Читать книгу Die Abenteuer des Odysseus - Auguste Lechner - Страница 5

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1 Die letzte Schlacht um Troja war geschlagen. Der Krieg war zu Ende.

Um einer Frau willen hatte er einst begonnen, als Paris, ein Sohn des trojanischen Königs Priamos, die schöne Helena entführte. Ihr Gemahl Menelaos, der König von Lakedaimon, und ihr Vater Tyndareos riefen die achaischen Fürsten zum Kampf gegen den Frauenräuber und die reiche Stadt der Troer auf, die den Griechen längst ein Dorn im Auge war. Sie kamen, einem Eid gehorchend, den sie Tyndareos geleistet hatten, aus allen Landschaften und von den Inseln und zogen mit ihren Kriegern gegen Troja: Agamemnon, der Bruder des Menelaos; Nestor von Pylos, den man den »Rossebändiger« nannte; Odysseus, der König von Ithaka, klug, tapfer und listenreich; die Myrmidonenfürsten Achilleus und Patroklos und andere berühmte Helden.

Neun Jahre lang belagerten sie die Stadt, im zehnten endlich siegten sie mit List und Waffengewalt. Aber von der herrlichen Stadt und Priamos’ stolzer Feste war nichts mehr geblieben als rauchende Trümmer, eingestürzte Mauern, geplünderte Paläste und zerstörte Tempel.

Die Männer waren im Kampf gefallen oder Gefangene der Sieger. Die Frauen wurden auf die Schiffe geschleppt, um mit der übrigen Beute als Sklavinnen nach den reichen Städten und Fürstenhäusern Achaias gebracht zu werden.

Aber auch die Griechen vermochten sich ihres Sieges nicht zu freuen. Viele ihrer besten Helden hatten vor den Mauern Trojas den Tod gefunden: Achilleus, der Niebesiegte, der Stolz des Heeres; sein Freund Patroklos, der von Hektor erschlagen wurde; Ajax, der schönste und tapferste unter ihren Kriegern, der sich in sein eigenes Schwert stürzte.

Tage- und nächtelang beklagte das ganze Heer seine großen Toten, ehe man ihre Leiber verbrannte und gewaltige Grabhügel über ihren Gebeinen errichtete.

Als die Überlebenden endlich die Schiffe zur Heimfahrt rüsteten, entstand Streit zwischen ihren Führern. So fügten es die Götter, die den Achaiern zürnten: Denn es waren viele Untaten in diesem Krieg geschehen. Hass, Grausamkeit und Habgier hatten schreckliches Unheil gestiftet, wie es stets geschieht, wenn die Menschen die Waffen gegeneinander erheben.

Darum beschlossen Zeus und Pallas Athene dem Heere der Achaier eine bittere Heimkehr zu bereiten.

Es begann damit, dass Athene Zwietracht säte zwischen den Atreussöhnen Menelaos und Agamemnon.

Die beiden Brüder riefen eines Abends gegen alle Sitte bei sinkender Sonne ihre Krieger zum Rat zusammen. Die Männer kamen, trunken vom Wein, von Kampf und Sieg. Menelaos begann zuerst zu reden. »Wir wollen nun heimkehren! Lange genug sind wir in der Fremde und viele Leiden haben wir ertragen. Bereitet also die Schiffe zur Fahrt, so schnell ihr könnt!«

Seinem Bruder Agamemnon missfiel aber diese Rede. Ihm graute vor dem Zorn der Götter um all der bösen Dinge willen, die geschehen waren, und er gedachte, sie durch reichliche Opfer zu versöhnen, ehe er mit dem Heer die gefahrvolle Reise über das weite wilde Meer begann. Armer Tor, er wusste nicht, dass seine Hekatomben vergebens sein würden und dass sein schreckliches Geschick schon bestimmt war!

»Nein«, rief er heftig, »wir bleiben hier so lange, bis die Opfer vollendet sind, die ich darzubringen gedenke!«

Menelaos widersprach und alsbald war ein lauter Streit zwischen den Brüdern im Gange. Und schnell, wie ein Feuer alles ringsum erfasst, griff er um sich. Zornige Rufe erschollen aus den Reihen der Krieger, die einen stimmten Menelaos zu, die anderen meinten, Agamemnon habe recht. Sie schrien einander ins Gesicht, ihre Fäuste fuhren in die Höhe oder zuckten zur Hüfte, wo die Schwerter hingen.

Allmählich kam die Nacht und sie wurden des Streitens müde, aber sie legten sich dennoch nicht zum Schlaf nieder. Sie hockten an den Feuern, die einen hüben, die anderen drüben, stierten einander grimmig an und brüteten Unheil aus. Da und dort saßen ein paar von den Führern abseits und berieten insgeheim.

Am Morgen aber, als Eos, die Göttin mit den rosigen Fingern, am Himmel emporstieg, machten sich die ersten daran, die Schiffe ins Wasser zu ziehen; die Masten wurden aufgestellt, die Segel gehisst, Ruder und alles nötige Gerät bereitgelegt und die Beute auf die Schiffe gebracht. Die Männer arbeiteten schnell und stumm, mit düsteren Gesichtern. Eine ungewisse Furcht hatte sich ihrer bemächtigt, als stünde ihnen Böses bevor.

Auch den Fürsten gefiel der Lauf der Dinge keineswegs: Denn immer ist Zwietracht unter den eigenen Leuten der schlimmste Feind. Darum hatten Nestor, Menelaos, Odysseus und einige andere beschlossen, sogleich abzufahren, ehe etwa noch ihre Krieger die Waffen gegeneinander erhoben.

So saßen alsbald die Männer in Reihen auf den Ruderbänken und langsam bahnten sich die Kiele ihren Pfad durch die graue Salzflut. Schwarz ragten die hohen Schiffswände aus dem Wasser, aus starken Bohlen zusammengefügt, die Ruder hoben und senkten sich gemächlich, denn ein günstiger Wind schwellte die Segel.

Die Führer standen auf dem vordersten Schiff beisammen und berieten über den Weg, den sie nehmen wollten. Odysseus lehnte finster und schweigsam neben dem Steuer. Er war unzufrieden mit sich selbst. Warum war er nur davongefahren und hatte Agamemnon zurückgelassen, der doch sein Freund war? Sie hatten gemeinsam gekämpft und alle Mühsal ertragen; sie hätten auch gemeinsam heimkehren sollen! Außerdem gefiel ihm die Wasserstraße nicht, die seine Gefährten wählten. Sie war zwar kürzer, aber gefährlicher und es schien Odysseus sehr ungewiss, ob Poseidon, der Beherrscher der Meere, sie freundlich geleiten oder erbarmungslos in den von Fischen wimmelnden Schlünden versinken lassen würde.

So kam es, dass abermals Zwist unter den Fürsten ausbrach, noch ehe die Schiffe Tenedos umfahren hatten, die kleine Insel vor der troischen Küste. Und zuletzt kehrte Odysseus mit seinen Schiffen und den Kriegern, die ihm ergeben waren, wieder um und fuhr zurück nach Troja.

Aber es sollte auch ihm und Agamemnon keine gemeinsame Heimkehr beschieden sein.

Als ihre reich beladene Flotte zum zweiten Mal von Troja ausfuhr, gingen die Wogen stürmisch, die Wolken hingen tief und schwer und graue Dämmerung hüllte die Schiffe ein, als wäre es nicht Morgen, sondern Abend.

Kaum waren sie auf dem offenen Meer, da überfiel sie ein Wirbelsturm, warf sie hin und her, das eine dahin, das andere dorthin, sodass die Achaier einander aus den Augen verloren.

Wie gewaltige schwarze Schatten sah Odysseus seine eigenen Schiffe im Nebel auf und nieder schwanken, während der Sturm sie immer weiter mit sich riss, sie wussten nicht, wohin.

Endlich wurde es stiller, die Wolken verzogen sich und sie kamen aus dem Nebel heraus. Zwar rollten die Wogen noch immer wild und sprangen mit weißen Kämmen an den Bordwänden herauf. Aber man konnte wieder sehen, und als Odysseus sich umschaute, zeigte es sich, dass kein einziges seiner Schiffe verloren gegangen war. Von den andern Achaiern aber war keine Spur mehr zu erblicken.

Odysseus tat einen tiefen Atemzug. Nun, die Götter hatten ihn und die Seinigen gerettet und er würde ihnen, sobald er irgendwo Land fände, ein feierliches Opfer bringen. Gewiss hatten auch Agamemnons Schiffe den Sturm glücklich überstanden und jeder musste eben allein seines Weges heimwärts ziehen, da es die Unsterblichen nun einmal so entschieden hatten.

Während Odysseus dies dachte, starrte er nach vorne in den Nebel, der immer dünner wurde. Jetzt tauchte, schon ganz nahe, ein flacher Strand auf. Bald knirschten die Kiele auf dem sandigen Grund und die Achaier sprangen bewaffnet ans Land. Vor ihnen lagen die Mauern einer kleinen festen Stadt. Odysseus erschrak. Diese Stadt kannte er! Nein, die Götter hatten es doch nicht gut mit ihnen gemeint: Denn es war Ismaros, die Stadt der Kikonen, und die Kikonen waren Bundesgenossen der Troer! Das bedeutete nicht Heimkehr, sondern Kampf.

Es schien, als sollten sie noch einmal Glück haben. Die Kikonen erwarteten keinen Angriff und hatten zu dieser Zeit nur wenige Krieger in der Stadt. So dauerte die Schlacht nicht lange. Bald war die kleine Schar zersprengt, wer nicht tot oder verwundet war, floh in das Innere des Landes. Die Achaier frohlockten, nahmen an Beute, was sie fanden, und dachten nicht daran, etwa sogleich wieder zu Schiffe zu gehen und davonzusegeln.

Odysseus aber gefiel etwas an diesem leichten Siege nicht.

»Wir wollen schleunigst fort von hier!«, sagte er warnend zu den Gefährten. »Mir ahnt, dass bald etwas geschehen wird!«

Sie lachten jedoch nur, schleppten gewaltige Krüge voll süßen schweren Weines aus den Vorratskammern der Häuser herbei, schlachteten Ziegen und Rinder, die auf den Weiden vor den Mauern gingen, und schmausten und tranken die ganze Nacht hindurch.

Am Morgen aber kam das Verhängnis über sie.

Die versprengten Kikonen hatten unterdessen aus dem Innern des Landes ihre Stammesbrüder herbeigerufen.

Nun schwärmten sie von allen Seiten heran, zahllos wie im Frühling Blüten und Blätter sprießen. Auf Streitwagen und zu Fuß rückten sie an und alsbald schwirrten ihre Lanzen um die weinumnebelten Köpfe der Achaier. Eine wütende Feldschlacht entbrannte am Gestade vor Ismaros. Die Achaier wehrten sich tapfer gegen die Übermacht. Aber gegen Abend, zu der Stunde, da der Pflüger die Stiere abspannt, mussten sie den Kampf aufgeben.

Sie flohen auf die Schiffe. Als sie sich umblickten, fehlten auf jedem Schiff sechs Männer. Sie lagen still am Strand, von den Kikonen erschlagen.

So fuhren die anderen mit traurigen Herzen von dannen. Ehe sie jedoch die Ruder ins Wasser tauchten, riefen sie dreimal die Namen der toten Gefährten hinüber ans Ufer.

Abermals zogen die Schiffe über das Meer. Aber noch immer zürnten die Götter. Zeus sandte einen furchtbaren Nordsturm. Heulend fuhr er daher, schwarze Wolken auftürmend. Nacht schien von allen Seiten hereinzubrechen und verschlang Himmel und Meer. Steuerlos rasten die Schiffe durch das entsetzliche Dunkel. Die Mastbäume bogen sich tief, da und dort hing schon ein Segel zerfetzt herab, die übrigen zogen die Männer eilends ein.

Dann begannen sie mühselig zu rudern. Immerzu schlugen die Ruder das Wasser, immerzu. Und irgendwo und irgendwann, nach einer endlosen Zeit, fanden die Kiele Grund und liefen auf einen Strand.

Die Männer gingen an Land: Es war ihnen gleich, wo sie sich befanden, so todmüde waren sie. Sie streckten sich auf der Erde aus und schliefen im selben Augenblick.

Zwei Tage und zwei Nächte lagen sie an dem fremden Gestade, mutlos und entkräftet.

Als aber am dritten Tage die Morgenröte am Himmel emporstieg, kam auch die Hoffnung wieder. Sie richteten die Masten auf und spannten die Segel; ein sanfter Wind trug die Schiffe aufs Meer hinaus und sie gehorchten willig dem Steuer. Die Männer begannen bald, von fröhlicher Heimkehr zu reden und die erlittene Unbill zu vergessen.

Allmählich wurde auch Odysseus wieder zuversichtlicher: Einmal musste wohl alle Not ein Ende nehmen.

Aber je näher sie Ithaka kamen, desto mehr sann er darüber nach, was wohl dort alles geschehen sein mochte, während er in der Fremde war und keine Kunde aus der Heimat ihn erreichte.

Er dachte an Penelope. Sie hatte zehn Jahre auf ihn warten müssen, die schöne, kluge Penelope. Und ihr kleiner Sohn, den er kaum gesehen hatte, war indessen groß geworden. Vielleicht übte er sich schon mit seinen Kameraden in Lauf und Sprung und im Diskuswerfen mit der leichten Scheibe, die eben Knaben zu werfen vermochten.

Odysseus lächelte. Ja, es würde gut sein heimzukehren.

In diesem Augenblick lief ein Zittern durch das Schiff, als hemme eine furchtbare Gewalt seinen Lauf. Dann schien es stillzustehen. Die Segel, die sich so fröhlich im Winde gebläht hatten, sanken klatschend zusammen.

Zugleich begann sich das Schiff langsam zur Seite zu drehen. Odysseus sah, wie der Steuermann, feuerrot im Gesicht, über dem Ruder hing und es mit allen Kräften zu halten versuchte: Es half nichts. Irgendetwas anderes war stärker.

Odysseus biss die Zähne zusammen. Er wusste, was es war.

Sie befanden sich in der Nähe des Vorgebirges Maleia, wo immer die schrecklichsten Stürme ihr Unwesen trieben. Unter Wasser aber flossen dort gewaltige Ströme, und wenn sie ein Schiff erfassten, rissen sie es unwiderstehlich hinaus aufs offene Meer.

Nein, nun sah es abermals nicht so aus, als wäre ihnen eine fröhliche Heimkehr beschieden!

Überall auf den Schiffen liefen die Männer durcheinander. Da und dort begannen sie zu rudern, um aus der entsetzlichen Strömung zu entrinnen. Aber auch das war vergebens.

Plötzlich war ein Sausen und Heulen in der Luft, dann warf sich der Nordwind in die Segel, dass es laut knallte.

Jetzt begannen die Schiffe vorwärtszurasen wie wild gewordene Pferde. Aber sie fuhren nicht nach Norden, wo das Festland und Ithaka lagen. Strömung und Sturm rissen sie südwärts, vorüber an Kythera, vorüber auch an den kleinen Inseln, die einmal, viel später, zur Linken auftauchten und wieder verschwanden, so sehnsüchtig sie auch hinüberstarrten.

Dann war nichts mehr da als öde einsame Wasserwüste, Tag um Tag, Nacht um Nacht. Zwar hatte sie die Strömung losgelassen und manchmal schlief auch der Sturm ein. Dann ruderten sie, müde und lustlos, bis wieder von irgendwoher der Wind kam und sie vor sich hertrieb. Versuchten sie aber gegen Norden zu segeln, so war alsbald der heulende Sturm wieder da und jagte sie zurück.

So fuhren sie neun Tage lang. Sie wussten längst nicht mehr, wo sie waren. Sie hatten kein Wasser mehr und ihre Vorräte gingen zu Ende.

Da tauchte am zehnten Morgen eine ferne Küste aus dem Dunst auf und sie ruderten eilig darauf zu, begierig zu erfahren, was für ein Land es etwa sein mochte.

Aber sie betraten ein fremdes Gestade, das keiner von ihnen je gesehen hatte. Keine menschliche Siedlung war da, kein lebendes Wesen zeigte sich, nur hohes Gras und Buschwerk bedeckten den Boden. So schöpften sie Wasser aus dem kleinen Fluss, den sie fanden, und aßen von ihren letzten Vorräten. Dann rief Odysseus zwei von seinen Männern zu sich und sagte: »Geht landeinwärts und erkundet, was für Menschen hier leben, wovon sie sich ernähren und ob sie freundlich oder böse sind. Aber bleibt nicht allzu lange fort, denn wir wollen bald weitersegeln!«

Sie machten sich auf den Weg, und als sie zwischen den Büschen verschwunden waren, winkte Odysseus einen dritten herbei und befahl: »Du folgst ihnen als Herold, und wenn du etwas gewahr wirst, was dir nicht gefällt oder was dich gefährlich dünkt, dann lauf so schnell du kannst, hierher zurück und bringe mir Botschaft!«

Als auch der Herold gegangen war, streckten sich die Zurückgebliebenen am Strand aus, um zu schlafen.

Odysseus aber wartete. Er war unruhig, als drohe ihnen eine Gefahr, obgleich alles ringsum ganz still und friedlich schien. Manchmal wehte ein unsäglich süßer Duft von irgendwoher wie von Blumen, die er nicht kannte.

Der Himmel war blau und die Wellen schlugen sanft an den Strand.

Aber die Sonne stieg immer höher, die Zeit verging und die Männer kamen noch immer nicht zurück.

Als es Mittag wurde, weckte Odysseus einige von den Schläfern. Sie nahmen ihre Schwerter und folgten behutsam den Spuren der Kundschafter, jeden Augenblick bereit zu kämpfen.

Aber es gab keinen Kampf. Und sie brauchten auch nicht lange nach den verschwundenen Gefährten zu suchen. Denn als sie ein lichtes Gehölz durchquert hatten, kamen sie auf eine Wiese hinaus, da saß eine Schar von Männern, friedlich und waffenlos, und mitten unter ihnen saßen die beiden Kundschafter und der Herold.

Verwundert gingen sie näher. Die fremden Männer betrachteten sie freundlich, sie schienen weder erstaunt noch erschrocken, obgleich die Achaier mit gezogenen Schwertern kamen. Ihre Gesichter sahen so glücklich und zufrieden aus, dass Odysseus sie hätte beneiden können. Als ihn aber jetzt seine drei Kundschafter ebenso glücklich anlächelten, packte ihn Zorn.

Ehe er jedoch den Mund zu einer wütenden Rede öffnen konnte, sah er etwas. Viele von den Männern hielten Früchte in den Händen, seltsame, fremdartige Früchte, die er nicht kannte, und manchmal führten sie eine zum Mund und aßen davon.

Und – bei allen Göttern! – da saßen auch seine Kundschafter und verzehrten die gleichen Früchte und sahen aus, als gäbe es nichts Schöneres auf Erden! Ihn aber und ihre Gefährten mussten sie wohl völlig vergessen haben, so gleichmütig blickten sie herüber. Was war denn nur mit ihnen geschehen?

Plötzlich kam ihm eine schreckliche Erkenntnis: Sie befanden sich auf der Insel der Lotophagen, wo die Menschen Lotosfrüchte essen! Er hatte oft davon erzählen gehört. Wer einmal von der süßen Frucht gekostet hat, der vergisst Heimat und Freunde und alles, was ihm aufgetragen ist, und wünscht nichts mehr, als für immer zu bleiben und die zauberhafte Speise zu genießen.

Ja, so war es. Und nun hatten die Kundschafter davon gegessen und wussten nicht mehr, wozu sie ausgesandt worden waren, und der Herold hatte vergessen, dass er seinem Herrn Botschaft bringen sollte.

»Kommt!«, sagte Odysseus finster zu den drei Abgesandten und stieß sein Schwert in die Scheide zurück. »Wir wollen schleunigst fort von hier, ehe noch andere von den Unseren Lotos kosten und der Heimkehr vergessen!«

Aber sie wollten nicht fort. Sie jammerten und flehten ihn an, sie hierzulassen.

Da winkte er den Männern, die mit ihm gekommen waren. Mit Gewalt mussten sie ihre unglückseligen Gefährten zu den Schiffen schleppen und sie an den Ruderbänken festbinden, damit sie nicht sogleich wieder entflohen, um zu den Lotophagen zurückzukehren.

Odysseus atmete auf, als die Kiele sich wieder dem Meer zudrehten. Abermals waren sie einer Gefahr entronnen.

Doch Ithaka war weit und die Götter zürnten den Achaiern. – Mit schlaffen Segeln ruderten sie weiter durch das endlose graue Gewässer und Odysseus fragte sich sorgenvoll, ob es ihm wohl gelingen würde, alle seine Gefährten sicher heimzubringen.

Sie hatten jetzt kein Fleisch mehr und nur noch wenig Gerstenmehl für Brote. Zwar war noch Wein in den Schläuchen, aber der Wasservorrat ging schnell zur Neige, und wenn sie nicht bald an ein gastliches Ufer gelangten, würden Hunger und Durst auf den Schiffen Einzug halten.

Aber in der nächsten Nacht kamen sie ganz nahe an einer Küste vorbei. Sie fuhren eine Weile daran entlang und wagten nicht zu landen: Denn die Nacht war mondlos und die Sterne verbargen sich hinter den Wolken. Dann tauchte seitwärts eine kleine ebene Insel auf, durch einen breiten Meeresarm von der Küste getrennt. Da tat sich ein Hafen auf mit flachem Strand, wo lange ruhige Wogen die Schiffe sanft ans Ufer trugen, ehe die Männer noch recht wussten, wie es zugegangen war. Aber es schien ihnen nach all den erlittenen Drangsalen ein großes Glück. Sie sprangen fröhlich an Land und beschlossen, schlafend den Morgen zu erwarten, um dann zu erkunden, wo sie sich befanden.

Es sollte sich sehr schnell erweisen, dass es kein großes Glück für sie war, sondern ein schreckliches Unheil: Denn vor ihnen, jenseits der Wasserstraße, lag das Land der Kyklopen.

Sie waren ein Volk von einäugigen Riesen, wild und ruhelos, eher gewaltigen Ungeheuern ähnlich als menschlichen Wesen, und man erzählte sich schaudernd, sie verzehrten Menschenfleisch. Sie kannten weder Sitte noch Gesetz und verachteten die Götter. Jeder für sich hausten sie mit Weib und Kindern in Höhlen auf den Gipfeln der Berge und keiner kümmerte sich um den andern. Sie pflügten nicht, sie säten weder Weizen noch Gerste und pflanzten keine Reben.

Sie bauten auch keine Schiffe, um übers Meer zu anderen Ländern zu fahren. Sie ruderten nicht einmal mit einem einfachen Floß über den Meeresarm auf die kleine bewaldete Insel. Die hatte noch nie ein Menschenfuß betreten, nur zahllose wilde Ziegen bevölkerten sie.

Als die Achaier am Morgen erwachten, begannen sie sogleich, das Eiland zu durchstreifen. Sie fanden alsbald eine Quelle mit herrlichem Wasser, und als sie in den Wald eindrangen, jagten sie Scharen von wilden Ziegen auf, die mit Gemecker vor ihnen flohen. Da frohlockten sie und liefen zurück zu den Schiffen, Pfeile und Bogen und die leichten Jagdspeere zu holen, und dann erlegten sie eine große Menge der wohlgenährten Tiere. Es gab Fleisch in Hülle und Fülle. Auf jedes der zwölf Schiffe verteilten sie neun Ziegen, die übrigen schlachteten und brieten sie sogleich am Strande. In den Schläuchen war noch genügend Wein und so begann ein langes fröhliches Mahl, das dauerte, bis die Sonne sank.

Nur manchmal hielten sie plötzlich im Trinken und Schmausen inne und ihr Lachen verstummte jäh. Beunruhigt horchten sie hinüber zu dem bergigen Land jenseits der Wasserstraße, von dem diese grässlichen, wilden Stimmen herüberschollen, die nicht mehr menschlich klangen und ihnen einen kalten Schauder über den Rücken jagten.

»Beim Hades! Das Gebrüll lässt einem das Blut in den Adern stocken!«, murmelte einer und griff schleunigst wieder zum Becher. Odysseus hatte längst aufgehört zu trinken. Schweigsam saß er da und beobachtete, wie drüben da und dort Rauch von den Gipfeln der bewaldeten Berge aufstieg. Er hörte die Stimmen von Rindern, Schafen und Ziegen und dazwischen wieder diese wilden Rufe, die ihm keine Ruhe ließen.

Als die Nacht kam, wurde es still. Auch die Achaier legten sich, einer nach dem andern, zum Schlafen nieder, satt und müde vom Wein.

Ich muss wissen, wer da drüben haust, dachte Odysseus, während er sich in seinen Mantel wickelte. Morgen früh will ich hinüberfahren. –

Als die erste Morgenröte am Himmel emporstieg, rief Odysseus die Männer zusammen.

»Hört zu!«, sagte er. »Die Insel dort drüben scheint mir ein wunderliches Land zu sein und die Leute, die sie bewohnen, haben eine grausige Stimme, ihr habt es selbst vernommen! Ich muss wissen, was es mit ihnen für eine Bewandtnis hat! Darum will ich mit meinen Gefährten hinüberrudern und alles zu erkunden trachten. Ihr aber bleibt indessen mit den übrigen Schiffen hier im Hafen!«

Die Achaier waren es zufrieden und manch einer meinte bei sich, es sei gar nicht übel, im sicheren Hafen zu liegen, anstatt mit Odysseus zu diesem Abenteuer auszufahren: Denn die Götter mochten wissen, was für ein gräuliches Volk von Wilden dort drüben hauste!

So blickten sie nur ein wenig neugierig, aber ohne großen Neid dem Schiffe nach, das langsam über die breite Wasserstraße auf das jenseitige Ufer zufuhr.

Die dunklen Bordwände ragten hoch aus dem Wasser, an den Seiten gewölbt und schmal geschwungen an Bug und Heck: Es war ein schönes, starkes Schiff mit langen Ruderreihen, die sich gleichmäßig hoben und senkten.

Die Männer aber, die darauf fuhren, hatten mit ihrem Gebieter in vielen Schlachten gekämpft, ihre Waffen waren gut und sie fürchteten sich nicht leicht vor etwas. Ei, warum sollten sie nicht jene Insel auskundschaften, selbst wenn ihre Bewohner eine grausige Stimme hatten?

Odysseus stand vorne auf dem Deck. Seine Augen durchforschten wachsam das unbekannte Land, das vor ihnen lag. Dichter Wald bedeckte Berge und Hügel, tiefer herab erstreckten sich Wiesen, auf denen er nach einer Weile die weidenden Herden unterschied. In den felsigen Hängen befand sich da und dort der Eingang einer Höhle.

Als sie näher kamen, sah er, dass sich gerade gegenüber, gar nicht weit von der Küste entfernt, ein mächtiges Felsengewirr erhob. Eine Kluft führte mitten hinein, deren Ränder von Rauch geschwärzt schienen. Lorbeerbäume wuchsen ringsum und eine Mauer aus Felsblöcken und roh behauenen Baumstämmen umschloss einen großen, ebenen Rasenplatz, der wohl für die Nacht als Hürde diente. Jetzt lag er verlassen in der Sonne und weitum war kein lebendiges Wesen zu erblicken.

Unterdessen legte das Schiff am Ufer unter einem überhängenden Felsen an, wo man es vom Lande aus nicht sehen konnte, und die Männer griffen nach ihren Waffen, um an Land zu gehen. Aber Odysseus sagte: »Nein, ich will nur zwölf von euch mit mir nehmen! Die Übrigen mögen auf dem Schiffe bleiben und warten, bis wir zurückkehren.« Und er wählte die treuesten und tapfersten unter ihnen aus und ging mit ihnen landeinwärts fort.

Die Männer nahmen nur ihre Schwerter mit sich, Odysseus aber hängte sich noch einen Sack mit Brot und Fleisch über die Schulter und einen ledernen Schlauch voll roten Weines, den ihm zu Ismaros der Priester Apollons geschenkt hatte zum Dank dafür, dass er ihm das Leben gerettet hatte. Der Wein war süß und schwer wie keiner sonst und Odysseus meinte, er könnte ihnen vielleicht noch recht nützlich werden.

Sie gingen jetzt, sorgsam nach allen Seiten spähend, auf die Felsen zu, hinter denen ziemlich steil ein bewaldeter Hügel aufstieg. Das Tor in der riesigen Mauer war offen, eine schwere Felsplatte lehnte daneben: Damit mochte es wohl nachts verschlossen werden, wenn … nun, wenn jemand da war, der diese Felsplatte zu heben vermochte, meinten die Männer und betrachteten sie voll Verwunderung.

Sie durchschritten die verlassene Hürde, durch die sich kreuz und quer geflochtene Zäune zogen, damit man die Tiere je nach ihrer Art trennen konnte.

Dann kamen sie zu den Felsen und blieben zögernd stehen. Da war die hohe schwarze Kluft, der eine dichte Wolke von Gerüchen entströmte. Es roch nach Rauch, nach Tieren, nach Dünger und Käse. Aber zu sehen war niemand, weder Mensch noch Tier.

Odysseus stand noch immer und starrte die schwarze Felsenkluft an und dann starrte er den Felsblock an, der da neben ihm stand, als hätte ihn eben jemand zur Seite gestellt. Und – ja, der Felsen passte genau in die Kluft, und wenn man ihn vor den Eingang schob, kam niemand, der etwa drinnen war, jemals wieder heraus.

Odysseus biss die Zähne zusammen: Dennoch musste er da hinein! Es konnte wohl nicht gleich das Leben kosten und er wollte schon gut auf sich und die Gefährten achtgeben.

Er zog sein Schwert und betrat den Gang. Drinnen tat sich alsbald eine weite Höhle vor ihnen auf und auch nach den Seiten zu öffneten sich kleinere Felsgrotten, aus denen sanftes Meckern und Blöken tönte. Es war fast dunkel da im Bergesinnern, nur durch ein paar schmale Spalten drang spärliches Licht herein. Aber sie sahen bald, dass sich überall in den Seitenhöhlen Ställe befanden, voll von Lämmern und Zicklein, ordentlich nach ihrem Alter getrennt.

In der großen Höhle aber standen rings an den Wänden entlang hölzerne Eimer voll Milch, gewaltige Bündel Feuerholz waren aufgeschichtet, allerlei Gerät stand und lag umher, viel zu groß für Menschenhände. Überall an der Felswand waren geflochtene Holzgitter befestigt, auf denen in langen Reihen Käse trocknete. Ganz hinten neben der erloschenen Feuerstelle befand sich ein riesiges Lager aus Streu und Fellen.

»Das ist eine gewaltige Behausung!«, sagte einer der Männer hinter Odysseus und es klang keineswegs fröhlich. »Wenn der Bursche, der hier wohnt, auch so gewaltig ist und Fremden vielleicht nicht freundlich, so möchte ich ihm lieber nicht begegnen!«

»Ja«, sagte ein anderer, »ich meine, es wäre am besten, jeder von uns nähme ein paar Käselaibe und ein oder zwei Lämmer und Zicklein und wir kehrten dann auf unser Schiff zurück und ruderten schleunigst von dannen!«

»Wie gefällt euch denn die Keule, he?«, fragte ein dritter. Sie lehnte neben dem Lager, aus einem frischen Ölbaum gehauen und handlich zugeschnitzt. Aber – ihr Götter! Was für eine fürchterliche Hand musste es sein, die diese Keule schwingen konnte!

Odysseus schwieg zu ihren Reden. Eine Ahnung hatte ihn überkommen, was dies alles bedeutete. Aber er wollte es noch nicht glauben.

Und selbst wenn dies das Land der Kyklopen wäre, dachte er trotzig, so will ich sehen, ob sie wirklich solche Ungeheuer sind, wie man erzählt. Es sollte mich doch wundern, wenn sie nicht das Gastrecht achteten wie alle anderen Völker, die ich kenne!

Vergebens bestürmten ihn die Gefährten doch, der Höhle und diesem Land eilends den Rücken zu kehren: Er wollte nichts davon hören.

Das sollte er sehr bald bereuen.

Er wusste nicht, dass sie sich in Polyphems Höhle befanden, sonst hätte er vielleicht dennoch ihren Bitten nachgegeben: Denn Polyphem war der stärkste und ruchloseste unter den Kyklopen.

Indessen hatten sie sich überall umgesehen, und weil sie allmählich hungrig wurden, machten sie Feuer, opferten den Göttern und begannen zu essen. Sie kosteten von dem Käse und meinten, er schmecke gar nicht so übel.

Als sie satt waren, saßen sie da und warteten und es war ihnen recht wunderlich zumute, fast als hätten sie Angst.

Nach langer Zeit hörten sie in der Ferne das Gelärm einer Herde, Ziegengemecker und das Blöken der Schafe. Bald darauf drängten sich die Tiere draußen in die Hürde, liefen durcheinander und suchten sich ihre gewohnten Plätze für die Nacht.

Die Männer in der Höhle hielten den Atem an und starrten durch die Felsenkluft hinaus.

Aber plötzlich sahen sie nichts mehr. Der Eingang hatte sich verdunkelt und jetzt kam jemand durch den Gang herein … riesenhaft und unförmig wie ein wandernder Felsblock und sie meinten, der Boden zittere unter seinen Schritten …

Langsam wichen sie zurück in den innersten Winkel, sie merkten es nicht einmal.

Und dann betrat Polyphem die Höhle. Er trug ein gewaltiges Bündel Feuerholz auf der Schulter, das er jetzt krachend zu Boden warf. Hinter ihm schoben sich dicht gedrängt Schafe und Ziegen herein, die gemolken werden sollten, während Widder und Böcke draußen in der Hürde blieben.

Die Männer hockten hinter einem Haufen Reisig und der Unhold sah sie nicht gleich. Er ging gemächlich zurück zum Eingang, trug den Felsen herbei und stellte ihn davor. Ja, nun waren sie gefangen und niemand vermochte, sie zu befreien. Niemand als der Riese. Aber wenn sie ihn ansahen, schwand auch das kleinste Fünkchen Hoffnung, dass er etwa Erbarmen mit ihnen haben könnte.

Polyphem sah schrecklich aus. Nicht wie ein Mensch, nein, eher wie ein Berg, der bis oben mit Gestrüpp bewachsen war, so schien es ihnen. Wild umstanden Bart und Haare sein Gesicht und mitten auf der Stirn saß ein einziges Auge.

Dennoch betrug er sich jetzt wie ein gewöhnlicher Sterblicher. Er molk Ziegen und Schafe, legte den Muttertieren die Jungen ans Euter, füllte die Milch in Eimer und Näpfe und ballte mit seinen gewaltigen Händen die geronnene Milch zu großen Klumpen zusammen, die er zum Trocknen auf die Holzgitter legte.

Endlich häufte er Reisig auf den Herd und fachte ein Feuer an. Da sah er die Männer. Einen Augenblick stand er vor Verwunderung erstarrt. Dann ging er langsam um das Feuer herum auf sie zu. »He, ihr Fremdlinge!«, redete er sie an und das Herz wollte ihnen stillstehen bei dem grausigen Gebrüll. »Wer seid ihr und wie kommt ihr hierher? Seid ihr Räuber, die das Meer durchkreuzen und an den Küsten auf Beute lauern? Oder treibt ihr Handel in fremden Ländern? Oder was sucht ihr sonst hier?«

Odysseus tat einen Schritt nach vorne. Sein Gesicht war hart. Er wusste, ihr Leben war nicht mehr viel wert. Aber er musste alles tun, um seine Gefährten zu retten: Denn es war seine Schuld, dass sie hier gefangen saßen.

»Wir sind Achaier«, begann er und seine Stimme war so fest wie sonst. »Auf der Heimfahrt nach Troja haben uns widrige Ströme hierher verschlagen. Wir haben mit Agamemnon, dem Fürsten vieler Völker, die mächtige Stadt erobert; dessen rühmen wir uns. Nun aber bitten wir dich: Erweise dich gastfreundlich gegen uns und bedenke, dass die Götter gebieten, den fremden Gast zu ehren, und dass ihre Rache jeden trifft, der einem Bittenden Böses zufügt!«

Der Riese stieß ein Hohngelächter aus, dass es von den Felsen widerhallte. »Du musst ein Narr sein, Fremder, oder sehr weit hergekommen, da du nicht weißt, dass die Kyklopen eure Götter nicht achten! Glaube ja nicht, dass ich etwa aus Furcht vor Zeus dich oder deine Freunde verschonen werde, wenn es mir nicht selbst so gefällt! Aber sage mir«, fuhr er fort und beugte sich lauernd herab, »sage mir doch, wo bist du mit deinem Schiff gelandet? Liegt es vielleicht hier in der Nähe am Ufer? Ich wüsste es gerne!«

Odysseus erschrak. Niemals durfte der Unhold erfahren, wo sich das Schiff mit den zurückgebliebenen Gefährten befand: Denn das konnte sehr leicht ihren Tod bedeuten!

»Ich habe kein Schiff mehr!«, sagte er darum schnell. »Es ist im Sturm an der felsigen Küste eures Landes zerschellt und nur wir vermochten uns zu retten!«

Der Kyklop antwortete nichts. Im nächsten Augenblick prallte Odysseus zurück: Die riesigen Hände fuhren blitzschnell an ihm vorüber, ergriffen zwei der Gefährten, hoben sie hoch empor und schlugen sie gegen die Felsen. Odysseus und die anderen standen stumm und starr vor Entsetzen. Dann riss Odysseus mit einem Wutschrei sein Schwert heraus. Aber er ließ es sogleich wieder sinken. Nein, was half es, wenn er dem Ungeheuer eine kleine Wunde schlug? Die beiden armen Freunde vermochte er nicht mehr zu retten und auch sie würden alle sterben!

So verhüllten sie schaudernd das Gesicht und riefen voll Verzweiflung die Götter an, während der Unhold ihre Gefährten verschlang, nicht anders, als der Löwe seine Beute verschlingt.

Danach streckte er sich mitten unter den Tieren auf dem Boden aus, zu satt und zu faul, noch sein Lager aufzusuchen, und schlief im selben Augenblick.

Die Gefangenen aber taten die ganze Nacht kein Auge zu. Dicht aneinandergedrängt saßen sie in einem Winkel und starrten schweigend vor sich hin. Manchmal sah plötzlich einer dem andern ins Gesicht und sie fragten sich, wer wohl der Nächste sein mochte. Sie waren alle schlachtgewohnte Krieger: Aber dies war etwas ganz anderes, als mit dem Schwert in der Faust gegen einen ehrlichen Feind zu kämpfen. Hier half weder Mut noch Stärke und vielleicht … ja, vielleicht gab es überhaupt keine Hilfe mehr für sie. Es wurde allmählich finster in der Höhle.

Odysseus hockte auf einem Steinblock, den Kopf in die Hände gestützt, und brütete vor sich hin. Er fühlte sich so elend wie noch nie in seinem Leben. Schmerz und Reue peinigten ihn und eine so entsetzliche Wut erfüllte ihn, dass er meinte, er müsse daran ersticken.

Oh, sie waren noch viel schlimmer, als man von ihnen erzählte, diese Kyklopen: Sie waren grausige, menschenfressende Ungeheuer! Dreimal sprang er in der Nacht auf und schlich sich mit gezogenem Schwerte an den schlafenden Riesen heran: Polyphem musste sterben, sonst waren sie alle des Todes!

Er würde ihm das Schwert in die Brust bohren an der Stelle, wo Leber und Zwerchfell einander berührten: Dann musste sein Leben entweichen und seine ruchlose Seele zum Hades fahren! Aber dreimal kehrte Odysseus wieder um. Was half es ihnen, wenn Polyphem tot war? Sie würden niemals imstande sein, den Felsen am Eingang zur Seite zu schieben.

So saß er wieder da und dachte und dachte. Nein, mit Gewalt würden sie nichts ausrichten, nur kluge List konnte sie retten. Aber wie? Als das erste Morgenlicht durch die Felsspalten sickerte, war ihm immer noch kein Ausweg eingefallen.

Bald erhob sich Polyphem, verrichtete seine Arbeiten wie am Abend zuvor und abermals traf zwei der Männer das schreckliche Schicksal ihrer Gefährten.

Dann hob der Riese gemächlich den Felsblock vom Eingang, ließ die Herde hinaus und verschloss die Höhle wieder, ohne sich um die übrigen Gefangenen zu kümmern. Sie hörten, wie er draußen mit schrillem Pfeifen die Tiere vor sich hertrieb, den Bergweiden zu.

»Kommt, wir wollen Rat halten!«, sprach Odysseus, als es still geworden war. »Noch ist nicht alles verloren, denn noch leben wir!« Er blickte sie erwartungsvoll an, aber sie zuckten nur die Achseln und schüttelten den Kopf.

»Wenn du keinen Rat weißt, der du doch stets der erfindungsreichste und listigste unter den Achaiern warst – wie sollen wir einen wissen!«, meinten sie mutlos.

»Glaubt mir, es muss …«, begann Odysseus wieder eindringlich, aber plötzlich brach er ab. Sein Blick war auf die Keule des Riesen gefallen, die da am Felsen lehnte. Diese Keule – sie war aus grünem Ölbaumholz und so groß wie ein Schiffsmast.

Er sprang auf. »Freunde!«, sagte er atemlos. »Ich habe einen Ausweg gefunden! Er gefällt mir nicht«, fügte er hinzu, »aber es gibt keinen anderen und der Kyklop hat längst seine Strafe verdient!«

Er ergriff die Axt des Riesen, die seine Hände kaum zu umspannen vermochten, und hieb ein klafterlanges Stück von dem Stamm ab. Das spitzte er an einem Ende zu und hieß die Gefährten den Pfahl glätten. Darauf drehte er ihn eine Weile im Feuer, bis das grüne Holz hart und trocken war, und endlich verbarg er ihn sorgfältig unter einem Haufen von Mist.

Als er sich aufrichtete, war sein Gesicht finster und hart. »Hört zu!«, sagte er. »Wir können den Unhold nicht töten, da wir sonst nie wieder aus dieser Höhle fortkommen. Unsere Gefährten werden uns zwar suchen, aber sie werden uns nicht finden, da sie ja nicht ahnen, dass wir hinter dem gewaltigen Felsen eingeschlossen sind. Und ganz gewiss würden die Kyklopen sie alle erschlagen! Es gibt nur eines: Der Riese darf uns nicht mehr sehen! Dann mag es uns wohl gelingen, ihm zu entrinnen, wenn er wieder den Felsen vom Eingang hebt. Versteht ihr?«

Sie starrten ihn an und dachten an den spitzen Pfahl und es wurde ihnen kalt vor Grausen, als sie begriffen, was Odysseus tun wollte. Aber zugleich begriffen sie auch, dass dies vielleicht ihre Rettung bedeutete.

»Mögen uns die Götter Mut verleihen!«, murmelte einer. Die anderen nickten nur. Nein, es war kein schöner Ausweg für die Krieger, die Troja erobert hatten, aber es musste sein.

Sie warteten mit Ungeduld, bis Polyphem zurückkehrte: Denn sie wünschten, alles wäre schon vorüber.

Bald nachdem die Sonne untergegangen war, hörten sie ihn kommen. Er hob den Felsen vom Eingang und ließ die Herde an sich vorübergehen in die Höhle. Widder und Böcke wollten draußen in der Hürde bleiben wie sonst. Aber er trieb auch sie hinein: Er mochte wohl Angst haben, es könnten wieder Fremde kommen und seine schönsten und stärksten Tiere während der Nacht forttreiben.

Hinter dem letzten Widder verschloss er das Felsentor und machte sich an die gewohnte Arbeit.

Als er fertig war, verzehrte er zum dritten Mal zwei der Gefangenen.

Die anderen vermochten es nicht zu verhindern. Aber es sollte seine letzte Untat sein, dachten sie zähneknirschend.

Odysseus erhob sich langsam. Er löste den Lederschlauch vom Gürtel, nahm einen hölzernen Napf und füllte ihn mit Wein. Damit ging er hinüber zu Polyphem.

»Da, trink, Kyklop!«, sagte er, heiser vor Grimm. »Ich wollte dir den Wein spenden, damit du uns gnädig seiest! Du aber wütest so schrecklich gegen uns!«

Polyphem nahm den Napf und trank begierig. Sogleich begann sein Auge zu funkeln.

»He, Fremdling, was ist das für ein Wein?«, brüllte er. »Gib mir noch mehr davon, er schmeckt wie Nektar und Ambrosia!«

Odysseus füllte das Gefäß zum zweiten und dann zum dritten Male. Mit kalter Wut im Herzen sah er zu, wie der Unhold den Wein in seinen unersättlichen Schlund goss.

Aber der Wein war süß und stark und alt und umnebelte im Handumdrehen die Sinne des Riesen.

»Sage mir deinen Namen, Fremdling!«, grölte Polyphem. »Ich will dich mit einer Gabe erfreuen zum Dank für diesen Wein!«

Odysseus blickte zu dem unförmigen Schädel hinauf, der hoch über ihm hin und her schwankte, und seine gewohnte Vorsicht warnte ihn. Nein, er würde dem Scheusal nicht erzählen, dass er der König von Ithaka war!

»Ich heiße Niemand!«, antwortete er schnell. »Niemand nannten mich Vater und Mutter, Niemand nennen mich auch meine Gefährten!«

»So höre zu, Niemand!«, schrie Polyphem. »Ich will dich zuletzt von allen deinen Freunden verzehren! Das ist mein Gastgeschenk für dich!«

Damit ließ er sich auf sein Lager zurückfallen und begann alsbald, laut zu schnarchen.

Odysseus wartete eine Weile, bis er sicher war, dass der Unhold fest schlief. Dann holte er den Pfahl unter dem Mist hervor und winkte den Gefährten.

Lautlos schlichen sie zurück zum Lager des Riesen. Odysseus richtete die Spitze genau auf das geschlossene Auge. Dann stießen sie zu.

Polyphem fuhr empor mit einem so fürchterlichen Gebrüll, dass sich vor Schrecken ihre Haare sträubten. Sie stoben nach allen Seiten auseinander in die äußersten Winkel der Höhle.

Polyphem riss sich den Pfahl aus dem Auge und schleuderte ihn weit von sich. Brüllend lief er durch die Höhle und fuhr mit den Armen blitzschnell herum, um seine Gefangenen zu finden.

Aber da er nichts mehr sehen konnte, entwischten sie ihm leicht und er griff nur in die Wolle der Schafe und in das zottige Fell der Ziegen.

Als er niemand fand, begann er mit lautem Geschrei die anderen Kyklopen zu rufen und seine gewaltige Stimme drang durch die Felsspalten ins Freie.

Da rannten die Kyklopen von überall herbei, standen verwundert draußen vor der Höhle und fragten: »Was schreist du so, Polyphemos, und weckst uns aus dem Schlummer? Sind etwa Räuber gekommen, die deine Schafe von dannen treiben? Oder will jemand mit List oder Gewalt dich ermorden?«

»Niemand!«, brüllte Polyphem. »Niemand ist hier! Niemand will mich töten!«

»Wenn dir also niemand etwas zuleide tut«, schrien sie zurück, »so musst du die Schmerzen, die Zeus dir schickt, eben ertragen: Denn dagegen gibt es kein Mittel. Aber vielleicht hilft dir dein Vater, der Meerbeherrscher Poseidon, wenn du ihn bittest!«

Damit gingen sie wieder fort in ihre Höhlen und die Gefangenen, die voll Schrecken alles mit angehört hatten, atmeten auf. Odysseus aber lachte das Herz im Leibe, weil sein falscher Name die Kyklopen so getäuscht hatte.

Die Nacht verstrich, im Osten stieg Eos, die Morgenröte, am Himmel empor und ein Schein ihres rosigen Lichtes fiel in die Höhle. Die Herde begann zu erwachen und auch Polyphem erhob sich stöhnend. Er tappte durch den Gang hinaus und stieß den Felsblock zur Seite. Dann setzte er sich unter dem Tore nieder und breitete die Arme aus, damit niemand unbemerkt an ihm vorüberkäme.

Odysseus nickte grimmig, als er es sah. Ja, das hatte er befürchtet! Aber es sollte dem Unhold nichts nützen: Sie würden dennoch entkommen.

Er hatte sich während der Nacht einen schlauen Plan ausgedacht und jetzt machten sie sich eilig daran, ihn auszuführen.

Sie nahmen dünne Weidenruten vom Lager des Riesen und flochten starke biegsame Seile daraus. Dann suchten sie die stärksten Widder mit der dicksten Wolle aus der Herde und banden je drei von ihnen zusammen, sodass sie nebeneinandergehen mussten. Unter dem mittleren aber band Odysseus immer einen seiner Gefährten fest. In dem dichten Vlies versanken die Weidenruten und man konnte sie nicht mehr fühlen, wenn man über den Rücken der Tiere strich. Zu beiden Seiten aber schritten die anderen Widder und Polyphem würde nicht merken, dass der mittlere einen Mann trug.

Unterdessen war es hell geworden und Widder und Böcke drängten ins Freie, denn es war die Stunde, zu der sie sonst auf die Weide getrieben wurden. Schafe und Ziegen blieben in der Höhle zurück und warteten blökend, dass sie gemolken würden: Denn ihre Euter strotzten von Milch.

Polyphem betastete die Rücken der Tiere, die an ihm vorüberkamen, und er fühlte, wie ihr raues Fell seine Haut streifte. Nein, keiner von den Fremden konnte ihm entrinnen und sie sollten noch bitter büßen, was sie ihm angetan hatten!

Er ahnte nicht, dass er schon um seine Rache betrogen war und dass die Tiere seine Feinde, einen nach dem andern, an ihm vorbei ins Freie trugen!

Odysseus war allein in der Höhle zurückgeblieben, mitten unter blökenden Schafen und meckernden Ziegen. Und die Götter mochten wissen, ob es ihm gelingen würde zu entkommen: Denn ihm half nun niemand mehr.

Aber er hatte den stärksten Widder drinnen festgebunden und zurückbehalten, der sonst stets der Herde vorauszugehen pflegte. Es war ein riesiges Tier, viel größer als die anderen, und das schwärzliche Fell hing ihm lang und zottig an Brust und Bauch hinab. Dieser Widder musste ihn retten!

Jetzt band er ihn los, packte ihn im Genick, ließ sich geschickt unter seinen Bauch gleiten und krallte beide Hände in die dicke Wolle. Da hing er, zog die Beine an den Leib und flehte die Götter an, sie möchten seinen Armen so lange Kraft verleihen, bis er draußen war.

Schwerfällig schritt das Tier dem Ausgang zu, schüttelte unmutig den Kopf und blökte zornig über die ungewohnte Last.

Ja, und dann, gerade als er bei Polyphem angelangt war, blieb er stehen! Der Riese erkannte ihn sogleich an der Größe, als er ihm über den Rücken strich.

»Was ist mit dir, mein guter Widder?«, sagte er verwundert. »Du pflegst doch sonst als Erster vor der Herde zu gehen, heute aber bist du der Letzte! Bist du krank oder grämst du dich um das Auge deines Herrn? Oh, hättest du doch Vernunft und Sprache wie ich, so könntest du mir sagen, wo sich dieser elende Niemand mit seinen Gesellen verbirgt und wohin er mir immer ausweicht! Dann gelänge es mir bald, ihn zu fangen, und ich könnte schreckliche Rache an ihm nehmen und so mein verlorenes Auge leichter verschmerzen!«

Odysseus trat kalter Schweiß auf die Stirn, als er das hörte. Er wagte nicht zu atmen und vor seinen Augen begann sich alles zu drehen. Zugleich fühlte er, dass seine Arme allmählich erlahmten. Wenn der Widder nur noch eine ganz kleine Weile stehen blieb, musste er ihn loslassen und dann … Da ging er endlich und Odysseus hätte vor Erleichterung beinahe laut geseufzt.

Ein Stück von der Höhle entfernt ließ er sich zu Boden fallen und lief eilig, seine Gefährten zu erlösen: Es war hohe Zeit, denn allenthalben trachteten die zusammengebundenen Widder sich ihrer Fesseln und ihrer Last auf die unsanfteste Weise zu entledigen.

»Wir wollen schleunigst zu Schiff gehen, ehe neues Unheil über uns kommt!«, sagte Odysseus und sie trieben die Tiere vor sich her zum Ufer hinab, wo das Schiff noch unter dem überhängenden Felsen lag und die Gefährten sie voll Freude begrüßten.

Freilich brachen sie alsbald in lauten Jammer aus, als sie erfuhren, dass sechs der Ihrigen tot waren.

Aber Odysseus verwies es ihnen streng. »Es ist keine Zeit zu klagen!«, sprach er. »Bringt die Tiere ins Schiff und dann setzt euch sogleich an die Ruder! Mich gelüstet es nicht, noch einen Augenblick länger in diesem Lande zu bleiben.«

Als sie aber etwa in der Mitte der Wasserstraße waren, just so weit, wie eine menschliche Stimme reicht, sah Odysseus den Riesen drüben auf dem Gipfel des Berges hoch über seiner Höhle sitzen. Da packte ihn noch einmal fürchterlicher Zorn über alles, was geschehen war.

Er gebot den Ruderern innezuhalten, ging ans Heck zurück und begann zu rufen: »Hörst du mich, Kyklop? Du ruchloser Frevler, meine Gefährten hast du in deiner eigenen Behausung verschlungen! Nun ist die Strafe der Götter über dich gekommen, die dir längst gebührt!«

Der Riese hörte ihn und brüllend vor Grimm fuhr er auf, riss einen Felsen vom Gipfel und schleuderte ihn dahin, woher die Stimme seines Feindes kam.

Der Felsen flog über das Schiff hinweg und stürzte dicht vor dem Bug ins Meer. Das Wasser rauschte hoch auf und warf das Schiff zurück gegen das Ufer der Kyklopen. Hastig stießen sie es mit den langen Stangen wieder ab, bis sie ins tiefe Wasser kamen.

Abermals ruderten sie vom Lande der Kyklopen fort gegen die kleine Insel, wo die übrigen Schiffe im Hafen lagen. Und abermals befahl ihnen Odysseus innezuhalten: Denn er konnte seinen Zorn noch immer nicht meistern. Vergebens umringten ihn die Gefährten, denen der Schrecken noch in allen Gliedern lag, und beschworen ihn, doch weiterzufahren und die Wut des Riesen nicht noch mehr herauszufordern.

»Warum willst du ihn reizen? Um ein Haar hätte er uns diesmal schon getroffen und wir wären alle zugrunde gegangen. Beim nächsten Mal wird er uns das Schiff zerschmettern, so fürchterlich wirft er mit Felsen um sich!«

Aber Odysseus hatte taube Ohren für ihre Bitten. »Höre gut zu, Kyklop!«, rief er wieder. »Wenn dich jemand fragt, wer dich geblendet habe, so sage ihm: Das hat Odysseus getan, der Sohn des Laertes aus Ithaka.«

»Wehe mir!«, schrie Polyphem. »So hat sich ein altes Orakel erfüllt, das mir einst ein Seher verkündete: dass eines Tages Odysseus mich meines Auges berauben werde. Ich Tor, wie konnte ich ahnen, du wärest dieser Odysseus! Immer wartete ich auf einen gewaltigen stattlichen Riesen, der mir an Kraft und Größe gliche! Aber da kamst du, ein armseliger Wicht, und hast mich mit Wein berauscht und mit List überwältigt. Aber komm her, Odysseus, komm her! Ich sage dir, ich werde dir Gastgeschenke geben, die du nie vergessen wirst, und ich werde dir übers Meer sicheres Geleite verschaffen von Poseidon, meinem Vater! Und freue dich nicht zu früh: Poseidon kann auch mein Auge wieder heilen, wenn es ihm gefällt!«

Odysseus lachte spottend. »Dein Auge wird auch Poseidon nicht heilen! Das ist so sicher, dass ich wollte, ich könnte ebenso sicher deine verruchte Seele zum Hades senden!«

Da hob Polyphem seine Arme zum Himmel. »Höre mich, Erdumstürmer Poseidon!«, rief er. »Verwehre Odysseus, dem Sohn des Laertes, die Heimkehr, wenn du wirklich mein Vater bist! Allzu Schlimmes hat er mir zugefügt! Haben ihm aber die Götter bestimmt, dennoch den Strand von Ithaka wiederzusehen, so lass ihn erst spät zurückkehren, unglücklich und aller Gefährten beraubt, auf fremdem Schiff! In seinem Haus aber mögen indessen böse Dinge geschehen.«

Und er riss abermals einen Felsen vom Berg und schleuderte ihn herab: Diesmal stürzte er ein wenig hinter dem Schiff ins Meer und die laut aufrauschenden Wogen trugen es hinüber an die Insel, wo die Gefährten schon mit Sorgen gewartet hatten.

Sie vernahmen entsetzt, was geschehen war, und da schien es ihnen am besten, diesem ungastlichen Land schleunigst den Rücken zu kehren.

Sie verteilten die Widder und Böcke auf die Schiffe, für jedes die gleiche Zahl. Den großen dunklen Widder aber sprachen sie Odysseus zu. Er trieb ihn hinab an den Strand und opferte ihn Zeus.

Doch Zeus verschmähte sein Opfer und das Schicksal der Achaier war schon bestimmt.

Am Morgen fuhren die Schiffe von der kleinen Insel aus aufs offene Meer.

Grau, einsam und endlos erstreckte sich Poseidons Reich. Poseidon aber hatte die Bitte seines Sohnes gehört und er hatte beschlossen, sie zu gewähren.

Dies bedeutete für Odysseus und die Männer, die mit ihm fuhren, großes Unheil.

Die Abenteuer des Odysseus

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