Читать книгу Parzival - Auguste Lechner - Страница 6
Оглавление2 Es half nichts, dass der Himmel wie blaue Seide war, dass die Sonne schien und die Luft immer linder wurde, während sie vor der Küste des Frankenreiches gen Süden segelten.
Gahmuret wartete vergebens darauf, dass die sonderbare Traurigkeit ihn endlich verlassen möchte, die ihn gefangen hielt seit – er wusste nicht mehr, wie lange schon.
Zuerst meinte er, die graue Schwermut der Nebelländer sei schuld daran. So bestieg er sein Schiff samt all dem wunderlichen Volk, das sich allmählich um ihn gesammelt hatte, und fuhr südwärts.
»Herr«, sagte der Schiffer, »bald wird meine Kogge deinen Tross nicht mehr zu fassen vermögen. Wenn wir nach Hispanien kommen, werde ich zu einem Schiffsbauer gehen müssen und ein größeres Fahrzeug bauen lassen!«
»Und wie viel Beutel Goldes gedenkst du, von mir dafür zu bekommen?«, fragte Gahmuret spottend.
Das verwitterte Gesicht des Schiffers verzog sich zu einem schlauen Grinsen. »Oh, du bist immer ein freigebiger Herr gewesen, darum kann ich das ruhig dir überlassen!«
Gahmuret nickte ihm grimmig zu. »Jaja, du hast ganz recht, alter Spitzbube! Es lässt sich gut leben, wenn man einen reichen Herrn hat: Dem läuft das Volk zu wie die Mäuse einem Kornsack.«
Der Schiffer warf seinem übellaunigen Herrn einen schielenden Blick zu, zog den Kopf ein und machte sich davon. Er hätte gern gewusst, warum ein berühmter, reicher und vornehmer Mann so übler Laune sein konnte. Aber das wusste Gahmuret selber nicht. Er stand an der Brüstung und starrte hinüber nach dem Land. Just gegenüber mündete der große Fluss, der auch durch Anschouwe floss; und wenn er wollte, konnte er jetzt Anker werfen lassen und zu der Hauptstadt reisen, wo sein Bruder Hof hielt.
Aber er tat es nicht: Denn es schien ihm ganz und gar nicht sicher, wie ihn Galoës aufnehmen würde. Vielleicht konnte der christliche König ihm nicht verzeihen, dass er die Sarazenin zur Frau genommen hatte. Und vielleicht wollten er und seine Sippe und die ganze abendländische Ritterschaft nichts mehr von dem Abtrünnigen wissen.
Als er dies dachte, überkam Gahmuret zum ersten Mal in seinem Leben eine so furchtbare Einsamkeit, dass er es nicht mehr ertragen konnte, und da fasste er einen Entschluss: »Ich muss Gewissheit haben«, sagte er trotzig zu sich. »Ich will zu meinem Vetter Kaylet reiten. Es müsste doch merkwürdig zugehen, wenn ich am Hofe von Toledo, wo Ritterschaft in höchstem Ansehen steht, nicht mit Ehren aufgenommen würde! Und, bei Gott, sie sollen das Wundern lernen!«
So warfen sie Anker an der Mündung des Flusses, an dem weit landeinwärts die Hauptstadt Toledo lag.
Gahmuret stieg selbst mit Tampanis und ein paar Knechten in den Schiffsraum hinab, ließ die Truhen öffnen und verteilte ihren kostbaren Inhalt freigebig an seine Leute, obgleich Tampanis verdrießlich etwas von »Mummenschanz« und »Fastnachtsnarren« vor sich hin murmelte. – Am nächsten Morgen setzte sich ein langer Reiterzug flussaufwärts in Bewegung. Aber, lieber Himmel, er glich viel eher dem Aufzug eines prunksüchtigen morgenländischen Fürsten als dem Gefolge eines fränkischen Ritters! Nicht einmal Ipomidon von Babylon oder selbst der Kalif konnten größere Reichtümer zur Schau stellen, dachte Tampanis, während er den Zug an sich vorüberreiten ließ und missmutig dieses Kriegsvolk musterte, das aus aller Herren Länder zusammengelaufen schien.
Hinter den Saumtieren ritt allein, unbedeckten Hauptes in seinem härenen Gewand der Kapellan und der Wind wehte durch sein Haar, das in diesen Jahren weiß geworden war.
Der Schiffer stand auf dem Deck, drehte seine lederne Kappe hin und her und starrte kopfschüttelnd dem Zuge nach. »Allzu viel ist ungesund und nimmt kein gutes Ende!«, knurrte er und stieg in den Schiffsraum hinab, um nachzusehen, ob in den Truhen noch genug übrig geblieben war, dass er keinen Schaden erlitte, wenn sein Herr etwa nicht wiederkäme. –
Aber noch einmal sollte Gahmuret zurückkehren: Nur dauerte es abermals sehr lange. Denn als sie nach Toledo kamen, war Kaylet nicht da. Ein alter Ritter begrüßte sie am Burgtor.
»Du warst lange in der Fremde, Herr Gahmuret«, sagte er. »So kannst du nicht wissen, dass König Kaylet und fast alle unsere Lehensmannen und Gäste nach Konvoleis geritten sind zu dem großen Turnier, das die Königin Herzeloide ansagen ließ.«
Ja, da hielt also Herr Gahmuret in all seiner Pracht und Herrlichkeit und fühlte sich sehr enttäuscht, weil niemand da war, ihn zu bewundern. Aber dieses Turnier – wer weiß …
»Die Königin Herzeloide, sagst du?«, wiederholte er nachdenklich.
Er hatte viel über diese Königin gehört, die so jung und schön sein sollte und über zwei Reiche weit droben im Norden herrschte. Aus dem ganzen Abendlande kamen Fürsten in ihre Hauptstadt Konvoleis geritten, um sie zu werben und König von Waleis und Norgals zu werden. Aber keiner gefiel ihr und zuletzt sagte sie jedem mit ihrem lieblichen Lächeln: Nein, sie wolle noch keinen Gemahl nehmen und es tue ihr leid, dass sie umsonst gekommen seien. So zogen sie wieder fort, schwarze Trauer im Herzen um die schöne Königin und die beiden reichen Länder.
»Ja«, fuhr der Ritter fort, »ihre Edlen hielten ihr so lange vor, sie müssten wieder einen König haben, bis sie endlich einwilligen musste. So ließ sie verkünden, wer bei dem großen Turnier zu Konvoleis die meisten Gegner aus dem Sattel werfe, der solle ihr Gemahl und König sein. Ich habe gehört, dass fast die ganze Ritterschaft der Christenheit da droben versammelt ist. Aber sie kommen auf keinen grünen Zweig, scheint mir; denn kaum hat einer seinen Gegner vom Pferde gestochen, so ist schon ein anderer da und bereitet ihm das gleiche Schicksal!«
Gahmuret saß ganz still da. Aber als Tampanis sich nach seinem Herrn umsah, erschrak er: Dieses Gesicht und dieses Funkeln in den Augen – das kannte er!
Ja, da kam es schon!
»Ich danke dir, edler Ritter«, sagte Herr Gahmuret strahlend. »So will ich also nach Konvoleis reiten! Gehab dich wohl!« Im nächsten Augenblick hatte er seinen Hengst auf den Hinterbeinen herumgerissen und jagte wieder die Gasse zurück. Nein, es war zuzeiten nicht leicht, Herrn Gahmurets Leibknappe zu sein, dachte Tampanis bitter.
Sie ritten und ritten und Konvoleis schien am Ende der Welt zu liegen und der Einzige, den das nicht verdross, war Gahmuret. Und als sie endlich die grauen Mauern, die dicken, runden Türme und die Giebel der Hauptstadt von Waleis gegen den Himmel ragen sahen, da war ihm so fröhlich zumute wie seit Langem nicht.
Ein wenig entfernt von der Stadt, hielten sie an: Es wäre auch unmöglich gewesen, näher zu reiten. Denn rings um die Mauern stand Zelt an Zelt, darüber flatterten die Banner mit den Wappen, Knappen tummelten die Rosse und weiter draußen auf dem ebenen Felde krachten die Kämpfer mit splitternden Speeren gegeneinander.
Gahmuret sah dies alles und er hätte am liebsten stehenden Fußes seine Rüstung angelegt und den ersten, der ihm begegnete, zum Zweikampf gefordert. Aber das verbot die höfische Sitte; er musste zuerst seine Verwandten suchen: Kaylet und vielleicht auch seinen Bruder Galoës oder andere seiner Sippe. Und dann musste er die Königin begrüßen.
So befahl er, die Zelte aufzuschlagen, rief die Knappen, die Fiedler, Trommler und Pfeifer, ließ sich von Tampanis einen langen Mantel aus grünem Samt bringen, dazu einen Hut mit Zobel verbrämt und mit goldenen Schnallen verziert, und schickte sich an, zur Stadt zu reiten.
Unterdessen war seine Ankunft nicht unbemerkt geblieben. Der Erste, der ihn erkannte, war Gaschier, der Normanne. Er ritt schnurstracks zu Kaylets Zelt.
»Dein Vetter Gahmuret ist hier«, sagte er.
Kaylet sprang auf. Er fluchte leise und fuhr mit der Hand nach hinten; denn da tat ihm etwas gräulich weh, weil er erst vor einer Stunde recht hart aus dem Sattel geflogen war. So ging es, seit dieses elende Turnier begonnen hatte: Einer stach den anderen vom Rosse und wurde gleich darauf selber herabgestochen.
»Es hätte mich ja gewundert, wenn er nicht hierher gekommen wäre«, sagte Kaylet grimmig. »Er kann es nur schwer ertragen, nicht dabei zu sein, wenn irgendwo gekämpft wird. Und ich habe so eine Ahnung, dass er vielleicht diesem Treiben hier sehr schnell ein Ende machen könnte. Das wäre nur gut! Oder gefällt es dir etwa, jeden Tag dreimal hinter deinem Ross im Sande zu hocken – oder ist da viel Witz dabei, wenn du einen anderen kopfüber aus dem Sattel wirfst? Und alles nur, damit die arme Königin Herzeloide eines Tages einen Gemahl nehmen muss, den sie gar nicht haben will!«
»Du hast recht!«, gab Gaschier kleinlaut zu. »Und ich habe nicht die geringste Lust, es noch einmal mit Gahmuret zu versuchen.
Mir tun noch heute die Knochen weh, wenn ich daran denke, wie ich vor Patelamunt aus dem Sattel geflogen bin.«
»Patelamunt!«, sagte Kaylet. »Das ist lange her! Ich war einmal sehr zornig über meinen Vetter wegen dieser Heidin. Aber nun ist Belakane tot und ich will ihn in Frieden lassen. Komm, wir wollen ihn begrüßen.«
Aber als sie zur Zeltgasse kamen, die gegen das Burgtor führte, drängte Kaylet plötzlich sein Pferd zurück. »Die Königin!«, sagte er. Sie sprangen ab und hielten die Rosse am Zügel.
Sie hatten Frau Herzeloide oft gesehen in dieser Zeit. Aber es erging ihnen immer gleich: Immer schien es ihnen schwer zu glauben, dass so viel strahlende Schönheit in diesen großen Mauern wohnen konnte.
Sie kam die Gasse herab auf einer weißen Stute, hinter ihr ritten ihre Jungfrauen und danach die Burgknappen mit ihrem Lehrmeister.
Die Königin hielt an, als sie Kaylet erkannte. Er war entfernt verwandt mit ihr. »Ich hoffe, deine Schmerzen sind nicht allzu arg?«, sagte sie freundlich.
»Nein, Frau Königin«, log Herr Kaylet tapfer.
»Dennoch will ich dir eine lindernde Salbe schicken«, versprach sie und legte ihm einen Augenblick die Hand auf die Schultern, ehe sie weiterritt.
Kaylet machte sich ächzend daran, in den Sattel zu steigen. Aber plötzlich hielt er entsetzt inne. Irgendwo, noch ein wenig entfernt, hatte sich ein fürchterlicher Lärm von Fiedeln, Pfeifen und großen und kleinen Trommeln erhoben, der schnell näher kam.
Kaylet starrte erbleichend den Normannen an. »Großer Gott!«, stöhnte er. »Das ist Gahmuret! Er muss es im Morgenlande gelernt haben! Dort haben sie so laute Sitten! Ich wette, er reitet mit seinem gräulichen Gedudel schnurgerade auf die Königin zu!«
Kaylet von Toledo, der König von Spanien, war wieder einmal sehr zornig über seinen Vetter. Freilich hatte jeder große Herr seine Musikanten, aber was er hier hörte, klang so barbarisch und marktschreierisch, dass sich der vornehme Herr Kaylet für seinen Verwandten schämte. Wütend schwor er sich, Gahmuret sehr deutlich zu sagen, was er über ihn dachte.
Aber es war nicht mehr notwendig: Denn unterdessen war Herr Gahmuret wirklich der Königin begegnet.
Als sie an der Biegung der Zeltgasse plötzlich voreinander anhielten und Frau Herzeloide nur mit kühlem Erstaunen über den bunten lärmenden Aufzug hinwegsah, da wäre der berühmte Held Gahmuret viel lieber tausend Meilen weit fort gewesen.
Während er aus dem Sattel sprang, sah er gerade noch erleichtert, wie Tampanis den Musikanten ein wütendes Zeichen machte zu schweigen.
Gahmuret nahm den viel zu prächtigen Hut mit dem Zobel vom Kopfe. Das Pferd am Zügel, ging er auf die Königin zu und verbeugte sich tief. »Ich bin Gahmuret Anschewin«, sagte er und verwünschte seinen Mantel, der so lang war, dass die goldenen Borten am Saum im Sande schleiften.
»Gottes Gruß, Herr Gahmuret! Du sollst mir willkommen sein!«, sprach die Königin; es klang freundlich, nur ein wenig müde.
Der Kapellan, der hinter seinem Herrn hielt, sah, wie Herr Gahmuret mit einem Ruck den Kopf hob und Frau Herzeloide ins Gesicht blickte. Da faltete er die Hände um den Zügel.
Lieber Herrgott, dachte er sorgenvoll, dies alles habe ich schon einmal gesehen und nun beginnt es wieder von vorne! Aber ich danke dir, weil du es diesmal wenigstens so gefügt hast, dass sie eine Christin ist und auch nicht schwarz.
Die Königin war längst vorübergeritten, aber Gahmuret stand immer noch da und starrte ihr nach wie ein törichter Fant.
Er fuhr zusammen, als Kaylets andalusischer Hengst dicht vor seinem Gesicht schnaubte. »Gottes Gruß, Herr Vetter«, sagte Kaylet grimmig, »ich bin froh, dich wieder einmal zu sehen, es ist lange genug her, dünkt mich!«
»Wahrhaftig, Kaylet!« Gahmuret lächelte so strahlend zu ihm hinauf, als wäre er just aus einem schönen Traum erwacht: Und das gefiel dem König von Toledo erst recht nicht.
»Komm mit mir in mein Zelt«, sagte er ungeduldig, »mich dünkt, wir haben allerlei zu bereden!«
»Ja«, stimmte Gahmuret voll Eifer zu, »sage mir schnell, wer hier ist, damit ich weiß, wer meine Gegner sein werden!«
»Sachte!«, knurrte Kaylet. »Jedenfalls wirst du genug zu tun bekommen, wenn du sie alle aus dem Sattel werfen willst. Alle sind da, angefangen vom alten bretonischen König Utrepandragun, der sich einbildet, es müsste ihm gelingen, noch zwei Länder und eine schöne junge Königin zu erkämpfen. Lot von Norwegen ist hier, Morholt von Irland, der Herzog von Brabant und ein paar von diesen hochmütigen Alemannenherzögen. Auch der König von Gascogne und Riwalin, der Fürst von Lohneis, und –«
»Hör auf!«, lachte Gahmuret, »ich sehe, dass es mir nicht an Gegnern fehlen wird! Aber sage mir, ist mein Bruder Galoës nicht hier?«
Kaylet schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben uns schon gewundert, was ihn wohl abhalten mag!«
Gahmuret meinte erleichtert bei sich, das sei eigentlich ein Glück: Denn wie hätte er wohl mit seinem eigenen Bruder um die Königin kämpfen sollen?
Kämpfen aber würde er! Er würde auch siegen. Nichts auf der Welt schien ihm so gewiss wie dies! –
Als am nächsten Tag die Sonne aufging, ritt Gahmuret zum Kampfplatz. Aber es schien ein anderer Gahmuret als gestern. Zwar war sein Harnisch eine kostbare Arbeit und er trug den Helm mit dem berühmten Diamanten im Knauf, den man den Adamas nannte. Sonst aber war kein Schmuck an ihm zu sehen. Kein Fiedler und kein Pfeifer hüpfte hinter ihm drein, nur seine Knappen folgten ihm und jeder trug fünf Gere, zusammengebunden in der Linken, und die Lanze mit dem Wappen ihres Herrn in der Rechten: Denn es würden noch viele Lanzen brechen, ehe die Kämpfe zu Ende waren.
Der Erste, der gegen Gahmuret ritt, war der alte Utrepandragun und dieser Kampf hatte ein Gutes: Als sich der beleibte Recke mühselig wieder aus Gras und Blumen aufraffte, begann er endlich zu begreifen, dass seine guten Jahre längst vorüber waren.
Nach ihm jagte Morholt von Irland heran: Die Lanzen brachen dreimal, ehe Morholt den Sattel räumte.
Siebenmal spornte Riwalin sein Ross gegen Gahmuret, dann fand auch er sich auf dem Rasen.
Zornsprühend rannte Lähelin an, den es schon längst wurmte, dass dieser Sarazenenkönig Gahmuret unbesiegbar sein sollte. Aber was half es: Übel zerschunden, zog er sich am Schweif seines Rosses in die Höhe und hinkte fluchend davon.
So ging es noch drei Tage lang.
Dann war das Turnier zu Konvoleis aus und Gahmuret hatte gesiegt. Als er am Abend des dritten Tages stolz und müde vom Kampfplatz ritt, kam ihm ein Knappe der Königin entgegen: »Meine Herrin wünscht dich zu sehen!«
Ja, nun war er abermals am Ziel seiner Wünsche!
Aber als er zu den Zelten kam, näherte sich auf der Straße ein Häuflein Reiter. Sie waren verstaubt, ihre Rosse schienen abgetrieben, als hätten sie eine lange Reise hinter sich. Sie hielten die Schilde nach abwärts gekehrt und auch die Wappen an ihren Lanzen. Das bedeutete, dass sie Trauer um ihren Herrn trugen.
Als Gahmuret dem grauhaarigen Recken, der voranritt, ins Gesicht sah, hielt er mit einem Ruck sein Pferd an: Diesen Recken kannte er! Und dann wurde es ihm eiskalt ums Herz: Er hatte auf dem abwärts gekehrten Schild den Panther gesehen, das Wappentier seines Vaters Gandin, das danach sein Bruder Galoës geführt hatte. Sein Blick wanderte weiter von einem Wimpel zum anderen. Da hing der Greif traurig mit dem Kopf nach unten und daneben die Schlange; und dorthinten, ja, da war auch der Anker und reckte sich ins Leere, und alle die anderen Wappen der Anschewin. Und das bedeutete, dass König Galoës von Anschouwe tot war. Ein jäher Riss ging durch Gahmurets Glück und Ruhm, just in dem Augenblick, als ihm beides am größten schien.
Er saß da, wie betäubt, und es fiel ihm nicht einmal ein, die Männer aus Anschouwe anzureden. Er rührte sich auch noch nicht, als der alte Ritter sein Ross auf ihn zulenkte.
Gahmuret trug weder Schild noch Helm: Denn beides hatte ihm Tampanis nach dem Kampfe abgenommen. So suchte der Alte umsonst nach einem Zeichen, an dem er erkennen könnte, wen er da vor sich habe.
»Gottes Gruß, edler Ritter«, sagte er endlich, »wir suchen Herrn Gahmuret Anschewin. Kannst du uns sagen, wo wir ihn finden?«
Gahmuret zuckte zusammen. Nein, das … das war doch nicht möglich! Ungläubig forschte er in den Gesichtern der andern: Aber sie sahen ihn nur fremd und müde an. Sie hatten ihn vergessen!
»Ja«, sagte er langsam und seine Stimme klang heiser, »ja, ich bin Gahmuret Anschewin. Gottes Gruß, Markgraf.« Der Alte starrte ihn an, seine Augen waren rot vor Müdigkeit. Dann sprang er aus dem Sattel, die andern mit ihm.
»Verzeihe mir, Herr, ich habe dich nicht erkannt. Es ist lange her …«, er stockte.
»Du hast recht«, sagte Gahmuret. »Es ist lange her. Und – was ist mit meinem Bruder geschehen?«
»König Galoës ist im Kampfe vor der Feste Muntori gestorben. Als wir ihn begraben hatten, machten wir uns sogleich auf, dich zu suchen. Aber niemand wusste, wohin du dich begeben hattest.
Endlich kamen wir nach Toledo und der Burgvogt sagte uns, du wärest zum Turnier nach Konvoleis geritten.«
In diesem Augenblick sah Gahmuret, wie der alte Mann schwankte und sich an den Zügel klammerte. Mit einem Satz war er vom Pferde.
»Bist du krank?«, fragte er beunruhigt und stützte ihn schnell.
»Wir sind seit neun Tagen nicht aus dem Sattel gekommen«, murmelte der Markgraf und vermochte sich kaum auf den Beinen zu halten.
»Lieber Himmel«, sagte Gahmuret erschrocken und warf einen Blick auf die andern, die mehr tot als lebendig an ihren Pferden lehnten.
Er rief einen Burgknappen herbei. »Geh und sage der Königin, ich bitte sie um Gastfreundschaft für meine Mannen aus Anschouwe, die sehr müde von der Reise sind.«
Der Knappe lief. Fürsorglich half Gahmuret dem alten Grafen auf sein Pferd und sie ritten die Gasse hinauf zur Burg. Dort nahmen sogleich Mägde und Badeknechte die Müden in Empfang und verschwanden mit ihnen.
Gahmuret aber ging zur Königin. Er sah nicht höfisch aus mit seinem zerzausten feuchten Haar und er hatte keinen Hut mit Zobel und Schnallen, den er vom Kopfe nehmen konnte, und keinen samtenen Mantel, der über den Estrich schleifte, sondern nur einen zerbeulten Harnisch und ein trauriges, erschrockenes Herz.
An der Tür zum Saal standen zwei Knappen und ließen ihn eintreten: Aber der Saal war leer. Da setzte sich Gahmuret auf eine Bank an der Wand, um zu warten. Er dachte an Galoës und daran, wie schnell der Tod über einen kommen konnte. Galoës war nicht viel älter gewesen als er. Nun war er nicht mehr da. Und eines Tages, früher oder später, würde auch Gahmuret nicht mehr da sein. Was aber hatte er mit seinem Leben angefangen? Ein paar Truhen voll Tand erbeutet, einen Haufen liederliches Volk ernährt, allenthalben gekämpft und gerauft, ohne viel nach Recht und Gerechtigkeit zu fragen. Und dann … ja, da war drunten im Sarazenenreiche ein kleiner Knabe, den er noch nicht einmal kannte und der doch sein Sohn war. Nein, viel war die Ausbeute seines Lebens nicht wert, und wenn er starb, würde wohl niemand um ihn trauern als Tampanis und der Kapellan würde vielleicht für Gahmuret Anschewins arme Seele jeden Tag eine Messe lesen und Gott danken, dass er ihm endlich die Sorge um seinen leichtsinnigen Herrn abgenommen hatte.
Ein bleiches Lächeln zog über Herrn Gahmurets düsteres Gesicht: Gott schien dem Kapellan gnädig zu sein und musste wohl beschlossen haben, dem liederlichen Lebenswandel seines Herrn mit sanfter Gewalt ein Ende zu machen. Oder konnte sich etwa König Gahmuret von Anschouwe irgendwo in der Fremde mit Räubern und Sarazenen herumschlagen und das Reich seinem Schicksal überlassen? Oder ziemte es sich vielleicht nur im Geringsten für den Gemahl der Königin Herzeloide und Beherrscher von Waleis und Norgals, wie ein fahrender Ritter im Abendland und Morgenland umherzustreunen?
Es wurde Herrn Gahmuret siedend heiß. Er hatte noch keine Zeit gehabt, über diese Dinge nachzudenken. Aber als ihm das jetzt einfiel, dünkte ihn, er könnte es niemals ertragen, von nun an ein Gefangener von Pflicht und Sitte zu sein, und er empfand einen Augenblick die größte Lust, Saal und Burg und Hauptstadt schleunigst zu verlassen und in seine Freiheit zurückzukehren.
Aber als er mit seinen trüben Gedanken just so weit gekommen war, hörte er ein leises Geräusch. Dicht neben ihm öffnete sich in der Täfelung eine schmale Tür, die er nicht bemerkt hatte, und Gahmuret sprang auf: Denn vor ihm stand die Königin. Und als er sie ansah, vergaß er im Handumdrehen Freiheit und Abenteuer und dachte nur noch, wie lieb und schön sie sei und dass er sehr glücklich sei, ihr Gemahl zu werden.
Aber Frau Herzeloide schien durchaus nicht so glücklich, ihr Gesicht war sogar recht ernst und sorgenvoll und das Herz klopfte ihr laut. Sie warf einen ängstlichen Blick auf seinen tief gebeugten Kopf: Aber der sah nur sehr ehrfurchtsvoll aus, und als er sich endlich wieder aufzurichten wagte, merkte die Königin mit Verwunderung, dass sich dieser Herr Gahmuret seit seiner Ankunft auf eine sonderbare Weise verändert hatte.
Sie war fast zornig über ihn gewesen, als er vor drei Tagen angeritten kam mit seinem prahlerischen Aufzug und umgeben vom Ruhm des großen ritterlichen Abenteurers, der an allen Höfen über ihn umging. Später sah sie ihn kämpfen. Da bekam sie Angst und wünschte, er möchte doch nicht siegen: Denn dann müsste sie ihr Versprechen halten und ihn zum Gemahl nehmen.
Aber er siegte dennoch. Da ließ sie ihn zu sich rufen, weil … ach, sie wusste nicht genau, warum. Vielleicht, damit es schnell vorüber sei, was doch einmal sein musste. Und jetzt? Da stand er mit seinem mageren braunen Gesicht und den feuchten Haarsträhnen über der Stirn, ein wenig verstört und verwirrt und sehr jung. Gahmuret sah sie nur an; und sein wildes Herz wurde mit einem Male ganz still und traurig: Denn in diesem Augenblick begriff er, dass er Frau Herzeloide niemals zur Gemahlin nehmen durfte, weil er sie sehr unglücklich machen würde, so unstet und leichtsinnig, wie er nun einmal war.
Sie meinte, er denke an König Galoës, als sie den Kummer in seinen Augen las.
»Es tut mir leid, dass du deines Bruders wegen traurig sein musst«, sagte sie behutsam.
Da richtete er sich auf: Es war viel besser, wenn es zu Ende ging, ehe es noch begonnen hatte.
»Ich danke dir, Herrin. Es ist nicht nur meines Bruders wegen. Ich – ich muss dir etwas sagen, wenn du mich anhören willst.«
Dann saß sie neben ihm auf der Bank und Gahmuret erzählte. Er erzählte von Belakane und ihrem Sohn, vom Kalifen und Ipomidon von Babylon, von den Abenteuern im Morgenland und in den Ländern jenseits des Nordmeeres. Und wie es ihn immer und überall wieder fortgetrieben habe ohne Rast und Ruh. »Ich weiß nicht, warum, Herrin. Aber ich fürchte, ich werde keinen Frieden finden bis an mein Ende. Und darum kann ich dich nicht bitten, meine Gemahlin zu werden. Ich habe drei Tage um dich gekämpft, weil ich wusste, dass ich dich mein Leben lang lieb haben müsste, als ich dich zum ersten Male sah. Ich wünsche dir alles Glück der Welt: Ich aber würde dir nur Unglück bringen. Darum will ich morgen wieder fortreiten von hier, nach Anschouwe, und versuchen, ob ich König sein kann, bis – bis ich eines Tages wieder fortmuss.« Sie saß ganz still da, als er schwieg. Es war längst dunkel geworden im Saal, ein Streifen Mondlicht wanderte langsam über das Gebälk, die Jungfrauen der Königin waren dreimal gekommen, um sie nach ihrem Schlafgemach zu geleiten, und dreimal wieder fortgeschickt worden.
Endlich stand sie auf und ging hinüber in den Erker. Er sah sie an der Säule lehnen, ihr weißes Gewand schimmerte und hinter ihr standen die Sterne draußen in der Nacht.
Als sie zu reden anfing, war ihre Stimme sehr ernst.
»Vor drei Tagen wünschte ich noch, du möchtest nicht siegen: Denn ich hatte Angst vor dir, nach allem, was ich über dich wusste. Heute weiß ich noch mehr; aber ich bin dennoch froh, dass du gesiegt hast, und ich will mein Wort einlösen. Du sollst mir nichts versprechen, was du doch nicht halten könntest. Nur eins: Wenn du in die Fremde reiten musst, willst du dann immer wieder zu mir zurückkehren?«
»Immer. Solange ich lebe!«, antwortete er schnell: Denn dies war das Einzige, was er sicher wusste. Aber es war viel zu wenig. Darum fügte er noch hinzu: »Und ich schwöre dir, ich will alles tun, um nicht fortzumüssen, aber –«
»So ist es gut«, sagte sie nur.
Sie kam aus dem Erker herab, als abermals die Jungfrauen mit den Leuchten in der Hand eintraten, und schickte sich an, mit ihnen fortzugehen. Einen Augenblick blieb sie vor Gahmuret stehen.
»Verzeihe mir, dass ich versäumt habe, dich gebührend zu begrüßen, als du kamst«, sagte sie ernsthaft, aber ihre Augen lächelten dabei.
Freilich, es war gewiss nur höfische Sitte, als sie ihn auf beide Wangen küsste. Aber Herr Gahmuret vermochte es nicht zu glauben und das machte ihn sehr glücklich.
Bevor noch dieser Sommer zu Ende ging, hielten sie zu Konvoleis Hochzeit. Gahmuret wurde König von Waleis und Norgals und sieben Tage danach waren sie unterwegs nach Süden, um sich in der Hauptstadt von Anschouwe krönen zu lassen. Es war ein endloser Zug von Königen, Fürsten, Grafen und Rittern mit ihrem Gefolge, die ihnen das Geleit durch das Frankenreich gaben, und mancher von ihnen blickte mit heimlicher Bitternis auf die schöne junge Königin und gönnte sie und ihre Länder Herrn Gahmuret nur sehr ungern. Aber es war alles nach Rittersitte zugegangen und darum mussten sie schweigen. Dass die Sitten einer Zeit manchmal Unsitten sind und dass man um eine Frau nicht mit Waffen kämpfen sollte, daran dachte niemand. Sie nahmen sich aber vor, Gahmuret wohl im Auge zu behalten: Denn nur ein Narr konnte doch glauben, dass dieser unstete Geselle von heute auf morgen sesshaft geworden sei. Und irgendwo im Zuge ritt der Kapellan und betete, dass es wahr sein möchte: Aber daran glauben konnte er auch nicht. –
Dennoch schien es so.
In der Königsburg zu Anschouwe verstrich die Zeit, ohne dass irgendetwas die junge Königin beunruhigte. Gahmuret nahm seine Pflichten wahr, ritt im Lande umher, verteilte Lehen und saß zu Gericht. Der Winter kam und ging. Gahmuret schien glücklich und zufrieden und Frau Herzeloide vergaß allmählich ihre Sorgen, weil ihr Gemahl niemals von seinen früheren Abenteuern sprach und weil er sogar verboten hatte, dass die Sänger, die an den Hof kamen, davon erzählten. Nur er allein wusste, warum er dies tat: Er wollte nicht mehr daran erinnert werden, er hatte Angst. Angst, dass es eines Tages wieder über ihn kommen würde und dass er dann fortmüsste und alles Glück zerstört wäre.
Als die Tage hell und warm wurden, begannen sie, davon zu reden, dass man bald wieder nach Norden reisen müsse, um in Waleis und Norgals nach dem Rechten zu sehen. Aber bevor es zu dieser Reise kam, geschah etwas.
Von den Türmen der Königsburg riefen eines Abends die Hörner der Wächter. Sie riefen oft, denn es war viel Kommen und Gehen in der Burg. Aber als die Königin Herzeloide dieses Rufen vernahm, horchte sie auf und eine Stimme in der Tiefe ihres Wesens sagte: Gefahr.
Sie erhob sich schnell und trat auf den Söller hinaus. Gahmuret folgte ihr, aber er schien nicht sonderlich neugierig, wer da käme.
Ehe die Königin noch begriff, was das für wunderliches fremdes Volk war, das sich drunten vor dem Tore drängte, hörte sie einen leisen Ausruf hinter sich. Hastig blickte sie sich um.
Gahmuret schaute über sie fort, als wenn sie gar nicht da wäre, hinab zu den Männern, die in goldenem Harnisch auf ihren Pferden saßen, dunkle, bärtige Gesichter unter seltsam geformten Helmen, wie sie kein Ritter im Abendland je getragen hatte, krumme Schwerter in edelsteinblitzenden Scheiden, Purpurdecken und kostbare Felle unter dem Sattel, und wenn die Pferde die Köpfe aufwarfen, klingelten die goldenen Glöcklein am Zaumzeug.
Die Königin fasste Gahmurets Arm. »Was hast du, mein Gemahl?
Was ist mit diesen Männern?«
Er schien sie nicht zu hören: »Warum können sie mich nicht in Frieden lassen!«, murmelte er zornig. Dann hob er die Hand und winkte den Torwächtern. Drunten legte der vorderste unter den Männern die Hand auf die Brust und neigte sich dreimal bis auf den Hals des Pferdes, das Tor ging auf und die Fremden ritten in die Burg. Das Verhängnis nahm seinen Anfang.
Gahmuret wandte sich nach dem Saale zurück, er sah bleich und bekümmert aus. »Komm, wir müssen sie empfangen«, sagte er.
Sie rührte sich nicht. Sie starrte ihn nur an und ihre Augen waren fast schwarz vor Angst.
»Wer sind sie?«
»Der Wesir des Kalifen und sein Gefolge«, antwortete er rau abgewandten Gesichtes.
Da sank ihre Hand herab, eine arme, hoffnungslose Hand, die sich so gerne irgendwo festgehalten hätte; aber es gab nichts mehr, keinen Halt und keine Sicherheit, fühlte sie. Es war, als glitte Gahmuret langsam von ihr fort und sie vermöchte ihn nicht mehr zu erreichen. »Nein!«, flüsterte sie verzweifelt. »Nein, das darf nicht sein! Schicke sie fort, mein lieber Herr, und höre sie nicht an!«
Aber sie wusste, dass man die Gesandten des großen Kalifen zu Bagdad nicht einfach fortschicken konnte. Und sie wusste auch, dass sie über die Dinge, die jetzt geschehen würden, keine Macht mehr hatte.
Sie saß in ihrem Thronsessel und sah die Fremden hereinkommen wie Gestalten in einem bösen Traum. Sie hörte ihren Gemahl höfische Worte sprechen und den dunklen Wesir antworten: Er redete lange und es klang, als habe er einen endlosen Gesang eingelernt, der König Gahmuret Anschewin, den berühmtesten Helden des Abendlandes, pries.
»Ich danke dir, Wesir«, sagte Gahmuret, als er zu Ende war. Seine Hand umklammerte die Armlehne, dass die Knöchel weiß vorsprangen. »Und – was für eine Botschaft sendet mir der Kalif?« Er hatte nur ganz kurz gezögert und dann klang seine Stimme fast ruhig.
»Es ist keine gute Botschaft, Herr«, begann der Wesir vorsichtig und ließ seine Augen zu schwarzen Löchern erlöschen: Denn Augen verrieten allzu leicht etwas. »Der großmächtige Beherrscher der Gläubigen lässt dir sagen: Ipomidon von Babylon hat viele von den unterworfenen Fürsten und Stammeshäuptlingen für sich gewonnen. In den Reichen des erhabenen Kalifen hat sich allenthalben Aufruhr erhoben. Ipomidon ist mit einem großen Heere von Ägypten aufgebrochen, um Bagdad zu erobern. Unsere Krieger müssen an vielen Orten zugleich kämpfen und das mindert ihre Stärke. Darum ist der Kalif in großer Sorge. Er ließ mich zu sich kommen und befahl mir: ›Reite nach Haleb, nimm den schnellsten Segler, den du findest, und fahre zu den Franken. Suche König Gahmuret von Anschouwe und frage ihn, ob er noch unserer Freundschaft gedenkt. Er wird mich nicht im Stiche lassen.‹ Dies ist meine Botschaft, König Gahmuret.«
Es dauerte lange, bis Gahmuret antwortete. Endlich hob er den Kopf. »Der Kalif weiß, dass ich immer sein Freund bleiben werde«, sagte er fast barsch. »Aber es hat sich vieles geändert, seit ich für ihn kämpfte. Ich habe drei Königreiche zu verwalten und kann darum nicht mehr für viele Monde fortreiten, wie ehemals, als ich frei war. Sage … sage deinem Herrn, dass es mir leidtut«, schloss er schnell, als könnte es ihn sonst reuen.
Das Gesicht des Wesirs blieb unbewegt. Er spielte sein Spiel weiter, klug und kalt, das uralte Spiel, das seinesgleichen immer gespielt haben, seit es Reiche und Völker auf Erden gibt.
»Das ist sehr schade.« Es klang beinahe gleichgültig, nur ein wenig bedauernd. »Der erhabene Kalif wird enttäuscht sein. Und Ipomidon – nun, er wird lachen und sagen, er habe also recht.«
Gahmuret runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Oh, nur – Ipomidon erzählt jedem, der es hören will, du wärest damals aus Angst vor seiner Rache aus dem Morgenlande geflohen!«
Jetzt fuhr Gahmuret auf. »Was sagst du da? Dieser elende Lügner! Noch niemand hat mich ungestraft einen Feigling genannt! Das soll er mir büßen!« Er brach plötzlich ab und starrte vor sich nieder.
»Zwar – was kümmert’s mich? Mag er doch reden! Jeder Fürst und jeder Häuptling im Reiche des Kalifen kennt mich: Keiner wird ihm glauben!«
»Du irrst dich!«, sprach der Wesir kühl. Niemand hätte gemerkt, dass er sehr zornig war, weil ihm dieser Christenkönig zu entgleiten drohte. »Vergiss nicht, dass du ein Fremder für sie bist und ein verhasster Christ. Du hast viele von ihnen besiegt und das können sie nicht vergessen: Denn sie sind sehr stolz. So glauben sie es nur allzu gerne, wenn Böses über dich geredet wird.«
Er hob gleichgültig die Schultern und trat zurück zu den andern, als habe er plötzlich alles satt. »Ich sehe, König Gahmuret, dass ich dich nicht für uns zu gewinnen vermag«, sagte er. »Das ist schlimm für meinen Herrn. Und – es ist noch viel schlimmer für die Christen, die Ipomidon in die Hände fallen«, fügte er bedauernden Tones hinzu: Er wusste, dies war seine letzte Waffe.
Irgendetwas an dieser Rede gefiel Gahmuret nicht. Aber während er noch darüber nachgrübelte, fuhr der Wesir bedächtig fort: »Ipomidon ist sehr grausam. Und er hat geschworen, da er sich an dir nicht rächen kann, soll seine Rache alle Christen treffen, die er in seine Gewalt bekommt. Ihnen kann nun niemand mehr helfen. Erlaube uns jetzt zu gehen, Herr, wir wollen wieder zu Schiffe, denn der erhabene Kalif bedarf unserer Dienste.«
Aber da hob Gahmuret die Hand. »Warte noch!« In seiner Stimme lag eine tödliche Hoffnungslosigkeit.
Langsam richtete sich der Wesir aus seiner tiefen Verbeugung auf. In den schwarzen Augen glühte ein Funke.
»Was befiehlst du, Herr?«
»Erzähle mir, was drüben in euren Ländern geschieht. Es darf nicht sein, dass Christen meinetwegen leiden müssen.«
Ja, nun hatte der Wesir sein Spiel gewonnen. –
Fünfzehn Tage später ritt Gahmuret von Anschouwe fort aus der Burg mit den Gesandten des Kalifen, mit vielen Hundert Rittern und Knechten und all dem Volk, das stets wie aus Mäuselöchern auftauchte, wenn ein großer Herr auf Abenteuer auszog.
Die Königin gab ihrem Gemahl das Geleit bis vor die Stadt. Beim Abschied sagte sie: »Einmal, zu Konvoleis, da fragte ich dich, ob du wieder zu mir zurückkehren würdest, wenn du in die Fremde fährst. Und du gabst mir zur Antwort …«
»Immer, solange ich lebe«, murmelte Gahmuret und legte einen Augenblick sein Gesicht in ihre Hände. Es war ihm schwer ums Herz wie noch nie.
»Solange du lebst«, wiederholte sie. Dann wandte sie langsam ihr Pferd zur Stadt zurück. Sie blickte sich nicht mehr um, nein, das vermochte sie nicht.
Kaum war die Königin fort, da drängte der Wesir sein Pferd neben Gahmuret. Er atmete heimlich auf, denn wenig hatte gefehlt, so wäre der König um dieser helläugigen, goldhaarigen Frau willen daheimgeblieben, das hatte er wohl gemerkt.
»König Gahmuret«, begann er vorsichtig, denn das Gesicht des Königs lud nicht eben zum Reden ein, »ich habe im Hafen von Haleb eine Kogge gefunden, sie war ganz neu und der Schiffer schwor, sie sei der schnellste Segler des Mittelmeeres. Als er erfuhr, wohin er uns bringen sollte, starrte er mich zuerst an wie ein Narr, dann riss er sich die Kappe vom Kopfe, warf sie in die Luft und schrie dazu wie ein Besessener: Er habe es immer gewusst, dass eines Tages sein Herr, der König von Anschouwe, wieder mit ihm fahren werde. Ich sagte ihm, das sei noch lange nicht gewiss. Aber er bestand darauf, in einem der spanischen Häfen an der Südküste haltzumachen und das zweite Schiff, das er besaß, mitzunehmen. Ich ließ ihn zuletzt gewähren: Denn er behauptete eigensinnig, wir würden es brauchen. Nun scheint mir beinahe, er hätte recht behalten.«
Gahmuret wandte langsam den Kopf zu ihm herüber. Und plötzlich begann er zu lachen. Aber es war ein wildes, schreckliches Lachen und Tampanis überlief es kalt, als er es hörte.
»So ist es recht!«, schrie der König. »Der alte Spitzbube ist also auch wieder da! Wahrhaftig, der Teufel hat alles aufs Beste für mich geordnet. Nun kann der Tanz losgehen und der Kalif mag sich freuen, wenn Ipomidon zur Hölle fährt! Komm, Wesir, wir wollen sehen, wie schnell uns diese neue Kogge dem Tod in den Rachen führt!«
Dem Kapellan tat das Herz weh bei dieser Rede: Ja, nun war es wohl wieder so schlimm um seinen armen Herrn bestellt wie eh und je. Aber da war doch etwas und darum gab der Kapellan die Hoffnung nicht auf. »Herre Gott«, sagte er eindringlich, »gedenke, er fährt zu den Heiden, damit nicht andere seinetwegen leiden müssen. Freilich ist es nicht das allein, sondern auch sein wildes Blut, das ihn forttreibt, du weißt es wohl und ich weiß es auch«, fügte er demütig und ehrlich hinzu.
Der Kapellan fühlte sich krank und müde und sehnte sich nach Ruhe. Aber er konnte nicht daheimbleiben; dieses eine Mal noch musste er mit seinem Herrn gehen. –
Abermals hatte die Fremde Gahmuret Anschewin verschlungen und keine Kunde kam in die Hauptstadt von ihm und von allem, was drüben im Morgenlande geschah.
Ipomidon erhielt die Nachricht von Gahmurets Ankunft, als die Franken auf dem Wege von Haleb landeinwärts waren.
Zu dieser Zeit hielt der Babylonier Bagdad bereits von drei Seiten eingeschlossen: Nur das Tor und die Straßen gegen Westen waren noch frei und die Krieger des Kalifen verteidigten diesen letzten Zugang mit verbissenem Mut. Die gewaltigen Mauern und Türme der Stadt aber schienen unzerstörbar, und wenn Ipomidon angriff, regnete es griechisches Feuer, hagelte es Pfeile und Steine und der Babylonier musste sich zähneknirschend wieder zurückziehen.
So ging es seit vielen Tagen. Nachts, zu irgendeiner Stunde, öffneten sich plötzlich die Tore, wie ein Heer von heulenden Gespenstern fielen die Belagerten über die Feinde her, warfen Feuer in die Zelte, erschlugen viele und verschwanden wieder, ehe man sie in die Stadt zu verfolgen vermochte.
Nein, es stand zu dieser Zeit weder für den Kalifen noch für Ipomidon sonderlich gut.
Eines Abends aber trat ein Magier in das Purpurzelt des Babyloniers. »Der Franke ist nach Haleb gekommen mit zwei Schiffen und vielen Kriegern«, meldete er.
Ohne Eile richtete sich Ipomidon von seinem Lager auf. Das gelbe Licht der Öllampe zuckte über sein dunkles Gesicht. »Endlich«, sagte er langsam. »Woher weißt du es?«
Der Priester versuchte, hochmütig dreinzublicken. »Die Götter haben es mir mitgeteilt.«
Ipomidon zog die Brauen hoch. Er schob die Hände in den seidenen Gürtel und kam gemächlich auf den Magier zu. »So. Die Götter«, sagte er hohnvoll. »Mich wundert nur, dass die Götter es nicht mir selbst mitgeteilt haben. Weißt du noch, wie du mir aus den Schrifttafeln gelesen und bewiesen hast, dass ich ein Abkömmling der Götter bin, he, du elender Betrüger? Aber beunruhige dich nicht: Es kümmert mich wenig, wie du es erfahren hast. Ich will nur wissen, was du jetzt zu tun gedenkst. Du weißt, dass der Franke sterben muss.«
»Du sagst es.« Das Gesicht des Priesters war steinern, die Hände in den weiten Ärmeln seines Gewandes verborgen; aber sie waren zu Fäusten geballt. Der Priester hasste Ipomidon, der ihn durchschaut hatte. »Ich habe längst alles bedacht und vorbereitet. Es gibt nur ein Mittel, dem Franken beizukommen, denn im Zweikampf wirst du ihn nie besiegen. Du weißt, dass er im Helmknauf den Adamas eingeschmiedet trägt, den großen Diamanten, den kein Schwert durchhauen und kein Speer durchstoßen kann. Seine Rüstung aber haben die Schmiede zu Toledo verfertigt und es gibt keine Waffe gegen diese Ringe. Jetzt aber gib acht, großmächtiger Beherrscher von Babylon und Ninive: Ich habe von den Dämonen, die mir dienen, ein versiegeltes Fläschchen erhalten …« Er stockte und schielte zu Ipomidon hinauf, der dicht vor ihm stand und ihn mit kaltem Spott betrachtete.
»Du Narr!«, zischte er. »Kannst du dein Prahlen nicht lassen? Kein Dämon ist so dumm, dir zu dienen! Was hast du zusammengebraut?«
Der Magier duckte sich. »Ich habe einen Saft gefunden, der Diamanten erweicht«, sagte er widerwillig. »Frage mich nicht, was er enthält: Ich weiß es selbst nicht, denn ich habe ihn nur durch einen Zufall entdeckt. Aber er hat eine furchtbare Kraft in sich. Nur etwas fehlt mir noch: Ich brauche das frische Blut eines schwarzen Böckleins, das muss dem Saft beigemischt werden, ehe man den Diamanten damit übergießt.«
Ipomidons Augen bohrten sich misstrauisch in das Gesicht des Priesters. »Ich weiß zwar nicht, was du damit willst«, knurrte er, »aber du sollst deinen Bock haben. Und wie willst du den Adamas in die Hand bekommen?«
»Das ist sehr einfach«, erklärte jetzt der Priester eifrig. »Im Heere des Franken gibt es allerhand liederliche Gesellen, die ihm nachlaufen, weil er reich und freigebig ist. Ihre Liebe zu ihm ist aber gewiss nicht so groß, dass man sie nicht für einen Beutel Goldes kaufen könnte.« Er kicherte. »Es ist ja auch nur ein ganz kleiner Dienst, so ein Fläschchen Wasser über einen Stein zu schütten.«
»Gut, du sollst auch das Gold haben«, sagte Ipomidon nachgiebig.
»Ich bin sicher, dass du mich nicht hintergehen wirst: Denn dann würden dir alle deine Dämonen und Zauberkünste nichts helfen. Und stirbt der Franke nicht, so stirbst du. Hast du das alles verstanden?«
Der Magier verneigte sich unterwürfig. »Ja, Herr. Ich schwöre dir, der Adamas wird weich sein wie ein Schwamm. Du brauchst, wenn es dann zum Kampfe kommt, nur deinen nie fehlenden Speer nach ihm zu schleudern und es ist aus mit dem Franken. Dein eigenes Leben aber kommt dabei gar nicht in Gefahr und du wirst den Ruhm genießen, den größten Helden des Abendlandes getötet zu haben.«
»Es wird sehr gut für dich sein, wenn dies alles zutrifft«, sagte Ipomidon kühl.
So wurde in dieser Nacht Gahmurets Tod beschlossen. Aber Ipomidon ahnte nicht, dass zur selben Stunde auch sein eigener Tod schon beschlossen war.
Sieben Tage später erfuhr der Babylonier durch seine Kundschafter, dass die Franken ein paar Meilen westwärts in der Niederung zwischen den Strömen ihr Zeltlager errichtet hatten und dass ihre Späher überall umherschwärmten.
Nicht lange danach trat frühmorgens ein Knecht in das Zelt des Magiers. Er trug ein totes Böcklein mit schwarzem Fell. »Der Herr befahl mir, es zu schlachten und sogleich zu dir zu bringen«, sagte er ehrerbietig.
Der Priester sah das frische helle Blut aus der Wunde am Hals des Tieres fließen, nahm eine Schale und fing ein wenig davon auf. Dann schickte er den Knecht fort, und als er allein war, hob er in einem Winkel des Zeltes ein paar Steine vom Boden. Darunter war eine kleine Höhlung, in der eine versiegelte Phiole lag. Behutsam nahm er sie heraus und löste das Siegel: Sogleich verbreitete sich ein scharfer Geruch im Zelt, der ihm fast den Atem nahm. Sein Herz begann wild zu schlagen und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Hastig goss er das Blut des Bockes in das Fläschchen und alsbald nahm die wasserhelle Flüssigkeit eine schmutzig rote Farbe an. Als er merkte, wie seine Hände zitterten, stellte er die Phiole schnell auf den steinernen Altar, auf dem feist und wild der Gott Baal hockte.
»Nur ein Tröpflein auf die Haut und man stirbt eines grässlichen Todes«, murmelte er. Er wagte, das Siegel erst wieder aufzudrücken, als seine Hand ruhiger geworden war. Dann legte er die Priestergewänder ab, zog den Kittel eines Landmannes an, steckte die Phiole und den ledernen Beutel zu sich, den er von Ipomidon erhalten hatte, und verließ das Zelt.
Er vermied die Straße und wanderte am Ufer eines trägen, kleinen Wassers entlang, wo ihn die tief herabhängenden Zweige und die wuchernden Pflanzen verbargen. Nach einer Weile sah er, ziemlich weit entfernt jenseits der Straße, zwei Reiter auftauchen. Sie trugen das Stahlgewand der Franken und ihre Gesichter waren hell. Nein, diese beiden würden ihm zu nichts nütze sein! Er drückte sich ins Gesträuch, bis sie vorüber waren.
Als er sich just ein wenig näher an die Straße schleichen wollte, hörte er abermals Hufschlag. Eilig kroch er hinter einen riesigen Baum. Gleich darauf jagte ein halbes Dutzend Reiter heran, gänzlich unbekümmert, als gäbe es weitum keinen Feind: Ein Ritter mit gewaltigem feuerrotem Bart und ein paar von diesen fränkischen Milchgesichtern. Bei den Göttern, den Rotbart hätte man ganz gewiss nicht fragen mögen, ob er etwa für einen Beutel Goldes seinen Herrn verriete!
Während er weiterging, drangen allerlei Geräusche an sein Ohr und bald merkte er mit Unbehagen, dass er sich nicht mehr weit vom Lager der Franken befinden musste.
Da kam ihm ein einzelner Reiter entgegen. Zwar war er nach fränkischer Art gerüstet, aber als der Priester sein Gesicht sah, erkannte er, dass es ein Sarazene war. Da beschloss er, sein Glück zu versuchen. Denn, dachte er, sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als mich selbst in die Höhle des Löwen zu begeben: Und danach gelüstet es mich nicht allzu sehr.
So trat er, gemächlich und wie von ungefähr, aus dem Ufergebüsch, wie eben ein Landmann, der zur Arbeit geht. Der Sarazene zügelte sofort sein Ross, als er ihn erblickte, und seine Hand fuhr nach dem Schwert.
»Lass es stecken, Freund, lass es stecken«, rief der Priester eifrig.
»Du siehst, ich bin waffenlos und kein Krieger.«
»Wer bist du?«, fragte der Sarazene barsch.
»Nur ein niedriger Diener meines Herrn. Und du, ich sehe, du gehörst unserem Volke an, aber du dienst gewiss dem Frankenkönig, da du …«
»Ich diene niemandem«, unterbrach ihn der Reiter zornig. »Ich kämpfe, wo es mir gefällt und wo es mir Gewinn einbringt. Was schert mich der Franke?«
Dem Magier gefiel diese Rede über alle Maßen. »Oh«, sagte er langsam, »wenn du Freude am Golde hast – das ist hierzulande oft recht leicht zu verdienen. Hör zu! Ich will dir etwas erzählen.«
Sie redeten lange und zuletzt zog der Babylonier das Fläschchen hervor, nahm eine Handvoll Gold aus dem Beutel und sagte: »Dies ist die erste Hälfte deines Lohnes. Ich werde hier auf dich warten, während du zum Lager zurückreitest und dein Werk vollbringst. Kehrst du mit der leeren Phiole zurück, so sollst du den Rest erhalten. Aber hüte dich: Dieses Wasser zerstört alles. Fällt nur ein Tropfen davon auf deine Haut, so bist du des Todes. Gehst du aber behutsam zu Werke, so wird niemandem etwas geschehen, der Adamas wird den Saft in sich hineinsaugen und über Nacht wird er sein wie ein nasser Schwamm.« Er hielt inne und sein Blick wurde starr. »Und morgen im Kampfe, wenn ihn Ipomidons Schwert trifft, wird der Saft herausspritzen und auch ihn vernichten«, murmelte er vor sich hin und sah so teuflisch aus, dass es dem Sarazenen graute.
»So will ich zum Lager reiten«, sagte er hastig und hätte die unheimliche kleine Flasche gern weit von sich geworfen. Aber da war das Gold und lockte: Immer haben Menschen um Gold einander verraten.
Niemand bemerkte ihn, als er ins Lager zurückkam, wo es wimmelte wie in einen Ameisenhaufen. Niemand achtete auf ihn, als er zu dem Zelt ging, in dem sich die Waffen des Königs befanden.
Er sah Gahmurets Helm auf der Truhe liegen, der Adamas funkelte wie ein Stern. Schnell das Siegel herunter, den höllischen Saft über den Diamanten ausgegossen und fort, ehe einem das stinkende Zeug den Garaus machte!
Es war ihm, als steige einen Augenblick lang ein leiser, singender Ton von dem Stein auf, dann war es vorüber, die Flasche war leer.
Er blickte sich noch einmal um, ehe er aus dem Zelt schlüpfte: Da war das Funkeln des Diamanten erloschen. –
Unterdessen hatte der Kalif durch den Wesir längst die Nachricht von Gahmurets Ankunft erhalten.
Einmal gegen Mitternacht standen, wie aus dem Boden gewachsen, drei Männer mitten im Lager vor den verdutzten Wächtern beim Königszelt. Gott mochte wissen, wie sie hereingekommen waren. »Botschaft vom Kalifen«, sagten sie und verlangten, vor den König geführt zu werden.
Eilig weckte Tampanis seinen Herrn, und als die drei nach einer Weile wieder lautlos in der Nacht verschwanden, hatten sie mit dem König verabredet, beim Morgengrauen Ipomidon von beiden Seiten zugleich anzugreifen: Die Krieger des Kalifen sollten aus allen Toren der Stadt hervorbrechen, während die Franken den Babyloniern in den Rücken fielen.
Als die Sonne aufging, hatte die große Schlacht von Bagdad begonnen. Und als sie im Mittag stand, da war unversehens mitten in dem Getümmel an einer Stelle ein leerer Raum entstanden, ohne dass jemand recht wusste, wie es zuging.
Dann ritt langsam Gahmuret vor die Reihen der Franken. Sein Pferd ging unruhig, mit spielenden Ohren. Über die blanke Schwertklinge zuckte das Sonnenlicht wie eine Flamme. Nur der Adamas funkelte nicht wie sonst: Aber vielleicht war er von Blut und Staub blind geworden.
Gahmuret hörte Ipomidons Kampfruf im gleichen Augenblick, als drüben der schwarze Hengst mit einem einzigen tollen Sprung in den leeren Raum hereinschnellte. Der Babylonier trug einen goldenen Brustharnisch, seine nackten braunen Arme glänzten und sein langes schwarzes Haar wehte hinter ihm her.
Als Gahmuret sein Ross spornte, hob der Babylonier den Arm mit der Lanze: Die Krieger sangen an den Lagerfeuern über diese Lanze, die nie ihr Ziel verfehlte.
Der Adamas aber war weich wie ein Schwamm. Als die Spitze durch ihn hindurchfuhr, da sprühte es wie ein feiner Regen über Ipomidons Haupt und Arme. Und während Tampanis heranjagte und seinen Herrn auffing, krümmte sich der Babylonier im Sattel vor jähem Schmerz zusammen: Wie Feuer fraß es sich durch seine Haut. Weder der Kapellan noch Tampanis hätten später sagen können, wie es ihnen gelang, mit dem sterbenden König vom Schlachtfelde fortzukommen. Aber sie fanden sich schließlich irgendwo am Rande eines kleinen Gehölzes, da legten sie Gahmuret ins Gras.
Sie hatten die Lanze aus der Wunde gezogen und den Helm abgebunden. Keiner achtete darauf, dass der Adamas rissig und wie eingeschrumpft im Knauf hing. Ja, nun war alles unwichtig geworden.
»Herr«, sagte Tampanis und bückte sich über das Gesicht mit den geschlossenen Augen, »Herr, ich bitte dich!« Er wusste nicht, worum er bat: Nur das durfte nicht sein, dass sein Herr so dalag und ihn nicht sah und nicht hörte.
Da schlug Gahmuret die Augen auf, ganz helle, fast durchsichtige Augen. Sie blickten Tampanis an und dann den Kapellan: Noch einmal waren sie von weither zurückgekommen, vom Rande des großen Dunkels. Aber es war nur noch für eine kurze Zeit.
Und als der Kapellan neben seinem Herrn niederkniete, wusste er, dass er um dieser kurzen Zeitspanne willen viele Jahre lang mit Gahmuret Anschewin in der Fremde umhergefahren war.
Tampanis stand auf und ging ein paar Schritte fort, da lag ein modernder Stamm, darauf setzte er sich nieder. Es half nichts, dass er immer wieder die Fäuste in die Augen drückte, weil es sich für den grauhaarigen Knappen Tampanis nicht geziemte, dass er weinte.
Als König Gahmuret von Anschouwe, Waleis und Norgals starb, war niemand bei ihm als Tampanis und der Kapellan: Denn die Schlacht von Bagdad dauerte immer noch fort. Als sie dann zu Ende war und der Kalif gesiegt hatte, da waren von den Franken nur mehr wenige übrig. Und bis sie sich durch den brodelnden Hexenkessel der aufgestörten Völkerschaften endlich zur Küste durchgeschlagen und ein Schiff gefunden hatten, fuhren längst die Herbststürme über das Mittelmeer.
In der Burg zu Anschouwe ging zu dieser Zeit die junge Königin Herzeloide immer müder und schwerer über Treppen und Gänge. Sie gab sich alle Mühe, nicht traurig zu sein, denn ihre alte Amme hatte ihr gesagt: »Wenn du traurig bist, wird dein Kind krank und schwach zur Welt kommen und ein hartes Leben haben; und das willst du doch nicht.« Nein, das wollte sie gewiss nicht: Gahmurets Sohn sollte stark und schön und glücklich sein. Aber wo war Gahmuret?
Manchmal kam es ganz plötzlich über sie, dass sie zusammenschrak und deutlich fühlte, er sei nicht mehr am Leben. Sie wehrte sich mit aller Kraft dagegen, aber es half wenig: Immer stand es wie ein dunkler Schatten hinter ihr.
Eines Nachts fuhr sie aus dem Schlafe auf. Sie hatte geträumt, irgendetwas Schreckliches wäre geschehen, aber was denn nur? Ihr Herz schlug wild. Nein, das war nicht ihr Herz, das waren ferne dumpfe Hufschläge, irgendwo gingen Pferde in der Nacht, müde Pferde.
Ja, nun könnte sie wohl wieder schlafen. Aber sie stand auf, legte ihr Gewand an und flocht ihr Haar, als hätte ihr jemand befohlen, sich bereit zu machen.
Als es drunten ans Tor pochte, ging sie hinüber in die Stube mit dem Erker, in dem sie sonst zu sitzen pflegte. Da setzte sie sich hin und wartete. Sie tat alles, wie man im Traume etwas tun muss, ohne zu wissen, warum.
Sie hörte den Lärm drunten im Hofe und dann geisterte der rote Schein der Fackeln über die Wände. Schritte wurden in den Gängen laut und begannen zu laufen.
Dies alles, wusste Herzeloide, hatte sie schon einmal gesehen und gehört, vielleicht auch im Traum. Nun müssten gleich ihre Frauen kommen, ja, da waren sie schon, sie hatte es nur nicht gleich bemerkt … und dann würde Tampanis kommen oder irgendein anderer, wenn der alte Knappe nicht mehr am Leben war …
Aber es musste wohl doch Tampanis sein, der dort unter der Tür stand, den Helm in der Hand, und er sah aus, als käme er geradewegs aus der Hölle. Wenn nur die Frauen ihre Lichter ruhig halten wollten! Aber die Flämmchen der Kerzen zuckten und flackerten und alles wurde so gespenstisch lebendig, dass einen selbst die vertrauten Dinge erschreckten.
Jetzt verbeugte sich Tampanis: Immer sah er ein wenig aus wie eine Holzfigur, mit seinem redlichen, bekümmerten Gesicht, den großen Händen und den eckigen Knien.
Ja, und jetzt kam er herüber, quer durch den Saal, er stolperte fast vor Müdigkeit. Viele Male hatte sie ihn im Traum so auf sich zukommen gesehen, genau so. Oder vielleicht waren es gar keine Träume gewesen. Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, nun würde er gleich sagen …
Aber Tampanis sagte nichts. Kein Wort brachte er heraus von allem, was er sich in der langen Zeit unterwegs so sorgsam zurechtgelegt hatte. Nicht einmal anzusehen wagte er sie.
»Oh, Herrin«, murmelte er nur mit gesenktem Kopf, während er niederkniete, »ich bringe …« Nein, er konnte nicht! Er war ein einfältiger alter Knappe, dem die Worte nicht gern gehorchten. Aber hatte er nicht seinem sterbenden Herrn versprochen, der Königin selbst die Botschaft zu bringen? Das musste er halten, wenn es ihm auch noch so schwerfiel.
Die Königin Herzeloide blickte hinab auf diesen grauen Kopf, der so traurig und ratlos aussah. Und da tat ihr mitten in ihrem eigenen Kummer der Knappe leid, der so gut und ritterlich war, obgleich nie das Schwert eines Königs oder eines Bischofs seine Schulter berührt hatte. Nein, warum sollte er es noch einmal sagen, was sie doch schon längst wusste.
Sachte strich sie über sein Haar und dann noch einmal. Freilich zitterte ihre Hand: Aber es tat gut, ein wenig Wärme zu fühlen.
»Lass nur, Tampanis«, sagte sie und ihre Stimme, die so arm und fremd klang, trieb ihm die Tränen in die Augen. »Du brauchst es nicht zu sagen. Ich weiß, dass mein Gemahl nicht wiederkommt. Ich habe es immer gewusst, seit er fortgeritten ist«, fügte sie ganz leise, wie für sich selbst, hinzu.
Dann stand sie auf.
In diesem Augenblick fuhr ein so schneidender Schmerz durch ihren Leib, dass sie taumelte und nach der Stuhllehne griff. Es war gleich wieder vorüber und sie stieg die Stufen hinab in den Saal, um nach ihrer Kemenate zu gehen. Aber plötzlich, ehe noch die Frauen ihr beistehen konnten, wankte sie und sank lautlos zusammen. –
In dieser Nacht kam Herzeloides Sohn zur Welt.
Er war stark und schön, und als sie ihn ansah, da wusste sie, dass sie ihn so sehr lieben würde, dass sie es nicht ertragen könnte, ihn jemals zu verlieren. Und sie schwor bei sich, alles so zu ordnen, dass er sie nie verlassen sollte.
Aber Menschen schwören mancherlei und dennoch geschieht alles ganz anders.