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3. Kapitel.

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„So, so. Ich brauch mich nicht zu beeilen?“ Der tüchtige Fritz Moll lachte. „Das heißt, ins Hochdeutsche, übersetzt ja wohl, daß Sie’s gar nicht eilig haben, aus dem Backofen hier fortzukommen. Sie, Ring, seien Sie vorsichtig! Ick hab da allerhand schaurige Geschichten gehört von Leuten, die in Haremsfenster reingeklettert sind. Und die braunen Brüder hier sehen auch gar nicht aus, als ob sie sich ihre Mädels wegnehmen ließen. Recht haben sie! Würd auch mit der Faust dazwischenfahren, wenn daheim irgend ’n Fremdländischer mit meinem Mädel scharmuzieren wollte!“

„Blech, Fritz! Ich kümmere mich nicht um die orientalischen Schönheiten. Das wissen Sie doch noch von Lahore her. Aber wenn Sie es durchaus wissen wollen: Ich hab eine Frau hier kennengelernt ... nee, nicht die nette kleine Amerikanerin meine ich ... eine ganz andere, ne richtige Landsmännin, und die möchte ich allerdings ...“

„Geschenkt, Ring. Weiter brauch ich nischt zu wissen. Aber wat die ‚Arja‘ angeht: Übermorgen steht die Kiste gebrauchsfertig auf dem Rollfeld, tiptop überholt, vom Propeller bis zum Schwanz. Det lassen Sie man bloß meine Sorge sein. Und sagen Sie dem Captain, der hier im Flughafen die Sache fingert, er soll seine Leute nicht allzu liebenswürdig sein lassen. Ick hab mir richtig geschämt jestern, wie wir die ‚Arja‘ in den Schuppen rollten und vier Mann sie vorsichtig hinten begleiteten. Schwanzpiloten brauchen wir nicht. Die ‚Arja‘ ist wahrhaftig wendig genug.“

Detlev Ring machte sich auf den Weg in die Stadt, ohne sich um die verwunderten Blicke zu kümmern, die dem „Herrn“ galten, der zu Fuß durch die Straßen schritt, ein in Aden seltenes Ereignis. Es war die erste Stunde der Abendkühle. Auf der Hafenpromenade, die den ganzen Nachmittag wie ausgestorben in der Sonnenglut gelegen hatte, begann das Leben sich zu rühren. Motorräder knatterten, ein Korso von langsam fahrenden Wagen und Autos zog an Detlev vorbei. Ein paarmal grüßten ihn aus dem Wagen heraus Offiziere der Garnison. Ein paar junge Damen, die mit zwei Leutnants der Fliegerstation in einem offenen Auto saßen, sahen dem deutschen Flieger interessiert nach.

„Wollen wir Mr. Ring nicht einladen mitzufahren, lieber Reginald? Stoppen Sie doch!“

Der junge Offizier schüttelte lächelnd den Kopf. „No, meine Teuerste. Mr. Ring hat die Blattern.“

„Oh! Sagen Sie das nicht!“

„Im Ernst, wir tun ihm kaum einen Gefallen, wenn wir anhalten und ihn auffordern mitzukommen. Einen Gentleman, der auf dem Weg zu einer Dame ist, soll man in Ruhe lassen.“

„Eine Dame?“ Die rotblonde Miß machte vor Neugier Telleraugen. „Jemand hier aus der Gesellschaft?“

„Nein, Sie kennen sie nicht, liebe Mabel. Eine amerikanische Journalistin, die erst seit einigen Wochen in Aden ist. Cawler heißt sie. Mr. Ring hat sich gestern abend auf dem Gartenfest sehr intensiv mit ihr unterhalten. Schätze, daß er eben jetzt auf dem Weg zu einem kleinen Stelldichein ist.“

Detlev hörte nichts von dem Klatsch, der hinter seinem Rücken ging. Er traf allerdings in einem kleinen Café Joy Cawler, aber die Verabredung bezog sich nicht auf ein Stelldichein. Joy hatte ihm versprochen, ihm heute das Haus zu zeigen, in dem Lydia Soelter Wohnung genommen hatte.

Es war eigentlich kein Haus zu nennen, dieser Wohnsitz der jemenitischen Gesandtschaft mitten im Eingeborenenviertel Adens, viel eher ein ganzer Komplex von Gebäuden. Lehmgebackene hohe Mauern mit blinden oder holzvergitterten Fenstern und maurischen Ornamenten, Vorhöfe, ausgedehnte Seitenflügel, sogar ein schlankes Minarett, das sich nadelspitz über dem Innenhofe erhob. Detlev stand lange im Schatten eines Torweges gegenüber dem Gebäude und betrachtete unruhig die Fenster. Wie ein Gefängnis sah dies aus, die hohen Mauern, hinter dem Hof erst hoch oben die kleinen Fenster mit ihren gitterartigen Holzverkleidungen.

„Sie spähen umsonst, Mr. Ring,“ sagte Joy mit gutmütigem Spott. „Es wird kein Tüchlein aus irgendeinem Fenster da oben wehen, und die schöne Laila wird auch nicht hinter Schleiern auf Sie herabblicken. Sie hat nämlich Besuch zurzeit.“

„Besuch?“

„Yes. Sie müssen sich nicht etwa einbilden, daß Laila — verzeihen Sie, Mrs. Soelter — so etwas wie eine Gefangene in diesem für arabische Begriffe fürstlichen Palast da ist und sich etwa nach dem blonden Königssohn sehnt, der sie trotz Aufseher und Wächter, aus ihrem Verlies herausholt. So romantisch ist die Sache gar nicht. Mrs. Soelter hat das Hotel ‚Majestic‘ mit diesem Haus freiwillig vertauscht aus Gründen der hohen Politik. Sikri ben Abdullah, ihr Adjutant oder Berater, hat ihr die Zweckmäßigkeit dieses Wohnungswechsels klar gemacht. Es scheint, daß sich mehr Leute hier in Aden für Mrs. Soelter interessieren, als den jemenitischen Diplomaten recht ist.“

„Wohnt der Araber auch da drüben?“

„Sikri ben Abdullah? O nein! Der ist ein viel zu strenger Rechtgläubiger, als daß er mit einer weißen Frau, die so schamlos ist, ihr Antlitz allen Männern preiszugeben, unter einem Dache wohnen sollte. Es wohnt überhaupt keiner von der Gesandtschaft hier. Die braunen Gentlemen sind in einem anderen Palast abgestiegen als Gastfreunde eines hier ansässigen vornehmen Hamdaniten. Mrs. Soelter haust allein hier mit einigen ihr anscheinend treu ergebenen Dienern. Das heißt, wie treu sie sind, wollen wir dahingestellt sein lassen, denn bei einem Araber weiß man nie genau, wie weit seine Ergebenheit reicht.“

Detlev starrte noch immer nach den Fenstern. „Sie sagten, Mrs. Soelter habe Besuch?“ fragte er, ohne den Blick zu wenden.

„In der Tat. Bewundern Sie meine journalistische Allwissenheit, Mr. Ring! Ich kann Ihnen wahrheitsgemäß berichten, daß eben um diese Stunde Captain Nicholls einer Einladung Mrs. Soelters gefolgt ist und irgendwo da oben hinter den Gitterfenstern seinen Mokka nimmt.“

„Ach, der nette Captain vom Kamelreiterkorps? Er kennt wohl Frau Soelter bereits länger?“

„So weit gehen meine Informationen nicht, aber es ist leicht möglich, daß er sie früher bereits kennengelernt hat. Nicholls ist als Beauftragter, des Gouverneurs oft im Jemen und in Assir gewesen. Sein Besuch bei Mrs. Soelter heute hat auch einen diplomatischen Anstrich. Meine Verbindungen reichen leider nicht so weit, daß ich Ihnen sagen könnte, was und worüber er mit ihr verhandeln soll, aber ich weiß immerhin, daß er offiziell im Auftrag des Gouvernements sie um diese Unterredung gebeten hat. Allerdings ...“ Joy sah Detlev, dessen Gesicht unwillkürlich eine deutliche Erleichterung zeigte, teilnehmend an ... „Es tut mir leid, Mr. Ring, aber als gewissenhafte Berichterstatterin bin ich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß den guten Captain Nicholls nicht nur die Dienstpflicht in das Haus da treibt. Er hat ein sehr starkes und ausgesprochen menschliches Interesse an der Dame.“

„Woher wissen Sie das? Hat er es Ihnen gesagt?“

Joy lächelte überlegen. „Meine Augen sind noch leidlich gut, und ich habe sie gestern abend auf dem Fest offen gehalten. Mehr gehört nicht dazu, um festzustellen, daß Captain Nicholls ebenso blind verliebt ist in die geheimnisvolle Dame wie — Sie selbst, Mr. Ring!“

Detlev zog unwillig die Augenbrauen zusammen. „Ich denke nicht daran, Miß Cawler.“

„Möglich, daß Sie nicht daran denken. Aber so etwas hat auch nichts mit dem Denken zu tun, sondern höchstens mit dem Fühlen.“

Nun mußte auch Detlev lächeln. Seine Augen rissen sich langsam von dem schweigenden Haus los. „Sie triefen ja förmlich von Weisheit, Miß Cawler!“

„Weil ich eine kluge alte Dame bin.“ Joy warf einen Blick auf die immer länger und dunkler werdenden Schatten in der Gasse. „Wollen wir jetzt weitergehen, Mr. Ring? Die Dunkelheit kommt hier schnell, und bei der miserablen Beleuchtung hier im Araberviertel kann man sich Hals und Beine brechen.“

Detlev nickte zögernd. Es hatte wirklich keinen Sinn, wie ein verliebter Primaner hier zu stehen und das Haus anzustarren. Er nahm sich vor, heut abend noch einen kurzen Brief zu schreiben und Lydia Soelter um ein Wiedersehen zu bitten. Irgendein Bote würde sich ja wohl im Hotel finden, der den Brief ohne Zeitverlust in ihre Hände bringen könnte. Er war mit Joy schon ein Stück die Gasse hinaufgegangen, als er plötzlich stehen blieb und verwundert zurücksah. Vier oder fünf Araber waren eben auf der anderen Seite der Gasse vorübergegangen. Sie trugen nicht den Turban der Jemeniten, sondern den Stirn- und Nackenschleier der Beduinen und hatten außerdem Mund und Nase mit Tüchern umwickelt nach Art der nordafrikanischen Tuaregs. Tuaregs oder verwandte Stämme aber gab es hier in Aden natürlich nicht. Detlev, dem diese Unterschiede in der Bekleidung der Araber nicht so geläufig waren, hätte vielleicht den Männern nicht soviel Beachtung geschenkt wie Joy, die ihnen interessiert nachschaute, wenn ihn nicht etwas anderes stutzig gemacht hätte. Gleich hinter den Arabern kam ein Auto, ein geschlossener, ziemlich hochrädiger Ford, an dessen Steuer ebenfalls ein Araber saß. Der Wagen fuhr langsam die Gasse hinunter, so langsam, daß es aussah, als ob er mit den rasch ausschreitenden Männern gleichen Schritt halten wollte.

Es war schon reichlich dunkel, aber die helle, weißgelbe Front des Gesandtschaftshauses war noch deutlich erkennbar. Detlev sah genau, wie die vier Araber dort Halt machten und anscheinend mit dem Pförtner oder sonst jemand im Innern durch die kleine Pforte in der Außenmauer verhandelten. Kaum zehn Schritte weiter hatte auch das Auto Halt gemacht. Plötzlich gewahrte Detlev, wie eine rasche Bewegung durch die Gruppe ging. Die Pforte mußte wohl von innen geöffnet worden sein. Ein Arm stand eine Sekunde lang steil in die Luft gereckt, Detlev hörte einen gurgelnden Laut wie den Notruf eines Mannes, den harte Fäuste im Entstehen erstickten. Dann huschten die Araber rasch und lautlos durch die Pforte.

„Was war das, Miß Cawler?“ Detlev wandte sich erregt zu Joy, die ebenfalls befremdet nach der Pforte sah. „Gehört das etwa zu den üblichen Besuchszeremonien hier bei den Arabern?“

„N ... ein.“ Joy schüttelte verwundert den Kopf. „Das sah ja förmlich aus, wie ...“

„Wie ein Überfall!“ Detlevs Stimme flog vor Erregung. „Kommen Sie! Wir müssen sofort hin!“

Die Amerikanerin haschte nach seinem Rockärmel und hielt ihn fest. „Nicht so schnell, Mr. Ring! Ich glaube, wir tun am besten, wenn wir uns nicht in diese Dinge mischen.“

„Aber Ly ... Frau Soelter! Wenn Sie etwa in Gefahr ...“

„Die Verhältnisse um diese Dame sind ebenso mysteriös wie sie selbst. Wir wissen nicht, was da vorgeht, und die Araber können höchst ungemütlich werden, wenn man sich unberechtigterweise in ihre eigenen Angelegenheiten mengt. Vergessen Sie nicht, daß Mrs. Soelter nicht allein ist! Captain Nicholls ist bei ihr und wird sie vor einer etwaigen wirklichen Gefahr schon zu schützen wissen.“

„Ist er wirklich im Haus? Sind Sie dessen ganz sicher?“

„Absolut.“

Detlev zögerte. Aber seine innere Unruhe war zu groß. Er riß sich los und begann die Gasse zurückzugehen. „Warten Sie hier auf mich, Miß Cawler! Ich muß wissen, was das eben zu bedeuten hatte!“

„Wenn Sie müssen ... dagegen läßt sich nichts machen.“ Joy hatte ihn mit zwei Sprüngen eingeholt und ging an seiner Seite. „Aber dann gefälligst nicht ohne mich.“

Einen Augenblick lang hatte Detlev trotz seiner Erregung ein warmes, wohliges Gefühl. Unwillkürlich streifte sein Blick das Mädchen, das resolut an seiner Seite gleichen Schritt hielt, und ein Fetzen des alten Liedes vom guten Kameraden flog ihm durch den Sinn.

„Erst mal das Auto!“ Joy zog Detlev von der Pforte weiter zu dem still harrenden Wagen. „Hallo! Warten Sie auf Captain Nicholls?“

Der Autolenker antwortete nicht. Nur zwei glühende Kohlenaugen sahen einen Augenblick die unerwünschte Fragerin drohend an. Joy wiederholte ihre Frage langsamer in dem Kauderwelsch von Englisch, Arabisch und Türkisch, das hier am Tor Arabiens im Verkehr zwischen den Engländern und Eingeborenen angewandt wurde.

Der braune Autolenker wandte schweigend den Kopf wieder geradeaus und sah an ihr vorbei.

„Er tut so, als ob er nicht verstände,“ wandte Joy sich in deutscher Sprache an Detlev. „Entweder ist das absichtliche Verstellung, oder der Mann müßte wirklich aus dem Inneren des Landes sein.“

„Lassen Sie den Burschen doch!“ Detlev zog seine Begleiterin zu der Tür. Die Pforte war nur angelehnt. Er stieß sie auf und spähte in den Hof. Nichts Verdächtiges. Still und leer lag der Hofraum, stumm und verschlossen das Haus dahinter. Aber die nach innen aufgehende Tür, die Detlev weiter zurückdrückte, stieß gegen etwas Weiches. Ein Mensch lag da! Ein brauner Mann mit zuzammengebundenen Händen und Füßen, einen Tuchknebel im Mund. Offenbar der Pförtner. Da gab es für Detlev kein Halten mehr.

„Halten Sie Wache hier, Joy! Ich gehe hinein!“

„Ich ebenfalls!“

„Nein!“ Detlevs sonst so gutmütige Augen bekamen auf einmal einen stählernen Glanz. „Sie bleiben hier! Es muß jemand hier draußen sein, auf den ich mich verlassen kann!“

„All right! Das ist ein Wort!“ Joys Augen strahlten vor Befriedigung. „Haben Sie Waffen? Nein? Dann nehmen Sie für alle Fälle das Ding hier mit!“ Sie nestelte einen kleinen Browning aus ihrer Handtasche und reichte ihn Detlev. „In diesen Gegenden ist so ein Gebrauchsgegenstand manchmal wichtiger als Puderdose und Lippenstift. Gehen Sie, Mr. Ring! Und verlassen Sie sich drauf, ich werde dafür sorgen, daß Mrs. Soelter nicht etwa in dem Rumpelkasten da davonflitzt, bevor Sie zurück sind!“

Mit wenigen Sprüngen war Detlev über die alten, zerbröckelten Steinfliesen des Hofes. Drei Türen hatte das Hauptgebäude. Er stürmte auf gut Glück durch die mittelste, die weit offen stand. Drinnen im Vorraum hielt er einen Augenblick ratlos inne. Nach allen Seiten führten von dort verschlossene, schön getäfelte und mit Intarsien ausgelegte Türen und außerdem eine gewundene Treppe hinauf in die oberen Stockwerke.

„Frau Soelter! Lydia Soelter!!“

Niemand antwortete auf den Ruf. Aber hinter einer der verschlossenen Türen begann plötzlich eine Faust zu hämmern. Ohne sich zu besinnen, sprang Detlev auf die Tür zu, bearbeitete sie mit Fußtritten, warf sich fünf- bis sechsmal wie ein Sturmbock dagegen, bis sie nachgab und aufflog.

„Frau Soelter!?“

„Yok, effendi!“ Ein Araber gurgelte ihm unter einem halbgelösten Tuch entgegen. Hinten im Raum wälzten sich noch drei andere braune Gestalten und suchten sich von Fesseln zu befreien. Detlev löste mit ein paar raschen Griffen vollends die Bande des Mannes, der offenbar einer der Diener des Hauses war.

„Wo ist Mrs. Soelter?“

Der Araber verstand die englische Frage nicht. Aber seine Gedanken strebten demselben Ziele zu wie Detlevs. Während er rasch seine Kameraden befreite, hob er den Kopf und verdrehte die Augen nach der Decke zu.

„Laila! Da oben! Schnell!“

Detlev stürmte die Treppe hinauf. Hinter ihm fuhren wie Besessene die vier befreiten Araber in dem Vorraum umher, stürzten in eine andere Kammer und kamen sofort wieder zum Vorschein. Als Detlev sich auf dem Treppenabsatz umblickte, sah er die braunen Männer nachstürmen. Ihre Hände hielten plötzlich lange Speere und krumme Messer, und in ihren Augen blitzte ein fanatischer Haß.

„Hier!“ Der von Detlev zuerst Befreite schoß an dem zögernd vor den vielen Türen des oberen Stockwerks Haltmachenden vorbei und riß eine derselben auf. Trotz der Erregung registrierte Detlevs geschultes Fliegergehirn im Nu die Vorgänge in dem orientalisch eingerichteten Erkerzimmer. Captain Nicholls stand da mit verschränkten Armen und schmal zusammengepreßten Lippen aufrecht, aber wehrlos in einer Ecke. Zwei der eingedrungenen Araber hielten ihre tadellos modernen Pistolen auf ihn gerichtet. Seine eigene Pistole lag außerhalb seiner Reichweite auf dem Fußboden. In der anderen Ecke, auf dem Ruhebett, lag Lydia Soelter. Ihre Augen waren weit offen, aber ein Tuch um den Mund hinderte sie am Schreien, und die beiden anderen Araber waren eben dabei, sie wie ein Paket zu verschnüren und transportfertig zu machen.

„Allah!!“ Die Diener stürmten an Detlev vorbei mit wild geschwungenen Waffen in das Zimmer. Detlev selbst riß Joys Browning heraus. Auch Captain Nicholl hatte sofort die neue Situation erfaßt. Seine Fäuste fuhren dem einen seiner sich erschrocken umwendenden Bedroher gegen die Schläfe, entwanden im nächsten Moment dem Taumelnden die Pistole.

Alles ging in Sekundenschnelle vor sich. Detlev war instinktiv schützend vor Lydia gesprungen. Nicholls fluchte wie ein Türke, und auch Detlev hielt seine Waffe unschlüssig in den Händen. Es war unmöglich zu schießen, denn die arabischen Hausdiener hatten sich unter wildem Geschrei auf die Eindringlinge gestürzt, wälzten sich balgend mit ihnen herum, so daß man Freund und Feind nicht unterscheiden konnte. Plötzlich aber schrie einer der Eindringlinge, offenbar der Anführer, irgend etwas auf Arabisch. Seine Leute rissen sich mit einer verzweifelten Anstrengung von ihren Gegnern los. Zwei von ihnen bluteten stark aus Wunden, die ihnen die Messer der Hausdiener zugefügt hatten, aber sie besaßen Kraft genug, mit den anderen zur Türe zu stürzen.

„Halt!“ Nicholls feuerte einen Schuß über die Köpfe der Diener hinweg und stürzte vor. „Aus dem Weg, ihr Esel! Man kann ja nicht ...“

Es war schon zu spät! Die Eindringlinge waren schon aus dem Zimmer, stürzten in wilder Hast die Treppe hinab und dem Ausgang zu, verfolgt von den Dienern. Nicholls wandte sich erregt an Detlev, der. Lydia von ihren Fesseln gelöst hatte und die Schweratmende stützte. „Haben Sie Leute unten, Mr. Ring?“

„Ja ... nein ...“ Detlev dachte einen Augenblick an Joy, aber die konnte unmöglich die fliehenden Araber aufhalten.

„Das Telefon!“ Nicholls sah sich suchend im Zimmer um. Lydia Soelter, die sich auf dem Diwan aufgerichtet hatte, sagte mit einer Ruhe in der Stimme, die angesichts des eben überstandenen Schreckens Detlev verblüffte. „Es ist kein Fernsprecher hier im Hause, Captain.“

Nicholls fluchte. „Natürlich nicht! Der ‚Vater des Geizes‘ duldet ja keine ‚Neuerungen‘ in seinem Gebiet. Nehmen Sie sich der Lady an, Mr. Ring. Ich muß ...“ Ohne den Satz zu vollenden, stürmte er davon, um die Verfolgung aufzunehmen. Detlev griff nach Lydias Hand.

„Sie wundern sich wohl, Frau Soelter, daß ich grade zur rechten Zeit hier eingreifen konnte?“

„Nein, ich wundere mich nicht.“ Lydia sah mit einem fast visionären Blick an ihm vorbei irgendwo ins Leere. „Als ich Sie gestern sah, wußte ich schon, daß Sie irgendeine Rolle in meinem Leben spielen würden.“

Detlev fühlte wieder ein Wundern über die Ruhe, mit der sie sprach. Er sah sie besorgt an. „Vertrauen Sie sich mir an, Frau Lydia. Was waren das für Banditen, die Sie vorhin überfielen?“

Ein schwaches, wehmütiges Lächeln trat auf ihre Lippen. „Es waren keine Banditen, Herr Ring. Wahabiten waren es, Leute Ibn Sauds, und sie wollten mir persönlich nichts Böses tun. Gestern abend schon haben sie mit mir verhandelt und mir den Vorschlag gemacht, nicht nach Mareb zurückzukehren, sondern mit ihnen nach Rijad zu ziehen. Da ich es ablehnte, haben sie heute versucht, mich gegen meinen Willen dorthin zu entführen.“

„Also doch Gewalt! Stellen Sie sich doch unten den Schutz der Engländer! Man wird im Hotel ‚Majestic‘ kaum wagen können, was man hier in diesem einsamen Haus gewagt hat.“

Lydia Soelter sah vor sich hin. „Es ist nicht nötig. Jetzt, wo wir wissen, was die Wahabiten beabsichtigen, wird man mich auch hier zu schützen wissen. Setzen Sie sich, Herr Ring! Wir wollen warten, bis der Captain zurückkommt, und ich will Ihnen in dieser Zeit erklären, was Ihnen jetzt sicher noch unbegreiflich und geheimnisvoll erscheint.“

Inshallah

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