Читать книгу Wenn Liebe langsam wächst - Axel Adamitzki - Страница 6
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ОглавлениеNachdem Dr. Berg die Autobahn verlassen hatte, saß Laura noch immer gedankenversunken auf dem Beifahrersitz und nahm nichts von der heimatlichen Landschaft wahr. Ihr Herz wollte nicht aufgehen, sie dachte an ihre Mutter, an die schreckliche Krankheit und an das scheinbar Unvermeidliche, an den Tod. Und sie wollte es noch immer nicht wahrhaben.
Als sie das Krankenhaus endlich erreicht hatten, folgte Laura dem Anwalt ihrer Eltern, der den Weg gut kannte. Der Geruch von Nüchternheit, Mullbinden und Pfefferminztee ließ alles in ihr erstarren. Die erschütternden Worte ... Lungenkrebs! ... Endstadium! ... wurden zögerlich zur Realität. Zu einer schrecklichen Realität.
»Guten Tag, Herr Doktor«, sagte Dr. Berg, nachdem sie die richtige Abteilung erreicht hatten und den zuständigen Arzt in seinem Zimmer antrafen. »Darf ich Ihnen Laura Komtess von Heimenstein vorstellen!«
»Gut, dass Sie endlich da sind. Ich fürchte, es geht zu Ende.«
Die Worte des Arztes klangen schonungslos. Ohne Umschweife. Was für ein Holzklotz. Obendrein war er erstaunt, dass die Gräfin es noch so lange geschafft hatte, dass sie noch lebte - doch behielt er das für sich.
»Würden Sie mich bitte zu ihr bringen.«
Lauras Worte klangen beherrscht. Sie wollte keine Zeit mehr verlieren.
Der Arzt nickte und ging vor.
Gemeinsam durchschritten sie einen langen, hellerleuchteten Gang, bis sie an eine Glastür ankamen.
Schon von außen konnte Laura ihre Mutter sehen. Angeschlossen an unzählige Apparaturen lag sie reglos mit geschlossenen Augen in ihrem Krankenbett.
Verhalten öffnete Laura die Tür und betrat das Krankenzimmer ... das Sterbezimmer ihrer Mutter. Der Arzt wendete sich ab und ließ die Komtess mit ihrer Mutter allein.
Laura blieb einen Moment stehen und betrachtete schmerzvoll ihre Mutter. Sie schluckte trocken, Tränen drückten. Es war nicht viel übrig von dieser starken und lebensbejahenden Frau.
Die Stille im Zimmer wurde nur durch den ruhigen und langsamen Herzschlag, der über den Lautsprecher eines Computers hörbar war, unterbrochen.
»Hallo, Mami.« Lauras Stimme krächzte. Tränen liefen ihr ohne Unterlass über die Wangen.
Langsam öffneten sich die Augen ihrer Mutter. Als sie endlich ihre Tochter sah, huschte ihr ein Lächeln über das Gesicht. Der schrille Piepton wurde etwas schneller.
»Reg dich nicht auf, Mami, ich bin ja jetzt hier.«
Laura setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand. Behutsam nahm sie die knochige Hand ihrer Mutter.
»Warum habt ihr mir nicht früher Bescheid gegeben? Ich wär doch sofort gekommen.«
Die Augen der Gräfin lächelten Laura an. Sprechen fiel ihr entsetzlich schwer, dabei hatte sie ihrer Tochter doch noch so viel zu sagen.
»Schön ... das ... du ... endlich ... hier ... bist.«
Nach jedem Wort atmete sie flach und angestrengt.
»Es wird alles wieder werden. Es wird alles wieder gut, Mami.«
Laura versuchte, ihrer Mutter Mut zu machen. Nein! Den Mut benötigte sie. Sie selbst!
Gräfin Ilona von Heimenstein schloss die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf. Nach einigen Atemzügen öffnete sie die Augen erneut und sagte sanft: »Du musst ... dich um ... deinen Vater ... kümmern ... Er schafft es ... nicht allein.«
»Natürlich, Mami. Ich kümmere mich um ihn. Ganz sicher. Ich bleibe jetzt hier. Und ich komme auch jeden Tag mindestens zweimal her, um zu sehen, ob du auch alles hast. Du kannst dich auf mich verlassen.«
Ein kläglicher Versuch, die Realität zu negieren. Er misslang.
Die Gräfin sah Laura an, lächelte wissend und versuchte, ihr die Hand zu drücken, versuchte, ihrer Tochter Mut zu machen. Und wieder holte sie qualvoll Luft, denn es gab noch so viel zu sagen.
»Das Gut ... das Gut ... ist in einem ... tadellosen ... Zustand.«
»Mami, das ist doch jetzt nicht wichtig.«
»Doch ... doch ... mein Kind.« Und wieder schloss die Gräfin die Augen.
»Mami? ... Mami!«
Lauras Stimme überschlug sich beinahe. Sie hatte Angst! Furchtbare Angst!
Die Gräfin öffnete die Augen und sah ihre Tochter zärtlich besorgt an. Laura weinte bitterlich. Tränen tropften auf die Bettdecke der Mutter.
»Wenn du ... Probleme hast, ... wende dich an ... Dr. Berg, ... er ist ... unser Freund.«
»Ja, Mami.«
Laura resignierte, gab nach und nach ihre Gegenwehr auf. Alle ihre Hoffnung schien ihr wie Wasser durch die Finger zu gleiten. Alle Hoffnung schien vergebens.
»Du ... du siehst ... gut aus, ... meine kleine Laura ... Ich liebe dich ... Und ... ich wünsche dir ... viel Glück ... Du wirst ... das alles ... schaffen ... Ganz sicher ... Und vergiss mich ... nicht ... Du ... du hast ... alles richtig ... gemacht ... Ich ... ich bin stolz ... auf dich. Und bitte ... denke ... an ... deinen Vater.«
Und wieder schloss die Gräfin die Augen. Diesmal für immer. Der Kopf drehte sich langsam zur Seite, ganz sacht. Der letzte Atemzug war getan, der letzte Hauch von Leben verließ lautlos den kranken Körper, verlor sich aufgelöst im Krankenzimmer. Und aus dem Piepton wurde ein durchgängiges Piepen. Grell und hässlich.
»Mami??? ... Nein, ... bitte bleib!«
Laura schrie und sprang dabei auf. Mit weit aufgerissenen Augen, verweint und trostlos, blickte sie auf die schreckliche Endgültigkeit des Todes.
Augenblicklich kam der Arzt hereingesprungen, sah die Gräfin an, begriff sofort und schaltete den Piepton aus.
Routinemäßig horchte er die Patientin ein letztes Mal ab, sah alsdann die Komtess an ... und schüttelte den Kopf. Taktvoll legte er Laura die Hand auf die Schulter, verharrte einen Moment und verließ stumm und lautlos das Zimmer.
Laura sah ihre Mutter an und konnte es nicht begreifen. Sie war tot! ... Tot!
Nachdem sie noch fast eine halbe Stunde am Totenbett ihrer Mutter gesessen und Abschied genommen hatte, verließ Laura das Krankenhaus. Dr. Berg hatte im Gang, zurückhaltend und mitfühlend auf die Komtess gewartet.
Nun stützte er sie fast väterlich. Der Arzt hatte ihm durch ein unmerkliches Kopfschütteln die traurige Nachricht verkündet.
Schwierige Aufgaben warteten jetzt auf Laura Komtess von Heimenstein. Und dabei schien es ihr, als hätte sie doch eben all ihre Kraft verbraucht.