Читать книгу SeelenFee - Buch Drei - Axel Adamitzki - Страница 8

28 – Noch immer wollte Elektra …

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… es nicht glauben, Bella war wieder da. Seit Stunden, seit eben. Und jetzt lag sie hier, neben ihr – auf dem schmalen Krankenbett. Selbst wenn es nur halb so breit gewesen wäre, hätten beide darauf Platz gefunden.

Den Kopf an Elektras Schulter gelehnt, ließ Bella sich streicheln, und immer wieder sagte sie nur: »Es tut mir leid, Leeki, es tut mir alles so furchtbar leid.«

Die eben noch kaum aushaltbaren Schmerzen im Unterleib waren plötzlich erträglich.

Bella war wieder da.

Und erneut hatte sie diesen Moment vor Augen, den Moment vor Stunden, als ihre geliebte Freundin das Krankenzimmer betreten hatte. Zögerlich waren ihre Schritte ins Zimmer gewesen. Sie hatte kaum gewagt, den Blick zu heben.

Stefan Bürgli verstand die Situation sofort, und er ließ sie taktvoll allein, jedoch nicht, ohne vorher noch einmal darauf hinzuweisen, dass jede Aufregung den Heilungsprozess nachhaltig behindern könnte. Er war ihr Arzt, er musste so reden, doch vernahm Elektra seine Worte nur verschwommen hinter einer grenzenlosen Vorfreude.

Und endlich waren sie allein.

Schweigend stand Bella da. Den Kopf noch immer gesenkt verknotete sie aufgeregt die Finger. Ihr Gesicht war schmal geworden. Noch immer trug sie ihr glattes schwarzes Haar halb lang, und noch immer glänzte es wie lackiert; und die Augen, diese dunkelbraunen Augen, in die Elektra stets voller Liebe versunken, nein, mehr noch, entrückt war, jagten jetzt aufgeregt über den Fliesenboden und fanden keinen Halt.

Elektras Blick wanderte bedächtig weiter.

Über einem dunkelroten Sommerkleid, das sie nicht kannte, hatte Bella eine schwarze dünne Strickjacke gezogen, die wunderbar mit den Ballerinas an ihren Füßen harmonierte. Ihre Beine, die eben über den Knien unter dem Kleid verschwanden, waren nackt. Erst jetzt wurde Elektra deutlich, wie sehr sie auch diesen Anblick vermisst hatte. Und die Hüften, die vielen etwas zu breit erschienen, die aber die Weiblichkeit ihrer geliebten Bella vollendet zum Ausdruck brachten, hatten sich nicht verändert, waren nicht mehr und auch nicht weniger geworden – wie gern hatte sie die stets gestreichelt und liebkost.

All das betrachtete sie stumm, all das war wieder wahrhaftig vor ihr … bei ihr. Bella war wieder da.

»Hallo«, sagte sie schließlich. Nur »Hallo«, wobei dieses eine Wort den Raum kaum berührte. Und sie wartete. Kein falsches Wort, dachte sie, sag um Gottes willen kein falsches Wort. Zu fragil war dieser Moment.

»Was … was ist mit dir passiert, Leeki?«

Leeki! Ihr Kosename aus dem Mund ihrer geliebten Bella. Wie sehr hatte sie auch das vermisst. Und er ließ sogleich all ihren Schmerz beinahe gänzlich vergessen. Doch sie wollte jetzt nicht von sich sprechen, sie wollte …

»Du hast mich gesucht?« Was für eine dumme Frage. Viel lieber hätte sie die Arme weit geöffnet und gerufen: Komm her. Doch zu früh … zu fragil.

»Es tut mir alles so leid, Leeki. Ich war entsetzlich dumm.« Und endlich hob Bella den Kopf, die Augen schwammen in einem Meer von Tränen. »Du fehlst mir, Leeki. Alles würde ich dafür geben, unseren Streit ungeschehen machen zu können. Der war so sinnlos, das weiß ich heute. Bitte, glaub mir das, Leeki.«

Ja, sie glaubte ihr, auch weil sie ihr glauben wollte, und auch weil dieser Streit in den letzten Monaten für viel Unbehagen und Ruchlosigkeit gesorgt hatte – in allem, was Elektra gedacht und getan hatte. Wieder einmal, wie nur allzu oft in ihrem Leben, war sie ihrem Schatten gefolgt. Voller Verachtung, dennoch auch voller Lust. Oh, wie sehr hasste sie sich dafür. Auch wenn alle Welt glaubte zu wissen, dass sie so war – nur so, ruchlos und niederträchtig! –, so hatte es doch zwei Menschen gegeben, die mehr von ihr kennengelernt hatten: Rafi und Bella.

Nicht einmal Raymond hatte sie so ganz anders gekannt, obwohl er es verdient gehabt hätte, doch damals … Sie war zu jung gewesen, sie hatte sich selbst noch nicht verstanden – das kam erst viel später. Mit Rafi und Bella.

Und dann waren ihr diese beiden Menschen abhandengekommen. Rafi war tot und Bella …?

»Oder willst du darüber reden, Leeki?«, fragte Bella zögerlich.

Elektra zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf, und sie erinnerte sich.

Vor beinahe sechs Monaten, es war Anfang Oktober gewesen, war es zu einem unsäglichen Streit zwischen ihnen gekommen, der Stunden später alles verändert hatte. Bella hatte nicht nur Elektras Anwesen und dann alsbald Kolumbien verlassen, sie war unauffindbar entschwunden. Über mehr, obwohl es sie bis gestern … obwohl es sie hier in dieses Krankenbett gebracht hatte, wollte Elektra jetzt nicht nachdenken. Keine Details, bitte, keine Details. Sie wollte nach vorn blicken, nur nach vorn, was im Moment schwer genug war, nein, was hoffentlich ganz leicht werden würde.

Bella war wieder hier.

»Nein, Bella, das will ich nicht. Lass uns lieber an heute und morgen denken. Wenn du möchtest.«

Bella lächelte kurz und kam einen Schritt näher. »Darf ich?«

Elektra nickte nur.

Und Bella fuhr kaum vernehmbar fort: »Du … du fehlst mir, Leeki. Du fehlst mir so entsetzlich. Ohne dich, nein, ohne uns möchte ich nicht sein. Ich liebe dich.«

Ich liebe dich. Diese drei Worte aus Bellas Mund. Sie ließen für den Moment alles vergessen.

»Komm her. Du fehlst mir doch auch.«

Und im Handumdrehen war Bella dann endlich neben ihr gewesen, und Elektra hatte die Bettdecke gehoben. »Komm ganz nah zu mir, aber vorsichtig.«

So lagen sie jetzt hier. Und bis auf die leisen und beinahe mantraartig wiederkehrenden Worte aus Bellas Mund – »Es tut mir leid, Leeki, es tut mir alles so furchtbar leid« – war es still. Selbst draußen war der Tag allmählich zur Ruhe gekommen.

Jählings nachdenklich geworden, blickte Elektra zur Zimmerdecke, die in der Zwischenzeit im Halbdunkel lag, während sie unaufhörlich ihre geliebte Bella streichelte.

Wie sehr hatte sie von diesem Moment geträumt, immer wieder. Wie sehr hatte sie auf diesen Moment gehofft und ihn sich ausgemalt. Immer und immer wieder. Wie viele schlaflose Nächte voller Tränen, voller Zweifel hatte sie hinter sich gebracht.

All das war vorbei. Bella lag endlich wieder neben ihr, aber …

Aber? Plötzlich schlich sich da tatsächlich ein Aber in ihre Gedanken.

Ein Aber, doch woher kam es?

Natürlich wollte sie nur noch an heute und morgen denken, dennoch spürte sie es deutlich, dieses vermaledeite Aber. Obwohl sie es nicht wahrhaben wollte, obwohl sie versuchte, es zu überhören, es abzuschütteln, ließ es sie nicht entkommen, kam es aus der Vergangenheit hervorgekrochen.

Wo war jetzt die Zuversicht, von der sie glaubte und hoffte, dass sie sie in sich trug, von der sie glaubte und hoffte, dass sie sich jedem Widerstand, auch einem einfachen Aber entgegenstellen würde?

Elektra wartete, doch da kam nichts. Waren all die Tränen umsonst geweint?

Nein, das wollte sie nicht. Und das durfte auch nicht sein.

Natürlich war sie dankbar für ihr neuerliches Glück, und ganz sicher war sie jetzt auch beseelt. Bella war wieder bei ihr, aber irgendwie nicht so, wie sie es erwartet, wie sie es sich ausgemalt hatte.

Irgendetwas hatte sich verändert – in ihr, mit ihr.

Ganz sicher wollte sie auf Bella nicht mehr verzichten, auch wollte sie Bella keine Vorwürfe machen, nicht heute und auch nicht später, denn sie, Elektra, war immer die Stärkere, die Erwachsene gewesen.

Doch war sie das wirklich?

Plötzlich, wie aus einem unbarmherzigen Dunkel heraus, stolperten ihr dann doch ein paar unliebsame Fragen durch den Kopf: Und beim nächsten Mal? Beim nächsten Streit? Was wird da sein? Wirst du wieder so unsagbar hilflos sein? Wirst du wieder nur deinem Schatten folgen? Wird sich alles wiederholen?

Halt! Schluss jetzt, all diese Gedanken sind blanker Unsinn.

»Nein, es wird ganz einfach kein nächstes Mal geben«, flüsterte sie vor sich hin.

Unbedarft hob Bella den Kopf und sah sie an. Und sie lächelte, schien von dem Kampf, der in Elektra tobte, nichts zu spüren.

Oder doch?

»Ja, das verspreche ich dir, Leeki, es wird kein nächstes Mal geben. Nie wieder werden wir uns trennen. Du bist mein Leben, Leeki.«

Ja, so war es, so ist es, so musste es sein, denn auch Bella war ihr Leben.

Und bald schon spürte sie, wie dieses Aber, dieser Widerstand, dieser Schatten, ihr Schatten, mehr und mehr an Kraft verlor, wie er gekränkt und mit hängenden Schultern seinen Platz weit hinten in ihren Gefühlen einnahm, wie er betroffen und schockiert den Kopf senkte.

Vorn lebte sie, Elektra. Leeki.

Endlich wieder.

Allein für Bella. Nur für Bella.

Was Elektra nicht spürte und auch nicht sah, war das weit geöffnete Gehör ihres Schattens, das selbst das kleinste Geräusch, das geringste Missfallen vernahm.

Er horchte und wartete.

SeelenFee - Buch Drei

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