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15. Im Sinnlichen befangen, kann er das Geistige nicht fassen.

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Aber das Wesentliche bei einer solchen Sache in dem Kunstwerke deiner Schöpfung, Allmächtiger, „der du allein Wunderbares schaffst“101, erkannte ich noch nicht; mein Geist durchforschte die einzelnen körperlichen Formen, und ich erklärte, bestimmte und belegte mit Beispielen aus der Körperwelt das als schön, was für sich selbst, als schicklich aber, was wegen seiner Harmonie mit etwas anderem gefiel. Auch wandte ich mich zur Natur des Geistes; aber meine falsche Ansicht von der Natur des Geistigen ließ mich das Wahre nicht erkennen. Vor meine Augen trat mit Gewalt das Bild der Wahrheit selbst; aber ich lenkte meinen schwankenden Geist vom Unkörperlichen hinweg zu Umrissen, Farben und bestimmten Größen. Und weil ich im Geiste solches nicht sehen konnte, glaubte ich auch, meinen Geist selbst nicht sehen zu können. Und da ich an der Tugend den Frieden liebte, bei der Lasterhaftigkeit aber die Zwietracht haßte, so erschien mir als charakteristisches Merkmal bei jener eine gewisse Einheit, bei dieser ein Zwiespalt. In jener Einheit schienen mir der vernünftige Sinn, die Natur der Wahrheit und des höchsten Gutes zu liegen, in jenem Zwiespalte des unvernünftigen Lebens aber wähnte ich Unglücklicher irgendeine Substanz und Wesenheit eines höchsten Bösen, die nicht nur Substanz, sondern überhaupt Leben und doch nicht von dir sein sollte, mein Gott, du Urheber von allem. Jene Einheit nannte ich Monas, ein geschlechtsloses Geisteswesen, diesen Zwiespalt aber Dyas, welche als Zorn in Gewalttat, als Wollust in schändlichen Verirrungen zutage trete ohne zu wissen, was ich meinte. Denn noch hatte ich nicht erkannt noch gelernt, daß das Böse weder eine Substanz noch auch unser Geist selbst ein höchstes, unveränderliches Gut ist.

Wie nämlich Gewalttaten entstehen, wenn jener Seelenteil, worin der Antrieb dazu liegt, sündhafte Regungen verspürt und sich unbändig und wüst gebärdet, Schandtaten aber aus der ungeordneten Begier des Herzens, welche die sinnliche Lust vermittelt, so beflecken Irrtümer und falsche Meinungen das Leben, wenn der vernünftige Seelenteil selbst verderbt ist. So war es damals der meine: ich wußte nicht, daß ein anderes Licht ihn erleuchten müsse, damit er zur Wahrheit gelange, da er selbst nicht das Wesen der Wahrheit ist; „denn du erleuchtest meine Leuchte, Herr, mein Gott, du erleuchtest meine Finsternis“102. „Von deiner Fülle haben wir alle empfangen“103. „Du bist ja das wahre Licht, das jeglichen Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt“104, denn „in dir ist kein Wechsel und kein Schatten von Veränderlichkeit“105.

Ich aber gedachte mich zu dir zu erheben, doch wurde ich von dir zurückgestoßen, so daß ich den Tod kostete, da „du den Stolzen widerstehest“106. Was aber zeugt von größerem Stolze als die Behauptung, die ich in unglaublicher Torheit aufstellte, ich sei dem Wesen nach das, was du bist? Denn obwohl ich veränderlich war - dessen war ich mir bewußt, weil ich ja deswegen nach Weisheit strebte, um aus dem Zustand der Unvollkommenheit in den der Vollkommenheit überzutreten -, so wollte ich doch lieber auch dich veränderlich wähnen als nicht sein, was du bist. Dabei stießest du mich von dir und widerstandest meinem stolzen Dünkel; ich träumte von körperlichen Gestalten und klagte, selbst Fleisch, das Fleisch an. „Ein irrender Geist“107, kehrte ich nicht zu dir zurück, sondern auf meinen Irrwegen verirrte ich mich zu Dingen, die überhaupt nicht existieren, weder in dir noch in mir noch in der Körperwelt. Nicht deine Wahrheit schuf, sondern mein Wahn erdichtete sie mir nach den Eindrücken der Körper. Schwatzhaft und albern sprach ich zu den Kleinen, deinen Gläubigen, meinen Mitbürgern, aus deren Nähe ich ohne es zu wissen verbannt war:”Warum irrt denn die Seele, wenn Gott sie geschaffen hat?" Aber ich wollte nicht, daß man mich frage: “Warum also irrt Gott?” Lieber behauptete ich, dein unveränderliches Wesen irre mit Notwendigkeit, als daß ich zugab, mein veränderliches Wesen sei freiwillig vom rechten Wege abgewichen und dem Irrtum zur Strafe verfallen.

Ungefähr sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahre war ich alt, als ich jenes Werk schrieb. Mein Geist war ganz von phantastischen Körpergebilden in Anspruch genommen, welche die Ohren meines Herzens umtönten, die ich doch auf deine innere Melodie, o süße Wahrheit, hingerichtet hielt. Gewiß, in meinen Forschungen über das Schöne und Schickliche suchte ich einen festen Standpunkt zu gewinnen, „dich zu hören und aufzujauchzen vor Freude wegen der Stimme des Bräutigams“108; aber ich war dazu unfähig, denn die Stimmen meines Irrtums rissen mich nach außen, und das Gewicht meines Stolzes ließ mich in die Tiefe sinken. Denn nicht „verliehest du meinem Gehör Freude und Wonne“109, noch „frohlockten meine Gebeine“110, weil sie noch nicht „gedemütigt“111 waren.

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