Читать книгу Smartphone Sweetheart - Ava Patell - Страница 5
3 – Ein Hauch von Nähe
ОглавлениеEs machte Spaß. Es war witzig und es vertrieb Langeweile und Wartezeiten in jeglichen Situationen. Mit einem Fremden zu schreiben, hatte er sich niemals als so amüsant vorgestellt. Mr. M hatte Humor. Es war...zwanglos. Auch wenn mal keine Antwort kam, war es nicht schlimm. Sie waren einander fremd und vielleicht war es gerade aus diesem Grund so einfach. Sie stellten keine Erwartungen aneinander und schuldeten einander nichts. Das machte es so leicht. Emmett kam von einem Termin von seiner Verlegerin, als er erneut nach dem Handy griff.
Er stand bereits seit 10 Minuten an der Bushaltestelle, den Schal hoch um das Gesicht gebunden. Es war eiskalt. Und der Bus hatte laut der Anzeigetafel Verspätung. Das war eine der typischen Situationen, in denen er nach seinem Handy griff und dann eine Nachricht an den fremden Mr. M schickte. Manchmal hatte er Glück und er bekam sofort eine Antwort. Manchmal dauerte es ein paar Stunden oder auch ein paar Tage bis etwas zurückkam. Aber das war etwas, was diese Art der Kommunikation ausmachte. Kein Zwang.
Seine Finger fühlten sich steif an, während er auf dem Touchscreen herumtippte und die Nachricht verfasste.
› Okay. Ich erfriere vermutlich innerhalb der nächsten 5 Minuten. Also beantworten Sie mir noch eine Frage, Mr. M. Die Welt stürzt ins Chaos. Eine ewige Eiszeit bricht herein. Was tun Sie?‹ Die Frage erschien ihm passend, schien doch gerade jetzt auch eine Eiszeit zu herrschen. Eine Eiszeit, mit der sich auch Mr. M befassen musste. Denn dieser versuchte gerade ein Fortbewegungsmittel zu erhaschen, das klimatisiert war. Zu diesem Zweck hob er den Arm und winkte sich ein Taxi heran. Fest rieb er seine Hände aneinander, als er im Wagen saß und so wenigstens vor dem Wind geschützt war. Ohne seinen dicken Mantel, den Schal und die Handschuhe war es nicht auszuhalten. Er dachte ernsthaft darüber nach, sich eine Mütze zu kaufen. Sein Handy vibrierte und er ahnte schon, wer das war. Lächelnd zog er es hervor, zog die Handschuhe aus und entsperrte den Bildschirm. Dann las er und musste prompt lächeln.
»Bitte nicht erfrieren...«, murmelte er vor sich hin, während er schon tippte.
› Ich suche meinen MP3-Player, da das Internet vermutlich ausgefallen ist, suche einen passenden Song, zum Beispiel...‹ Matthew überlegte kurz. › ...»Here comes a regular« von den Replacements. Ich höre den Song immer und immer wieder, bis die Batterie leer ist, versuche meine Liebsten zu erreichen. Wenn der MP3-Player aus geht, gehe ich nach draußen, um zu erfrieren .‹
Emmett starrte auf das Handy und konnte fast nicht glauben, was er da las.
› Oh mein Gott, Mr. M! Sie enttäuschen mich. Sie geben einfach so auf? Richtige Songs wären... ›Light my fire‹ oder ›Burn baby, burn‹ und dann sucht man sich ein Haus mit einem Kamin und einem großen Holzvorkommen daneben. Bäume. Alte Möbel. Und dann heizen Sie, was das Zeug hält!‹ Emmett schüttelte sich vor Kälte. › Vielleicht ist die wahre Bedrohung aber das zusammenbrechende Nahverkehrssystem. Und zwar hier und heute. Und nicht die Eiszeit selbst.‹
Deutlich schüttelte Matthew den Kopf als ihn diese Nachricht erreichte und eigentlich sollte er endlich den Motor anlassen und los fahren, doch er tippte erst die Antwort.
› Johnny, du hast von einer ewigen Eiszeit gesprochen. Selbst, wenn du alles verheizt, was du findest: Du wirst nicht der einzige sein und die Vorkommen werden irgendwann erschöpft sein. Da genieße ich lieber die letzten Stunden.‹ Er hatte die Nachricht längst abgeschickt, als ihm die persönliche Anrede auffiel.
›Dennoch gibt man nicht einfach auf. Ist es eigentlich strafbar, auf dem Bürgersteig ein Feuer zu machen? Der Bus kommt einfach nicht und ich sterbe wirklich gleich.‹ , kam die verzweifelt klingende Antwort.
›Wie wäre es mit einem Taxi?‹, tippte er während er an einer Ampel stand . Er fuhr an einer Bushaltestelle vorbei, an der vier, fünf Leute auf den Bus warteten. So durchgefroren wie sie musste auch Emmett gerade aussehen.
›Das ist keine Option. Ich spare auf Watch-It, schon vergessen?‹
›Stimmt. Dann müssen warme Gedanken her. Ein Kamin, ein warmes Winterbett, jemand Nacktes, Warmes, Weiches liegt im Bett und wartet auf dich...‹ Leise lachte Emmett auf als er diese Antwort las und die Frau neben ihm sah irritiert zu ihm. Das war Mr. M's Art. Er schien gerne anzüglich zu werden, aber nicht auf eine abstoßende Art. Es wirkte eher keck.
› Nett, aber unwahrscheinlich. Was machst du gerade? Warum sitzt du in einem Taxi?‹ Er übernahm einfach das Du. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, dass sie zumindest dieses förmliche Sie hinter sich ließen. Dann fiel ihm etwas ein. › Emmett ‹, tippte er noch hinterher.
›Ein schlechter Versuch, ich heiße nicht Emmett .‹, schrieb Matthew zuerst zurück, diesmal bekam er die Möglichkeit durch einen sich bildendenden Stau an einer Baustelle an der es kaum voran ging. › Ich fahre zu einem Termin mit Investoren, die hoffentlich meine Geschäftsidee genauso gut finden wie ich.‹
Emmett verkniff sich ein Glucksen. › Es wäre auch merkwürdig, wenn du genau so heißen würdest wie ich. Aber wenn wir jetzt zum Du übergehen, dann möchte ich, dass du meinen Vornamen kennst. Und ich drücke dir die Daumen.‹ Er wusste nach wie vor nicht, was Mr. M beruflich machte und er wollte auch nicht fragen. In den letzten Wochen war es immer oberflächlich geblieben oder sehr, sehr tief gegangen, jedoch ohne Details preiszugeben, die Rückschlüsse zuließen. Das schien diese Nachrichten-Beziehung auszumachen.
›Oh.‹ , schrieb Matthew lachend. › Darf ich dich trotzdem weiterhin Johnny nennen, Emmett? Der Name ist mir ans Herz gewachsen. Du kannst mich auch weiterhin Mr. M nennen, auch wenn du gleich weißt, dass ich Matthew heiße.‹
Lächelnd tippte Emmett die Antwort, nachdem er sich nach dem Bus umgesehen hatte, der nach wie vor nicht auszumachen war. So langsam färbten sich seine Finger rot vor Kälte, aber er hatte nicht vor, mit dem Schreiben aufzuhören.
› Du kannst mich weiterhin so nennen. Kann ich dich Matt nennen?‹ Schmunzelnd tippte er auf Senden. Irgendwie ahnte er, dass das dem Älteren nicht gefallen würde. Aber er konnte sich täuschen. Es war nur ein Gefühl.
Matthew runzelte die Stirn, während der Verkehr jetzt Nahezu zum Stillstand kam. › Auf gar keinen Fall! Hey, wehe du erfrierst. Trink ein heißes Getränk, Wärme von innen ist wichtig, Emmett.‹ Es las sich merkwürdig, nicht mehr Johnny zu denken, sondern einen richtigen Namen zu haben... Apropos! Matthew änderte den Kontakt zum dritten Mal. › Es kann übrigens sein, dass es an deinen Flirtpartnern liegt, dass du bei denen nicht landen kannst. Wenn du in einer Stadt wie der lebst, in der ich gerade lebe zumindest. Die Menschen sind hier...merkwürdig.‹
›Du lebst aber nicht in Texas, oder?‹ , kam die kurze und amüsante Antwort. Matthew gluckste. Er konnte aber erst antworten, nachdem er sein Ziel erreicht hatte, denn die Fahrt ging weiter, die Kolonne schob sich an der Baustelle vorbei.
› Nein. -So- merkwürdig sind sie dann doch nicht. Nur etwas kühl.‹ Er verließ den Wagen, nachdem er sich in eine Parklücke gequetscht hatte, betrat das Restaurant und in den nächsten zwei Stunden ignorierte er das Handy und konzentrierte sich voll und ganz auf die beiden Männer, die ihm beim Essen Gesellschaft leisteten. Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können: Mr. Finnigan war klein und gedrungen und Matt fragte sich mehrmals, ob dieser Mann überhaupt einen Hals hatte. Er interessierte sich hauptsächlich für das Essen, fragte, ob es auch eine Nachspeise geben würde und war allein damit zufrieden, gut bekocht zu werden. Seine Begleitung Mr. Anderson dagegen war für das Geschäftliche zu haben. Groß und schlaksig füllte er seinen Anzug nur dadurch aus, dass das Kleidungsstück diesem Körper angepasst worden war. Die Reste, die auf seinem Teller zurückblieben, hätten noch einige hungernde Kinder satt bekommen, doch dafür unterhielt er sich die ganze Zeit mit Matt über dessen Investitionsmöglichkeit, wodurch dieser kaum zum Essen kam.
›Gut. In Texas lebt man ziemlich gefährlich. Mein Bus kommt! Ich bin gerettet. Viel Erfolg!‹ Damit konnte Emmett endlich in das geheizte Gefährt einsteigen und nach Hause fahren und als er im Warmen saß und seine Finger wieder auftauten, wäre er auch nicht mehr in der Lage gewesen, eine weitere Nachricht zu tippen. Der Schmerz war enorm und er nahm sich vor, nie wieder bei solchen Temperaturen eine längere Unterhaltung per Nachrichtenprogramm über das Handy zu führen. Er hing an seinen Fingern und noch viel wichtiger: Er brauchte sie. Denn sie waren es, die die Geschichten zu Papier brachten und ihm am Ende des Monats die Miete zahlten. Und bald hoffentlich auch wieder Watch-It.
Auch in den nächsten Tagen schrieben sie sich immer wieder Nachrichten. Die Kälte zog noch einmal an und der Wind zog schneidend und eisig kalt um die Häuserecken. Matthew kaufte sich nicht nur eine Mütze, sondern auch einen dickeren Mantel und mehrere Paar wärmende Socken. Von denen konnte er nicht genug haben, denn in der nächsten Zeit würde er öfter im Anzug unterwegs sein.
Ausnahmsweise einmal nicht im Anzug, sondern in Jeans, Boots, Henley-Shirt und Pullover fuhr er am folgenden Freitag zu seiner Schwester Liz und seinem Neffen Noah. Nach nur anderthalb Stunden Aufenthalt dort zog er wütend die Autotür hinter sich zu. Mit der flachen Hand schlug er mehrmals auf den oberen Teil des Lenkrads und spürte, wie sein Herz in seiner Brust hämmerte. Dann zog Matthew sein Blackberry heraus und tippte wütend eine Nachricht, die einige Tippfehler enthielt: › Warum müsden Familirn immer so kpmpliziert sein?!‹ Manchmal fragte er sich, wieso er nicht einfach Daniel schrieb. Gut, er war weggezogen, aber sein Kumpel hatte immer ein offenes Ohr für ihn gehabt und hatte es auch jetzt noch. Dennoch erschien es Matthew in Momenten wie diesen sehr viel einfacher, einem Fremden zu schreiben als einem Freund, der seine Schwester und ihn so genau kannte. Es war nicht so, dass er mit Dan überhaupt keinen Kontakt mehr hatte, im Gegenteil. Sie skypten hin und wieder, schrieben, telefonierten mindestens einmal die Woche ohne sich abzusprechen. Matthew rammte den Autoschlüssel ins Schloss und startete den Motor, weil er genau wusste, dass Liz ihn noch beobachtete. Wäre es nicht so glatt gewesen, wäre er vermutlich mit quietschenden Reifen losgefahren. So drehten sie nur durch, bis sie Grip fanden. In der nächsten Querstraße hielt er wieder an und drehte den Schlüssel so weit, dass der Motor zwar erstarb, die Musik aber noch lief. Er war zornig, nicht lebensmüde, deshalb fuhr er nicht weiter.
Dieses Mal las Emmett die Nachricht sofort. Das Handy hatte neben ihm gelegen als hätte er geahnt, dass Matt ihm schreiben würde. Er legte das lektorierte Manuskript zur Seite und blinzelte dann irritiert als er die Nachricht entschlüsselt hatte, die der Fremde ihm geschrieben hatte.
› Was ist passiert?‹
Matthew seufzte auf, als das Handy vibrierte und war dankbar dafür, dass Emmett heute sofort antwortete. › Ich war zum Essen bei meiner Schwester und wir sind ins Streiten geraten.‹ Er war froh, dass seine Nachrichten inzwischen wieder fehlerfrei waren. › Ich hasse es, wenn Menschen so sehr auf ihrem Standpunkt beruhen, dass jedes Argument wie gegen eine Steinmauer geschickt erscheint.‹
Tief atmete Emmett ein und las die Nachricht noch zwei Mal. Dann tippte er: › Worum ging es genau?‹
Matthew schnaubte. › Um mich! Das ist ja das Verrückte. Als würde ich mich selbst nicht am besten kennen. Sie ist sich nicht sicher, ob ich das hinbekomme mit der Selbständigkeit, ob hier der richtige Ort sei, immerhin kenne sie sich da aus blablabla. Meine Schwester ist nicht selbständig, aber ihr Ex-Mann. Was wohl auch der Grund dafür ist, dass sie da so empfindlich reagiert, glaube ich. Die Ehe ist unter anderem wegen der Arbeitsintensität in die Brüche gegangen.‹ Seine Finger flogen über die Tasten und er fragte sich, ob er schon einmal so viel Text an Emmett geschrieben hatte. › Es ist doch unglaublich, dass sie mir nicht einmal zuhören kann, wenn ich ihr zu erklären versuche, weshalb ich genau hier bin und was ich alles schon erreicht habe! Sie unterbricht mich und das ist einfach...‹ Matthew schnaubte. › Das stört mich .‹
Es waren viele Buchstaben, die auf Emmetts Handy eintrudelten und er brauchte einen Moment, um alles zu lesen und vor allem diese verhältnismäßige Flut an Informationen zu verarbeiten, die da auf ihn einströmte. Doch als Antwort fiel ihm eigentlich nur eines ein.
› Klär es .‹, tippte er und kaute auf der Unterlippe.
Matthew runzelte die Stirn nachdem er die Nachricht gelesen hatte. Diese verdammt kurze Nachricht, von der er sich eigentlich deutlich mehr erhofft hatte. › Das habe ich ja versucht! Aber ich möchte nicht mehr unterbrochen werden, das mache ich nicht mehr mit. Zum Glück war Noah schon im Bett.‹ Seufzend ließ er das Handy sinken, lehnte den Kopf an die Kopfstütze und schloss einen Moment die Augen. Das leise Vibrieren ließ ihn die Augen wieder öffnen.
›Geh zurück. Ruf sie an. Tu irgendwas. Aber man geht nicht im Streit auseinander. Nie.‹ Hinter Emmetts Worten steckte mehr, ein Gefühl, das Matthew beim Lesen überkam und das er nicht greifen konnte, aber es war da, irgendwo hinter oder unter diesen Worten. Statt zu antworten, dass sie sich schon oft im Streit getrennt hatten und dass das in ihrer Geschwisterbeziehung schon immer dazu gehört hatte, atmete er noch dreimal tief durch, schob das Handy in die Manteltasche und startete den Motor. Er fuhr in Liz' Straße zurück und klopfte an ihre Tür. Als sie öffnete, verschränkte sie die Arme vor der Brust.
»Kommst du zurück zu Runde zwei?« Matthew schluckte die wütende Erwiderung hinunter.
»Ein Freund hat mir gesagt, dass man nicht im Streit auseinandergeht. Hör zu, Lizzy. Ich weiß, es war schwer mit Tyler, ich weiß, seine Selbständigkeit hat euch die Ehe ge...« Erneut wurde er unterbrochen.
»Das hat damit überhaupt nichts zu tun!« Wütend drehte sich seine Schwester um und lief in den Flur. Er folgte ihr, schloss die Tür und als sie am anderen Ende herumwirbelte, hob Matthew sofort die Hände.
»Ich greife dich nicht an! Bitte lass mich ausreden, ich will dir nichts Böses. Aber ich lebe mein Leben und wenn du mir zuhören würdest, könnte ich dir erklären, wieso ich hierher gezogen bin, wie viele Investoren ich schon habe und meinetwegen... Meinetwegen auch wie viel Geld ich schon beisammen habe! Nur bitte hör auf mir zu sagen, dass ich das nicht schaffen würde - weil ich es schaffe. Und ich habe keine Frau und keinen Sohn, die ich verlieren könnte.« Liz zog einen Schmollmund. Sie stritten stumm weiter, ihre Blicke genügten dafür.
»Also schön. Dann versuch es halt. Ich glaube dennoch, dass...«
Matthew schüttelte den Kopf. »Da, da, da!«, machte er, einen Finger in die Luft gehoben. »Lass es uns dabei belassen für heute.« Er legte leicht den Kopf schief. Schließlich trat er auf sie zu, nahm sie bei den Schultern.
»Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, versprochen.« Liz senkte den Blick und nickte schließlich leicht.
»Wir telefonieren.« Kurz umarmte er sie.
»Möchtest... Möchtest du noch bleiben?« Liz' Stimme war sanfter jetzt, dennoch schüttelte Matthew den Kopf.
»Nein, ich werde nach Hause fahren.« Seine Schwester nickte und so verabschiedeten sie sich. Matthew hatte auf der Heimfahrt ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend und der ganze Streit beschäftigte ihn noch als er geduscht im Bett lag. Mit seiner Schwester verband ihn eine feste und innige Beziehung, denn obwohl sie sich erst jetzt nach seinem Umzug wieder häufiger sehen würden, war ihnen beiden ein regelmäßiger Kontakt immer schon wichtig gewesen. Umso härter hatten Matthew Liz' klare Worte an diesem Abend getroffen, in denen sicherlich eine Menge Wahrheit steckte, allerdings eine Wahrheit, die er nicht bereit war zu hören. Gegen 23 Uhr griff er seufzend nach seinem Handy.
› Irgendwas haben deine Worte in mir ausgelöst.‹ , schrieb er langsam an Emmett, denn auch das ging ihm nicht aus dem Kopf: Der Jüngere hatte so ernst geklungen und Matt war sich immer noch sicher, dass mehr hinter den einfachen Buchstaben gesteckt hatte als ein Beziehungsgrundsatz.
Emmett wurde von der ankommenden Nachricht geweckt. Er war schon eingeschlafen und las jetzt gähnend die Worte, rieb sich über das Gesicht und blinzelte, um klar sehen zu können.
› Das ist gut. Man geht nicht im Streit auseinander. Das ist das Schlimmste was man tun kann .‹
Matthew runzelte die Stirn bei dieser Antwort. › Ja, Johnny. Das hast du vorhin schon geschrieben und da habe ich es auch schon ernst genommen, weil ich erkenne, dass mehr hinter den Worten steckt. Selbst, wenn sie nur geschrieben stehen und ich ihren Klang nicht kenne .‹ Mittlerweile benutzte er den Namen ›Johnny‹ nur noch selten, nur wenn es ihm angemessen schien.
›Gut.‹ , kam die knappe Antwort. › Schlaf gut, Matt.‹
Matthew lächelte nur. Natürlich hielt sich Emmett nicht an sein Verbot und nannte ihn dennoch bei diesem Spitznamen, den nur wenige Personen in seinem Leben benutzen durften.
› Schlaf gut, Em.‹, nutzte er nun seinerseits eine Kurzform für Emmetts Namen. Er schob das Handy auf die freie Bettseite und schloss die Augen. Schlafen konnte er deshalb lange noch nicht. Dass seine Schwester, aus welchen Gründen auch immer, nicht an ihn glaubte, nagte an ihm und hatte ihn sehr verletzt. Mehr als er sich vielleicht hatte eingestehen wollen. Er sollte die Sache als geklärt ansehen, aber sie war nicht geklärt. Es fühlte sich nicht geklärt an. An dieser Stelle war er froh, mittlerweile so etwas wie ein Workaholic zu sein, denn statt an seine Schwester zu denken, konnte er genauso gut an die Arbeit denken, an seine Montagstermine. Morgen war zwar erst Samstag und da würde er alles andere tun als arbeiten – er hatte vor auszugehen, aber die Gedanken an die Arbeit lenkten ihn ab und ließen ihn einschlafen.
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›Ich brauche nur einen Grund von dir. Noch vor Mitternacht. Dann lasse ich dich in Ruhe. Aber ich brauche -wirklich- einen Grund, warum ich mir das hier jedes Jahr wieder antue. Und ich kann das doch nicht nur für Hanni machen. Natürlich ist sie meine beste Freundin. Aber warum? Ich liebe sie. Aber ich -hasse- es hier. Ich kenne niemanden hier, ich kenne nicht einmal den Gastgeber. Ich habe bereits versucht mit den anderen Gästen zu sprechen, aber 90 Prozent von denen sind stockbesoffen, die anderen 8 Prozent kiffen sich das Hirn weg und staunen gerade über die Funktionsweise eines Bierfasses. Und es ist laut, es läuft Musik, die klingt als wäre sie mit einem Presslufthammer produziert worden. So sollte ich den Jahreswechsel nicht verbringen. Also, nenn mir einen Grund. Bitte!‹ Beinahe flehentlich drückte Em auf Senden. Er fühlte sich wirklich unwohl und saß gerade im Flur auf einem Stuhl. Hier war die Musik nicht ganz so laut wie im Rest des Hauses. Er hatte kein Interesse an billigem Alkohol oder an Presslufthammermusik. Ganz anders als Hanni, die hier einige Leute von der Arbeit her kannte und sich gut zu amüsieren schien. Er war ihr zuliebe mitgegangen, weil sie es nicht ertragen konnte, dass er an Silvester alleine zu Hause saß - was ihm aber sehr gut gefallen hätte! Immerhin hatte er inzwischen wieder Watch-It und nichts ging über einen Serienmarathon, eine Großpackung Mikrowellenpopcorn und Eis. Stattdessen hockte er hier und zählte die Minuten bis zum Jahreswechsel oder noch besser bis zu dem Zeitpunkt, an dem er sich still und heimlich verziehen konnte, um nach Hause zu fahren. Und das am besten noch vor Mitternacht. Abwartend drehte er das Handy zwischen seinen Fingern und zog die Beine etwas weiter ein, als eine junge Frau an ihm vorbeilief, die deutlich damit zu kämpfen hatte, eine gerade Linie zu halten. Das war so gar nicht seine Welt. Er war einfach ein Nerd.
Als Matthew die Nachricht las, die Emmett ihm vor ein paar Minuten geschrieben hatte, stand er bei Daniel auf der Terrasse. Er hatte sich ein paar Tage frei genommen und hielt eine Cola in der freien Hand. Eigentlich hatte er sich zurückgezogen, um jemand anderem zu schreiben, der ebenfalls weit weg war, aber nun dachte er zuerst über Emmetts Worte nach. Matthew wusste, Em mochte weder Partys noch Alkohol noch laute Musik und inzwischen wusste er auch, dass der Andere sich Schlimmeres vorstellen konnte als an Silvester allein zu sein. Er musste lange nachdenken, bevor er mit einer Hand zu tippen begann.
› Du machst das, weil du die tief romantische Hoffnung hast, irgendwo da draußen auf diesen einen Menschen aus 7 Billionen zu treffen.‹ , schrieb er zurück und nahm damit Bezug auf eines ihrer Gespräche, das sie zu Beginn ihrer wie auch immer gearteten Beziehung geführt hatten, bevor er einen anderen Chatverlauf aufrief und auch dort etwas schrieb.
›Netter Versuch. Aber ich habe noch keine 1,5 Promille auf dem Kessel. Versuch's noch mal. Oder erlaube mir, nach Hause zu gehen.‹ Es folgte sogar noch ein Smiley mit diesen großen bettelnden Augen. › Bitte!‹ Als Matthew dieses letzte Wort las, konnte er fast hören wie flehentlich es klang.
›Ich versuch's noch mal .‹, schrieb er dennoch grinsend. › Du machst das, weil du jemanden für eine heiße Nacht suchst. Jemanden, der dich vergessen lässt, wie lange du allein bist, jemanden, den du mitnehmen kannst oder der dich mitnimmt und keine Fragen stellt. Der dir einfach nur einen wohl verdienten Neujahrs-Fick schenkt.‹ Gerade hatte Matthew auf Senden gedrückt, als ihn eine Stimme zusammenzucken ließ.
»Na, schreibst du mit deiner neuen Bekanntschaft?« Schnell schob Matthew das Handy in die Jeanstasche.
»Gewissermaßen.« Dans graue Augen lagen auf ihm, grinsend.
»Triffst du dich heute noch mit ihr?« Matthew nickte.
»Je nachdem, wie schnell ich durchkomme, kann es auch erst früher Morgen werden, aber ich werde deshalb auch etwas früher gehen als sonst.« Danny winkte ab.
»Kein Problem, hier ist ja noch genug los.« Matthew warf einen Blick an seinem Kumpel vorbei in dessen Wohnzimmer, aus dem Musik und Lachen durch die offene Terrassentür zu ihnen drang.
»Oh ja, aber das Feuerwerk schaue ich mir auf jeden Fall noch an.« Danny lächelte.
»Das freut mich.« Matthews bester Freund nickte zu dessen Hosentasche. »Erzähl mir von ihr.« Matthew verkniff sich ein Grinsen, da sie hier über unterschiedliche Personen sprachen und beschrieb Dan die Frau, mit der er sich gerade traf anstatt die Situation aufzuklären. Dafür war ein anderes Mal noch Zeit.
»Schade, dass ich so weit weg wohne, sonst könntest du sie mir persönlich vorstellen.« Daniel setzte die Bierflasche, die ihn begleitete, an die Lippen, um einen Schluck zu trinken.
»Aber ich wünsch euch viel Glück. Oder sollte ich lieber Spaß wünschen?« Grinsend legte er Matt eine Hand auf die Schulter, der zu lachen begann.
»Glück reicht vollkommen. Ich werde schon mal etwas zusammenpacken und meine Tasche ins Auto bringen.« Während Matt sich anschließend langsam für den Aufbruch bereit machte, starrte Emmett auf das Display, auf dem die Nachricht stand.
»Ein Neujahrs-Fick...«, murmelte Emmett. Dann schüttelte er sich. »Nein. Das war's. Ich hau hier ab.« Er erhob sich genau in dem Moment, als eine junge Frau an ihm vorbeirannte und es gerade noch durch die Haustür in den Vorgarten schaffte, wo sie sich geräuschvoll übergab. Ja. Es war definitiv Zeit zu gehen. Er suchte Hanni und verabschiedete sich von ihr, was sie bedauernd zur Kenntnis nahm, aber sie hielt ihn nicht auf. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ihn in so einer Situation nichts halten würde und sie rechnete es ihm hoch an, dass er immerhin mitgekommen war. Doch für Emmett war dieses Feiern nichts.
Er atmete tief durch als er den Vorgarten verließ und den Lärm hinter sich lassen konnte. Auf den Straßen war es voll, der Bus war eine Katastrophe und er atmete erleichtert auf, als er Zuhause ankam und die Tür hinter sich schloss. Stille umhüllte ihn und er lehnte sich ein paar Minuten gegen die Tür und genoss es einfach nur so dazustehen. Leise Geräusche drangen aus den anderen Wohnungen zu ihm und das gefiel ihm tausend Mal besser als die laute Musik. Er kochte sich einen Tee, setzte sich aufs Sofa und genoss dann das Farbenspiel am Himmel und im Fernsehen. So konnte man entspannt in das neue Jahr starten.
Entspannt ging es bei Matt hingegen ganz und gar nicht zu. Daniel und seine Nachbarn boten jedes Jahr ein gemeinsames Feuerwerk, das er schon immer gern zu Silvester bestaunt hatte. Doch dieses Jahr hing er mit seinen Gedanken bei einer ganz bestimmten Person, die viele Meilen entfernt mit ihren Freundinnen in New Maple den Jahreswechsel feierte. Um sich von ihrer ausbleibenden Antwort abzulenken, schrieb Matthew kurz nach Mitternacht eine Nachricht an Emmett und wünschte ihm im neuen Jahr alles Gute und mehr Glück in der Liebe. Als sich Matt endlich auf den Weg zu einer Adresse machen konnte, bei der er in letzter Zeit öfter ein und aus ging, lag noch eine längere Autofahrt vor ihm. Er ahnte, dass es immer schwieriger werden würde, sein Leben in New Maple inklusive seiner Bekanntschaften dort mit dem Leben zu verbinden, das er vorher geführt hatte. Ems Vergleich seines jetzigen Lebens und seines Zukunftstraums mit zwei losen Fäden kam ihm in den Sinn und er dachte eine Weile darüber nach, während vor den Fensterscheiben des nachtschwarzen Wagens die Landschaft vorbeizog und er seiner neuen Heimat entgegenfuhr. »Hey Schöner.«, wurde er dort lächelnd in den frühen Morgenstunden begrüßt. Eine schwarzhaarige Schönheit, sportlich schlank und beinahe so groß wie er selbst stand vor ihm, nur in einen Bademantel gehüllt, unter dem Matt nichts weiter als nackte Haut vermutete und innerlich seufzte Matthew auf. Eines wusste er sofort: Er würde zu seinem Neujahrs-Fick kommen.
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Das neue Jahr begann gut für Emmett. Sein neues Buch wurde herausgebracht und es lief gut an. Also würde der Verlag auch sein nächstes Buch verlegen, was ihm seine Verlegerin zusicherte. Es schien sich wirklich gut zu verkaufen, war doch die Kombination von einem großen Tischler und einem Zwergenermittler in dem Genre neu. Und dann kam wieder einer der Tage, an dem alles schief ging. Schon nach dem Aufstehen rammte er sich den Fuß an, auf dem Weg zum Verlag schlug er der Länge nach hin. Nach einem flüchtig eingenommenen und total geschmacklosen Mittagessen rempelte ihn auch noch jemand an. »Passen Sie doch auf!«, blaffte er wütend den Mann an, der ihn kaum zu bemerken schien. So ein typischer Anzugträger. Er war wirklich froh, als er am Abend wieder zu Hause war, um seine sprichwörtlichen Wunden zu lecken. Schlimmer konnte es kaum laufen. Auch die restliche Woche zog sich in dieser Manier weiter. Nichts schien funktionieren zu wollen. Auch die Ideen wollten nicht kommen, stundenlang saß er vor leeren Seiten und tippte Texte, hinter denen er nicht hundertprozentig stand und die er dann doch nur wieder löschte. Er wollte einfach nicht in das Gefühl hineinkommen, in dem es ihm gelang, gute Sätze zu Papier zu bringen. Immer wieder brach er frustriert seine Versuche ab. Am Ende der Woche, am Freitagabend, schrieb er wieder Matt.
› Sag mir etwas Nettes. Bitte. Egal was. Es kann auch gelogen sein.‹ Matthew dachte nicht lange nach und auch, wenn er die Antwort nur schrieb und den nicht mehr so Fremden, nicht mehr so Unbekannten nicht anrief, hoffte er, dass es fruchten würde, denn die Bitte klang für ihn wie die eines niedergeschlagenen Mannes.
› Alles wird wieder gut.‹ , schrieb er also als Erstes zurück. › Was ist passiert?‹ , tippte er hinterher. Er verließ gerade mit Chloe das Kino und trat auf den Bürgersteig.
»Du solltest aufpassen. Nicht, dass du wieder irgendjemanden anrempelst.«, sagte sie. Lächelnd hob er den Blick.
»Ja, das wäre gut. Der war wirklich sauer.«
»Wäre ich auch gewesen.«
»Hm.« Matthew deutete die Straße hinunter. »Wollen wir noch ein Eis essen? Da habe ich jetzt Lust drauf.« Trotz des kalten Wetters fand man in New Maple immer wieder vereinzelt mobile Verkaufsstände, die neben Crêpes und gebrannten Mandeln auch Eis im Angebot hatten.
Die Schwarzhaarige neben ihm nickte. »Gern.« Sie steuerten auf den Eiswagen zu, der an der Straßenecke stand, während die Antwort auf Matthews Frage eintraf.
›Ich hatte ein Date. Mal wieder. Es war...grauenvoll.‹ Im Gehen las Matthew die Nachricht und verzog sofort das Gesicht. Da brauchte es mehr zum Trösten.
»Was möchtest du?«, fragte Chloe und Matthew sah von seinem Blackberry auf in dunkle, braune Augen.
»Hm? Oh, ich nehme Pistazie.« Chloe nickte, während Matthew langsam an Em zurückschrieb.
› Ich bin wirklich froh, dass ich dich habe. Manchmal schreibe ich dir eher als meinen Freunden oder meiner Schwester .‹, tippe Matt. Eine Kugel Eis auf einer hellen Waffel erschien vor seinen Augen. Die Spitzen der Finger, die es hielten, glänzten in klassischem Rot.
»Hier, Pistazie.« Lächelnd nahm er Chloe das Eis ab.
»Danke.« Sein Blick fiel auf das Handy dahinter. Die Nachricht darauf war getippt, aber noch nicht abgeschickt und jetzt drängte sich das Eis davor. Matthew runzelte die Stirn und knipste kurzerhand ein Bild von seinem Eis mit dem Gehweg im Hintergrund. Zu seiner Nachricht schrieb er noch: › Hier, ein Trosteis.‹ dazu, bevor er alles abschickte und sich über sein Eis hermachte.
»Mit wem schreibst du denn da?«, fragte Chloe, die an ihrem Vanilleeis leckte. Kurz folgte er ihrer rosa Zunge mit dem Blick. Sexy sein war so einfach. Er konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass Em das nicht konnte. Chloe dagegen beherrschte es perfekt und grinste ihn jetzt frech an, da sie seinen Blick bemerkte. Schnell hob er ihn in ihre blitzenden Augen.
»Mit einem Freund. Er hat ein schlechtes Date gehabt.«
Chloe verzog das Gesicht. »Der Arme.« Sie hakte sich bei ihm unter und sie liefen Richtung Auto.
›Das geht mir auch so, Matt. Ich hab irgendwie das Gefühl, dass ich dir alles erzählen kann. Das ist verrückt. Hier noch eine Info. Egal ob dieses grüne Zeug Waldmeister oder Pistazie ist... Ich
mag beides nicht .‹
Matthew las die Nachricht erst, als er sein Eis aufgegessen hatte und musste lächeln.
› Pistazie. Das ist wirklich lecker und da ich deine Lieblings-Eissorte noch nicht weiß, musste ich auf meine zurückgreifen .‹, schrieb er zurück. Noch einmal überflog er Emmetts Nachricht. Alles erzählen... Matthews Blick fiel auf Chloe und er tippte eine neue Nachricht.
› Ich bringe gerade ein Date nach Hause.‹ Es war nicht so, dass er Em diese Information schuldig war oder ein schlechtes Gewissen hatte, dass er es noch nicht geschrieben hatte, aber ihm war klar geworden, dass der Jüngere Recht hatte. Die Empörung in der ankommenden Nachricht konnte er beinahe mit den Händen greifen, während er die Worte las.
› Und da schreibst du mit mir?! Spinnst du?!‹ Matthew musste lachen und Chloe warf ihm einen fragenden Blick zu.
› Oh keine Sorge. Es ist nicht das erste Date. Wir gehen schon länger miteinander aus.‹
»Was? Wieder dein Freund?«, fragte Chloe und Matthew nickte, ohne den leicht gereizten Unterton in Chloes Stimme wahrzunehmen.
›Das solltest du trotzdem nicht tun. Konzentrier dich auf dein Date. Ich wünsche dir viel Spaß!‹
Wieder vibrierte sein Handy und diesmal seufzte Chloe.
»Okay, weg mit dem Ding. Dein Freund soll sich woanders Trost suchen.« Schnell tippte Matthew eine Antwort. › Das ist sie. Danke Em.‹ Dann wanderte sein Handy wirklich endgültig zurück in seine Hosentasche. Er brachte Chloe nach Hause und sie verbrachten noch ein paar gemütliche Stunden zusammen, bevor Matthew gegen zwei Uhr nachts nach Hause fuhr. Er übernachtete nur selten bei ihr und er lud sie auch nur selten zu sich ein, aber das würde sicher noch kommen.
An diesem Abend lag Emmett lange wach. Das Handy lag neben ihm im Bett. Eine Marotte, die er sich angewöhnt hatte, seitdem er mit Matthew schrieb. Wenigstens einer von ihnen beiden hatte Glück in der Liebe. Er fühlte sich im Moment gerade einfach schrecklich einsam und schob die Hand auf die leere Bettseite. Wie lange war es her, dass er mal nicht alleine hier geschlafen hatte? Mal abgesehen von Hanni. Es fehlte ihm. Nicht so sehr der Sex, viel eher die körperliche Nähe. Sex konnte man heutzutage auch sehr gut mit sich selbst haben. Aber mit jemandem zu kuscheln, das war kompliziert alleine. Tief seufzte er und schob das Handy zurecht.
Himmel, das war krank. Grummelnd drehte er sich auf die andere Seite. Mit dem neu verlegten Buch lief es gut und sein neues Manuskript würde sich auch noch entwickeln. Vielleicht sollte er sich also doch eine Katze suchen. Dann wäre er nicht mehr alleine. Und für eine Katze würde der Platz in der Wohnung reichen. Die Idee kam ihm mit einem Mal gar nicht mehr so dumm vor oder so verschroben wie noch vor ein paar Wochen. Eventuell war genau das sein Schicksal. Vielleicht war er einfach der Katzentyp. Der komische alte Onkel, der sich seine Wohnung mit 14 Katzen teilte. Aber er wollte gar nicht 14. Höchstens eine. Und im Grunde nicht mal das, denn was er wirklich wollte, war ein Mann, der ihn verstand und ihn so nahm wie er war. Mit all seinen Ecken und Kanten. Natürlich war Mr. M so ein Mann, aber das war einfach. Ihre Bekanntschaft fand nur über das Handy statt und nicht einmal über Telefonate. Es war ein Wunder, dass Hanni ihn nicht für geisteskrank erklärte, aber dafür kannten sie sich zu gut. Und immerhin war das Ganze auf ihrem Mist gewachsen. Nun lag er hier in der Dunkelheit und dachte darüber nach, wie viel sympathischer ihm ein Mann war, den er nur über geschriebene Worte kannte und der vermutlich nicht einmal schwul war. Nicht mal das wusste er genau, denn Matthew hatte nie genau geschrieben, mit wem er da ein Date hatte. Doch vermutlich war es eine Frau. Frustriert griff er nach dem Kissen, zog es sich über den Kopf und hoffte darauf, aufgrund von Sauerstoffmangel irgendwann in den Schlaf zu finden.
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Der Winter hielt die Stadt fest in seinem Griff. Ende Januar begann es nun auch noch zu schneien und der Schnee sorgte für ein Verkehrschaos, das ihm beinahe auf die Füße gefallen wäre. Obwohl, irgendwie war es das ja, dachte Matthew seufzend als er auf seinen nassen Hosensaum sah. Nicht nur seine nassen Hosenbeine, sondern auch die Unterhaltung, die er führte, war unterkühlt.
Samuel Gershwin vor ihm faselte während der Vorspeise ständig etwas von William Turner und er meinte damit nicht den Charakter aus dem Fluch der Karibik-Universum, das hatte Matthew inzwischen herausgefunden. Es handelte sich wohl um einen Maler, aber er hatte nicht einmal eine Ahnung davon, aus welcher Epoche der stammte. So oft ging er nicht in Galerien und wenn, dann achtete er nur selten auf die kleinen Kärtchen neben den Gemälden, auf denen Titel und Künstler standen. Frustriert nahm er noch einen Schluck Weißwein, dann stutzte er. Er kannte aber jemanden, der gern in Galerien ging!
»Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment.«, sagte er, erhob sich und flüchtete auf die Männertoilette. Die kannte er inzwischen ja sehr gut. »Gott sei Dank!«, murmelte er, als er die Anzeige auf seinem Handy sah, die ihm sagte, dass er hier Internetempfang hatte.
› Ich brauche ganz dringend deine Hilfe. Wer war William Turner? Ich brauche dringend ein paar Infos über seine Werke, sein Leben, wenigstens über die Epoche! Du musst mir helfen, Em! Bitte! Ich sitze hier in einem Geschäftsessen fest und wenn ich nicht gleich etwas Schlaues sage, das über »Oh, ich gehe auch gern in Galerien.« hinausgeht, feuere ich mich selbst.‹ Das Internet in diesem Restaurant war so schlecht, das die Suchmaschine keine Ergebnisse lud und er brauchte Informationen!
Als Emmett diesen verzweifelten Hilferuf bekam, saß er gerade am PC und war dabei einen groben Rahmen für aktuelles Manuskript zu entwerfen. Lachend tippte er eine Antwort.
› Merk dir: Engländer, Romantiker, Maler und Aquarellist. Bedeutender bildender Künstler. Licht, Wasser, Natur und Landschaft. Ich mag seine Bilder sehr. Sie sind voller Leben und Gefühl. Aber auch Bewegung. Sie sind nicht sehr klar gezeichnet, wenig scharfe Linien, was irgendwie immer einen Unschärfeeffekt erzeugt und daher denkt man, es gäbe Bewegung. Das ist beeindruckend .‹
»Oh.« Ihm fiel etwas ein und er suchte danach im Internet. Dann schickte er das Bild mit.
› Sprich deine Geschäftspartner auf dieses Bild an. Es heißt ›Fischer auf See‹ und es hat eine wahnsinnig irre Ausstrahlung. In Natura noch mehr als auf dem Foto. Es ist bedrückend und wirkt mächtig. Gleichzeitig bedrohlich wie auch hoffnungsstiftend durch den Lichteinfall.‹ Dann stutzte er. › Der erste Vorname ist übrigens Joseph. Nicht William.‹ Er hoffte, dass dies Matthew helfen würde, als er die Informationen hinaus in die Welt zu ihm schickte. Der umfasste sein Handy wie einen Rettungsanker und las die Stichworte leise vor.
»Bewegung...«, murmelte er. »Unschärfeeffekt.« Er versuchte sich das Bild einzuprägen und seufzte schließlich auf, als er auch die letzte Nachricht gelesen hatte.
› Ich danke dir! Du hast was gut bei mir. Ich schulde dir einen richtig großen Gefallen, Em! Danke! Ich muss zurück, melde mich aber später wieder.‹ , tippte er schnell, bevor er die Herrentoilette wieder verließ und sich auf den Weg zurück machte. Die Hauptspeise wurde gerade aufgetragen und nun musste Matthew nur noch souverän genug wirken, während er über das Gemälde sprach. Mr. Gershwin schien beeindruckt.
»Ah! Turners erstes Ölgemälde! Vortrefflich, das gefällt mir auch sehr gut.« Matthew nickte.
»Es ist so...bedrückend und bedrohlich, zeitgleich durch den Lichteinfall aber auch hoffnungsvoll, nicht wahr?« Der ältere Mann vor ihm nickte.
»In der Tat! Es ist ganz hervorragend gezeichnet und das, obwohl Turner gerade 21 Jahre alt war als er es fertigstellte.« Matthew atmete auf. Endlich! Endlich hatten sie ein richtiges Gespräch, das er nun während der Haupt- und der Nachspeise ausbauen konnte. Ihm fiel ein Stein vom Herzen und als er im Taxi saß, etwa eine Stunde später, schrieb er Em zurück.
› Du hast mich wirklich gerettet! Dank deiner Informationen konnte ich punkten.‹ Die Antwort kam sofort.
› Mach beim nächsten Mal einfach vorher deine Hausaufgaben. ;) ‹ Matthew schnaubte als er das sah, denn normalerweise ging er nie so unvorbereitet zu einem Geschäftstermin. Schon Glenda hatte ihm damals eingebläut, dass man Investoren kennen sollte, bevor man sich mit ihnen traf.
› Hey, ich konnte ja nicht ahnen, dass der Typ so auf einen Maler abfährt. Das stand nirgends! Ich hatte eher das Gefühl, dass er mich testen wollte...‹
›Und bekommst du von ihm jetzt alles, was du möchtest?‹
›Das wäre großartig und es sieht ganz gut aus. Wir telefonieren nächste Woche miteinander.‹ Wenn alles gut lief... Matt traute sich noch gar nicht, sich das auszumalen.
›Ich drücke dir die Daumen und sag mir auf jeden Fall Bescheid. Jetzt muss ich weiter machen. :)‹
»Oh, das mache ich. Keine Sorge.«, murmelte Matthew und wandte seinen Blick dann nach draußen. Häuser zogen an ihm vorbei. In einem von ihnen lag sein Büro. Noch war es nur für ihn allein, aber wenn alles gut ging und er die Baugenehmigung bekam, würde es erst richtig losgehen. Wenn er tatsächlich das nötige Kapital zusammenbekommen sollte, würde er bald sein eigenes Private Equity Unternehmen gründen.
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Genau zwei Wochen später stolperte Emmett über etwas, das ihn fast ohnmächtig werden ließ. Das konnte nicht wahr sein! Er machte ein Foto davon und anstatt es als erstes an Hanni zu schicken, schickte er das Foto der Reklametafel an Matt. Darauf war Werbung für sein Buch zu sehen. Das Buch, mit den zwei so unterschiedlichen Protagonisten. Der Kleinwüchsige, der Tischler. Das markante Cover, der Titel. Das war unglaublich.
› Oh mein Gott, sieh dir das an!!!‹ , tippte er in seiner Freude und vergaß darüber glatt eine Erklärung. Denn Matthew wusste weder, dass er Bücher schrieb, noch dass er das unter einem Pseudonym tat. Als nächstes schickte er das Bild an Hanni, die es vermutlich erst später sehen würde, da sie jetzt im Krankenhaus war und ihre Schicht noch eine Weile ging.
Matt saß in seinem Büro, ging die Verträge für die Baufirma noch einmal durch. Tatsächlich hatte er die Baugenehmigung bekommen und das wusste natürlich auch schon Em. Der ihm gerade ein wirklich merkwürdiges Bild schickte. Sie schickten sich nicht oft Bilder. Um genau zu sein, war das hier nach dem Eis erst das zweite Foto und mit Turners Gemälde das dritte Bild, das über ihren Nachrichtenverlauf den Weg zwischen ihnen fand. Matthew tippte das Bild an, vergrößerte es. Eine Werbetafel mit einem Buch darauf. Auf dem Cover war ein Stuhl zu sehen, an dem Blut klebte. Daneben standen ein Titel und ein Autor. Beides sagte ihm nichts. ›Out now!‹ prangte ein symbolischer Sticker schräg darüber.
»Äh...«, machte Matthew. › Was soll mir das sagen, Johnny? Magst du diesen Ian Gold?‹
Wie vor den Kopf geschlagen blieb Emmett stehen, als er die Nachricht las - hinter ihm lief fast jemand in ihn hinein und er trat zur Seite. »Oh Shit... Verdammt...« Nervös biss er sich auf die Unterlippe. › Verdammt, das tut mir leid. Ich weiß, wir schicken uns nie Sachen, die...irgendwie persönlich sind.‹
Matthew runzelte die Stirn bei dieser Antwort, lächelte aber.
› Ist schon okay. Wenn du sagst, dass ich das mal lesen sollte, mach ich das .‹, schrieb er zurück. »So persönlich ist das ja nun nicht...« Was wirklich dahinter steckte, konnte er ja nicht ahnen. Und für Emmett wäre genau das ein perfekter Ausweg. Er konnte es genau so stehen lassen. Ein Autor, den er gerne las. Eine Empfehlung. Aber das wäre im Grunde eine Lüge und bisher hatte er Matthew noch nie angelogen. Er sah den Gehweg hinauf und hinunter. Dann schüttelte er den Kopf.
»Nein. Nein, das geht einfach nicht.«, murmelte er zu sich selbst und legte die Daumen auf den Bildschirm.
› Du kannst es gerne lesen. Und dann kannst du mir sagen, ob es mir gut gelungen ist oder nicht.‹ Nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum, während er auf eine Antwort wartete. Er wollte nicht lügen. Er konnte es nicht. Nicht bei Matthew. Als dieser die Nachricht gelesen hatte, lachte er und lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück, um zu antworten.
› Na klar, Em. -Du- hast das geschrieben. Oh, hab ich schon erwähnt, was ich so beruflich mache? Ich bin der Dalai Lama.‹ Grinsend schickte Matthew die Nachricht ab. Jedoch traf er dabei ohne es zu wissen einen empfindlichen Nerv bei Emmett. Leise schnaubte der.
› Dann hätte ich gerne eine Audienz bei dir. Das kann ich sicher im nächsten Buch verwenden .‹ Matthew runzelte die Stirn. Es klang so als hätte er Em verletzt. Gut, nun konnten geschriebene Worte ja nicht klingen und selbst wenn, dann wäre das ja nur möglich, wenn... Matthew ruckte nach vorne.
› Warte mal, das ist dein Ernst?!‹
›Ja. Ich bin Autor. Aber vergiss es einfach wieder .‹ Wieso sollte Matthew ihm auch glauben? Sie wussten viel voneinander. Aber nichts was Rückschlüsse auf ihre Person zuließ. Und um ehrlich zu sein klang es ja auch mehr als unglaubwürdig. Emmett selbst konnte ja kaum glauben, dass dort ein Plakat hing, das für sein Buch warb. Auch wenn es nur von einer kleinen Buchhandlung war, die vermutlich die momentanen guten Verkaufszahlen und Rezensionen nutzte, um Kunden in ihren Laden zu locken.
Matthew hatte tatsächlich Probleme, das zu glauben. Er starrte auf die Antwort.
› Wie soll das denn gehen? So alt bin ich noch nicht, dass ich senil werde...‹ Konnte er das glauben? Das war eine verfluchte Werbetafel in einer Stadt in einer Buchhandlung! Das konnte doch nicht sein, dass Emmett dieser Ian Gold war. Oder? Matthew schnaubte leise.
› Na toll, jetzt weiß ich nicht, ob ich das glauben kann. Gib's zu, du bist eigentlich fett und bettlägerig und denkst dir deshalb alles aus, was du mir schreibst.‹ Emmett hob eine Augenbraue.
› Wenn das ein Versuch sein soll, ein Foto von mir zu bekommen, vergiss es. Und zur Information, ich habe dich noch nie angelogen.‹ Fett?! Er schob das Handy in seine Tasche und lief weiter. Die Freude über das Plakat war mit einem Mal wie weggeblasen. Matt kam nicht umhin, diesen Ton in der Nachricht zu bemerken. Schon wieder. Und dabei war es doch wirklich nur Text.
»Verdammt...«
› Tut mir Leid, Johnny. Es ist nur so unwahrscheinlich, dass ich jemanden auf diese verrückte Weise kennenlerne und der ist dann auch noch erfolgreicher Schriftsteller.‹ , schrieb Matthew zurück.
Ganze 15 Minuten hielt es Emmett aus, dann zog er das Handy doch wieder hervor. Runzelte die Stirn über die Anrede, die ihn gerade auf die Palme brachte.
› Mein Name ist Emmett. Und ich bin alles andere als erfolgreich.‹ , tippte er schnell. Ob es merkwürdig herüber kam, wenn er seinen Kopf an die nächste Scheibe oder Wand schlug? Das, was er hier gerade schrieb und tat, war alles andere als erwachsen.
› Es tut mir leid. Ich sollte so nicht reagieren.‹ , tippte er und atmete tief durch. › Vergiss es einfach.‹ Sie kannten sich nicht. Sie hatten nichts miteinander zu tun. Das waren nur Nachrichten. Sonst nichts.
»Definitiv sauer...«, murmelte Matthew und auch nach den weiteren Nachrichten blieb diese Einschätzung bestehen. Sie mochten sich nie etwas Persönliches geschrieben haben, aber dass er ihm nicht geglaubt hatte, hatte Emmett doch verletzt. Matthew ließ es eine Weile auf sich beruhen, checkte seine E-Mails und beantwortete zwei davon, bevor er wieder nach seinem Handy griff.
› Hey, Emmett ?‹, schrieb er nur, lächelte aber dabei.
›Hm?‹ , kam die kurze Antwort.
›Dein Buch ist auf einer verdammten Werbetafel. Wenn du bis heute nicht erfolgreich warst, dann würde ich sagen du bist es jetzt. Ich gratuliere dir.‹ Das brachte den Jüngeren nun doch zum Lächeln.
›Danke.‹ Nur machte ein Plakat noch lange keinen Erfolg aus. Er hatte nicht einmal etwas davon gewusst und musste ein ernstes Gespräch mit seiner Verlegerin führen. Er war der Meinung, dass er als Autor eigentlich das Recht hatte, zu wissen, ob Werbung für eines seiner Werke gemacht wurde.
Matthew nickte leicht. Sein Blick fiel auf seinen Computerbildschirm. Er beugte sich vor, rief eine Internetseite auf und schrieb ›Ian Gold‹ in das Suchfeld. Er sollte das nicht tun. Sein Ringfinger tippte leicht auf die Entertaste ohne sie auszulösen und dann tippte er doch einmal zu sehr darauf.
»Oops.«, murmelte er. Allerdings brachte ihm die Suche nicht viel und er hatte auch ein immer schlechteres Gefühl dabei. Er würde nicht mehr suchen. Vergessen würde er es aber auch nicht, so viel stand fest und der Gedanke daran, dass er tatsächlich einen Schriftsteller kannte, ließ ihn lange nicht los. Immer noch war da ein Hauch von Zweifel, dass diese ganze Geschichte nicht stimmen konnte. Wenn es so war, wusste er eine Menge mehr als das Internet über diesen Ian Gold wusste. Am nächsten Tag kam er an einem Buchgeschäft vorbei und trat kurzerhand ein, um sich nach Ians oder...oder Emmetts Buch umzusehen. Tatsächlich lag es noch bei den Neuerscheinungen und Matthew kaufte sich ein Exemplar.
Ihre nächsten Nachrichten blieben oberflächlich wie immer und Matthew hatte nun neue Bettlektüre. Er versuchte, anhand des Buches herauszufinden, ob die Geschichte stimmte. Ob Ian Gold und Emmett dieselbe Person waren. Das war immer noch so unvorstellbar und ein so wichtiges Detail aus dem Leben des Anderen, dass Matthew unsicher blieb.