Читать книгу Urlaubsflirt oder Liebe - Axel Adamitzki - Страница 5
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ОглавлениеMichael Eschbronn drehte den Schlüssel nur ein kleines Stück und sofort sprang die Tür auf. Es war nicht abgeschlossen. Ein Lächeln huschte ihm über das Gesicht. Nora ist da, dachte er. Vielleicht hat sie ja schon alles dabei. Morgen könnten wir dann starten.
Ein Blick in die Papiertüte, die er in Händen trug, gab ihm die Gewissheit, dass er auch selbst endlich alles für die Tour zusammen hatte. Die neuen Wanderschuhe passten wie angegossen.
Er betrat seine Wohnung und lauschte einen Moment in die Stille. Straßenlärm drang durch das aufgeklappte Küchenfenster in den Flur. Verhalten und stetig. Sonst war nichts zu hören.
Wo ist sie? Ihr Geruch liegt in der Luft, unverkennbar, dachte er. Weiblich. Distanziert. Und dabei sehr selbstbewusst. So, wie er es liebte ... so, wie es immer war ... so, wie es immer sein würde.
»Nora?«
Keine Antwort.
Michael schloss hinter sich die Wohnungstür, ging einen Schritt den Flur entlang und hörte, wie im Schlafzimmer eine Schublade geöffnet wurde.
Er ging weiter, und als er die Schlafzimmertür erreichte, erstarrte seine Freude.
Nora packte!
Einen großen und einen kleinen Koffer - ausgebreitet auf dem Bett. Das war kein Packen für eine Bergwanderung. Sie packte ihre Sachen. Alle!
»Was machst du da?«
Achtlos stellte er die Tüte mit den Wanderschuhen ab und sah, wie Strumpfhosen und Büstenhalter in dem kleinen Koffer verschwanden.
»Gut, dass du kommst, dann kann ich mir das Schreiben des Abschiedsbriefes ersparen.«
»Was für ein Abschiedsbrief? ... Und was machst du da überhaupt?«
Er wiederholte die Frage, obwohl er sehr genau wusste, was sie da tat. Aber es schien so abwegig. Absurd.
Bis gestern waren wir doch noch glücklich, oder? Ein Gedanke, der seine Wirklichkeit verloren zu haben schien.
Ihre Worte, hart und flüchtig, bekräftigten diese Befürchtung.
»Wonach sieht es denn aus?«
Michael schüttelte den Kopf, wollte nicht begreifen, was er sah, was hier vor sich ging.
»Was ist denn passiert? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?«
Für einen Augenblick unterbrach Nora das hastige Vollstopfen ihrer Koffer und blickte ihn aus ratlosen und mitleidigen Augen an.
»Nein, ... oder vielleicht doch. Aber das ist jetzt nicht mehr von Belang.«
Er zuckte die Achseln. Er verstand ihre Worte nicht.
»Was ist nicht mehr von Belang? ... Erklär es mir! ... Wenn ich nichts falsch gemacht habe, warum packst du dann? Und was hast du vor?«
Sie lächelte und sprach, ohne Verständnis für ihre Worte zu erwarten.
»Dein Problem ist, du machst nichts falsch, weil du nichts machst.«
Er zuckte die Achseln. Er verstand noch immer nicht.
»Das stimmt doch nicht. Ich bereite gerade unsere Wanderung vor.«
Ungläubig sah Nora ihn an.
»Genau! Du bereitest diese unsinnige Wanderung vor. Und nur damit beschäftigst du dich. Die ganzen Tage.«
»Aber was ist denn so schlimm daran?«
Sie nickte.
»Du hast recht. Eigentlich gar nichts. Nur ... du bist seit Ewigkeiten mit deinem Studium fertig, hast seit einem halben Jahr deinen Doktortitel. Und was tust du?«
Nora schüttelte den Kopf, und sie fuhr fort: »Du kümmerst dich nicht im Mindesten um deine berufliche Zukunft. Und wohnst noch immer in dieser ... dieser Studentenbude.«
»Nach der Alpenüberquerung wollte ich alles in Angriff nehmen.«
Wieder unterbrach Nora das Packen.
»Michael, du bist ein Träumer. Ich kenne dich jetzt seit zehn Monaten. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass du großen Wert auf ein normales Leben legst. Hier ...« Nora reichte ihm einige Briefe. »Die haben mir deine Eltern mitgegeben. Das sind drei weitere Angebote von Universitäten, die dich gern als Dozenten hätten. Ich glaube, dann sind es insgesamt sechs, oder?«
»Ja, und?«
Er nahm die Briefe und warf einen kurzen Blick auf die Absender. Nora packte weiter.
»Du könntest in fünf Jahren Professor sein. Und was machst du?«
»Vielleicht will ich das gar nicht.«
Nora unterbrach das Packen ein weiteres Mal und nickte ... resigniert zustimmend.
»Ja gut, wenn das nichts für dich ist, warum nimmst du dann nicht das Angebot an, das dir dein Vater offeriert hat? ... Nicht jedem bietet sich die Chance, direkt nach dem Studium Juniorchef eines solchen Unternehmens zu werden. Wie viele Mitarbeiter hat das Unternehmen deines Vaters jetzt? ... Dreitausend?«
»Etwa fünftausend«, korrigierte er mit leiser Stimme. »Aber das interessiert mich auch nicht. Ich möchte meinen Weg gehen.«
»Ach, Michael, du bist jetzt siebenundzwanzig. Was ist denn dein Weg? Und wann wirst du das wissen? Vielleicht wenn du vierzig bist?«
Nora schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Du hast dein Studium mit Auszeichnung bestanden, hast deinen Doktor mit ›summa cum laude‹ gemacht. Dir stehen alle Türen offen und was machst du? ... Eine Wanderung über die Alpen.
Ich befürchte, wenn du von deiner Bergüberquerung zurück bist, dann fällt dir wieder etwas anderes ein. Vielleicht eine Wanderung durch die Sahara. Oder das Durchqueren von Feuerland.«
Michael versuchte zu lächeln, versuchte, diesem Gespräch die Endgültigkeit zu nehmen.
»Da bringst du mich auf eine Idee ...«
»Siehst du! ... Und das kommt noch dazu, du nimmst nichts ernst. Mich nicht, diese Stellenangebote nicht und auch deine Eltern nicht.«
»Was haben meine Eltern denn damit zu tun? Es ist mein Leben, oder?«
»Natürlich ist es das. Aber du kannst ihnen nicht verbieten, dass sie sich sorgen machen. Ich war gestern bei ihnen und habe mich von ihnen verabschiedet. Natürlich waren sie traurig darüber, aber viel schlimmer ist es für sie, dass du all deine Fähigkeiten einfach so wegwirfst. Und in dieser Bruchbude hier versauerst.«
Nachdenklich blickte er Nora an. Und sogleich hatte er den Ernst der Situation begriffen. Es war tatsächlich vorbei. Doch ...
»Können wir nicht noch einmal über alles reden?«
»Es tut mir leid.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich mag dich sehr, aber das ist nicht das Leben, wovon ich immer geträumt habe.«
Michael überlegte, blickte an den Koffern vorbei auf das Bett. Ein Doppelbett. Zwei Kissen, zwei Bettdecken, weiß, mit großen roten Blumen. Nora hatte das ausgesucht.
»War es nicht immer schön ... hier? Hatten wir hier nicht immer viel Spaß miteinander? Sogar vorgestern noch?«
Die letzte gemeinsame Nacht voller Liebe, voller Hingabe und Zärtlichkeit.
Nora sah ihn an und wieder schüttelte sie den Kopf.
»Aber das reicht mir nicht. Das ... das Bett allein genügt mir nicht. Sex und deine Träume sind mir zu wenig. Seit ein paar Wochen versuchte ich, es dir wieder und wieder zu erklären. Aber du hast mir überhaupt nicht zugehört. Und ich weiß nicht, warum?
Und jetzt ist Schluss. Es geht nicht mehr.«
Entrückt blickte sie das T-Shirt an, das sie gerade in Händen hielt.
»Ich möchte mir mit einem Mann etwas aufbauen. Ich möchte auch etwas mehr Komfort haben, als es diese Wohnung hier hergibt und ... ich möchte Kinder haben ... und nicht erst in zehn Jahren.
Ich will all das heute, denn ich lebe heute ... und nicht erst, wenn mein Mann weiß, was er will.«
Nora hob den Kopf und blickte ihm traurig und endgültig in die dunkelblauen Augen, die sie noch vor Wochen so verzaubert hatten. Doch der Zauber war vorbei.
»Vielleicht bist du zu intelligent für diese Welt. Vielleicht bin ich aber auch nicht die richtige Frau für dich ... Auf jeden Fall werde ich jetzt gehen. Es tut mir leid.«
Demonstrativ legte sie den Wohnungsschlüssel auf das Bett.
Es war vorbei.
Warum hatte er von alldem nichts mitbekommen? Hatte er in den letzten Wochen tatsächlich nicht richtig zugehört?
Bin ich wirklich dieser Träumer? Bin ich wirklich so lebensfremd?, dachte er. Bedrückt sah er Nora an, bedrückt, enttäuscht und wehmütig.
»Und ... was wirst du jetzt machen?«
Nora überlegte nicht lang, es schien, als gäbe es für sie keine Veranlassung, die Wahrheit zurückzuhalten. Sie fühlte sich ihm gegenüber nicht mehr verpflichtet ... Es war tatsächlich vorbei.
»Dietram Bergen hat mich über das Wochenende auf seine Segeljacht eingeladen.«
Michael kannte Dietram nur flüchtig, von zwei oder drei Partys. Er fand ihn langweilig, spießig, aber irgendwie auch zielstrebig ... mein Haus! ... meine Jacht! ... und jetzt auch: meine Frau?
Und er lächelte. Ironisch, spöttisch. Innerlich verletzt.
»Ach, ist es das? Brauchst du eine Jacht, um glücklich zu sein?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Michael, das verstehst du nicht. Und ich befürchte, das wirst du niemals verstehen. Ich brauche jemanden, mit dem ich übers Wochenende etwas Ansprechendes unternehmen kann, der dann aber am Montag wieder seine beruflichen Aufgaben wahrnimmt, weil er Verantwortung für eine Familie tragen will und tragen kann.«
Sie brach ab und dachte kurz nach.
»Dietram liebt mich und ich denke, ich liebe ihn auch.« Und wieder sah sie Michael mitleidvoll an. »Ich brauche keinen großen Jungen. Ich brauche einen ganz normalen Mann. Und Dietram ist dieser Mann.«
Vielleicht war er wirklich ein großer Junge, ... aber ein solch normales Leben kam für ihn tatsächlich nicht infrage. Niemals.
»Dann wünsche ich dir alles Gute.«
Nora ignorierte den Zynismus in seiner Stimme. Ruhig schloss sie ihre Koffer und wollte offensichtlich nur weg, ohne weiteren Streit, der zu nichts mehr geführt hätte.
»Das wünsche ich dir auch. Und vor allen Dingen wünsche ich dir eine Frau, die all deinen Unsinn mitmacht. Oder, ... für die du all deinen Unsinn, den du im Kopf hast, bereit bist aufzugeben.
... Ich war es leider nicht.«
»Ich glaube, ... diese Frau gibt es nicht.«
»Ich fürchte, da hast du recht. Aber ich würde sie dir gönnen.«
Sie nahm ihre Koffer, küsste ihn ein letztes Mal auf die Wange und ging zur Wohnungstür.
»Nora?«, rief er ihr zärtlich hinterher. Sie drehte sich noch einmal um und sah ihn fragend an.
Doch er blieb stumm.
Alles war gesagt, so schien es. Er blickte in ihre dunklen Augen, die ihn ein letztes Mal traurig anlächelten. Im nächsten Moment war sie auch schon im Treppenhaus verschwunden.
Gedankenverloren blieb Michael zurück. Wieder einmal war er allein. Stille umgab ihn. Selbst der Straßenlärm hatte eine Pause eingelegt ... so schien es.
Er ging ins Schlafzimmer zurück, sah sich um und betrachtete nachdenklich die Abdrücke, die die Koffer auf der Bettdecke hinterlassen hatten, blickte auf den Wohnungsschlüssel.
War der Abschied wirklich so plötzlich gekommen? Waren all die Frauen, die es vor Nora gegeben hatte, nicht auch irgendwann einfach verschwunden?
Ja, das waren sie. Spätestens, wenn ihnen klar geworden war, dass es an seiner Seite nicht den erhofften gesellschaftlichen Aufstieg geben würde ... von dem sie geträumt hatten.
Michael Eschbronn der Ausnahmestudent und Sohn eines reichen Unternehmers. Und doch, all das bedeutete ihm recht wenig.
Dann war Nora also keine Ausnahme?
Doch, das war sie ... Ihre Ehrlichkeit, die war neu. Sie wollte einen Mann für ein normales Leben ... und dieser Mann war Michael Eschbronn nun wirklich nicht.
Aber bin ich tatsächlich so schwierig? Bin ich unfähig, eine normale Beziehung zu leben?
Doch was ist normal?
Für mich?
Er wusste es nicht. Noch nicht.