Читать книгу Das Alte Reich 1495 – 1806 - Axel Gotthard - Страница 14
e) Kurfürstentage
ОглавлениеWählende Kurfürstentage kreierten nicht nur das nächste Reichsoberhaupt, sie berieten auch gerade virulente Probleme der Reichspolitik. Und die Kurfürsten trafen sich bis 1640 immer wieder zu nichtwählenden Kurfürstentagen. Formal zerfiel diese Versammlungsform in zwei Unterkategorien: Kurfürstentage nach Art der Goldenen Bulle, auf kaiserliche Anregung und mit kaiserlicher Beteiligung (der Kaiser versammelt seine „innersten räte“ um sich); und ‘Kurvereinstage’, bei denen kaiserliche Emissäre lediglich Zaungäste oder auch gar nicht erwünscht waren. Kaiser mit einem kommunikativen Führungsstil schätzten Kurfürstentage als Resonanzboden für ihre Politik, begrüßten es, wenn die Säulen des Reiches Stellung bezogen und Wegweisung gaben – weshalb allein zwischen 1558 und 1576 (Ferdinand I., Maximilian II.) sieben Kurfürstentage stattgefunden haben; ihre Frequenz konnte aber auch deutlich geringer sein. Die Themenpalette der Kurfürstentage entspricht der von Reichstagen, doch scheuten die Kurfürsten Beschlüsse, die alle Reichsstände viel Geld kosten konnten – da griff das Prinzip des quod omnes tangit.
Kurfürstentag und Reichstag
Während des Dreißigjährigen Krieges wurden Kurfürstentage dennoch zum behelfsmäßigen Ersatz für den lahm gelegten Reichstag. Die Kriegszeit sah mehrere glanzvolle, europaweit beschickte kurfürstliche Konvente, die versuchten, den Entscheidungsnotstand im Reich abzuarbeiten (vgl. Kapitel V). Anregung des Restitutionsedikts (1627), die Entlassung Wallensteins (1630): das sind nur zwei Beispiele für Weichenstellungen, die Kurfürstentage getroffen haben. Subjektiv vertraten die Kurfürsten dabei reichsständische Interessen, nicht standespolitische, führten sie Reiches Stimme. Dass sie dem Kaiser 1636 die Einziehung einer Reichssteuer „bewilliget“ haben, so die zentrale Funktion des Reichstags substituierten, wurde freilich an vielen Fürstenhöfen als Anmaßung, als Überdehnung der kurfürstlichen Leitfunktion im Reich interpretiert. Die Säulen des Reiches trafen sich noch einmal, 1640, zu einem nichtwählenden Kurfürstentag, mussten sich dort aber selbst eingestehen, dass eine „cräfftigere“ Versammlung Not tat, und wurden auch von verschiedenen Fürstlichen in diesem Sinne bestürmt: also Erweiterung zum Reichstag. Danach hat nie wieder ein nichtwählender, reichspolitisch motivierter Kurfürstentag stattgefunden. Debatten darüber hat es schon noch gegeben, sehr intensive zuletzt in den 1680er-Jahren. Doch sahen die Kurfürsten schließlich ein, dass der mittlerweile permanent gewordene Reichstag ständisch exklusiven Kurfürstentagen mit reichspolitischer Tagesordnung keinen Raum mehr beließ; man hat die Kraftprobe am Ende nicht gewagt.
Der Fürstenstand hätte es auch nicht hingenommen, mit einem „fürsten tag“ gekontert. Die Kompetenzen des Kurfürstentags waren bis in die 1630er-Jahre hinein kaum je thematisiert, gar problematisiert worden – die Kurfürsten gaben eben dem Reichsoberhaupt Ratschläge, und dieses war gut beraten, wenn es darauf Rücksicht nahm. Die Verbindlichkeit dieser Wegweisungen für ‘das Reich’ hatte man im Bereich des Ungeklärten, des am besten nicht zu Klärenden belassen, in einer Grauzone, für die keine Nische mehr ausgespart war, wenn die Fürstenpartei eine erhellende Diskussion über die Gesetzgebungskompetenz im Reichssystem einforderte, jene selbst an einer Stelle lokalisierte, nämlich nur und ausschließlich am Reichstag. Exklusiv kurfürstliche Wahlkapitulationen, aber auch Kurfürstentage wurden dann zu Verstößen gegen das legislative Monopol des Reichstags; eines nun ja stets präsenten, ansprechbaren Reichstags, und dass dort jetzt dauerhaft das ‘ganze Reich’ beisammensaß, verlieh etwaigen Kurfürstentagen vollends den Charakter einer standespolitischen Demonstration. Ging die Ära der aktiven Mitgestaltung der Reichspolitik durch Kurfürstentage 1640 zu Ende, hat es wählende Kurfürstentage natürlich weiterhin gegeben.