Читать книгу Parzival - Auguste Lechner - Страница 5
Оглавление1 Als König Gandin von Anschouwe starb, hinterließ er seinem ältesten Sohn Galoës Land, Burgen und Städte. Dem zweiten Sohn Gahmuret aber hinterließ er nichts: Denn so bestimmte es ein altes Gesetz, damit Macht und Reichtum der Könige aus dem Geschlecht der Anschewin niemals geschmälert würden.
So stand Gahmuret am Krönungstag zur Linken des Thrones, auf dem sein Bruder saß, um den Lehenseid der Ritter und Grafen des Landes entgegenzunehmen und sie mit ihren Gütern neu zu belehnen.
Er, Gahmuret, würde nichts erhalten, das wusste er. Aber er war nicht im Geringsten bekümmert oder zornig darüber.
Mit lässiger Neugier beobachtete er das feierliche Schauspiel.
Aber plötzlich wurde er sehr aufmerksam.
Der älteste der Lehensmannen war noch einmal vor den König getreten.
»Herr«, sagte er, »erlaube, dass wir dich um etwas bitten! Es scheint uns nicht recht, dass wir alle unser Lehen erhalten, während dein Bruder leer ausgeht, nur weil –«
Er hielt inne, weil sich Galoës schnell erhoben hatte.
»Du brauchst mich nicht daran zu mahnen, Markgraf!«, sprach er.
»Mein Bruder ist ein Anschewin wie ich. Darum habe ich beschlossen, dass er die Hälfte von allem erhalten soll, was ich besitze.
Auch soll er in der Königsburg wohnen und mein erster Dienstmann sein!«
»Gott bewahre mich!«, stieß Gahmuret erschrocken hervor und es war gut, dass die Ritter so laut Beifall riefen und niemand ihn hörte.
Galoës wandte sich zu ihm herüber. Ja, nun musste er sich wohl für die königliche Gnade bedanken! Aber war es eine Gnade, wenn man dem Löwen seine Freiheit nahm und ihn dafür in einen goldenen Käfig sperrte?
»Ich danke dir, mein Herr und Bruder!«, sagte er höfischen Tones, wie es sich geziemte. »Aber ich mag weder dein noch sonst jemandes Dienstmann sein! Es wäre denn, ich fände einen Fürsten, der größer und mächtiger ist als alle Könige der Christenheit.
Auch gefällt es mir nicht, daheim ein gemächliches Leben zu führen, bis die Gicht mich im Gebein zwickt. Ich muss fort, in die weite Welt hinaus, Kämpfe und Abenteuer zu bestehen!«
Der König starrte ihn an. »Du – du willst fort?«
»Ei freilich!«, meinte Gahmuret unbekümmert. »Und wenn du dein Versprechen wahr machen willst, so gib mir die Hälfte von deiner fahrenden Habe und noch ein paar Knechte dazu, denn mein eigenes Gefolge ist zu gering für einen Ritter wie mich!«
»Du sollst alles haben, was du willst!«, sagte Galoës. »Aber sage mir, wann du wiederzukommen gedenkst!«
Gahmuret zuckte die Achseln und lachte. »Wie soll ich das wissen?
Wenn ich erst einmal im Sattel sitze, steige ich so schnell nicht mehr ab! Es gibt viele fremde Länder, die ich nie gesehen, und viele tapfere Ritter, mit denen ich mich nie im Zweikampf gemessen habe! Ich will über das Meer fahren und an unbekannten Küsten an Land gehen, wo kein befreundetes Gesicht mich empfängt und niemand mir hilft als Gott und ich selbst!«
So begann es.
Wenig später zog Gahmuret fort aus der väterlichen Burg und der Hauptstadt, fröhlich und sorglos mit seinem prächtigen Gefolge von Knappen, Trossbuben, Köchen, Fiedlern und Trommlern; auch der Kapellan war nicht vergessen worden und ritt am Ende des Zuges auf einer sanften Stute hinter den schwer beladenen Saumtieren her.
Sie zogen nach Süden, bis sie ans Meer kamen. In Sibilje mietete Gahmuret eine Kogge mit einem schlauen, geschickten Schiffer. Sie segelten lange ostwärts, legten in vielen Häfen an, erkundeten das Land an den Küsten und erlebten allerlei Abenteuer. Aber Gahmurets wildes Herz trieb ihn immer weiter.
Und je weiter sie nach Osten kamen, desto mehr hörten sie allenthalben in Hafenstädten, auf Burgen und in Herbergen von dem großen Kalifen zu Bagdad erzählen, von dessen Ruhm Abendland und Morgenland voll waren.
»Das ist der Fürst, dem ich dienen will!«, sagte Gahmuret, als er genug hatte, ließ im nächsten Hafen Anker werfen und machte sich mit Mann und Ross auf den Weg nach Bagdad.
Sie ritten durch Wüste und wildes Land, schlugen sich mit Räuberhorden herum, die auf windschnellen Pferden irgendwo hervorbrachen, und erreichten endlich das fruchtbare Gebiet an den beiden großen Flüssen Euphrat und Tigris.
Ein wenig hohlwangig und ausgedörrt von der Wüstensonne, erschien Gahmuret dann eines Tages vor dem Kalifen, der den Königssohn aus dem Abendlande mit großen Ehren empfing.
Und von diesem Tage an begann ein so wildes herrliches Leben voll Kampf und Abenteuer, dass Gahmuret meinte, ja, nun sei er am Ziel aller seiner Wünsche. Er kämpfte mit den Königen von Babylon und Ninive und forderte vor den Toren von Haleb und Damaskus die berühmtesten syrischen Führer zum Zweikampf.
Ipomidon von Babylon wurde geschlagen und floh mit seinem Bruder und dem Rest seines Heeres nach Alexandria. Aber eines Tages erschien Gahmuret mit den Reiterscharen des Kalifen vor den Mauern.
Ipomidon erkannte den glänzenden Ritter mit dem Anker im Wappen sogleich wieder; denn Gahmuret hatte ihn vor Ninive aus dem Sattel gestochen. Das konnte der stolze Fürst nicht vergessen. Wütend spornte er seinen Hengst dem verhassten Feind entgegen. Aber er vermochte auch diesmal Gahmurets furchtbaren Hieben nicht lange zu widerstehen: Er flog aus dem Sattel und die Sinne verließen ihn. Als er wieder zu sich kam, war es still um ihn; er lag mitten unter Toten und Verwundeten und sein Pferd war fort, dieser kostbare Hengst, für den er seinen halben Reichtum geopfert hätte! Ja, den ritt wohl der verfluchte Franke, der ihn zweimal besiegt hatte. Während er sich mühsam aufraffte und fortschleppte, schwor er Gahmuret furchtbare Rache.
Davon ahnte Gahmuret freilich nichts und es hätte ihn auch wenig gekümmert. Er tummelte sich im Kampf und Abenteuer wie ein Fisch im Wasser und nur zuweilen, wenn er nachts in seinem Zelte lag, kamen ihm sonderbare Gedanken: Er, ein christlicher Ritter, kämpfte für den Beherrscher der Ungläubigen! Aber er verjagte diese lästigen Gedanken stets schleunigst; denn er liebte dieses wilde Leben viel zu sehr, als dass er es aufgegeben hätte.
Einer freilich machte sich darüber große Sorgen und das war der Kapellan. Er wäre gerne längst heimgekehrt; aber er musste bei seinem Herrn bleiben, der ihn eines Tages brauchen würde. So blieb ihm nur zu beten, dass Gahmuret in all dem heidnischen Getriebe nicht sein Seelenheil verspielte.
Fast drei Jahre gingen herum. Da schien es dem jungen Fürsten, als würde es immer stiller um ihn, und eines Tages sagte sein Leibknappe Tampanis zögernd: »Herr, mich dünkt, wir haben sehr lange keinen Zweikampf mehr gehabt!«
»Das dünkt mich auch!«, knurrte Gahmuret, »ich möchte wohl wissen, was in die Heiden gefahren ist, dass keiner mehr mit mir kämpfen will! Sogar in der Schlacht weichen sie mir aus, will mir scheinen!«
Tampanis grinste. »Das glaube ich gerne! Sie haben eben zu viel Prügel von dir bekommen und jetzt haben sie es satt! Du bist ein Schrecken für das ganze Morgenland geworden!«
Gahmuret starrte finster vor sich hin. Plötzlich sprang er auf und packte den Knappen an den Schultern. »Weiß Gott, Tampanis, wir sind überhaupt schon viel zu lange hier! Ich muss endlich wieder ehrliche Christenmenschen um mich sehen statt all der Heiden hier! Lass alles bereit machen: In drei Tagen reiten wir!«
»Gottlob!«, sagte der Kapellan inbrünstig, als er es erfuhr. Sein Herr befand sich endlich wieder auf dem rechten Weg! Ja, so hoffte er. Aber an einer fernen Küste wartete schon wieder ein wunderliches Schicksal auf Herrn Gahmuret und es hatte das Gesicht einer schönen dunklen Frau.
Der Kalif ließ den tapferen Frankenritter ungern ziehen. »Du hast dir in meinem Reiche Ruhm erworben wie kein Ritter aus dem Abendlande je vor dir«, sprach er beim Abschied. »Nun willst du also wieder gegen Westen fahren. Du magst es tun. Aber Männern wie dir ist es nicht bestimmt, daheim in Frieden zu leben. Du wirst immer wieder fortmüssen und es wird mich nicht wundern, wenn ich dich eines Tages wiedersehen sollte. Du weißt, dass du mir stets willkommen bist.«
Drei Tage später bewegte sich ein langer prächtiger Zug von Reitern und Saumtieren auf der Straße gegen Westen nach der Küste zu.
Gahmuret hatte immer schon Glanz und Prunk geliebt, kostbare Gewänder, Schmuck an Waffen, Helm und Harnisch und im Morgenland hatte er noch allerlei gelernt.
Wer ihn jetzt sah, mit den vielen schwer beladenen Saumtieren, den herrlichen Beutepferden und dem reich ausgestatteten Gefolge, das unterdessen auf das Dreifache angewachsen war, dem mochten wohl die Augen übergehen vor so viel Pracht und Reichtum.
»Ich bin nur neugierig, wann die ersten Wüstenräuber über uns kommen werden!«, sagte Tampanis, während sie langsam durch den heißen Sand zogen.
Sie brauchten nicht lange zu warten.
Aber es wurde ein recht wunderlicher Überfall.
Irgendwo, mitten in der syrischen Wüste, brach ein Schwarm beutelüstern zwischen den Hügeln hervor und jagte mit gellendem Geschrei auf die Karawane zu.
Aber plötzlich riss der Anführer sein Pferd zurück, dass es sich auf die Hinterhufe setzte: Er hatte Gahmurets Wappen erkannt.
»Der Franke!«, schrie er. »Fort, sonst sind wir alle des Todes!« Und im Handumdrehen war von der ganzen Horde nichts mehr zu sehen als ein paar wehende Rossschweife.
Die Knechte lachten, aber Gahmurets Gesicht war finster. »Es ist wahrhaftig Zeit, diesem Lande den Rücken zu kehren!«, knurrte er. »Selbst die Räuber wollen nicht mehr mit mir kämpfen! Ich wollte, wir wären schon im Hafen und unser alter Schiffer wartete auf uns!«
Manchmal, aber nicht oft, gehen Wünsche auf dieser Welt schneller in Erfüllung, als man gedacht hat.
Als sie in den kleinen syrischen Hafen kamen, den nur wenige Schiffe anliefen, lag da eine große Kogge vor Anker und am Mast hockte der Schiffer und schlief.
»Gott steh uns bei!«, murmelte Tampanis, als er das schlaue verwitterte Gesicht erkannte. »Der alte Spitzbube kann doch nicht drei Jahre auf uns gewartet haben!«
Der Schiffer grinste, als Gahmuret ihn danach fragte. »Ich war gerade von Sibilje zurückgekehrt und handelte mit den Waffenschmieden in Damaskus, da kam einer von diesen schwarzbärtigen Wüstenräubern, um ein Schwert zu kaufen. Er erzählte, dass er dir in der Wüste begegnet sei. Da konnte ich mir ausrechnen, wann du hier sein und mein Schiff brauchen würdest. Du siehst, es war ganz einfach, und auf einen so vornehmen Herrn wartet man gerne!«
Sie segelten zehn Tage westwärts und das Meer war glatt wie Öl und der Himmel wie blaue Seide. Aber am elften Tag schien es, als wollte der Morgen nicht kommen. Dunkel und schwer wie Blei hing der Himmel über dem Wasser, das sich plötzlich in ein unruhiges Gewimmel von kleinen Wellen verwandelt hatte, die mit weißen Kämmen um das Schiff liefen und hüpften. Kein Windhauch fuhr in die Segel, die schlaff am Mast herabhingen, und kein Laut war zu hören außer dem gleichmäßigen Geräusch der Ruder drunten.
Irgendetwas hatte Gahmuret aus dem Schlaf geschreckt. Er stieg auf das Deck und trat neben den Schiffer, der in einer sonderbar gespannten Haltung am Steuer stand.
Als Gahmuret in das zerfurchte Gesicht blickte, überkam ihn jäh das Gefühl einer Gefahr.
»Was befürchtest du?«, fragte er. Der Schiffer sah ihn nicht an.
»Der Tanz wird gleich losgehen!«, sagte er nur und es war keine Spur der gewohnten Unterwürfigkeit mehr an ihm.
Er begann über die Schulter zurück, den Knechten, die an den Masten und an der Brüstung standen und warteten, kurze Befehle zu geben.
Und dann war auf einmal ein sonderbarer singender Ton in der Luft, ein Brausen, nein, eher war es ein dumpfes Donnern, das aus der Höhe herabkam … In diesem Augenblick traf der erste Sturmstoß das Schiff!
Es war, als renne es in voller Fahrt gegen eine unsichtbare Mauer und bäume sich daran empor. Irgendjemand taumelte auf dem plötzlich steil aufragenden Deck gegen Gahmuret und fiel über ihn. Er mühte sich verzweifelt, den schweren Körper von seinem Kopf abzuwälzen. »Geh fort, du erstickst mich ja!«, keuchte er.
»Sogleich, Herr!«, stöhnte der andere und er erkannte Tampanis.
»Ich glaube, mein Kopf ist entzwei und …« Die Stimme erstickte in einem gurgelnden Schrei: Eine riesige Woge, die senkrecht an der Schiffswand emporgestiegen war, brach über das Deck nieder und schwemmte Tampanis zur Seite.
Später merkte Gahmuret, dass er dicht neben dem Steuer an der Brüstung lehnte, er sah den Schiffer mit dem ganzen Leib über dem Ruder hängen. Großer Gott, wie lange würde seine Kraft reichen – und wie lange würde das Steuerruder halten?
Abermals heulte es über sie hinweg. Das große Segel blähte sich wie eine riesige graue Halbkugel vor dem schwarzen Himmel, darin fing sich die ganze Gewalt des Sturmes und riss die schwere Kogge vorwärts, Gott mochte wissen, wohin … Der Mast ächzte, aber er brach nicht. Und das Segel zerriss nicht, es war neu und aus starker Leinwand.
Die Männer auf dem Schiff wussten nichts mehr, nur dass sie sich verzweifelt irgendwo anzuklammern suchten, dass von überall her Wasser über sie niederstürzte und dass das Schiff mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit vorwärtsjagte.
Man muss die Seile durchschneiden, die das Segel halten, dachte Gahmuret undeutlich und versuchte, auf Händen und Knien zum Mast zu kriechen. In diesem Augenblick hörte er ein Geräusch, ein Splittern und Krachen – es war gar nicht besonders laut in all dem Lärm –, aber es ging ihm durch Mark und Bein und er wusste sogleich, es bedeutete das Schlimmste, was geschehen konnte: Das Steuerruder war gebrochen. Und ein steuerloses Schiff war in diesem Sturm verloren!
»Nun mag uns Gott gnädig sein!«, schrie der Schiffer dicht an seinem Ohr. Danach ging alles unter in dem Höllentanz, der jetzt begann.
Keiner hätte später sagen können, ob es eine Stunde dauerte oder den halben Tag.
Aber irgendeinmal erhielten sie einen entsetzlichen Stoß, ein ohrenzerreißendes Knirschen kam aus der Tiefe herauf – und dann lag das Schiff still.
Noch einmal warf sich der Sturm in das Segel, aber eine stärkere Gewalt hielt die Kogge an ihrem Platz fest: Sie lag, eingekeilt zwischen zwei Klippen, die ihre rasende Fahrt beendet hatten.
Nach einer Weile öffnete sich die Luke, die in den Schiffsraum hinabführte, und ein Mann erschien. Man hätte ihn freilich eher für ein Gespenst halten können – aber es war der Kapellan.
Er taumelte über das Deck, das ein wenig schief hing, und kam just im gleichen Augenblick beim Steuer an, als die drei Männer, die da wie ein Bündel nasser Lumpen an der Brüstung lagen, sich zu regen anfingen.
Gottlob, der Sturm schlief allmählich ein und es war wieder so hell geworden, dass er aus dem regellosen Haufen seinen Herrn heraussuchen konnte. Er lehnte Herrn Gahmuret, dem der Kopf wackelte, notdürftig in den Winkel zwischen Wand und Steuerruder, wo er wenigstens nicht umfallen konnte.
Dieser hier war wohl Tampanis, er sah recht befremdlich aus, weil er eine Beule auf der Stirne hatte, so groß wie ein Hühnerei. Der Schiffer war unterdessen schon ohne Hilfe auf die Beine gekommen und fing sogleich an, schwankenden Schrittes an der Brüstung entlang über das Deck zu gehen, um zu sehen, welchen Schaden das Schiff etwa genommen habe. Je weiter er kam, desto mehr hellte sich sein Gesicht auf: Denn es zeigte sich, dass die Klippen nur die dicken Balken der Außenwände aufgerissen, sonst aber keinen Schaden angerichtet hatten.
Als er aber seine Augen der Küste zuwandte, erschrak er. Oh Himmel, wohin waren sie geraten! Langsam und sehr verdüstert, ging er zu den anderen zurück.
Unterdessen kam auch Herr Gahmuret allmählich zu Sinnen, und als er erst einmal begriffen hatte, dass er lebte, wurde sein Herz sogleich wieder leicht und fröhlich: Denn so war er nun einmal beschaffen. Neugierig blickte er sich um.
»He, Tampanis«, sagte er verdutzt, »ist dir mittlerweile ein Horn gewachsen?« Und Tampanis brachte ein bleiches Grinsen zustande.
Gahmuret sah den Schiffer an, der jetzt vor ihm stehen geblieben war. »Schau nicht so grimmig drein! Alles ist doch gut! Sage mir lieber, wo wir sind!«
»Du kannst es selber sehen!«, antwortete der Schiffer missmutig.
»Schau dorthin!«
Gahmuret wandte sich verwundert um. Da sah er, dass sie sich dicht vor einer felsigen Küste befanden, und ein wenig landeinwärts lag eine Burg mit hohen weißen Mauern, Zinnen und Türmen, mit fremdartigem Zierrat an Erkern und Säulen und zierlich geschwungenen Fensterbogen.
Als er das alles sah, kam Gahmuret ein schrecklicher Gedanke.
»Sind wir – sind wir abermals im Morgenlande?«
Der Schiffer lachte. »Nein, wir sind in Hispanien! Und dies ist Patelamunt, die Burg der Sarazenenkönigin Belakane, der alles Land weitum gehört, seit das Heidenvolk über das Meer herübergekommen ist!« Er schnellte plötzlich in die Höhe wie ein zorniger Hahn! »Seht ihr sie? Alle Fenster sind schon voll von den schwarzen Köpfen! Sie werden nicht wenig lachen über uns, weil wir da vor ihrer Nase wie Mäuse in der Falle sitzen!«
Gahmuret sagte nichts. Mit einem sonderbar gespannten Ausdruck blickte er hinüber nach der Sarazenenburg. Dann wandte er sich langsam um, ein strahlendes Lächeln lag auf seinem Gesicht und seine Augen funkelten vor Abenteuerlust.
Unterdessen waren allmählich aus der Luke hohläugige, verschmierte Gestalten aufgetaucht: Knappen, Trossbuben, Schiffsknechte.
»Hört zu!«, sagte Gahmuret, nachdem er sie einen Augenblick neugierig gemustert hatte. »Wir reiten noch heute nach der Heidenburg dort drüben! Nehmt die reichsten Gewänder und das kostbarste Zaumzeug aus den Truhen und sattelt die schönsten Pferde. Jeder Einzelne von euch muss aussehen wie ein Fürst!«
Was half es, dass der Kapellan heimlich die Hände rang über so viel weltliche Eitelkeit?
Eine Stunde später ritt die prächtigste Gesellschaft, die man je gesehen hatte, über die ausgelegte Brücke ans Land und auch der Kapellan musste wohl oder übel hinter seinem Herrn herreiten.
Sie ließen die Felsen der Küste hinter sich, und als sie auf die weite sandige Heide vor der Burg hinauskamen, hielt Tampanis, der das Wappen vorantrug, mit einem Ruck sein Pferd an. »Herr, es stehen viele Zelte da«, sagte er verwundert.
Gahmuret hatte es schon selbst gesehen. Ein kleines Heerlager erstreckte sich rings um die Burg; nur der Weg dem Meer zu war frei. Gahmuret überlegte schnell: Sie waren ohne Harnisch und andere Waffen als ihre kurzen Schwerter! Wie, wenn die unbekannten Krieger aus den Zelten sie angriffen, oder auch, wenn es den Sarazenen nicht gefiel, dass er ihre Königin besuchen wollte?
Aber jetzt war es zu spät, sich darüber Sorgen zu machen, dachte er trotzig.
»Vorwärts!«, befahl er. »Wir reiten in die Burg!«
Der kohlschwarze Hengst tänzelte durch den Sand, dass kleine Wolken unter seinen Hufen aufstoben. Es war Ipomidons Hengst, den er dem Babylonier vor Alexandria abgenommen hatte.
Auch der Kapellan trieb seine Stute ein wenig an und dachte traurig darüber nach, warum wohl Gott sie nicht an der Küste eines christlichen Landes an die Klippen geworfen hatte, anstatt sie abermals den Heiden auszuliefern.
Er fuhr zusammen, als vor ihm Gahmuret sein Pferd zurückriss, dass es kerzengerade in die Höhe stieg. Und als er dem Blick seines Herrn folgte, da erschrak er noch mehr. Ja, nun hatte eine neue Gefahr begonnen: Denn droben auf einem der zierlichen Söller war eine Frau erschienen.
Ihr Gesicht war dunkel und in ihrer Haltung lagen Stolz und lässige Anmut. Sie schien selbst dem armen Kapellan so schön, dass er jegliche Hoffnung aufgab, dies alles könnte für seinen Herrn noch ein gutes Ende nehmen.
Die Frau war die Maurenkönigin Belakane und drunten vor dem Tor hielt der junge Ritter Gahmuret und starrte wie verzaubert zu ihr hinauf.
Hinter der Königin war ein Mann auf den Altan hinausgetreten. Eigentlich war es eher ein Zwerg und auf seinen hohen Schultern saß ein viel zu großer Kopf. Aber was ihm an Größe und Schönheit gebrach, das ersetzte er durch Klugheit. Belakane nahm an, dass er alles wusste, und er enttäuschte sie selten.
»Wer ist dieser Fürst?«, fragte sie, ohne den Kopf nach ihm zu wenden.
»Ich habe das Wappen mit dem Anker vor Alexandria gesehen!
Es gehört dem fränkischen Königssohn, der im Heere des Kalifen kämpfte und Wunder an Tapferkeit vollbrachte! Es sieht fast so aus, als sollten wir noch einmal Glück haben, Herrin: Denn wenn du diesen Ritter dazu bewegen könntest, für dich zu kämpfen, so wären wir vielleicht mit einem Mal alle unsere Feinde los!«
»Er wird nicht für mich kämpfen wollen, da er ein Christ ist«, sagte sie finster.
Er lächelte schlau. »Er hat auch für den Kalifen gekämpft, und wenn ich ihn so betrachte, will mir scheinen, dass es dir nicht allzu schwerfallen sollte, seine Dienste zu gewinnen. Diese Christenritter haben alle einen Eid geschworen, den Schwachen und Bedrängten zu helfen. Bist du etwa nicht eine schwache Frau, ringsum von Feinden bedroht?«
Sie sah ihn nachdenklich an. »Vielleicht hast du recht und dieser Franke könnte unsere Rettung sein. Was rätst du mir also?«
»Ich rate dir, ihn nicht länger da drunten warten zu lassen!«, antwortete er. »Ich werde hinabgehen und ihn samt seinem Gefolge von Milchgesichtern und dem Pfaffen in die Burg geleiten. Was du ihm dann erzählen sollst, brauche ich dir ja nicht zu sagen!«
So kam es, dass drunten alsbald das Tor aufflog und der Bucklige mit großer Beflissenheit dem vornehmen Gast entgegentrat.
Zwar missfiel Gahmuret der Bursche und seine schmeichlerische Art; aber er war gewiss ein großer Herr am Hofe dieser märchenhaft schönen Königin …
»Ich bin Lachfilirost Schachtelakunt, der Marschalk der Königin«, sagte der Sarazene auch sogleich.
Gahmuret seufzte erschrocken. »Lach… wie hast du gesagt, edler Marschalk?«
Aber eine kleine Weile darauf hatte er den Namen und den Marschalk und alles Übrige auf der Welt vergessen.
Er saß droben in diesem verzauberten Saal auf seidenen Kissen und neben ihm saß die Königin. Er horchte auf ihre singende Stimme und sah ihre schönen, ein wenig traurigen Augen und es war Herrn Gahmuret so seltsam zumute wie noch nie in seinem jungen Leben.
»Ich hatte Angst, als ich am Morgen dein Schiff draußen in den Klippen liegen sah«, sprach die Königin und lächelte mit traurigen Augen. »Ich dachte, nun kämen meine Feinde auch noch über das Meer, um mich zu bedrängen: Denn Gäste sind schon lange nicht mehr in dieser Burg eingekehrt. Alle meiden und verfolgen mich.
Sie – sie sagen, ich sei schuld an Herrn Isenharts Tod!«, fügte sie hinzu, während die schwarzen Samtaugen flink hinter den langen Wimpern verschwanden.
Gahmuret horchte auf. Herr Isenhart? Er hatte einmal eine Geschichte gehört von diesem Ritter Isenhart und einer Sarazenenfürstin …
Aber sie fuhr schon fort: »Sie tun mir unrecht! Ich habe seinen Tod nicht gewollt. Er kam vom Norden herab und sagte, er liebe mich sehr und begehre mich zur Gemahlin. Aber wie sollte ich wissen, ob er mich wirklich so sehr liebte? Da bestand er viele Kämpfe für mich, um es mir zu beweisen! Er siegte immer. Ich sagte ihm, das käme nur daher, weil sein Schwert und seine Rüstung so gut seien. Er ging traurig und zornig fort. Am nächsten Morgen ritt er ohne Harnisch und mit einem ganz gewöhnlichen Schwert gegen den berühmtesten Krieger meines Volkes zum Zweikampf. So starb er. Sage mir, Herr Gahmuret, es ist doch nicht wahr, dass ich ihn in den Tod gejagt habe?«
Nein, niemand konnte trauriger und unschuldiger aussehen als Belakane und so sagte denn auch der junge Held Gahmuret mit tröstlichen Worten, Herr Isenhart sei wahrhaftig völlig närrisch gewesen, ohne Harnisch zum Zweikampf anzutreten, und niemand dürfe darum die Königin anklagen.
Ein sonderbarer Ausdruck glitt über ihr Gesicht, fast wie Spott.
Aber er merkte es nicht: Denn sie hatte seine Hand ergriffen und zog ihn mit sich auf den Söller hinaus.
»Schau hinunter!«, sagte sie. »Isenharts ganze Sippe ist gekommen, um mich anzuklagen und zu bestrafen. Sie wollen mich zwingen, das Land zu verlassen. Sie fordern meine besten Krieger zum Kampf. Die Burg ist schon voll von Verwundeten und viele sind getötet worden.«
Gahmuret starrte auf das Heerlager hinab. »Mir scheint, die ganze abendländische Ritterschaft ist hier versammelt«, murmelte er verdutzt, als er die vielen wohlbekannten Wappen über den Zelten gewahrte.
Einen Augenblick wurde ihm doch recht unsicher zumute und etwas wie Misstrauen beschlich ihn. Er warf einen schnellen Blick in das Gesicht der Königin. Aber ach – sie war so schön und Herr Gahmuret war so jung –, wie konnte es da gut für ihn ausgehen?
Und als sie jetzt mit ihrer traurigen Stimme sagte: »Bald werde ich niemanden mehr haben, der für mich kämpft« – da rief er: »So will ich für dich kämpfen, Herrin!«
Und weil er das nun einmal versprochen hatte, musste sein Schicksal weiter seinen Lauf nehmen.
»Ich danke dir!«, sagte sie und sah ihn aus glänzenden Augen an.
Und plötzlich fügte sie hinzu: »Ich habe einen Eid geschworen, den Ritter, der mich von meinen Feinden befreit, zum Gemahl zu nehmen!«
Belakane log: Denn sie hatte es erst in diesem Augenblick beschlossen, weil ihr der junge tapfere Frankenritter gefiel. Gahmuret aber meinte, ein größeres Glück könnte es für ihn nicht geben!
Spät am Abend, als die Königin mit den Mägden nach ihren Gemächern gegangen war, brachte der Marschalk die Knappen in einen weit entfernten Saal in einen anderen Teil der Burg. Den Kapellan aber führte er über viele Treppen und Gänge in eine Turmkammer und empfahl sich mit tiefen Bücklingen. Und der arme Kapellan fragte sich bedrückt, wie er in dieser riesigen Burg seinen Herrn wiederfinden sollte, wenn er ihn etwa brauchte.
Gahmuret aber war unterdessen schon mit dem Buckligen fortgegangen.
»Dich selbst bitte ich mit meinem ärmlichen Hause vorliebzunehmen«, sagte Lachfilirost Schachtelakunt: Er wollte den kostbaren Gast nicht mehr aus den Augen lassen, ehe er sein Ziel erreicht hatte.
Das ärmliche Haus war in Wirklichkeit freilich ein herrlicher Palast und das Schlafgemach, in das der Marschalk ihn führte, war mit aller Pracht des Morgenlandes ausgestattet.
Aber Gahmuret lag auf dem Ruhebett aus seidenen Teppichen und weichen Polstern und fand keinen Schlaf. Er dachte an die Königin und an die Kämpfe, die ihm morgen bevorstanden.
Endlich erhob er sich wieder, sah nach den Sternen und merkte, dass es schon drei oder vier Stunden nach Mitternacht sein musste. Und weil er doch keine Ruhe finden konnte, meinte er, er könnte ebenso gleich zum Schiff reiten, um die Rüstung anzulegen und seine Waffen zu holen, damit er, wenn es hell wurde, schon zum Kampf bereit war.
Denn Belakane hatte ihm gesagt: »Jeden Morgen kommen einige von ihnen vor das Burgtor geritten. Sie tragen eine Fahne, darauf ist das Bild eines Ritters mit einem Speer in der Brust. So mahnen sie mich Tag für Tag an Isenharts Tod und warten, ob einer meiner Krieger für mich kämpfen will!«
Herr Gahmuret war sehr zornig über die Männer, die eine wehrlose Frau so sehr quälten. Nun, morgen würde es ein Ende haben, dachte er, während er leise das Schlafgemach verließ. Er ging hinab zu den Ställen, weckte einen Knecht, der im Stroh schlief, befahl ihm, seinen Hengst zu satteln, und ritt gleich darauf zum Tore hinaus.
Als er zum Strand kam, saß der Schiffer droben auf dem Mast und hielt Ausschau. Jetzt fuhr er flink herunter und rannte über die Brücke ans Land.
»Gottlob, dass du da bist, Herr!«, schrie er. »Ich habe vor lauter Angst die ganze Nacht kein Auge zugetan: Ich fürchtete schon, die Heiden hätten euch allen den Garaus gemacht! Bedenke, Herr, was hätte ich dann mit deinen Schätzen anfangen sollen!«
Gahmuret lachte. »Du hättest mich beerben können, alter Spitzbube, dann wärest du deiner Lebtage ein reicher Mann! Aber jetzt hilf mir, meine Rüstung anzulegen, ich muss sogleich wieder fort!«
»Fort? Wohin willst du denn so allein? Das ziemt sich doch nicht für einen vornehmen Herrn wie dich!«
Gahmuret lief schon über die Brücke. »Mach dir keine Sorgen: Ich kehre zurück in die Burg, weil ich versprochen habe, für die Königin zu kämpfen.«
»Was?«, schrie der Schiffer und packte vor lauter Entsetzen den Ritter, der doch gewiss den Verstand verloren haben musste, am Mantel. »Was hast du gesagt, Herr? Du willst kämpfen für die – für die Sarazenin?«, fragte er ganz schwach.
»Nun ja, was geht es dich an? Lass mich lieber los!« Gahmurets Stimme klang unmutig.
Von da an redete der Schiffer nichts mehr. Stumm half er Gahmuret, die Rüstung anzulegen. Er trottete hinter ihm aufs Deck und über die Brücke und hielt den Hengst am Zügel.
»Herr«, sagte er, ohne Gahmuret anzusehen, »es ist schade um dich und du hast mich sehr enttäuscht. Aber ich habe nun einmal einen solchen Narren an dir gefressen, dass ich dir dennoch treu bleiben will. Ich kehre heim nach Sibilje, sobald mein Schiff wieder in See stechen kann. Eines Tages wirst du meine Dienste wieder brauchen: Dann weißt du, mich zu finden. Gehab dich wohl, Herr!«
Damit ging er auf das Schiff zurück, ohne sich noch einmal umzusehen.
Gahmuret warf den Hengst herum und jagte zur Burg.
Er war nicht mehr weit vom Tore entfernt, da sah er von den Zelten herüber ein paar Reiter kommen. Voran ritt ein Knappe, der eine Fahne trug: Darauf war das Bild eines Ritters mit einer Lanze in der Brust.
Gahmuret sah es voll Ingrimm. Er lenkte sein Pferd vor das Tor, wandte sich den Fremden zu, schloss den Helm und senkte den Ger.
Er merkte, wie sie stutzten. Aber sie ritten weiter und er betrachtete sie neugierig. Den gewaltigen Recken mit dem roten Bart kannte er: Es war Hüteger von Schottland. Der zweite musste Gaschier, der Normanne, sein, der führte das Meerungeheuer im Wappen. Und der dritte – ja, nun wurde es wohl schwierig für den jungen Helden Gahmuret: Denn der dritte trug den Schild mit dem Vogel Strauß und war Kaylet von Toledo, sein eigener Vetter! Die drei Ritter näherten sich zögernd und musterten den einsamen Recken am Tor mit Verwunderung.
»Hat die Sarazenin wieder einen Narren gefunden, der sich für sie den Schädel zerbläuen lassen will?«, knurrte Hüteger. »Aber schaut einmal genau hin: Wenn der dort ein Maure ist, dann will ich selber, bei Gott, auch einer sein! Aber wie kommt der Franke hierher?«
»Hast du die Kogge vergessen, die draußen in den Klippen liegt?«, rief Kaylet. »Das ist gewiss der aufgeputzte Fant, der gestern mit großem Gefolge in die Burg geritten ist!«
»Seht ihr den Anker auf seinem Schild?«, sagte Gaschier nachdenklich. »Ich habe vergessen, wem er gehört: Aber es muss ein sehr edles Geschlecht sein.«
Hüteger schüttelte den Kopf. »Einerlei! Wenn er für die Heidin kämpfen will, soll er seinen Kampf haben.« Und er spornte sein Ross.
Gahmuret hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Ipomidons schwarzer Hengst schnellte nach vorne wie ein Pfeil. Sie jagten über den Sand aufeinander zu … als sie zusammenprallten, zersplitterte Hütegers Lanze und der gewaltige Ritter flog rücklings aus dem Sattel. In seinem Arm stak Gahmurets Ger. Aber er war im selben Augenblick wieder auf den Beinen, als Gahmuret vom Pferde sprang.
Er riss den Ger aus der Wunde und warf ihn fort. Dann öffnete er den Helm. Sein Gesicht war feuerrot von dem Sturz und auch vor Zorn.
»Wer hat mich überwunden?«, fragte er barsch.
»Ich bin Gahmuret Anschewin«, antwortete der junge Recke höflich.
Hütegers graue Augen blickten keineswegs freundlicher.
»So, du bist also Gandins Sohn? Ich möchte wohl wissen, wie deinem Vater der Dienst gefiele, den du dir da ausgesucht hast! Und was verlangst du nun also von mir, da du mich besiegt hast?«
»Ich bitte dich, kehre mit allen deinen Rittern heim und lass die Königin in Frieden!«, sagte Gahmuret.
Jetzt sah Hüteger beängstigend aus. »Bist du toll?«, knirschte er und es schien, als wollte er sich mit den Fäusten auf seinen Gegner stürzen.
»Ich bitte dich bei deiner Ritterehre«, wiederholte Gahmuret ernst.
Da trat Hüteger zurück. Er wusste, dieser junge Narr hatte recht: Er hatte für die Sarazenin gekämpft und gesiegt. Und der Besiegte musste tun, was der Sieger verlangte.
»Du hast mein Ritterwort!« Hüteger wandte sich ab und stieg auf sein Pferd. Er grüßte Gahmuret nicht, als er davonritt.
Die beiden anderen hatten es mit angesehen, ohne sich zu rühren.
Jetzt legte Gaschier, der Normanne, den Ger ein: Er sprengte, seines Sieges gewiss, heran, denn er war ein berühmter Kämpfer.
Aber als er seine Sinne wiederfand, lag er hinter seinem Ross im Sand und dieser sonderbare Gahmuret sagte höflich: »Ich bitte dich, reite zurück zu den Recken, die mit dir gekommen sind, und nimm sie mit dir fort!«
Was hätte Gaschier da anderes tun können?
Es war alles so schnell gegangen, dass Kaylet schon wütend heranjagte, ehe Gahmuret noch Zeit hatte nachzudenken, was er denn nun um Gottes willen tun sollte. Er konnte doch nicht seinen eigenen Vetter vom Pferde stechen! Und weil ihm ganz und gar kein Ausweg einfiel, riss er in dem Augenblick, als Kaylet zum Stoß ansetzte, seinen Hengst herum und drückte ihm die Sporen ein, dass er mit einem wilden Satz zum Burgtor hineinschoss.
Kaylet stieß einen Wutschrei aus. Was fiel dem Burschen ein, einfach davonzulaufen?
»Bleib stehen, wenn du nicht der größte Feigling unter der Sonne bist!«, brüllte er.
Aber Gahmuret war schon verschwunden und blieb auch verschwunden.
Da wendete Kaylet wohl oder übel sein Pferd und ritt zu den Zelten zurück. Der Erste, der ihm begegnete, war Hüteger. Er grinste grimmig. »Hat er dich auch schon aus dem Sattel gehoben?«
»Keineswegs!«, antwortete Kaylet erbost. »Der feine Herr in Seide hat Reißaus genommen!«
»Was?«, schrie Hüteger. »Und der will ein Ritter sein?« Aber plötzlich starrte er Kaylet sehr verblüfft an. Dann begann er zu lachen.
»Großer Gott!«, stieß er hervor, »ich hatte es ganz vergessen! Dein Vetter Gahmuret konnte dich doch nicht um dieser Heidin willen vom Pferde stechen!«
Kaylet wurde bleich vor Zorn. »Ist es – ist es mein Vetter Gahmuret Anschewin? So muss ich ihn –«
Hüteger erwischte ihn gerade noch am Mantel, als er davonstürzen wollte. »Lass ihn! Eines Tages wird er wieder zu Verstande kommen! Und die Sarazenin soll nicht darüber lachen, dass Verwandte sich ihretwillen entzweien!«
»Du hast recht!«, gab Kaylet widerwillig zu. »Eines Tages werde ich ihm wieder begegnen. Aber jetzt wollen wir fort von hier! Ich habe es gründlich satt, jeden Morgen diese schwarzen Gesichter aus den Fenstern glotzen zu sehen!«
Zur selben Stunde erhob sich droben in seinem Palast Herr Lachfilirost von seinem Lager und begab sich zum Schlafgemach seines Gastes, um ihn zu wecken. Aber als er den Vorhang zurückschlug, war das Schlafgemach leer und der Gast war fort. Dem Marschalk stieg es siedend heiß in den dicken Kopf. Hatte sich der Fremde heimlich aus dem Staub gemacht? Dann – dann wäre er selber ein geschlagener Mann! Denn die Königin hatte ihn gestern noch spät in der Nacht rufen lassen und ihm kurzerhand gesagt: »Der Franke gefällt mir! Ich will ihn zum Gemahl nehmen. Du haftest mir mit deinem Kopf für sein Wohlergehen und dafür, dass er den Palast nicht verlässt.«
Er wusste, wenn die Königin so redete, war es stets bitterer Ernst, sogar für den unentbehrlichen Marschalk.
Herr Lachfilirost rannte. Er rannte zum Stall hinunter und packte den erstbesten Pferdeknecht am Kittel. »Hast du den Frankenritter gesehen?«
»Ja, Herr«, sagte der Knecht erschrocken. »Er kam in aller Frühe in den Stall, befahl mir, seinen Hengst zu satteln, und ritt fort!«
Lachfilirost lief zum Tor. »Wo ist der Frankenritter?« Der Wächter erbleichte, als er das Gesicht des Marschalks sah. »Oh Herr, er kam ans Tor und gebot mir zu öffnen – dann ritt er fort in Richtung Meer…«
Er hielt verdutzt inne: Der Marschalk hatte sich schon umgedreht und ging langsam mit gesenktem Kopf zur Burg zurück.
Ja, nun half es nichts – er musste der Königin die üble Botschaft bringen, ob er wollte oder nicht!
Belakane war nicht im Saal, aber er hörte sie draußen auf dem Altan reden. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und bemerkte ihn nicht: Sie sprach und lachte und schien sehr fröhlich. Nun, das würde sogleich ein Ende haben!
»Frau Königin«, sagte er hastig, »verzeihe mir, aber der Frankenritter ist fort …« Er verstummte plötzlich: Denn in diesem Augenblick sah er Gahmuret. Belakane wandte sich überrascht um. Ein strahlendes Lächeln zog über ihr Gesicht. »Herr Marschalk, du siehst, dein Gast ist wieder zurückgekommen. Und während du noch schliefst, hat er mit unseren Feinden gekämpft und sie besiegt. Schau hinüber: Sie brechen schon die Zelte ab!«
Und ehe er noch ein Wort zu sagen vermochte, fuhr sie fort: »Du wirst gleich wieder gehen müssen, Herr Marschalk, denn es erwartet dich viel Arbeit. In sieben Tagen soll meine Hochzeit mit Herrn Gahmuret sein.«
Lachfilirost verschwand wortlos und Gahmuret blieb und meinte wieder einmal, ja, nun sei er am Ziel seiner Wünsche. –
In der Turmkammer, wo er wie in einem prächtigen Gefängnis lebte, hörte es der Kapellan von den Dienern.
»Führt mich zu Herrn Gahmuret!«, sagte er darauf. Aber sie machten allerlei Ausflüchte und er bekam seinen Herrn nicht zu sehen, auch am nächsten und am übernächsten Tag nicht.
Am sechsten Morgen wartete er vor Gahmurets Schlafgemach. Er sah abgehärmt aus und Gahmuret wäre ihm lieber nicht begegnet.
»Herr, du kannst die Heidin nicht zur Gemahlin nehmen!«, sagte der Kapellan.
Gahmuret blickte an ihm vorbei. »Sie wird den Christenglauben annehmen!«, sagte er unwillig.
Der Kapellan schüttelte traurig den Kopf. »Ich bin sicher, dass sie das nicht tun wird.«
»So kann ich dir nicht helfen!«, beschied ihn Gahmuret kühl.
Also hielt Herr Gahmuret Anschewin Hochzeit mit Belakane nach ihrer Sitte und wurde König im Sarazenenreiche in Hispanien.
Aber oft beginnen die Dinge, wenn sie geschehen sind, plötzlich oder allmählich ein anderes Gesicht anzunehmen als vorher.
Bald nach der Hochzeit schien es Gahmuret, es wäre doch nicht alles so, wie er es wünschte.
Es war so still an diesem Hofe. Niemals kamen ritterliche Gäste von anderen Burgen. Nur Mauren jagten durch die Tore aus und ein.
Im ganzen Abendlande schien sich niemand mehr an Herrn Gahmuret zu erinnern und das verdüsterte sein Gemüt.
Zwar liebte er seine schöne Gemahlin wie zuvor, aber sein wildes Herz ließ ihm auch jetzt keine Ruhe. Immer mehr sehnte er sich nach Abenteuern und nach dem fröhlichen Leben an Fürstenhöfen unter seinesgleichen.
Wenn er zu Belakane davon redete, dass sie doch den Christenglauben annehmen möge, schüttelte sie den Kopf und ihre weiche Stimme sagte: »Nein, mein Gemahl, darum sollst du mich nicht bitten!« Und er wusste, dass es vergebens war.
So vergingen drei Monde, da zwang ihn sein wildes Herz und er ritt eines Tages nach Sibilje und suchte den Schiffer. Der fragte nur, als hätte er ihn längst erwartet: »Wann willst du reisen, Herr?« Und sie verabredeten, dass die Kogge in der dritten Nacht draußen vor den Klippen liegen sollte. »Ich werde deine Schätze, die ich getreulich in meinen Kellern verwahrt habe, auf das Schiff bringen lassen«, fügte der schlaue Bursche hinzu, »du wirst sie brauchen, da du ja heimlich fortmusst und nichts mitnehmen kannst.« –
So ritt Gahmuret am Abend des dritten Tages fort von Burg Patelamunt mit seinen Knappen und dem Kapellan, genau wie sonst, wenn er nach seiner Gewohnheit stundenlang das Land durchstreifte.
Auf einem Umweg erreichten sie die Küste. Die Kogge lag schon da.
»Wohin soll ich segeln, Herr?«, fragte der Schiffer.
»Wohin der Wind uns treibt!«, antwortete Gahmuret und es war ihm so leicht zu Sinne wie schon lange nicht. –
Es war noch nicht Morgen, als die Königin erwachte. Aber sie stand auf, als sie gewahr wurde, dass Gahmuret nicht da war.
Zwar geschah es öfters, dass ihn seine Unrast nachts forttrieb: Aber diesmal fühlte sie, war es anders.
Sie wusste es, noch ehe sie Gahmurets Brief fand.
In diesem Brief aber stand: »Ich bitte dich, mir zu verzeihen. Aber ich muss fort. Ich werde immer wieder fortmüssen: Gott weiß, warum ich so unsteten Wesens bin. Wenn ich kann, will ich eines Tages zurückkehren.«
Belakane tobte, schrie und weinte und versetzte das ganze Gesinde vom Marschalk bis zum Stallbuben in Angst und Schrecken. Sie zerriss die seidenen Polster und schlug die Mägde.
Allmählich aber schickte sie sich darein, dass ihr berühmter Gemahl zu neuen Abenteuern ausgezogen war und eines Tages noch berühmter heimkehren werde.
Zu ihrer Zeit brachte die Königin einen Sohn zur Welt. Es war ein merkwürdiges Kind: Seine Haut war weder hell noch dunkel, sondern auf eine wunderliche Weise gefleckt und auch das Fellchen auf seinem Kopf bestand aus helleren und dunkleren Haarbüscheln.
Sie nannte den Knaben Feirefiss und war stolz darauf, dass er aus dem Königsgeschlecht von Anschouwe stammte.
Aber als der Knabe fünf Tage alt war, befiel sie ein hitziges Fieber und daran starb sie.
Gahmuret war zu dieser Zeit fort in den Ländern jenseits des Nordmeeres und es verging ein Jahr, ehe er die Nachricht erhielt.
Danach dauerte es noch lange, bis er wieder nach Hispanien kam.
Er hatte den guten Willen, sich seines Sohnes nach Pflicht und Schuldigkeit anzunehmen. Aber es war ihm nicht bestimmt, jemals nach Patelamunt zurückzukehren.