Читать книгу Eine kleine Naturgeschichte der Freiheit - Axel Hecker - Страница 7
Einleitung
ОглавлениеDas Freiheitsproblem ist eines der klassischen Themen von Philosophie und Theologie.1 Es hat immer noch das Potenzial, die Gemüter nicht nur von Fachphilosophen, sondern einer allgemeinen gebildeten Öffentlichkeit zu bewegen, wie die vor einigen Jahren in den Feuilletons namhafter deutscher Zeitungen ausgetragene sogenannte „Hirnforschungsdebatte“ demonstrierte.2 Diese Debatte hat gezeigt, dass die Fronten zwischen „Philosophie“ (als Name für diejenige Partei, die sich für den „Geist“ starkmacht) und „Naturwissenschaft“ (als Name für die das Materielle betonende Gegenpartei) im Grunde dieselben geblieben sind wie die, die sich schon im 19. Jahrhundert bei ähnlichen Debatten abgezeichnet hatten:3 Das Problem bewegt die Gemüter, da unverkennbar essenzielle Intuitionen des „Menschseins“ betroffen und in Frage gestellt sind, wenn jene Gegenpartei mit der sei es berechtigten, sei es angemaßten Autorität einer objektiven Naturwissenschaft Freiheit zur bloßen Illusion erklärt. Mit anderen Worten, der Ertrag jener Debatte war im Grunde nur die ein weiteres Mal deutlich gewordene Einsicht, dass hier gar nichts wirklich gelöst ist und dass ein provokanter Anstoß, wie er in diesem Fall von der Hirnforschung ausging, genügt, um die Menschen daran zu erinnern, dass jenes Problem ein Gepäck darstellt, das man unerledigt mit sich herumträgt.4
Nun gibt es zwei einfache Ausstiege aus dieser Situation. Der eine besteht darin zu erklären, dass es sich um ein Scheinproblem handele, dass also das Bemühen, dabei einen epistemischen Konflikt lösen zu wollen, von falschen Voraussetzungen ausgehe; sobald man dies richtigstellt, verschwinde das Problem. Viele Philosophen und Naturwissenschaftler sind dieser Meinung, auch wenn ihre Ansichten darüber, wie solches Verschwinden bewerkstelligt werden kann, auseinandergehen.5 Der andere einfache Ausstieg besteht darin, das Problem für prinzipiell unlösbar zu erklären, da der „Geist“ einerseits (mit allem, was dazugehört, also insbesondere der unbezweifelbaren Fähigkeit, in einer voraussetzungslosen und also „freien“ Weise dem, was sich zeigt, gegenüberzutreten und diesbezüglich denkend und handelnd tätig zu werden6) und die „Materie“ andererseits schlechterdings inkompatibel seien. Der in dieser Konstellation offenbarwerdende Dualismus sei so essenziell, dass es gar keinen Sinn mache, über die Vereinbarkeit von „Geist“ und „Materie“ auch nur nachzudenken.7
Wenn man einen dieser beiden einfachen Ausstiege für richtig hält, entfällt naturgemäß das Motiv, sich mit der genannten Frage auch nur zu befassen. Ich glaube jedoch, dass das Freiheitsproblem (und vieles, was damit zusammenhängt) im Wesentlichen unerledigt ist und dass deshalb Bemühungen, die (wie die erwähnte Hirnforschungsdebatte zeigte) immer noch spürbare Virulenz des Problems nicht beiseite zu schieben, sondern ernst zu nehmen und womöglich auf riskante Weise neu zu denken, mehr Interesse verdienen als Pauschalerklärungen, mit denen man sich der Sache nach dem Modell eines jener beiden einfachen Ausstiege entledigen kann.
Zur Vorgehensweise: Die vorliegenden Ausführungen bestehen im Wesentlichen aus zwei Teilen. Im ersten Teil geht es um eine Bestandsaufnahme philosophischer Bemühungen um das Freiheitsproblem. Aus Abkürzungsgründen befasse ich mich dabei nur mit dem, was meines Erachtens den relevanten Ertrag philosophischer Freiheitstheorien bildet, nämlich mit einer kompatibilistischen Auffassung, die versucht, „Freiheit“ mit dem ihr scheinbar oder tatsächlich widersprechenden „Kausalprinzip“ zusammenzudenken. Nicht-kompatibilistische Auffassungen halte ich aus Gründen, die dort genannt werden, für indiskutabel. Unter den kompatibilistischen Auffassungen existieren jedoch Varianten, die es verdienen, je für sich betrachtet zu werden. Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist, dass kompatibilistische Freiheitstheorien zwar zweifellos die Richtung anzeigen, in der man über diese Sache nachdenken muss, dass aber eine Lösung, die beispielsweise auch Vertreter einer entgegenstehenden, inkompatibilistischen Auffassung überzeugen könnte, nicht erkennbar ist.8
Im zweiten Teil verlässt die Argumentation die engeren Bezirke der Philosophie und begibt sich auf Gebiete, die vorwiegend von den Naturwissenschaften beansprucht werden: Biologie, Ethologie, Anthropologie. Allerdings glaube ich, dass diese Wendung zu den legitimen Motiven einer richtig verstandenen Philosophie gehört, nämlich einer Haltung, die nicht an bestimmten, scheinbar selbstevidenten Grenzen haltmacht.9 Die hier vorgetragene Lösung des Freiheitsproblems beschreibt den Menschen als Lebewesen mit einer bestimmten Ausstattung, zu der Freiheit unverzichtbar gehört, gerade insofern angenommen werden muss, dass diese Ausstattung nicht von einem Ingenieur entworfen und entwickelt wurde, sondern im Zuge der allgemeinen Evolution des Lebendigen von selbst entstanden ist.