Читать книгу SOKO bizarr - Axel Hildebrand - Страница 8

FEUER

Оглавление

„Der arme Mann brennt. Der reiche Mann brennt. Frauen brennen. Kinder brennen.

Hunde und Katzen. Alle brennen.

Feuer macht keine Unterschiede.

Feuer ist gerecht.

Wenn man also ein Feuer legt, dann hilft man eigentlich nur dem Schicksal nach.

Hey, Moment! Gerechtigkeit im Tod hat ja wohl nichts mit dem Schicksal zu tun, könnte man jetzt einwerfen.

Aber auch die Nörgler und Besserwisser brennen.

Alle gleich. Alle Asche am Ende.“

Holger sitzt am Küchentisch und schreibt. Seine Hand saust über das Papier. Der Kugelschreiber schmiert.

„Alles brennt.“

Holger hängen die Haare ins Gesicht. Er hält inne. Starrt auf das Papier. Die Seite ist voll. Holger nimmt das Blatt und legt es auf einen Stapel zu den anderen. Der Stapel ist ziemlich groß. Mindestens 300, 400 Blatt liegen da schon.

Man bekommt eine ungefähre Idee, womit Holger seine Freizeit verbringt.


Irgendwo draußen wartet Melanie auf den Bus. Der Wind pfeift und das kleine Bushäuschen ist an der einen Ecke angekokelt und in der anderen Ecke vollgekackt. Also steht sie lieber draußen im Wind.

Es wird noch – wenn sie Glück hat – etwa eine Viertelstunde dauern, bis sie im Warmen sitzen kann. Bis der Bus – der Lumpensammler – seinem Spitznamen gerecht wird und die letzten Heimkehrer einsammelt.

Und wenn Melanie Pech hat, dann ist irgendwas mit dem klapprigen Scheißding. Dann steht er im Depot. Oder wenn der Fahrer krank ist. Oder was auch immer. Der letzte Bus ist schon oft nicht gekommen. Und wenn doch, dann zu spät. Also wird Melanie noch eine Weile frieren.

Aber so ist das eben, wenn man die gute Landluft dem städtischen Feinstaub vorzieht und preiswerter wohnen will. Für Melanie ist das okay. Sie kriegt ja auch ihren Führerschein nächsten Monat wieder und dann ist die Welt auf dem platten Land wieder schön.

Bis man das nächste Mal eingeladen wird, 30km weg von zu Zuhause, und entweder nichts trinkt oder riskiert, dass man wieder einen Monat Bus fahren darf.

Melanie beschließt, weniger zu trinken.

Irgendwann beschließt sie, gar nichts mehr zu trinken. Denn ihr ist so kalt und der beschissene Bus lässt sich immer noch nicht blicken.

Und obwohl ihre Nase schon fast taub ist vor Kälte, riecht sie jetzt etwas. Etwas, das sich aus dem Pisse-Kokel-Geruch des Bushäuschens schält: Feuer!

Melanie dreht sich um und sieht – gar nicht weit weg – eine alte Scheune, aus der Rauch aufsteigt.

Na toll.

Melanie überlegt, ob sie hingehen soll.

Oder auf den Bus warten.

Menschenleben retten.

Bus.

Harte Entscheidung um die Zeit.

Dann läuft sie doch los.

Netz hat ihr Handy nicht. Aber im Haus neben der Scheune brennt Licht und da wird es ja wohl ein gutes, altmodisches Festnetztelefon geben.

Hoffentlich.

Als Melanie die Scheune erreicht, sieht man die Flammen schon hinter den Fenstern. Also eher Fensterrahmen – denn Glas gibt es hier nicht. Hat es vermutlich auch nie gegeben. Das soll auch richtig so sein, hat ihr Opa mal erzählt, weil dann der Luftzug dafür sorgt, dass das Heu nicht schimmelt über den Winter.

Melanie sieht, dass da dringend Handlungsbedarf ist und klingelt beim Haus.

Klingelt Sturm.

Dann endlich geht die Tür auf. Ein Mann – mit ein, zwei Flecken vom Essen der letzten Tage auf dem Hemd – steht vor ihr.

Ja?

Es brennt!

Wo?

In Ihrer Scheune! Los, los! Feuerwehr rufen!

Der Mann nickt und geht zurück ins Haus. Die Tür geht vor Melanies Nase zu.

Sie weiß nicht genau, was das soll. Der Typ muss ihr ja jetzt nicht einen heißen Tee anbieten oder sich auf Knien bedanken. Aber wenigstens aufwärmen wird sie sich ja wohl dürfen.

Wohl nicht. Die Tür ist zu.

Und als Melanie sich umdreht, sieht sie gerade noch ihren Bus.

Schön. Danke.

Melanie klingelt wieder.

Hier draußen ist es sehr, sehr kalt!

Keine Antwort.

Und nochmal klingeln.

Ich erfriere und das ist unfair, weil ich gerade Ihre doofe Scheune gerettet habe. Und wenn nicht die, dann das Haus. Weil die Flammen sicherlich übergreifen werden. Halllloooooooooo?!

Da geht die Tür wieder auf.

Was wollen Sie?

Mich aufwärmen!

Hier?

Ja, weil nebenan ins Feuer setzen, ist mir dann doch zu heiß.

Wer sind Sie denn überhaupt?

Melanie, die wegen Ihres Feuers den letzten Bus verpasst hat. Bitte, gern geschehen.

Und jetzt wollen Sie eine Belohnung?

Nein, ich will nur nicht erfrieren.

Der Mann mustert sie. Von oben bis unten. Aber er lässt sie immer noch nicht rein.

Sie sind ein Arschloch.

Melanie will gerade wieder gehen, da besinnt sich der Kerl.

Okay.

Und sie kann rein. Drinnen sieht es nicht gerade sauber aus. Aber auch nicht komplett eingedreckt. Eben eher so nach „Mann wohnt schon zu lange alleine“.

Aber es ist warm.

Melanie setzt sich an den Tisch.

Der Mann setzt sich auch hin und sagt nichts.

Wohnen Sie hier allein?

Ein kümmerlicher Versuch, ein Gespräch anzufangen, was zu einem heißen Getränk oder einem „Danke“ führen könnte.

Ja.

Der Mann streicht sich die langen Haare aus dem Gesicht.

Früher hatte ich eine Familie. Aber jetzt nicht mehr.

Das tut mir leid.

Warum?

Weil … weil es sich so angehört, als wäre das … naja … etwas Trauriges.

Ja, das ist sehr traurig.

Eben. Sie müssen nicht drüber sprechen. Ich will nicht …

Aber da fängt der Mann auch schon an, zu erzählen. Das hat man jetzt davon, wenn man Konversation machen will, bis die Feuerwehr da ist.

Es war vor drei Jahren. Da war Doreen … meine Frau … und Marcel … mein Sohn … da waren sie hier. Und wir waren eine glückliche Familie.

Hm. Ja. Sowas kommt vor.

Ach, wirklich? Finden Sie?

Na, ich weiß ja nicht, was passiert ist.

Wissen Sie nicht, nein?

Nein. Woher denn? Ich kenne Sie ja nicht.

Der Mann sieht sie seltsam an. Als würde er abwägen, ob Melanie die Wahrheit sagt. Und dann legt er den Kopf schief wie ein alter Hund.

Es gab ein Feuer.

Noch eins?

Ja. Die Scheune war oben ausgebaut. Da war ein Kinderzimmer drin. Man konnte vom ersten Stock aus direkt rübergehen. Ein Durchbruch. Einfach den Flur verlängert. Weil hier im Haus nicht genug Platz war.

Es hat dann da gebrannt?

Ja. Gerade als Doreen Marcel ins Bett bringen wollte. Er war fast 10.

Das tut mir echt leid.

Sollte es auch.

Wieso?

Melanie merkt, dass der Typ vermutlich einen Therapeuten braucht. Sie versucht einen Ausweg:

Was denken Sie, wann die Feuerwehr kommt?

Der Mann zuckt die Achseln. Er wirkt ganz erstaunlich unbeteiligt für jemanden, der gerade zum zweiten Mal ein Feuer neben dem Haus hat.

Doreen ist bei ihm eingeschlafen. Im Bett. Ist oft passiert. Nach so’nem langen Arbeitstag. Da ist Doreen immer sehr müde gewesen. Und weil beide geschlafen haben, haben sie auch nichts bemerkt. Das waren die Gase, hat die Feuerwehr gesagt. Die sind giftig. Man erstickt bei Feuer. Und verbrennt erst hinterher.

Das ist echt übel. Tut mir leid. Wirklich.

Da denkt keiner drüber nach. Der so’n Feuer legt. Dass da Menschen ganz schlimm umkommen.

Wie? Das war Brandstiftung?

Ja.

Haben sie den Täter gekriegt?

Nein.

Scheiße.

Ja, das ist noch zusätzlich schlimm. Wenn man weiß, dass der noch frei rumläuft.

Tut mir leid. Kann ich einen Tee kriegen oder so?

Aber der Mann reagiert nicht. Er starrt Melanie einfach weiter an.

Darf ich mir selber einen Tee machen? Der funktioniert doch, der Wasserkocher? Ja?

Der Mann starrt einfach nur. Und Melanie steht auf und füllt den Kocher.

Wissen Sie, warum ich nicht verbrannt bin?

Nein.

Weil ich auch geschlafen habe. Hier oben. Und ich bin erst geweckt worden, als es geklingelt hat. Da müssen Doreen und Marcel schon tot gewesen sein.

Ja, schrecklich. Haben Sie Teebeutel?

Der Mann zeigt nur auf eine Blechdose. Melanie sieht nach und findet Tee. Jetzt wird doch noch alles gut.

Mich hat eine junge Frau raus geklingelt. Und sie hat geschrien. Und gesagt, dass ich löschen muss.

Hm. Ja, wäre vielleicht keine schlechte Idee. Sie haben doch sicher einen Schlauch. Ich mein ja nur, damit noch was da ist, wenn die Feuerwehr kommt. Warum kommt die nicht?

Weil ich sie nicht angerufen habe.

Was?!

Ich habe das Feuer schon abgestellt.

Melanie weiß jetzt, dass sie nicht warten wird, bis das Teewasser fertig ist. Sie weiß, dass sie – wenn sie sich beeilt und den Daumen raushält – sicher jemanden findet, der sie bis zum nächsten Ort mitnimmt. Denn das hier … das ist ihr dann wirklich zu krank.

Die junge Frau hat gesagt, dass sie mir geholfen hat. Dass ich die Scheune rette. Und dass sie eine Belohnung will.

Belohnung?

Ja. Geld. Ich habe ihr fast 500 Euro gegeben. Alles, was ich im Haus hatte.

Der Mann steht auf. Er geht zur Tür. Gerade als Melanie gehen will. Er verstellt ihr den Weg.

Hinterher hat die Polizei gesagt, was wirklich passiert ist. Dass die zu zweit warten.

Wer denn?

Sie sind auch nicht alleine, oder?

Doch! Und ich gehe jetzt!

Er hat die Scheune angezündet und sie hat mich gewarnt. Das war die Masche. So haben die sich durchs Land geschlagen. Hier’n kleines Feuer und ne Belohnung. Und da. Und dann wieder woanders.

Das ist total krank.

Ja. Finde ich auch.

Ich möchte jetzt an die frische Luft.

Warten Sie noch. Ich muss ihnen noch sagen, wie ich damit umgehe.

Wie gehen Sie damit um?

Ich will Rache. Für meine Familie. Ist schon klar, dass die beiden vor drei Jahren nicht gewusst haben, dass meine Familie da oben schläft. In Scheunen schläft ja meistens keiner. Aber das war halt bei uns so.

Bitte, kann ich gehen?

Nein. Weil ich ihnen jetzt meinen Plan erkläre.

Ich will Ihren Plan nicht wissen!

Der Mann öffnet einen Schrank neben der Tür. Darin steht eine Propangasflasche, daran angeschlossen ein Kupferrohr, das in der Wand zur Scheune verschwindet.

Hier kann ich das Feuer in der Scheune anschalten. Und ausschalten. Das brennt dann wie lauter kleine Feuerzeuge. Ist ganz einfach. Nur ein Rohr mit Löchern.

Wie? Das Feuer ist nur Show? Da brennt’s gar nicht?

Nein. Jetzt nicht mehr. Ich hab den Hahn zugedreht.

Und was soll das?

Ich warte. Dass die wieder kommen.

Wer? Die Leute, die damals …? Warum sollen die wiederkommen?

Weil Verbrecher immer wiederkommen. Das weiß ich aus dem Fernsehen.

Wenn das ein Brandstifter-Pärchen war, dann kommen die doch nicht, wenn es schon brennt!

Vielleicht doch. Sie sind doch gekommen.

Ich wollte Ihnen helfen!

Hat die Frau damals auch gesagt.

Ich habe Ihr blödes, selbst gemachtes Feuer von der Straße aus gesehen.

Hat die Frau auch gesagt. Dass sie zufällig vorbeigekommen ist.

Ich habe auf den Bus gewartet! Und der ist weggefahren, weil ich Ihre Scheiß-Scheune retten wollte!

Sie wollten eine Belohnung.

Ich wollte einen Tee! Sind Sie irre?!

Ich bin nicht verrückt. Ich will Rache.

Lassen Sie mich jetzt sofort gehen!

Wo ist ihr Freund? Wartet der draußen?

Melanie zittert. Sie ist am Ende der Welt mit einem Irren eingeschlossen. Ein Irrer mit einem erstaunlichen Verständnis für Pyrotechnik. Was soll sie machen? Das Logikprogramm hat sie durch. Also hilft vielleicht bluffen.

Mein Freund ist im Auto. Der holt mich ab.

Ich hab’s doch gewusst.

Mit einem schiefen Lächeln drückt der Mann ihr jetzt einen Elektroschocker gegen den Hals. Melanie spürt, wie sich alle Muskeln ihres Körpers gleichzeitig verkrampfen und ihre Blase sich entleert.

Sie bricht zuckend zusammen. Ihr wird Schwarz vor Augen.


Die kalte Luft weckt Melanie auf. Sie ist in einem dunklen Raum. Vielleicht die Scheune?

Und ihr tut alles weh. Wenigstens hat sie die vollgepisste Hose nicht mehr an. Aber das ist auf den zweiten Blick auch kein gutes Zeichen.

Melanie ist nackt! Verdammte Kacke!

Und sie ist an ein Bettgestell aus Metall gefesselt.

Kaum haben sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, sieht sie Holger. Sie weiß jetzt, dass der Mann Holger heißt, weil er sich vorstellt.

Ich bin Holger. Ich war der Mann von Doreen und der Vater von Marcel.

Und mit diesen Worten wirft er das Streichholz. Und jetzt weiß Melanie auch, woher der fiese Geruch kommt: Benzin!

Hitze hüllt sie ein. Die Schmerzen werden unerträglich.

Doch was fast noch schlimmer ist, ist der Lichtschein.

Sekunden bevor Melanie stirbt, erkennt sie an der Wand reihenweise Jacken und Mäntel. Und darunter Eimer mit verkohlten Knochen.

Sind es 10? Oder mehr?

Melanie begreift, dass sie nicht das erste Opfer von Holger ist – und sicher nicht das letzte sein wird.

Holger weiß das auch. Aber hinterher fühlt er sich immer ein wenig besser.

Und selbst wenn er diesmal wieder die Falsche erwischt hat – eines Tages lockt er mit seiner Falle die richtigen Täter an. Da ist Holger sich ganz sicher.

So sicher, wie das Feuer Gerechtigkeit schafft …


SOKO bizarr

Подняться наверх