, als er Frau Igerne in die Kemenate folgte.

Die Kammerfrau meinte eifrig, sie wolle sogleich einen Knecht herbeirufen, um den beiden Herren zu Diensten zu sein. Aber Merlin verbot es ihr. »Wir werden uns hier in den Erker setzen und auf den Herzog warten!«, sagte er.

In Wirklichkeit aber wartete er auf etwas ganz anderes.

An diesem Morgen nämlich, als er auf seiner Wanderung an der Burg Terrabil vorüberkam, in der Herzog Gorlois eingeschlossen war, hatte ihn plötzlich eines jener seltsamen Traumgesichte überfallen, die ihn zuweilen heimsuchten. Der Herzog habe mit einer Schar seiner Getreuen einen Ausritt gemacht und sei dabei erschlagen worden.

Merlin wusste längst, dass diese Gesichte stets irgendeinmal in Erfüllung gingen. Aber wann es geschehen würde, das erfuhr er nie. So wartete er auch jetzt. Er wartete auf eine Botschaft aus der Burg Terrabil.

Er mochte nicht da im Erker sitzen, wo Ulfin saß und in mürrischem Schweigen vor sich hin starrte, ehe er einschlief.

Merlin ging ruhelos den Gang auf und ab, dazwischen trat er in die Turmkammer, stand am Fenster und blickte aufs Meer hinaus.

Bald würde die Morgendämmerung anbrechen. Dann mussten sie fort sein aus Tintagol. Bei Tage war die Gefahr einer Entdeckung viel zu groß.

Plötzlich horchte er auf. Irgendwo kamen Stimmen, ja, sie kamen aus dem Gang herauf; die Falltür war offen geblieben.

»Gottlob, wir sind da!«, sagte eine keuchende Stimme. »Fast hätten meine Kräfte nicht mehr gereicht!«

Im nächsten Augenblick kletterte ein Mann in einem zerfetzten Harnisch über den Rand der Öffnung herauf und gleich darauf ein zweiter, der eine Binde um die Stirn trug. Die Ringe seines Kettenhemdes waren rot von Blut.

Merlin kannte die Ritter nicht. Aber sie mussten Vertraute des Herzogs sein, sonst hätten sie nichts von dem geheimen Gang gewusst.

Die Männer sahen ihn sogleich und ihr Hände fuhren nach dem Schwertknauf. Aber sie sanken wieder hinab. Merlin hatte nur die Hand gehoben und sie sahen, dass er waffenlos war.

»Ich bin Jordanus, der Burgvogt von Tintagol!«, sagte er ruhig. Niemand hätte geahnt, dass dieser würdige Ritter log.

Er sah, wie die beiden aufatmeten. »Es ist ein Glück, dass wir dich hier finden, Herr Jordanus! Wir sind Lehnsmannen des Herzogs und waren mit ihm in Terrabil. Ich bitte dich, führe uns zur Herzogin! Wir bringen eine traurige Botschaft. Herzog Gorlois ist heute Nacht bei einem Ausritt erschlagen worden und die Feinde sind in die Burg eingedrungen!«

Merlin nickte nur. Da war es also!

»Erzähle!«, sagte er.

»Wir brachen aus allen vier Toren zugleich hervor, wie schon des Öfteren in einer Nacht. Aber diesmal waren die Feinde auf der Hut. Ein furchtbares Getümmel begann. Niemand von uns wusste, wo Herr Gorlois gerade kämpfte, denn er war bald da und bald dort. Plötzlich rief jemand: ›Der Herzog ist tot!‹ Und gleich darauf kam der Ruf von allen Seiten. Schrecken und Verwirrung ergriffen uns. Das nützten die Feinde und es gelang ihnen, uns zu überrennen. Im Handumdrehen waren sie durch die Tore gestürmt, viele von den Unsrigen wurden erschlagen. Ich weiß nicht, wer in Terrabil noch lebt. Uns glückte es, in der Dunkelheit zu entkommen und hierher zu eilen, um die Botschaft zu überbringen.« Merlin hatte fieberhaft überlegt, während der Ritter redete. Nun war jeder Augenblick kostbar, denn die Gefahr war sehr groß geworden.

»Bleibt hier und wartet, bis ich zurückkomme!«, sagte er schnell. »Ich will es euch ersparen, der Herzogin die Unglücksbotschaft zu bringen. Ich werde es ihr selbst sagen.«

Er war schon draußen und lief eilig den Gang hinab. –

Herr Uther fuhr auf, als er das dringende Pochen an der Tür der Kemenate hörte, denn Merlin hatte ihm gesagt: »Wenn ich an die Tür klopfe, dann komm sofort, denn es bedeutet höchste Gefahr.«

Er sprang auf. »Frau Igerne, ich muss fort! Irgendetwas ist geschehen. Ich bitte dich, verlass deine Gemächer nicht, denn gewiss ist dies keine Sache für Frauen, sonst würde niemand wagen, mich zu stören.«

Im nächsten Augenblick fiel die Tür hinter ihm zu.

Die Herzogin blieb sehr nachdenklich zurück. Eine steile Falte stand auf ihrer glatten Stirn. Irgendetwas war merkwürdig, dachte sie und eine sonderbare Unruhe wollte sie nicht verlassen.

Draußen auf dem Gang packte Merlin hastig Uthers Arm. »Hör zu! Herzog Gorlois ist tot. Und deine Krieger haben die Burg Terrabil erobert. Zwei Ritter des Herzogs sind mit der Botschaft gekommen. Du musst mit ihnen reden, als wärest du Gorlois. Befiehl ihnen, sogleich nach Terrabil zurückzukehren und dort auf dich zu warten, sage ihnen, du würdest kommen, um mit dem König, der ja gewiss dort sein würde, über Frieden zu verhandeln, ehe er auch noch Tintagol einnähme! Komm jetzt und – bei deinem Leben! – rede klug!«

Die beiden verwundeten Ritter starrten Uther an wie ein Gespenst, als er neben Merlin die Turmkammer betrat.

»Herzog – Herzog Gorlois!«, stotterte der eine und riss die Augen auf, als könne er ihnen nicht trauen. »Wir glaubten – wir alle hielten dich für tot.«

Der andere, der übler dran war, drückte nur die Hände an die Stirn und ächzte: »Ich muss wahnsinnig sein …«

Uther versuchte zu lachen; aber es gelang ihm nur schlecht.

»Nun, ihr seht, ich lebe und bin bei guter Gesundheit. Und ich will euch genau erklären, was geschehen ist. Während ihr euch auf Terrabil für den Ausritt gerüstet habt, bin ich heimlich und allein aus der Burg fortgegangen und durch den geheimen Gang hierhergekommen, um Hilfe zu holen. Denn die Übermacht der Belagerer war zu groß. Unsere Lage ist jetzt freilich schlimm genug. Darum will ich mit dem König über Frieden verhandeln, ehe er auch noch Tintagol einnimmt.«

Uther redete wirklich so klug, dass ihm Merlin beifällig zunickte; und die beiden Ritter kamen nicht einen Augenblick auf den Gedanken, dass es nicht Gorlois war, der mit ihnen sprach.

Man vereinbarte, sich an einem bestimmten Platz im dichten Gebüsch an der Burgmauer von Terrabil zu treffen, und sie machten sich wieder auf den Rückweg.

Aber sie warteten danach vergebens auf den Herzog. Und als sie später erfuhren, dass Herr Gorlois wirklich tot war, zerbrachen sie sich vergeblich die Köpfe, was für ein Spuk sie in Tintagol genarrt hatte.

Derweil liefen Uther und Merlin zurück zum Erker, durch den zu ihrem Schrecken schon graues Morgenlicht hereinfiel. Sie rüttelten den verdrießlichen Herrn Ulfin wach, rannten zurück zur Turmkammer und sprangen durch die Falltür hinab, gerade als oben im Gang die Schritte eines früh aufgestandenen Knechtes vom Gewölbe widerhallten.

»Wartet!«, flüsterte Merlin, während er lautlos die Tür über sich zuzog. »Ich muss uns erst wieder zurückverwandeln, sonst werden uns deine eigenen Krieger erschlagen, König Uther, da sie dich für Gorlois halten. Und du, Herr Ulfin, willst du etwa dein zukünftiges Leben lang als Bastian herumlaufen?«

»Gott soll mich bewahren!«, zischte Ulfin wütend. »Ich möchte überhaupt wissen, wozu du den ganzen Mummenschanz mit mir veranstaltet hast!«

»Vielleicht, damit du später einmal bezeugen kannst, dass Herzog Gorlois schon tot war, als König Uther Igernes Kemenate betrat«, antwortete Merlin und Ulfin verstand wieder einmal nicht, was die merkwürdige Rede bedeuten sollte.

Viele Jahre später aber an einem denkwürdigen Tag erinnerte er sich wieder daran.

Indessen hatten Merlins Hände wieder ihr seltsames Spiel begonnen. Kreuz und quer und im Kreis fuhren die langen, schmalen Finger über die Gesichter der Männer, als hätten sie ihr eigenes Leben. Ulfin hätte ihn gerne fortgestoßen, aber er hatte Angst, dann für immer der hässliche Ritter Bastian bleiben zu müssen.

Später stolperten sie den steilen Gang hinab.

Als sie bei den Klippen ins Freie traten, war es heller Tag.

Vom Lager herüber tönten laute Rufe, Männer liefen zwischen den Zelten hin und her, Reiter jagten die Straße entlang.

»Sie suchen mich«, sagte der König. »Gewiss haben sie längst entdeckt, dass ich die ganze Nacht nicht im Lager war.« Er lächelte, dachte an Frau Igerne und wusste, dass er sie sehr liebte.

Und dass Herzog Gorlois nun tot war …

Im Lager empfing man sie mit lautem Jubel. Aber Uther wehrte alle Fragen ab. »Sattelt meinen Hengst!«, befahl er.

Gleich darauf ritt er auf dem schmalen Felsenpfad zur Burg hinüber. Auf den Mauern standen die Wächter und am Fenster des Torturmes sah er Jordanus. Er hielt so nahe vor dem Tor, dass der Ritter oben ihn hören konnte.

»Gottes Gruß, Herr Jordanus!«, rief er. »Ich bin gekommen, um dir Frieden anzubieten. Du weißt, dass Herzog Gorlois, der Lehnsherr, tot ist und dass meine Krieger Terrabil erobert haben. Wollt ihr Tintagol halten, bis ihr darin verhungert?«

Er wartete. Herr Jordanus antwortete nicht gleich. Er sah bedrückt und ratlos aus.

»Du denkst an den geheimen Gang?«, fuhr Uther fort. »Aber du wirst auf diesem Weg keinen Fisch und kein Säcklein Mehl in die Burg schaffen können! Denn ich werde den Eingang von meinen Kriegern bewachen lassen.«

Der Burghauptmann zuckte die Achseln. »Das macht mich um eine Hoffnung ärmer«, gab er zu. »Aber ich kann nicht über die Burg verfügen. Burg Tintagol gehört der Herzogin. Herr Gorlois hat sie ihr zur Hochzeit geschenkt.«

Uther stieß einen leisen Freudenruf aus. »So rede ich mit deiner Herzogin! Ich werde mir morgen um die gleiche Zeit ihre Antwort holen!«

Als er am nächsten Morgen zur Burg hinüberritt, sah er schon von Weitem, dass nicht Jordanus am Fenster des Turmes stand, sondern Igerne. Sein Herz begann zu pochen wie ein Hammer. Oh, sie war so blass und ihr schönes Gesicht so traurig.

Er hielt den Hengst an und verneigte sich tief. Da begann sie zu reden. »König Uther, mein Gemahl ist tot und ich bin nun allein und ohne Schutz. Wohl weiß ich, dass meine Ritter für mich kämpfen würden, aber ich will nicht, dass meinetwegen Männer sterben. Darum habe ich befohlen, dir Tintagol kampflos zu übergeben. Denke daran, dass du den Eid der Ritter geschworen hast: gegen den Besiegten Gnade walten zu lassen und die Schwachen zu beschirmen.«

Herr Uther wäre am liebsten vom Pferd gesprungen und zum Turm hinaufgerannt, als er sie so reden hörte.

Aber er war König von Britannien!

Abermals verneigte er sich. »Herrin«, sagte er und versuchte, seiner Stimme Festigkeit zu verleihen, »Herrin, ich danke dir! Und ich schwöre dir bei meiner Ritterehre, dir und den Deinigen soll kein Leid geschehen. Keiner meiner Krieger wird die Burg Tintagol betreten. Du sollst darin wohnen wie zuvor, wenn du nicht«, er stockte einen Augenblick, »wenn du nicht den Wunsch hast, anderswo zu wohnen!«, fügte er dann hinzu und dachte an die herrliche Burg Camelot, die keine Herrin hatte.

Die Herzogin wunderte sich ein wenig über sein strahlendes Gesicht und meinte, er freue sich, so leicht in den Besitz der reichen Burg gelangt zu sein.

Aber plötzlich stieg ihr eine helle Röte in die Wangen. Fast hatte sie über allem, was inzwischen geschehen war, vergessen, was sich beim Osterfestmahl an der Königstafel in Camelot zugetragen hatte.

Hastig verließ sie das Turmfenster.

Herzog Gorlois wurde in der Burgkapelle von Terrabil feierlich bestattet und Frau Igerne blieb, wie es sich gehörte, in Trauer drei Tage lang in ihrer Kemenate.

In diesen Tagen saß König Uther oft in tiefen Gedanken in seinem Zelt. Und als ihm schien, er habe nun genügend nachgedacht, ließ er Ulfin und Merlin zu sich rufen. Sie wunderten sich, ihn sehr ernst zu finden.

»Ich bitte euch, mir einen Dienst zu erweisen«, sagte er. »Ihr sollt morgen zu Frau Igerne gehen und für mich um sie werben. Zwar liegt Herr Gorlois erst seit drei Tagen im Grabe und ich weiß nicht, was Frau Igerne tun wird …«

Herr Ulfin fuhr auf, als habe ihm jemand einen Schlag versetzt. »Aber ich weiß es!«, schrie er wütend. »Sie wird ihre Diener rufen und uns aus dem Burgtor werfen lassen! Bist du wahnsinnig geworden, König Uther? So kurz nach dem Tod ihres Gemahls …« Er brach ab, weil ihm vor Zorn der Atem ausging.

Da begann Merlin zu reden. »Zwar ist das, was du zu tun gedenkst, gegen eure höfischen Sitten, Herr«, sagte er ruhig. »Für mich sind sie nicht so wichtig wie für euch. Denn meine Welt ist eine andere als die eurige. Darum werde ich morgen für dich um die Herzogin werben. Aber es wäre gut, wenn mich Herr Ulfin begleiten wollte, denn er ist ein Ritter und die Herzogin eine vornehme Dame, ich aber bin nur Merlin – wenn ich mich darum auch keineswegs geringer fühle.«

Was blieb dem Ritter Ulfin übrig, als nachzugeben, da er sich nicht die Ungnade seines Herrn zuziehen wollte!

Also warf er Merlin nur einen grimmigen Blick zu und schwieg.

So kam es, dass am Morgen des vierten Tages Herr Jordanus sehr aufgeregt vor Frau Igerne erschien. »Herrin, Ritter Ulfin und Herr Merlin vom Hofe des Königs sind gekommen. Wirst du sie empfangen?«

Die Herzogin blickte unwillig auf. »Hat König Uther seine höfischen Sitten vergessen? Ich denke nicht daran, mit seinen Abgesandten zu sprechen!«

Herr Jordanus wollte gehen. Aber da schien ihr plötzlich ein Gedanke zu kommen, der sie beunruhigte. »Warte!«, sagte sie hastig, »ich glaube, wir sollten sie nicht fortschicken. Gewiss hat der König mir noch Forderungen zu stellen; das ist das Recht des Siegers. Allerdings hatte ich gehofft, König Uther würde ein ritterlicher Sieger sein!« Sie zuckte die Achseln, als sei sie enttäuscht.

»Ich komme in den Saal«, sagte sie dann entschlossen und ließ sich von Jordanus den Samtmantel mit dem Zobelbesatz umlegen.

»Nun, ihr Herren, was bringt ihr?«, fragte sie sehr kühl, als sie den beiden Gesandten gegenüberstand.

Niemand hatte je gesehen, dass Merlin vor jemandem das Knie beugte. Jetzt tat er es. Und Herr Ulfin war so verblüfft darüber, dass er es auch tat.

»Herrin«, begann Merlin mit großer Ehrfurcht, »wir bitten dich um Vergebung, dass wir dich in deiner Trauer stören. Ich will nicht viele Worte machen, sondern nur sagen, was uns der König aufgetragen hat. Er liebt dich, seit er dich zum ersten Mal gesehen hat, und er will dich zu seiner Gemahlin und zur Königin von Britannien machen – wenn dies auch dein Wille ist.«

Es dauerte eine Weile, bis Frau Igerne begriff, was dieser Mann da gesagt hatte. Überraschung, ungläubiges Staunen, Schrecken – und – ja, auch Stolz, dass der König sie zur Gemahlin begehrte –, all das stürzte so jäh und mit solcher Macht über sie herein, dass sie nur bleich und stumm dastand.

Merlin sah es. »Frau Herzogin«, sagte er sehr behutsam, »du sollst dich nicht sogleich entscheiden. Denke darüber nach und erlaube dem König, sich morgen deine Antwort zu holen.«

Sie nickte schnell und erleichtert. »Ja, so mag es sein! Ich muss Zeit haben.«

Sie dachte diesen Tag und die ganze Nacht an nichts anderes. Dann fasste sie einen Entschluss.

Am Morgen ließ sie Jordanus rufen. »Begib dich zu König Uther und bitte ihn hierherzukommen!«, befahl sie.

Als der König ihre Kemenate betrat, ging sie ihm entgegen und küsste ihn nach höfischer Sitte auf beide Wangen.

Und plötzlich war ihr, als hätte sie das schon einmal getan.

Herr Uther beugte das Knie. »Herrin, du weißt, dass ich dich liebe!«, sagte er nur.

Und abermals dachte sie mit einer seltsamen Beklommenheit, dass diese Stimme die gleichen Worte schon einmal zu ihr gesagt hatte.

Zwölf Tage später hielten sie Hochzeit in der Königsburg zu Camelot und es war, als hätten sich alle Freude, alle Pracht und aller Reichtum der Welt hier zusammengefunden.

Als es auf den Abend ging, bemerkte der König mitten in dem festlichen Gedränge Merlin; er strich an den fröhlichen Gästen vorüber, als ginge ihn dies alles nichts an.

Er sieht einsam und traurig aus, dachte Uther und ließ ihn zu sich rufen. »Ich habe dir viel zu danken«, sagte er, »und ich möchte dir eine Burg schenken, die du dir auswählen sollst.«

Aber Merlin hob abwehrend die Hand. »Ich danke dir, Herr, aber ich will keine Burg; denn ich könnte nicht darin wohnen. Ich muss immer dahin, wohin mich mein Schicksal treibt.«

In diesem Augenblick fiel dem König etwas ein. »Du hast mir gesagt, du würdest mir für deine Hilfe eine Bedingung stellen, und ich habe dir mein königliches Wort gegeben, sie zu erfüllen. Willst du sie jetzt nennen?«

Merlin sah ihn an. »Ja«, sagte er langsam, »du sollst mir deinen erstgeborenen Sohn übergeben. Er soll mir wie ein eigener Sohn sein und ich werde ihm dienen, als ob er mein Herr wäre, so lange –«, er hielt inne und über seine hellen Augen zog ein dunkler Schatten – »so lange, bis ich in der Höhle unter dem großen Stein sein werde!«

Herr Uther war aufgefahren, sein Gesicht war totenbleich. »Nein«, wollte er rufen, »alles kannst du fordern, aber nicht meinen Sohn!«

Aber Merlin war nicht mehr da.

König Artus

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