Читать книгу Ilias - Auguste Lechner - Страница 7

Оглавление

2 Götter und Menschen schliefen längst; allein in Zeus Kronions Augen wollte kein Schlummer kommen. Ihm bereitete das Versprechen, das er Thetis gegeben hatte, große Sorgen. Halten musste er es; aber wie?

Endlich schien es ihm, er habe einen Ausweg gefunden. »Ich will Agamemnon einen Traum senden«, beschloss er. »Der Atride weiß, dass Träume von mir kommen, und wird danach handeln!«

Er rief eines der Nachtgesichte herbei, durch die er zuweilen den Sterblichen seinen Willen kundzutun pflegte.

»Begib dich zu Agamemnon«, befahl er, »und sage ihm, die Zeit sei gekommen, Troja von der Erde zu vertilgen. Hera, welche die Achaier liebt, habe die Götter überredet, ihnen beizustehen, und über Priamos’ Stadt sei schon das Unheil verhängt.«

Der Traum glitt fort durch die Dunkelheit, hinab zum Lager der Achaier.

Er schlüpfte in Agamemnons Zelt und redete ihn an: »Wach auf, Atride, es ist nicht Zeit zu schlafen! Die Götter haben Trojas Untergang beschlossen. Beeile dich, die günstige Stunde zu nützen, und lass das Heer sich zur Schlacht rüsten!«

Agamemnon fuhr auf und der Traum verschwand. Aber er hatte so eindringlich geredet, dass der König keinen Augenblick zauderte. Er sprang vom Lager, legte eilig das Untergewand an, band die Sohlen mit den goldgeflochtenen Riemen an die Füße und hängte sich das Schwert über die Schulter. Während er sich den Mantel umwarf und das Zepter ergriff, rief er nach den Herolden.

Gleich darauf schollen ihre Stimmen allenthalben durch die Dämmerung und riefen die Heerführer und die Krieger zur Versammlung an den Strand.

Ein dumpfes Brausen von Tausend und Abertausend Stimmen erhob sich im Lager, die Krieger kamen aus den Zelten gerannt, Fragen schwirrten durcheinander, niemand wusste, was der Aufruf zu bedeuten hatte.

In Scharen eilten die Achaier hinab zum Ufer. Agamemnon hatte mit Nestor und den anderen Fürsten ein Schiff bestiegen; er wollte zuerst allein mit ihnen reden, denn ihm waren unterdessen allerlei Zweifel gekommen. »Ich brauche euren Rat«, sagte er und erzählte hastig seinen Traum. »Ich weiß, dass Zeus die Träume sendet«, fügte er hinzu, »aber ich weiß auch, dass das Heer dieses endlosen Krieges längst überdrüssig ist und nach Heimkehr verlangt. Wie nun, wenn die Achaier nicht mehr kämpfen wollen?« Er hielt inne und sein Gesicht wurde finster. »Und da ist noch etwas«, fuhr er widerwillig fort, »ihr wisst, dass Achilleus geschworen hat, an keinem Kampf mehr teilzunehmen. Nicht etwa, dass ich glaube, er würde die Schlacht entscheiden – nein, gewiss nicht! Aber er und Patrokolos und die Myrmidonen – nun, sie verstehen zu kämpfen!« Er schwieg und wartete. Aber keiner der Fürsten sagte ein Wort.

Agamemnon biss die Zähne zusammen. Sie zürnten ihm um Achilleus’ willen, er hatte es immer gewusst! Schnell redete er weiter. »Ich muss wissen, was ich von den Achaiern zu erwarten habe, versteht ihr? So will ich sie prüfen! Ich werde ihnen sagen, dass ich keine Hoffnung mehr habe, Troja zu erobern. Und dann werde ich sie fragen, ob sie heimkehren wollen! Was meint ihr?«

Diesmal antwortete Nestor: »Dein Plan ist gut, aber was gedenkst du zu tun, wenn sie alle nach Heimkehr schreien?«

»Dann müsst ihr sie zum Bleiben überreden!«, sagte Agamemnon entschlossen. »Denn dieser Krieg muss ein Ende nehmen. Ich will Zeus das größte Opfer bringen, das die Erde je gesehen hat, wenn er die Sonne dieses Tages nicht untergehen lässt, ehe die Troer besiegt sind.«

Er wandte sich schnell um und trat an die Brüstung: Er wollte den Zweifel in ihren Gesichtern nicht sehen.

Drunten am Strand drängte sich Kopf an Kopf das Kriegsvolk. Das Brausen der Stimmen verstummte, als sie ihn sahen. Erwartungsvoll starrten sie zu ihm herauf. Agamemnon holte tief Atem. »Freunde«, rief er mit mächtiger Stimme, »es hat Zeus Kronion gefallen, mich in schreckliche Unsicherheit zu verstricken. Als wir auszogen, verhieß er mir durch untrügliche Zeichen, dass es uns beschieden sein werde, Troja auszutilgen. Seitdem sind fast zehn Jahre vergangen. Wir haben viele Krieger verloren. Schon beginnt das Holz unserer Schiffe zu modern und die Seile werden brüchig. Ich habe keine Hoffnung mehr, jemals diese Stadt zu erobern. Wir wollen also heimkehren, solange es noch Zeit ist.«

Einen Augenblick war es totenstill auf dem weiten Strand. Dann brach es los wie der Donner der Brandung an einer felsigen Küste. Sie sprangen auf, sie schrien, sie brüllten, die einen rannten zu den Schiffen, die anderen zu den Zelten. Sie begannen, die stürzenden Balken unter den Kielen hervorzuzerren und die Zelte abzureißen, und schrien und sangen vor Freude …

Agamemnon stand droben an der Brüstung, als wäre er zu Stein geworden. So war es also!

Er hatte nicht gemerkt, wie die anderen Fürsten das Schiff verließen. Jetzt aber sah er sie, wie sie sich drunten unter die Krieger mischten und mit ihnen redeten.

Da raffte er sich auf und folgte ihnen. Sein dunkles Gesicht war bleich und seine Faust umklammerte das Zepter, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Langsam ging er auf die Menge zu. Er merkte, dass das Freudengebrüll allmählich leiser wurde und endlich völlig verstummte.

Die Männer, die schon begonnen hatten, die Schiffe ins Wasser zu ziehen, kamen zögernd zurück, umstanden ihre Anführer und hörten ihnen mit betretenen oder trotzigen Gesichtern zu.

Odysseus sah den König kommen, schob ein paar Krieger zur Seite und ging ihm entgegen. Er sah sehr zornig aus. »Leihe mir deinen Herrscherstab! Mir scheint, ich brauche ihn dort drüben sehr nötig«, sagte er, nahm Agamemnon kurzerhand das Zepter ab und verschwand dann mitten in einem Haufen Krieger.

Mitten in diesem Haufen stand Thersites.

Thersites war entsetzlich hässlich. Er schielte und auf seinem spitzen Kopf wuchs nur spärlich graues Wollhaar. Er hatte kurze, dünne Beine und einen Höcker auf dem Rücken, der ihm die Schultern nach vorne zu drücken schien.

Niemand sah ihn je freundlich. Stets lästerte er gegen die Fürsten, in Sonderheit Achilleus, dem er seine Schönheit und Kraft neidete, aber auch Odysseus und die anderen. Die Achaier verachteten ihn, aber dennoch hörten sie seinen Schmähreden neugierig zu.

Als er jetzt Agamemnon erblickte, richtete er seine Wut gegen ihn.

»Haben wir noch nicht genug Beute für dich gemacht, Agamemnon?«, schrie er mit seiner heiseren Stimme. »Glaubst du, wir armen Toren merken nicht, dass die Fürsten uns auf dein Gebot von Neuem zum Kampfe aufstacheln, nachdem wir einen Augenblick auf Heimkehr hofften! Beim Hades, du bist so habgierig, dass du dich nicht einmal schämst, Achilleus seine Ehrengabe wegzunehmen, und –«

Er prallte zurück und verstummte mitten im Wort: denn mit einem schnellen Schritt stand Odysseus vor ihm.

»Elender Schwätzer«, schrie er. »Wenn du nicht augenblicklich schweigst, so schwöre ich dir, ich reiße dir das Gewand vom Leibe und jage dich mit Geißelhieben, nackt wie du bist, hinab zu den Schiffen! Scher dich fort!« Und er holte gewaltig aus und hieb ihm das Zepter über den untersten Teil des Rückens, dass Thersites aufheulend davonstolperte und sich in sicherer Entfernung niedersetzte. Die Krieger lachten und riefen Beifall.

Odysseus war sehr klug und kannte die Achaier. Er wusste, jetzt war die Gelegenheit günstig, sie zum Bleiben zu bewegen.

»König Agamemnon«, sagte er so laut, dass seine Stimme weit im Umkreis zu hören war, »nun haben die Achaier dir eine bittere Enttäuschung bereitet. Du wolltest sie prüfen und ihre wahren Gedanken erkunden. Sie aber schrien nach Heimkehr. Ich kann es ihnen nicht verargen.« Er wandte sich den Kriegern zu und fuhr eindringlich fort: »Aber mir scheint, es wäre schade, wenn wir jetzt, nach neun Jahren, unrühmlich und den anderen Völkern zum Spott, heimkehren müssten, ohne Troja besiegt zu haben. Was sollen wir den alten Leuten und den Witwen und Waisen daheim in Achaia sagen, wenn sie uns fragen, wofür ihre Söhne, ihre Männer und Väter gestorben sind? Erinnert ihr euch? Als wir uns mit den Schiffen vor Aulis versammelten, um über das Meer zu fahren, brachten wir den Göttern ein Opfer und baten um Sieg und glückliche Heimkehr. Der Altar stand unter einem riesigen Ahorn, in dessen Zweigen sich ein Sperlingsnest mit acht Jungen und ihrer Mutter befand. Zu unserem Entsetzen fuhr während des Opfers ein purpurschuppiger Drache unter dem Altar hervor, wand sich am Baum empor und verschlang die kleinen Vögel und ihre Mutter. Und dann – neuer Schrecken befiel uns –, dann verwandelte sich plötzlich vor unseren Augen der Drache in Stein und blieb, grausig anzusehen, an diesem Ort stehen zum ewigen Wahrzeichen.

Sogleich befragten wir Kalchas, den Seher. Er sagte: ›Die neun Sperlinge bedeuten die Jahre, die ihr um Troja kämpfen werdet.

Im zehnten Jahr aber werdet ihr die Stadt erobern und wie der versteinerte Drache wird euer Ruhm die Jahrhunderte überdauern.‹ Ich frage euch, Freunde, wollt ihr euch nicht noch eine kurze Weile gedulden: denn dies ist das zehnte Jahr und in diesem Jahr wird Priamos’ Feste fallen.«

Ja, Odysseus war sehr klug und er hatte sich nicht getäuscht. Zuerst zögernd, dann immer lauter, scholl ihm Beifall aus den Reihen der Krieger entgegen.

Da begann Nestor zu reden. Auch er kannte die Achaier, und was er sagte, war nicht weniger klug. »Habt ihr vergessen, dass uns Zeus Kronion sein Zeichen sandte, als wir von Aulis ausfuhren? Sein Blitzstrahl zuckte zu unserer Rechten herab: Ihr wisst, das bedeutet Glück. Und habt ihr vergessen, welche Reichtümer in Trojas Palästen auf uns warten? Wollt ihr wirklich darauf verzichten, nur um ein wenig früher heimzukehren? Bei den Göttern, ich kann es nicht glauben!«

Er schwieg, denn jetzt war das Beifallsgebrüll so laut geworden, dass man seine Stimme nicht mehr hörte. Sie sahen einander an, er und Odysseus, und sie wussten, dass sie gewonnen hatten.

Es war genauso wie immer – vorher und nachher in der Geschichte des Menschengeschlechtes: Einige kluge Männer lenkten die vielen Tausenden, wie es ihnen gefiel.

Als es wieder ein wenig stiller geworden war, sprach Nestor weiter: »Da ihr euch also entschlossen habt, den Kampf zu Ende zu führen, wollen wir keine Zeit verlieren. Denn dies hat Zeus Kronion heute Nacht dem König im Traum befohlen.

Geht darum zurück in eure Zelte und zu den Schiffen und rüstet euch zur Schlacht. Zuvor aber sollen alle ein reichliches Mahl halten und den Göttern opfern. Und noch eines«, fügte er schlau hinzu, »die einzelnen Völkerschaften mögen sich, getrennt voneinander, mit ihren Anführern aufstellen. So wird es sich zeigen, wer am tapfersten kämpft und die reichste Beute verdient!« –

Vom hohen Olympos aus hatten Hera und Pallas Athene dies alles besorgt beobachtet. Nun gewahrten sie mit Befriedigung, wie die Achaier sich eiligst zum Kampfe bereiteten. »Ich hätte sie nicht heimkehren lassen, ehe diese stolzen Troer, die mir so wenig Ehrfurcht zollen, samt ihrer Stadt von der Erde vertilgt sind«, sagte Hera. »Aber die Sterblichen sind wankelmütig. Begib dich hinab zum Lager und flöße den Kriegern Mut und Kampfbegier ein, dass sie nicht erlahmen, ehe es zu Ende ist.«

Pallas Athene gehorchte, denn auch sie war den Achaiern gewogen, in deren Städten ihre herrlichen Tempel standen.

Die Aigis, Zeus Kronions schrecklichen Schild, in der Rechten, durchflog sie ungesehen das Heer, stachelte die noch Zaudernden auf, sodass ihnen alsbald der Kampf verlockender erschien als die Heimkehr.

Schon dröhnte der Boden unter den Tritten der gewaffneten Scharen, die in den weiten Auen am Flusse Skamandros Aufstellung nahmen.

Aus allen Landschaften Achaias waren sie in ihren Schiffen gekommen: aus Böotien und der felsigen Aulis, aus Phokis und von den Ufern des Stromes Kephissos, aus dem Weinland von Arne und von Euböa.

Ajax führte die Lokrer an; er war klein an Wuchs und trug nur einen Harnisch aus Leinen. Aber niemand verstand, die Lanze so sicher zu schleudern wie er.

Elphenor, ein Sohn des Kriegsgottes Ares, war mit den kampfgewohnten Abantern gekommen. Eine große Schar der edelsten Jünglinge von Athen mit herrlichen Rossen und Kampfwagen wurde von Menestheus angeführt. Neben ihm hielt Ajax, Telamons Sohn, den man zur Unterscheidung von dem anderen Ajax, den Großen, nannte, mit den Kriegern aus Salamis.

Eurypylos, König von Ormenion, nahm aus Freundschaft für Achilleus und Patroklos an diesem Kriege teil, der ihn selber nichts anging.

Diomedes, der gewaltige Kämpfer, hatte seine Krieger aus Ätolien herbeigeführt.

Aus den reichen Städten Mykenä und Korinth kamen die Männer mit silbernen Helmen und kostbaren Waffen.

Agamemnon selbst, herrlich gerüstet, führte das größte Heer an. Menelaos, dessen Herz am heftigsten nach Rache dürstete für den Raub seiner Gemahlin, jagte auf seinem Streitwagen an den Reihen seiner Krieger entlang, sie ermahnend, endlich die erlittene Schmach zu tilgen.

Den Arkadiern, die gewandte Kämpfer, aber selbst keine Seefahrer waren, hatte Agamemnon Schiffe gegeben.

Mit den Männern aus Ithaka waren auch die von Samos und Zakyntos Odysseus gefolgt, denn er war überall auf dem Festland und auf den Inseln durch seine Klugheit und Stärke berühmt.

Thoas, der König von Ätolien, und Tlepolemos, der Sohn des Herakles, der Rhodos beherrschte, ordneten ihre Scharen am Ufer des Skamandros neben den Bogenschützen des tapferen Philoktetes, der zu dieser Zeit mit einer eitrigen Wunde vom Biss einer Natter auf Lemnos lag. So führte Medon seine Krieger in den Kampf.

Diese und noch viele andere Völkerschaften bereiteten sich in der Ebene und auf den Hügeln zwischen dem Meere und der Stadt zur gewaltigsten Schlacht dieses Krieges. Immer noch strömten neue Heerhaufen herbei.

Nur die Myrmidonen kamen nicht. Sie schlenderten zwischen den Zelten umher, übten sich im Diskuswerfen und im Bogenschießen oder sie sahen, auf ihre Lanzen gestützt, gemächlich zu, wie die anderen Krieger forteilten. Sie blickten vom Deck ihrer Schiffe auf den wimmelnden Strand hinab und kümmerten sich nicht im Geringsten um die zornigen Zurufe, die von drunten an ihre Ohren drangen.

Achilleus, ihr König, hatte geschworen, nicht mehr zu kämpfen: Also würden auch die Myrmidonen nicht kämpfen. Ihre Rosse standen müßig und rupften genießerisch die Lotosblumen aus dem sumpfigen Gras; die Kampfwagen lehnten an den Zeltwänden, mit Teppichen zugedeckt.

Achilleus lag im Zelt und versuchte, nichts zu hören und nichts zu sehen von all den Vorbereitungen zur großen Schlacht.

Doch es gelang ihm nicht. Er fühlte, wie der Boden unter ihm dröhnte vom Rollen der Wagen und von den Tritten der Scharen, die draußen vorüberzogen; es war ihm, als müsste er aufspringen, die Rüstung anlegen und nach den weißen Hengsten rufen. Aber er rief nicht und er rührte sich nicht: Allzu groß waren noch immer Kummer und Zorn.

Patroklos saß schweigsam neben ihm und blickte mitleidig in das düstere Gesicht des Freundes. Er wusste, nichts konnte Achilleus jetzt helfen: Er musste den Kampf, der in seiner Seele tobte, allein zu Ende kämpfen.

Dass sein eigenes Schicksal sehr bald davon abhängen sollte, davon ahnte Patroklos zu dieser Stunde noch nichts. Im Königspalast von Troja erfuhr man sehr schnell, dass die Achaier sich zu einem gewaltigen Angriff rüsteten. König Priamos brach augenblicklich den Rat der Ältesten ab, der sich in seinem Thronsaal versammelt hatte, und Hektor sandte die Herolde aus. Es würde nicht lange dauern, bis die troischen Krieger und ihre Hilfsvölker gewaffnet waren: denn in der Stadt hatte man sich in all den Jahren daran gewöhnt, immer auf einen Angriff der Achaier gefasst zu sein.

Die Troer waren tapfere Kämpfer und es gab keinen besseren Heerführer als Hektor.

Die Dardaner, die Aeneas anführte, und die kriegerischen Stämme, die rings an den Hängen und am Fuß des Berges Ida siedelten, auch die Pelasger aus Larissa und die Phrygier aus Askania waren kampfgewohnte Bundesgenossen.

Die Könige Sarpedon und Glaukos waren mit den Lykiern gekommen. Sie kämpften stets Seite an Seite.

Hodios hatte die Halizonen aus Alybe hergebracht.

Nastes und Amphimakos führten ein Volk von barbarischer Mundart aus Miletos an. Ihr Vater war Nomion, der, mit Gold geschmückt wie eine eitle Jungfrau, in die Schlacht ging. Der Tor, sein Geschmeide rettete ihn nicht vor dem Verderben! Achilleus erschlug ihn und nahm ihm seine kostbare Rüstung.

Den Brüdern Andrastos und Amphios hatte ihr Vater, der Seher Merops, verboten, in diesen Krieg zu ziehen, denn er kannte ihr Schicksal! Aber sie hörten nicht auf ihn und das wurde ihnen zum Verhängnis.

Noch andere Völkerschaften aus Thrakien, Amydon und von den Ufern des Xanthos waren nach Troja gekommen; dennoch befanden sich die Achaier in gewiss zehnfacher Übermacht. –

Das nahm aber den Troern keineswegs den Mut. Sie rüsteten sich in großer Eile und voll Kampfbegier.

Und dann öffneten sich auf Hektors Befehl im gleichen Augenblick alle Tore.

Wie Schwärme von wilden Kranichen brachen sie hervor. Ihr Kriegsgeschrei erfüllte die Luft, während die Achaier schweigend in unabsehbaren Scharen heranzogen.

Hektor jagte auf seinem Streitwagen an den Reihen der Krieger entlang. Sein Helm leuchtete und die langen dunklen Locken flogen um seinen Nacken. Als er sah, dass sein Heer gut geordnet war, gab er die Zügel dem Rosselenker und sprang vom Wagen.

Die Lanze in der Rechten, schritt er vor den Kriegern her dem Feind entgegen, neben ihm Aeneas und ein wenig entfernt an seiner anderen Seite sein Bruder Paris.

Paris sah herrlich aus mit den silbernen Beinschienen, dem schimmernden Harnisch, über dem er ein Pardelfell trug, und dem goldenen Helm, den ein langer Rossschweif zierte. So ging er stolz aufgerichtet einher.

Schon waren die feindlichen Heere einander sehr nahe, da erscholl plötzlich auf der Seite der Achaier ein lauter, zorniger Ruf, der selbst das Geschrei der Troer übertönte. Ein Wagen raste heran. Neben dem Rosselenker stand ein Krieger in glänzender Rüstung.

Als Paris ihn erkannte, wurde er bleich: denn der Mann auf dem Wagen war Menelaos, dem er die Gattin geraubt hatte!

Menelaos hatte schon dem Lenker die Zügel zugeworfen und sprang ab.

Paris prallte zurück, als er in das wutverzerrte Gesicht blickte: Er sah, dass sein Tod darin geschrieben stand!

Und als jetzt Menelaos das Schwert herausriss, da fasste ihn ein solches Entsetzen, dass er zurücksprang und sich hinter den Reihen der troischen Krieger verbarg, die mit ihren Schilden und Schwertern die wütenden Hiebe des Spartanerkönigs auffingen.

Aber seine Flucht war schnell zu Ende. Eine harte Faust packte seinen Arm und riss ihn herum. Vor ihm stand Hektor.

»Du Feigling!«, sagte er voll zorniger Verachtung. »Bei den Weibern bist du ein Held! Wenn es aber an den Kampf geht, machst du dich davon, obgleich du dies alles verschuldet hast! Bei den Göttern, wenn die Troer nicht so matte Herzen hätten, so umhüllte dich längst ein steinernes Gewand und du hättest es redlich verdient, für das Unheil, das du über uns gebracht hast! Ich wollte, du wärest nie geboren oder schon als Knäblein gestorben! Nun machst du uns zum Gespött aller Völker!«

Paris stieg Schamröte in das bleiche Gesicht, bei den verächtlichen Worten seines Bruders. Er wusste, Hektor hatte recht.

Und weil er doch ein Sohn des Königs Priamos war und etwas von der edlen Gesinnung seines Vaters ererbt hatte, nahm er jetzt allen Mut zusammen. »Du hast wahr gesprochen!«, sagte er ernst. »Vieles haben die Troer meinetwegen erdulden müssen! Nun will ich, wie es sich für mich geziemt, selbst mit Menelaos um Helena kämpfen! Siege ich, so gehört sie mir! Besiegt mich jedoch der König, so mag er sie mit sich heimführen nach Lakedaimon – sie und die Schätze, die ich von Argos gebracht habe. Zwischen unseren Völkern aber soll in Zukunft Friede herrschen!«

Das vernahm Hektor mit großer Freude.

Er trat vor die Reihen der Krieger und hob die Lanze waagrecht über seinen Kopf.

Sogleich richteten die Achaier ihre Bogen gegen ihn, aber Agamemnon rief: »Haltet ein! Lasst Hektor sprechen. Wir wollen hören, was er uns zu sagen hat!«

»König Menelaos«, begann Hektor, »mein Bruder Paris bietet dir einen Zweikampf an. Bist du einverstanden, so soll Helena dem Sieger gehören; unsere beiden Völker aber sollen danach Frieden halten, wie der Kampf auch ausgehen mag. Wir werden wieder unsere Scholle bebauen und ihr kehrt heim nach Achia.«

»Ich nehme den Kampf an!«, rief Menelaos ohne Zaudern. »Aber ich verlange, dass König Priamos selbst den Vertrag mit uns beschwört!

Währenddessen sollen die Waffen auf beiden Seiten ruhen! Lasst auch Opfertiere herbeischaffen, ein schwarzes und ein weißes Lamm, damit die Götter unseren Schwur gnädig aufnehmen.«

Zwei Herolde liefen sogleich hinauf zur Stadt, um die Botschaft zu überbringen.

Aber ehe noch Priamos von dem Zweikampf erfuhr, hatte das Gerücht schon Helena erreicht, die im Palast des Paris in ihrer Kammer am Webstuhl saß.

Sie erschrak so sehr, dass ihre zitternden Hände das Gewebe verdarben, in dessen Saum sie allerlei Bilder kunstvoll eingewirkt hatte.

Oh Götter, nun würden sie also um sie kämpfen, die beiden Männer, die einander um ihretwillen so sehr hassten, dass sie darum zehn Jahre Krieg führten!

Sie konnte es plötzlich nicht mehr ertragen, untätig und allein da in der Kammer zu sitzen. Angst und Neugier trieben sie ins Freie.

Hastig hüllte sie sich in ihren Schleier aus feinem silber-schimmerndem Linnen und lief so schnell hinaus, dass ihr die Mägde kaum zu folgen vermochten.

Die Tränen flossen ihr über die Wangen und eine große Ratlosigkeit hatte sie überkommen. Sie wusste nicht einmal, wem sie den Sieg wünschen sollte, Paris oder Menelaos. Aber – neben ihrer Angst war da noch etwas anderes: heimlicher Stolz und Befriedigung, dass dies alles um ihretwillen geschah. Sie musste mit jemandem reden! Aber zu wem sollte sie gehen in dieser schrecklichen Verwirrung? Ihre Schwägerinnen liebten sie nicht und würden ihr nur wieder böse Worte geben. Hektor war zwar gut und begegnete ihr nie unfreundlich; aber er befand sich draußen auf dem Schlachtfeld.

Ich muss zum König!, dachte sie, während sie die schmale Gasse an der Stadtmauer entlanghastete. König Priamos ist der Einzige, der Mitlied mit mir haben wird. Aber helfen – nein, helfen kann mir niemand. Ich Unglückselige, warum habe ich nur jemals Lakedaimon verlassen, um Paris zu folgen?

Sie wusste, der König befand sich mit den Ältesten zu dieser Zeit auf dem skäischen Tor, um die Schlacht zu beobachten: denn er selbst konnte nicht mehr kämpfen.

Die Greise sahen ihr entgegen, als sie die Stufen heraufstieg und über die Mauer auf den Turm zuschritt. Und sie schien selbst den alten Männern so unsäglich schön, dass sie leise zueinander sagten, wahrhaftig, man könne es weder den Troern noch den Achaiern verargen, dass sie um diese Frau so erbittert kämpften.

Helena blieb zögernd stehen; sie hatte Angst, die Männer könnten sie mit harten Worten fortweisen, weil um ihretwillen so viel Unheil über Troja gekommen war.

Aber der König winkte ihr freundlich zu. »Komm doch näher und setze dich zu mir, mein Töchterchen! Du sollst mir erzählen, wer die achaischen Fürsten sind, die so herrlich gerüstet aus dem Heere hervorragen! Manche von ihnen kenne ich nicht!«

»Du bist sehr gut zu mir!«, sagte Helena aufatmend und begann zu erzählen. Während sie noch redete, kam einer der Herolde, die unterdessen die Opfertiere geholt und sie gebunden auf den Wagen des Königs gelegt hatten.

»König Priamos, die Fürsten der Troer und der Achaier bitten dich, sogleich hinauszukommen vor die Stadt«, sagte der Herold voll Freude. »Sie haben beschlossen, den Krieg durch einen Zweikampf zwischen Paris und Menelaos zu beenden. Du aber mögest selbst den Vertrag beschwören!«

Nur einen Augenblick zögerte Priamos; er kannte den Ruf des Spartanerkönigs. Menelaos war ein tapferer Kämpfer, wenngleich nicht so stark wie Achilleus oder Diomedes. Er kannte auch seinen Sohn Paris, der nur aussah wie ein Held.

Aber der König war gerecht und auch dieser Zweikampf war gerecht. »So mag es sein!«, sagte er ernst, erhob sich und stieg hinab zum Tor, wo der zweite Herold mit dem Wagen wartete.

Antenor, sein alter Ratgeber, folgte ihm.

Priamos ergriff selbst die Zügel und gleich darauf stürmten die Rosse den Hang vor der Stadt hinab, dorthin, wo die beiden Heere einander gegenüberstanden.

Ehrfürchtiges Schweigen empfing den alten König, der jetzt den Wagen langsam in den freien Raum zwischen den feindlichen Scharen lenkte. Priamos stieg ab.

Schnell trat Agamemnon auf ihn zu und grüßte: »König Priamos, du weißt, was wir beschlossen haben. Bist du bereit, unseren Vertrag zu beschwören?«

»Ich bin bereit!«, antwortete Priamos. Sein Gesicht und seine Stimme waren ganz ruhig.

»So wollen wir den Göttern opfern und unseren Eid schwören!«, sagte Agamemnon und winkte die Herolde mit den Opfertieren herbei. Er zog den Dolch, der an der Scheide seines Schwertes hing, und schnitt den Lämmern die Kehle durch. Darauf goss er Wein aus einem goldenen Becher, den man ihm reichte, zur Erde und rief die Unsterblichen an. »Vater Zeus, Beherrscher der Götter und Menschen, und du, Helios, der du von deinem Sonnenwagen alles siehst, auch du, Erde, und ihr, die ihr unter der Erde wohnt und den Meineid der Sterblichen bestraft – hört unseren Schwur! Wenn dieser Zweikampf vorüber ist, soll Friede zwischen unseren Völkern sein! Wer den Frieden bricht, den soll der Fluch der Götter treffen: Der Krieg aber wird dann weitergehen bis zur Vernichtung.«

Lautlose Stille herrschte auf dem weiten Felde, während Agamemnon den furchtbaren Eid sprach.

Als darauf auch Priamos geschworen hatte, ging er langsam auf seinen Wagen zu, stieg auf und nahm Antenor die Zügel ab.

Noch einmal wandte er sich zu den Kriegern.

»Ich kehre zurück in die Stadt, denn ich mag dem Kampf meines Sohnes nicht zusehen. Die Götter wissen, wem sie Sieg oder Tod zuteilen!«

Hektor blickte dem Wagen nach, der langsam den Hügel hinauffuhr gegen das skäische Tor. Er allein hatte gemerkt, wie müde und kummervoll sein Vater aussah.

Odysseus trat auf ihn zu.

»Lass uns den Kampfplatz ausmessen, edler Hektor!«, sagte er und sie schritten die Länge und die Breite gemeinsam ab.

Dann nahm Hektor den Helm ab und sie taten zwei verschiedene Zeichen hinein: eines für Paris und eines für Menelaos, um auszulosen, wer zuerst die Lanze schleudern sollte.

Abgewandten Gesichtes schüttelte Hektor den Helm: Das Los seines Bruders fiel heraus.

Paris stieß einen leisen Freudenruf aus und Hektor warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

Die Krieger auf beiden Seiten traten zurück. Menelaos und Paris standen einander gegenüber, die Lanze in der Rechten; sie dachten beide an Helena, hassten einander und jeder wünschte dem anderen den Tod.

Mit einem Ruck riss Paris den Arm in die Höhe, beugte sich weit zurück und schleuderte. Die Lanze traf den ehernen Schild des Königs mitten in der Wölbung, aber sie vermochte ihn nicht zu durchdringen; mit umgebogener Spitze fiel sie kraftlos zu Boden.

Jetzt schleuderte Menelaos. Paris trug einen glänzenden Schild mit zierlichen silbernen Buckeln. Der aber vermochte der schweren Lanze und der zornigen Kraft, die sie schleuderte, nicht zu widerstehen: Die lange Spitze fuhr hindurch, zerschnitt an der Hüfte den kunstreich geschmiedeten Harnisch, zerriss auch den Leibrock und nur die Behändigkeit, mit der sich Paris zur Seite geworfen hatte, rettete ihm das Leben.

Als Menelaos begriff, dass er seinen Feind nicht einmal verwundet hatte, riss er das Schwert heraus, sprang mit einem wütenden Satz vor und hieb Paris die eherne Klinge mit aller Macht auf den Helm. Er schrie vor Zorn auf: Das Schwert war in drei Stücke zersprungen und der Helm mit dem Rossschweif unversehrt!

Abermals warf er sich nach vorne, und weil er keine Waffe mehr hatte, packte er den Rossschweif, den der Wind just auf ihn zuwehte, mit beiden Händen und schleifte Paris, der sich vergeblich wütend sträubte, an seinem Helm hinter sich her gegen die Reihen der Achaier.

Der Sieg schien ihm gewiss. Aber – die Sterblichen mögen tun, was sie wollen, wenn die Götter es anders beschlossen haben!

Diesmal war es Zeus Kronions schönste Tochter Aphrodite, die Göttin der Liebe, die Menelaos den Sieg aus den Händen riss: denn sie hatte Paris und Helena unter ihren Schutz genommen.

Sie hatte den Kampf ihres Lieblings sorgsam beobachtet, und als sie jetzt Paris so hilflos fortgeschleift sah, flog sie eilig herbei und zertrennte den Riemen aus Stierhaut, der seinen Helm unter dem Kinn festhielt.

Ein schrecklicher Ruck – und Menelaos, der mit aller Kraft gezogen hatte, stolperte rücklings gegen die Reihen seiner Krieger, den leeren Helm mit dem Rossschweif in den Händen!

Mit einem Wutschrei schleuderte er ihn mitten unter die Achaier, riss einem Mann die Lanze aus der Hand und wollte sich abermals auf Paris stürzen.

Aber – Paris war nicht mehr da!

Wie oft auch Menelaos hin und her lief und zwischen Troern und Achaiern nach ihm suchte – er blieb verschwunden!

Nicht etwa, dass ihn seine Gefährten aus Freundschaft verbargen, nein, keineswegs: denn niemand liebte Paris.

Als alle eine Weile so vergeblich und höchst verwundert nach ihm gesucht hatten, gaben sie es auf und Agamemnon sagte: »Menelaos hat Paris gefangen genommen: Also hat er gesiegt. Es ist nicht seine Schuld, dass der Gefangene verschwunden ist: Das haben wohl die Götter so gefügt. So mögen die Troer Helena herausgeben und eine geziemende Buße bezahlen!«

Die Achaier brüllten laut Beifall und die Troer vermochten nichts zu erwidern, obgleich ihnen dies alles nicht gefiel. – Paris aber befand sich zu dieser Zeit längst in seinem Palast in der Stadt: denn Aphrodite hatte ihn, in einen Nebel gehüllt, vom Schlachtfeld geführt und ihn schnurstracks in sein Schlafgemach gebracht, wo er nun in sehr übler Laune auf seinem Bette lag.

Helena saß neben ihm, denn Aphrodite hatte es ihr befohlen. Aber in ihrer Ratlosigkeit redete sie nicht etwa freundlich mit ihm, sondern verspottete ihn: »Hast du nicht immer geprahlt, du wärest Menelaos an Kraft und Gewandtheit weit überlegen? Aber wo wärest du denn jetzt, hätte dich nicht Aphrodite gerettet? Wahrhaftig, du solltest es noch einmal versuchen, damit ich weiß, wer der Stärkere ist – mein erster Gemahl oder mein zweiter. Aber nein, es ist besser für dich, wenn du in Zukunft Menelaos weit aus dem Wege gehst!«

So redete sie, während sie voll Unruhe darüber nachdachte, was nun wohl mit ihr geschehen würde.

Ilias

Подняться наверх