Читать книгу Wenn Liebe langsam wächst - Axel Adamitzki - Страница 8
4
ОглавлениеZur Beisetzung der Gräfin Ilona von Heimenstein waren alle gekommen. Verwandte, Bekannte, der Bürgermeister und die Bewohner von Heimenstein. Bedeutungsvolle Worte wurden gesprochen, aufrichtige Beileidsbekundungen zum Ausdruck gebracht, Mitgefühl bekundet und Hilfe an geboten. Doch was die Komtess innerlich bewegte, blieb den Anwesenden verborgen.
Laura ließ die Beisetzungszeremonie über sich ergehen. Sie achtete auf ihren Vater, der in der Zwischenzeit zwar einige klare Momente gehabt hat, aber jetzt offensichtlich doch nicht so recht begriff, was um ihn herum geschah. Harald Graf von Heimenstein hatte sich bei seiner Tochter untergehakt und doch war nicht erkennbar, wer wen stützte.
»Ich werde meinen Vater nach Hause bringen. Martha, könntest du dich um alles Weitere hier kümmern?«, fragte Laura, nachdem die Beisetzung beendet war.
»Selbstverständlich. Geh nur«, antwortete Martha knapp.
Man hatte in Heimenstein, im Café ›Mozart‹, zu einem Kaffeetrinken geladen. Laura fühlte sich nicht in der Lage, daran teilzunehmen. Und ihrem Vater wollte sie den Trubel nicht zumuten.
»Darf ich Sie nach Hause begleiten?«, fragte Dr. Berg, der die ganze Zeit stumm, in angemessener Entfernung, hinter der Komtess gestanden hatte.
»Herzlichen Dank, aber das ist nicht nötig. Außerdem bin ich mit dem Wagen meiner Eltern hier.«
»Wenn Sie mir aber kurz noch gestatten, Komtess, möchte ich Ihnen gern meinen Sohn vorstellen. Er wird sich in Zukunft um ihre Angelegenheiten kümmern.
Wann immer sie eine Auskunft benötigen, er wird für Sie da sein«, sagte Dr. Berg und fügte sogleich hinzu: »Unnötig zu sagen, dass ich Ihnen selbstverständlich auch weiterhin zur Verfügung. Jederzeit. Wenn Sie es wünschen.«
Laura verstand nicht gleich, sah sich aber unvermittelt einer ausgestreckten Hand gegenüber.
»Mein Name ist Maximilian Berg. Ich möchte Ihnen nochmals mein tiefes Mitgefühl zum Ausdruck bringen.«
Ohne genau hinzusehen, ein wenig oberflächlich, reichte Laura dem jungen Mann die Hand. Doch im Moment ... ihre Hand in seiner ... spürte Laura eine entschiedene Kraft und eine verborgene Zärtlichkeit, die von dieser fremden Hand ausging. Konnte so etwas sein? Sie hob den Blick und sah Maximilian Berg an. Sie schaute einen langen Moment in das markant geschnittene Gesicht eines Mannes von etwa dreißig Jahren, der ihren Blick besonnen erwiderte. Seine dunkelblonden Haare, halblang geschnitten, seine blauen Augen, freundlich blickend, sein Mund, aufrichtig anteilnehmend, schienen voller Sympathie. Er war einen halben Kopf größer sie und wirkte sportlich durchtrainiert unter seinem schwarzen Anzug.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, genoss sie diesen Händedruck, schien er ihr Kraft zu geben.
»Ich danke Ihnen für Ihr Mitgefühl. Wenn Sie mich jetzt aber bitte entschuldigen würden.«
Ihr Vater wurde unruhig und presste sich, eingehakt, an Laura. Die vielen Menschen schienen ihn zu verwirren. Sie wollte nur noch behänd mit ihm nach Hause. Er brauchte seine Ruhe.
»Hier ist meine Karte. Wenn Sie Hilfe brauchen, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.«
»Ich danke Ihnen nochmals, aber ich muss jetzt los.«
»Soll ich Sie begleiten?«
Maximilian Berg sah sie auffordernd an. Laura von Heimenstein nahm die Visitenkarte und schüttelte unmerklich den Kopf. Sie wollte weg, nach Hause, sie wollte endlich allein sein. Sah man das nicht?
Maximilian Berg schien zu spüren, dass er wohl einen Schritt zu weit gegangen war. Doch, noch bevor er reagieren konnte, bevor er sich entschuldigen konnte, erklang eine Stimme hinter ihnen. Männlich. Bestimmend.
»Das übernehme ich.«
Überrascht drehten sich beide um. Hanno Graf von Theuersdorff trat langsam auf sie zu. Er war schlank, eine Nuance größer als Maximilian Berg und sein Blick, bedächtig und aufmerksam, verbreitete endloses Mitgefühl.
»Hanno!«, stieß Laura hervor. Der unerwartete Anblick des Mannes, der ihr Herz vor Jahren zärtlich berührt hatte, der es aber auch in der Zeit ihrer Gemeinsamkeit wieder und wieder gepeinigt hatte, verwirrte sie.
Im ersten Moment freute sie sich, ihn zu sehen, doch im gleichen Moment wurde ihr schmerzlich bewusst, dass er der andere Grund für ihr Weggehen gewesen war. Vor drei Jahren hatte sie auch seinetwegen unbedingt gehen müssen. Wie sinnlos das war, spürte sie augenblicklich: Die vergrabenen Gefühle ... Alles war wieder da.
War alles umsonst gewesen? Würde ihr Herz diesen Mann nie loslassen?
Hanno Graf von Theuersdorff war noch keine dreißig Jahre alt, hatte aber schon vor acht Jahren, bedingt durch den plötzlichen Unfalltod seiner Eltern, das gräfliche Gut derer von Theuersdorff übernehmen müssen.
Und vor fünf Jahren hatte es begonnen – zwischen ihnen. Eine erste kurze Romanze und doch ... es war Liebe gewesen. Zumindest für Laura.
Gleichwohl, wie aus dem Nichts, ohne ein Wort darüber zu verlieren, war Hanno damals irgendwann einfach verschwunden. Tage später, nachdem er wieder aufgetaucht war, ohne sich zu erklären, beteuerte er ihr lediglich seine Liebe. Und Laura hatte ihm geglaubt, hatte ihm glauben wollen - sie hatte ihn geliebt.
Und so erlebten sie eine wunderschöne Zeit. Aber dieses Verschwinden wiederholte sich ... und wiederholte sich ... und wiederholte sich. Nie sagte er etwas. Nie gab es eine Erklärung. Laura vermutete eine andere Frau hinter all dem. Doch immer wieder beteuerte er ihr seine Liebe. Am Ende fehlte ihr die Kraft, ihm weiterhin glauben zu können. Aus der Liebe schöpfte sie keine Kraft mehr. Schließlich hatte sie einfach nur noch weggewollt.
Und heute?
Laura brauchte einen Freund, einen Menschen, der ihr vertraut war und der ihren entsetzlichen Schicksalsschlag aus eigenem Unglück nachempfinden konnte. Am Ende ließ sie ihre Freude, ihn wiederzusehen, auch deshalb zu. Und vielleicht ... Vielleicht war ja nun auch alles ganz anders? Nach drei Jahren. Vielleicht!
»Soll ich gleich mal zu dir kommen?«, fragte Hanno.
»Gern«, gab Laura zurück und wandte sich dann an Maximilian Berg: »Tut mir leid, Herr Berg. Ich muss jetzt los ... allein ... Mein Vater ... Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse.«
»Nein. Natürlich nicht.«
Über Lauras Gesicht huschte ein kurzes Lächeln, dann setzte sie ihren Vater auf den Rücksitz hinter dem Beifahrer, verabschiedete sich von den Anwesenden und fuhr los.
»Ich werde dann auch mal los«, sagte Graf Hanno und grüßte beifällig in die Runde.
*
Maximilian Berg blickte Laura wehmütig hinterher. Er hatte sie heute das erste Mal gesehen. Und dann diese erste Berührung, dieser Händedruck ... ihre Hand in seiner Hand ... Was war da geschehen? Ob sie das auch gespürt hat? Wohl kaum.
Er drehte sich um, ging langsam zurück zu seinem Vater ... doch, ob er wollte oder nicht, auch wenn der Anlass der Beisetzung ganz sicher nicht angemessen war, aber ... er hatte sich in Laura verliebt, nein es war mehr ...
Es war Liebe auf den ersten Blick.