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Zwiebel ruft an – oder: Zur Poesie des Speisedeutschen

Jeder kennt das: Man sitzt in einem Restaurant im Ausland, möchte etwas essen, nimmt die Speisekarte zur Hand. Links sieht man die Speisen in der Landessprache verzeichnet, die versteht man oft nicht, rechts in einer Sprache, bei deren Anblick man sich sagt: Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Sieht aus wie die Sprache, die ich selbst spreche, ist aber viel schöner. Kommt einem vor wie Deutsch, ist aber kein Deutsch. Es ist etwas Drittes, ganz Neues.

Beginnen wir mit einem Beispiel. Einer meiner Leser war in Griechenland. Von dort brachte er eine Speisekarte mit. (So etwas tun meine Leser seit vielen Jahren für mich: Sie stehlen unter erheblichen persönlichen Risiken überall auf der Welt Speisekarten und schmuggeln diese außer Landes. Wenn das nicht möglich ist, fotografieren sie die Menülisten. Oder kopieren sie. Oder lernen die Texte auswendig und schreiben sie auf – und füttern mich damit, nur um mir eine Freude zu machen. Ist das nicht reizend? Ich danke allen herzlich.) Man sah auf dieser Karte links alles auf Griechisch, rechts erblickte der Leser jenes erwähnte seltsam-poetisch verfremdete Auslandsdeutsch. In der Mitte aber waren alle Gerichte auf Englisch verzeichnet, darunter ein kleines Essen, das man vielleicht nebenbei, zum Ouzo, Retsina, vielleicht auch zu einem Bier hätte nehmen können.

Es hieß Onion rings. Ganz rechts hatte es auch einen Namen. Der lautete »Zwiebel ruft an«.

Darum geht es in diesem Buch, um solche Gerichte. Denn »Zwiebel ruft an« ist ja nicht richtig. Es ist aber auch, nimmt man es genau, nicht ganz falsch, denn onion ist die Zwiebel, to ring bedeutet anklingeln, anrufen.

Und vor allem ist es wunderbar.

Und damit wollen wir uns beschäftigen, mit den ganz und gar großartigen Veränderungen des Deutschen im Ausland und der besonderen Erscheinungsform, die unsere Sprache außerhalb des Landes und dort besonders an Tischen und in Küchen annimmt. Im Grunde auch: mit der Sprache in den Zeiten der Globalisierung.

Man macht einen sehr großen Fehler, wenn man nur das Falsche daran sieht. Denn in dem, was wir auf diesen Speisekarten lesen, offenbart sich uns das Deutsche auf eine ganz neue Weise, von jedem Sinn und allem Ballast irgendeiner Bedeutung befreit, als reiner Klang und voller Witz, ja, man hat das Gefühl, als finde das Deutsche erst außerhalb Deutschlands zu sich selbst, gelöst aus den Fesseln der Grammatik.

Ein weiteres Beispiel: »Oberst von Huhn und Breitet sich drastisch in einer Weißweincreme Aus, mit Penne Nudeln Federn und Parmesankäse.« Das fand Frau J. aus Bielefeld im Finnstown Country House Hotel in Dublin. Sehen wir ihn nicht vor uns, den Oberst aus altem Adel? Der nie den Sprung zum General schaffte, weil er einmal von seinem Vorgesetzten in der Weißweincreme erwischt wurde, drastisch sich dort ausbreitend, von Federn und Käse bedeckt, ein bisschen pervers und sehr daneben, bürgerlichen Konventionen Hohn sprechend, aber doch eben äußerst lebensfroh.

Das ist unsere Galionsfigur. Oberst von Huhn ist der Mann, dem wir folgen wollen, getreu dem Motto, welches das Ehepaar B. aus Haltern auf einem Schild im portugiesischen Ort Alvor an der Algarve entdeckte: »Hier windaugh DEUTSCH gesproghen.«

Wobei der Satz, den Leser B. im Restaurant Monteverde auf Teneriffa vorfand, auch sehr schön wäre: »Wir Aprachen Deutsches.«

Und im Zusammenhang mit Onion rings möchte ich die englische Version dieses Satzes nicht unerwähnt lassen: We spoke English.

Aber nun geht’s los!

Oberst von Huhn bittet zu Tisch.


Oberst von Huhn bittet zu Tisch

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