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II

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Ermittlungsbericht.

In der Mordsache Holm

habe ich auf Anordnung des Krim.-Komm. Sartorius gemeinsam mit dem Krim.-Wachtm. Müller in den Gasthäusern nach dem Begleiter der Holm gefahndet.

Im Hotel „Berliner Hof“ stellte ich an Hand der Fremdenliste fest, dass ein Assessor Werner König aus Berlin heute vormittag dort abgestiegen ist. Auf Befragen erklärte der Portier, dass Herr König das Zimmer 12 bewohne, etwa um 19 Uhr ausgegangen und bisher noch nicht zurückgekehrt sei. Ich setzte mich daraufhin fernmündlich mit Krim.-Komm. Sartorius in Verbindung, der mich beauftragte, im Hotel die Rückkehr des König abzuwarten und ihn zur Vernehmung zum Polizeiamt zu bringen.

Um 21.52 Uhr erschien ein Herr im Hotel, den der Portier uns als den Gesuchten bezeichnete. Er bejahte meine Frage, ob er Herr König aus Berlin sei. Auf meine Aufforderung, mir zum Polizeibüro zu folgen, gab er zunächst an, Assessor bei der Berliner Staatsanwaltschaft zu sein. Er kam darauf jedoch ohne Widerstreben unserer Aufforderung nach.

Stralsund, den 18. Juni, 23.30 Uhr.

gez. Wendhöfer, Krim.-Ass.

Müller, Krim.-Wachtm.

Vernehmung.

In der Mordsache Holm

habe ich in meinem Amtszimmer den Assessor König, Berlin, vernommen.

Zu den Personalien gibt der Befragte an:

Ich heisse Werner Karl Heinrich König, geb. am 10. 1. 1907 zu Berlin, Assessor bei der Staatsanwaltschaft III, Berlin-Moabit, wohnhaft Berlin, Uhlandstr. 455, deutscher Staatsangehöriger, ev., ledig, nicht vorbestraft.

Obige Personalien erhärtet der Befragte durch Vorlage seines Reisepasses Nr. 2 497 622 sowie seiner amtlichen Legitimation.

Zur Sache gibt König auf Befragen an:

Ich bin seit drei Jahren mit Herrn und Frau Nerger, Berlin-Kladow, Amselallee 14, befreundet und verkehre in deren Haus. Dort lernte ich auch, vor einem Jahr ungefähr, die Schwester der Frau Nerger, Fräulein Graziella Holm, kennen.

Am 12. Juni d. J. rief mich Frau Nerger an, sagte mir in sehr erregtem Ton, dass ihre Schwester Graziella ohne ihr Vorwissen ein Engagement als Tänzerin angenommen habe, und bat um meinen Besuch, um die Sache mit mir zu besprechen. Nach Dienstschluss fuhr ich zu Frau Nerger und erfuhr dort, dass Graziella in einem drittklassigen Lokal in Stralsund auftreten wolle, und zwar schon am 15. Juni. Frau Nerger war sehr aufgebracht darüber. Sie erklärte, dass ihr Mann höchst unwillig darüber sei und dass alle ihre Verwandten es als einen Skandal betrachten würden, wenn der Name der Familie auf öffentlichen Varietéanzeigen zu lesen sein würde. Sie erklärte ferner, dass auch sie selbst es als ein Unglück für ihre Schwester betrachte, wenn diese wirklich zur Bühne ginge. Sie bat mich dringend — da sie selbst nicht fortkönne — um den Freundschaftsdienst, nach Stralsund zu fahren und Graziella energisch zuzureden, ihren Plan aufzugeben und nach Berlin zurückzukommen. Aus Freundschaft für Herrn und Frau Nerger erklärte ich mich dazu bereit.

Am 17. Juni nahm ich Urlaub und fuhr am 18. mit dem Frühzug nach Stralsund, wo ich im Hotel „Berliner Hof“ abstieg. Durch einen Anruf im Kabarett „Plaza“ erfuhr ich von dem dortigen Portier, dass Frl. Holm in der Mönchstr. bei einer Frau Peschke wohne. Ich begab mich sofort dorthin und ersuchte die Wirtin, mich Frl. Holm zu melden. Frl. Holm kam mir schon auf dem Flur entgegen; sie war zum Ausgehen angezogen und sagte mir sofort, sie sei im Begriff, eine Spazierfahrt anzutreten. Sie forderte mich auf, sie zu begleiten.

Auf dem Weg zur Garage begann ich bereits, ihr den Grund meines Hierseins zu erklären. Frl. Holm sagte, sie könne sich schon denken, weshalb ihre Schwester mich mobil gemacht habe; ich solle mir aber nicht einbilden, dass sie auf ihr Engagement verzichte.

Wir haben dann an einer Tankstelle den Wagen bestiegen. Frl. Holm lenkte. Wir fuhren in langsamem Tempo durch die Stadt. Ich kenne Stralsund und seine Umgebung nicht und kann daher nicht sagen, welchen Weg wir fuhren. Wir waren jedoch sehr bald auf offener Landstrasse. Während der Fahrt versuchte ich Frl. Holm zu bewegen, nach Berlin zurückzukehren. Sie wurde sehr ärgerlich, schalt auf ihre Schwester und wurde auch gegen mich ausfallend. Als ich nicht nachgab, geriet sie in eine so grosse Empörung, dass sie mitten auf der Landstrasse den Wagen anhielt und mich aufforderte, auszusteigen und sie in Ruhe zu lassen.

Ich versuchte, diese Aufforderung scherzhaft zu nehmen, aber Frl. Holm wiederholte sie in sehr energischem Tone. Ich war darüber empört, kam jedoch ihrer Aufforderung nach und stieg aus. Frl. Holm gab Gas und fuhr weiter, ohne mir noch einen Blick zuzuwerfen. Ich sah ihr nach, bis sie an einer Biegung der Landstrasse meinem Gesichtskreis entschwand. Frl. Holm fuhr auch, nachdem sie mich abgesetzt hatte, in durchaus ruhigem Tempo weiter. Ich schätze die Geschwindigkeit auf höchstens 40 Kilometer.

Ich war über den Misserfolg meiner Mission und das Verhalten Frl. Holms sehr ärgerlich. Da ich keine Verkehrsmittel entdecken konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu Fuss auf den Rückweg nach Stralsund zu machen. Als Frl. Holm mich absetzte, möge es ungefähr 2.50 Uhr gewesen sein. Ich habe höchstens drei bis vier Minuten an der Stelle gestanden und ihr nachgeschaut, bis ich mich zum Rückmarsch entschloss. Irgend etwas Ungewöhnliches habe ich nicht bemerkt. Auf der Fahrt sind uns einige Autos entgegengekommen, auch erinnere ich mich an ein Fuhrwerk. Genaue Angaben kann ich darüber nicht machen.

Nachdem ich etwa zehn Minuten gegangen war, wurde ich von einem plötzlich einsetzenden heftigen Gewitterregen überrascht. Ich wurde stark durchnässt, und als ich ein Gehöft auftauchen sah, suchte ich dort Schutz. Die Leute, ein älteres Ehepaar, luden mich ein, in die Stube zu kommen, und wir unterhielten uns dort, bis der Regen nachliess. Um 3.40 Uhr — nach der Uhr in der Stube des Gehöftes — bin ich weiter nach Stralsund gegangen, und zwar die Landstrasse entlang. Ich erinnere mich, kurz vor der Stadt ein Auto gesehen zu haben, das mir entgegenkam und in dem neben einigen Zivilisten zwei Polizeibeamte sassen.

Um halb fünf Uhr bin ich im Hotel angelangt. Ich habe mich in meinem Zimmer umgezogen und gewaschen. Dann habe ich eine Tasse Kaffee im Hotel getrunken und versucht, Frau Nerger in Berlin telefonisch zu erreichen. Ich erhielt durch das Hausmädchen den Bescheid, dass Frau Nerger ausgegangen sei, am Abend aber zurückerwartet würde.

Darauf bin ich — gegen sieben Uhr — noch etwas ausgegangen, um mir die Sache mit Frl. Holm noch einmal gründlich zu überlegen. Ich bin die Hauptstrasse hinuntergebummelt und schliesslich in einem Kaffeehaus, gegenüber dem Rathaus, eingekehrt. Dort habe ich einen Kognak getrunken und dann noch einmal versucht, Nergers zu erreichen. Diesmal meldete sich Frau Nerger am Apparat. Ich berichtete ihr, dass ich leider erfolglos gewesen sei. Frau Nerger bat mich dringend, doch noch einen Versuch zu machen. Auch sie war über das Verhalten ihrer Schwester empört. Ich beschloss daraufhin, noch einen Tag hier zu bleiben, mir am Abend die Vorstellung in der „Plaza“ anzusehen und im Anschluss daran noch einmal mit Frl. Holm zu sprechen. Gegen neun Uhr ging ich zum Hotel zurück, wo mich die Beamten erwarteten. Von dem tragischen Unglücksfall, der Frl. Holm inzwischen betroffen, habe ich erst hier im Polizeibüro gehört.

Ich erkläre ausdrücklich, dass zwischen Frl. Holm und mir nur rein freundschaftliche und kameradschaftliche Beziehungen bestanden. Ferner erkläre ich, dass es während der Fahrt oder überhaupt während unseres Zusammenseins durchaus keinen persönlichen Streit zwischen Frl. Holm und mir gegeben hat. Ich habe auch nicht versucht, sie gewaltsam zu veranlassen, nach Berlin zurückzukehren. Frl. Holm war meines Wissens eine gute und sehr vorsichtige Fahrerin.

Nachträglich erklärt König noch auf Befragen: Den Namen der Leute, bei denen ich vor dem Regen Schutz suchte, kenne ich nicht. Es war ein ziemlich grosses Gehöft, östlich von der Landstrasse, zu dem ein breiter, etwa fünfzig Meter langer Feldweg führte. Etwa hundert Meter links von dem Gehöft sah ich eine Ziegelei.

v. g. u.

Werner König.

Stralsund, den 18. Juni, 23 Uhr.

Sartorius, Krim.-Komm.

*

Vernehmung.

In der Mordsache Holm

habe ich den Landwirt Franz Klaasen, Stralsund, vernommen.

Zu den Personalien erklärt Befragter:

Ich heisse Franz Peter Klaasen, geb. 9. 9. 1888 zu Stralsund, Landwirt, ev., verh., bisher unbescholten.

Zur Sache befragt, erklärt Klaasen:

Es ist richtig, dass gestern nachmittag gegen drei Uhr ein Fremder in meinem Hof vor dem Regen Schutz suchte. Ich sah den Mann von der Landstrasse herkommen. Er lief den Feldweg herunter, weil es so stark regnete. Den Rockkragen hatte er hochgeschlagen. Meine Frau und ich liessen ihn in die Stube kommen. Er wollte erst nicht, um nicht den Fussboden nass zu machen, kam aber herein, als wir ihn nötigten. Er blieb etwa eine Stunde bei uns, bis der Regen aufhörte. Wir sprachen über das Wetter und darüber, wie weit es noch bis Stralsund sei. Der Fremde sagte, er sei bei einem Spaziergang vom Regen überrascht worden. Bevor er ging, gab er unserem sechsjährigen Enkelkind, das in der Stube spielte, fünfzig Pfennig. Wir sahen dann, wie er in raschem Schritt die Landstrasse nach Stralsund entlang ging.

Dem König gegenübergestellt, erklärt der Landwirt Klaasen: Jawohl, das ist der Mann, der gestern von 3 bis 3.40 Uhr in unserer Stube war. Ich erkenne ihn wieder. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.

v. g. u.

Franz Klaasen, Landwirt.

Stralsund, den 19. Juni, 10 Uhr vorm.

Sartorius, Krim.-Komm.

Ermittlungsbericht.

Gutachten des Sachverständigen Ingenieur Sperber, Stralsund.

Auf Anordnung und im Beisein des Krim.-Komm. Sartorius habe ich den Personenkraftwagen IA 98 025 untersucht.

Der Wagen zeigt eine leichte Eindrückung der Haube, eine Beschädigung des linken Kotflügels und zum Teil verbrannte oder angesengte Polstersitze. Die Windschutzscheibe ist zertrümmert.

Bei dem Anprall gegen den Baum kann der Wagen höchstens ein Tempo von 15 Kilometer gehabt haben, eher weniger. Andernfalls müssten die Beschädigungen erheblich stärker sein, insbesondere wäre es dann unmöglich, dass die Lampen unversehrt geblieben wären.

Es ist möglich, wenn auch wenig wahrscheinlich, dass die auf dem Lenksitz sitzende Person von den Splittern der Windschutzscheibe nicht verletzt worden ist. Dagegen müssten am Körper der betreffenden Person unbedingt Prellungen festzustellen sein, selbst dann, wenn der Wagen im Augenblick des Anpralls nur ein geringes Tempo hatte.

Völlig ausgeschlossen ist, dass der Wagen infolge des leichten Anpralls in Brand geraten konnte.

gez. Karl Sperber, Ing.

Gerichtl. vereid. Sachverständiger für das Kraftfahrwesen.

*

Polizei-Präsidium Berlin.

Krim.-Insp. II.

Vernehmungsbericht.

Im Auftrag der Kriminalpolizei Stralsund habe ich den Tanzschüler Erwin Röseler heute kommissarisch vernommen.

Zu den Personalien sagt Röseler aus:

Ich heisse Erwin Röseler, geb. 30. 11. 1913 zu Fürstenwalde, wohnhaft Berlin-Schöneberg, Hauptstr. 620, von Beruf Tänzer, ev., ledig, bisher unbescholten.

Zur Sache sagt Röseler auf Befragen aus:

Ich bin seit Ostern 1934 Mitglied der Tanzschule Blendorf. Dort habe ich Fräulein Graziella Holm kennengelernt. Andere als kollegiale und freundschaftliche Beziehungen zu ihr habe ich nie gehabt. Meine Schwester und ich sowie die Kollegen Herr Burkhard und Frl. Innichen haben uns am 14. Juni von Frl. Holm verabschiedet, als sie in ihrem Auto nach Stralsund abreiste.

Am 18. Juni war ich von 10 Uhr vorm. bis 1 Uhr nachm. in den Räumen der Tanzschule Blendorf, was Herr Blendorf und meine Mitschüler bestätigen können. Ich bin dann mit dem Autobus nach Hause gefahren, wo ich zum Mittagessen um 2 Uhr eintraf. Ich wohne bei meinen Eltern. Sowohl diese wie meine Schwester können bestätigen, dass ich mich in der Zeit von 14 bis 18 Uhr daheim aufgehalten habe. Am Abend war ich mit meiner Schwester im Tauentzien-Palast. Nach dem Kino, um 21 Uhr, haben wir im Café Mierike eine Tasse Kaffee getrunken und sind dann zusammen nach Hause gegangen. Einen Herrn König kenne ich nicht.

Fräulein Holm galt als begabte Schülerin und war bei uns allen sehr beliebt. Von einem Liebesverhältnis Frl. Holms mit irgend jemand ist mir nichts bekannt.

Die mir vorgelegte Postkarte an Frl. Holm habe ich geschrieben. Die mitunterzeichnete „Gerda“ ist meine Schwester.

v. g. u.

Erwin Röseler.

Berlin, den 20. Juni.

Henneberg, Krim.-Assistent.

*

Zusammenfassendes Ergebnis der bisherigen Ermittlungen.

Der zuerst verdächtige Begleiter der ermordeten Graziella Holm hat glaubhaft nachgewiesen, dass er identisch ist mit dem Assessor bei der Staatsanwaltschaft Berlin Werner König, geb. am 10. 1. 1907. Die sofortige Rückfrage bei der genannten Behörde in Berlin hat diese Angabe bestätigt. Die Einlassung des Assessor König, derzufolge er die Holm im Auftrage ihrer Verwandten aufgesucht hat, sowie seine Darstellung seines Zusammentreffens mit ihr am Mordtage weisen keine Widersprüche auf. Frau Nerger, Berlin, die Schwester der Ermordeten, bestätigt die Angaben des Assessors König, insbesondere über das am Tattage zwischen König und Frau Nerger geführte Telefongespräch. Ebenso wird seine Angabe, dass er zur Zeit des Mordes sich im Gehöft Klaasen aufgehalten habe, durch die bestimmte Aussage des Landwirts Klaasen und dessen Ehefrau vollauf bestätigt. Die Entfernung zwischen dem Tatort und dem Gehöft des Landwirts Klaasen beträgt 2,8 Kilometer. Wenn König zur Zeit des Mordes am Tatort gewesen wäre, so hätte er unmöglich bereits um 3 Uhr das Gehöft Klaasen erreichen können. Es bestand daher kein hinreichender Grund, über den vorläufig festgenommenen Assessor König die Untersuchungshaft zu verhängen. Seine Freilassung wurde von der Polizeibehörde im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft Greifswald am 19. Juni, 14.30 Uhr, verfügt. König hat noch am Nachmittag Stralsund verlassen und ist nach Berlin zurückgereist. Er war durch die Nachricht von dem Tode der Holm aufs heftigste erschüttert. Irgendeine Erklärung oder einen Verdacht konnte er nicht angeben.

Es darf als erwiesen erachtet werden, dass die Ermordete ausser den bei ihr gefundenen Objekten keine bedeutenden Wertsachen oder Geldbeträge besass, solche auch nicht bei ihr vermutet werden konnten. Ein Raubmord scheint daher nicht vorzuliegen, es sei denn, dass man annimmt, der Täter sei bei der Ausführung seiner Tat gestört worden.

Ferner darf als erwiesen betrachtet werden, dass die Ermordete in Stralsund keinerlei Beziehungen zu Männern hatte. Eine Lebensversicherung oder Unfallversicherung — ausser der vorschriftsmässigen Autoversicherung — ist die Ermordete auch nicht eingegangen.

Die nochmalige, mit Polizeihunden vorgenommene Absuchung des Tatortes und seiner weiteren Umgebung hat keine Anhaltspunkte zutage gefördert.

Als einziger Anhaltspunkt bleibt demnach vorläufig nur das unter den Nägeln der Ermordeten gefundene Wollpartikelchen.

*

Polizei-Präsidium Stettin.

Chem. Laboratorium.

In der Mordsache Holm

habe ich die mir übersandten Kleidungsstücke sowie die beigeschlossene Stoffaser untersucht.

1 Die Bekleidungsstücke weisen keine Blutspuren auf. Die Bluse (Nr. 3) enthält zwei Zentimeter unterhalb des obersten Druckknopfes einen mindestens drei Tage alten, ausgeriebenen Kaffeefleck. Am Rand des rechten Ärmels sind leichte Verschmutzungen wahrnehmbar, die auf flüchtige Berührungen mit Öl zurückzuführen sind.

2 Das Faserpartikelchen besteht aus dunkelrot gefärbter Baumwolle. Es rührt aus einem Gewebe von gleicher Farbe her. Das eine Ende weist unter dem Mikroskop eine Zerfaserung auf, die beweist, dass es nicht durch einen Schnitt, sondern durch einen gewaltsamen, mechanischen Druck aus dem Gewebe abgetrennt ist. Die Art des Gewebes, zu dem das Partikelchen gehört, lässt sich nicht feststellen. Blutspuren weist es nicht auf. Es ist gänzlich ausgeschlossen, dass die Baumwollfaser aus irgendeinem der vorliegenden Bekleidungsstücke herstammt.

gez. Dr. Reimers, Gerichtschemiker.

*

Das sind die Polizeiakten, die in der Mordsache Holm von der Stralsunder Kriminalpolizei dem Berliner Präsidium mit der Bitte um weitere Ermittlungen übersandt werden.

Kommissar Sartorius ist von einem gesunden Ehrgeiz besessen. Es hat ihn mächtig gekitzelt, selber Licht in die Mordsache zu bringen. Aber vor allem ist Kommissar Sartorius Beamter, ein Glied der gewaltigen Maschinerie, ein Mann, der weiss, dass er eben nur ein Rädchen ist und seine Persönlichkeit dem Ganzen unterzuordnen hat. So hat er sich schliesslich entschlossen, den Fall an die „Berliner“ weiterzugeben.

Kriminalkommissar Dr. Dykke von der Reserve-Mordkommission ist wahrhaftig nicht erbaut von dieser neuen Arbeit, die ihm da aufgehalst wird. Aber danach geht’s nicht. Noch am selben Abend findet im Präsidium eine Besprechung in der Mordsache Holm statt, an der auch Kommissar Sartorius, der persönlich aus Stralsund herübergekommen ist, teilnimmt.

„Wir haben — abgesehen von den aktenkundigen Ermittlungen — alles getan, um irgendeinen Anhaltspunkt zu finden“, schliesst er seinen ausführlich-sachlichen Bericht. „Insbesondere haben wir festzustellen versucht, ob sich am Montag oder den darauffolgenden Tagen irgendwelche verdächtige Personen in und um Stralsund aufgehalten haben. Die Landjägereien der Bezirke Stralsund, Greifswald und Rostock haben ihre Streifen verdoppelt. Wir haben in den Herbergen und Schlafstellen Razzien abgehalten und die Insassen auf Herz und Nieren geprüft. Ebenso haben wir natürlich feststellen lassen, wer an den fraglichen Tagen in den Gasthöfen gewohnt hat. Das Ergebnis war nicht sehr ermutigend. Nach genauer Durcharbeitung der Fremdenlisten sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass keine der darin angeführten Personen in der Mordsache Holm in Frage kommen. Auch Assessor König hat während seines Stralsunder Aufenthalts mit niemand verkehrt.“

Kriminalkommissar Dr. Dykke nickt. „Haben Sie auch festgestellt, wer am 18. und 19. Juni aus den Hotels abgereist ist?“

„Darauf haben wir natürlich besondern Wert gelegt. Beim Durchsieben der betreffenden Personen haben wir jedoch fast alle als unbescholtene Leute aus der näheren Umgebung oder als dem Hotelpersonal seit Jahren bekannte Stammgäste festgestellt. Ein gewisser von der Staatsanwaltschaft Dresden gesuchter Hermann Bank, den wir bei dieser Gelegenheit festnehmen konnten, kommt nicht in Frage, da er zur Zeit der Mordtat sich im Restaurant des Gasthofs ‚Zum König von Schweden‘ aufgehalten hat. Es bleiben schliesslich nur folgende drei Personen, die am 18. abends bzw. am 19. vormittags Stralsund verlassen haben.“

Dr. Dykke überfliegt das Blatt, das Sartorius aus seiner Ledertasche gezogen und ihm hingereicht hat.

„Eberhard Brüggemann, Ingenieur, geb. 2. 4. 1894, wohnhaft Berlin-Halensee, Georg-Wilhelm-Strasse 99.

Dr. Hans Schwarz, Syndikus, geb. 15. 8. 1893, wohnhaft Berlin W, Kurfürstenstrasse 303 — nebst Ehefrau Adele Schwarz, geb. Petter.

I. H. Bodger, Kaufmann, geb. 8. 1. 1907, wohnhaft Liverpool, England.“

„Ingenieur Brüggemann war am Rügendamm tätig“, erläutert Kommissar Sartorius. „Dr. Schwarz und seine Frau haben vier Wochen in Binz zugebracht. Mr. Bodger ist am 15. Juni in Stralsund eingetroffen und am 19. mittags wieder abgereist nach Berlin. Der Hausdiener des Hotels ‚Berliner Hof‘ hat für alle drei das Gepäck zum Zug geschafft und sich davon überzeugt, dass die Herrschaften in den Berliner Schnellzug eingestiegen sind.“

Dr. Dykke notiert sich sorgfältig die Personalien der drei Leute und gibt das Blatt zurück. „Nicht gerade viel“, brummt er missmutig. „Wird allerhand Arbeit geben.“

Kommissar Sartorius nickt bestätigend. „Da die drei Personen, deren Identität noch nicht einwandfrei festgestellt ist, sich nach Berlin begeben haben, und da ferner auch Assessor König, der zum mindesten als Zeuge bei eventuellen Ermittlungen noch in Frage kommt, ebenfalls in Berlin ist, habe ich nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Greifswald es für nötig erachtet. Ihnen die Akten der Mordsache zuzustellen.“

„König“, sagt Dr. Dykke sinnend. „Er ist also der Letzte, der die Ermordete gesehen hat. Er ist mit ihr fortgefahren und hat sich seiner Aussage nach kaum eine halbe Stunde vor der Mordtat von ihr getrennt. Hm. Aber nach der Aussage der Eheleute Klaasen hat er sich also zur Tatzeit in deren Wohnung aufgehalten. Sie betrachten dieses Alibi als einwandfrei, lieber Herr Kollege?“

„Unbedingt. Klaasen ist ein unbescholtener, in Stralsund bekannter Landwirt, in geordneten Verhältnissen, ohne Schulden, ein Mann von durchaus biederem, ehrlichem Charakter. Den Assessor König hat er vorher nicht gekannt. Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum er und seine Frau König zuliebe eine so schwerwiegende falsche Aussage machen sollten.“

„Sehr richtig. Seine Aussagen und die Darstellung des Assessor König decken sich ja auch vollauf.“

„Ich habe auch in diesem Falle das möglichste getan“, fährt Kommissar Sartorius fort. „Ich bin am 21. Juni selbst noch mal im Gehöft Klaasen gewesen und habe mir die Lokalitäten angesehen. Ich habe ferner die Möglichkeit erwogen, dass König die Uhr in der Wohnstube des Klaasen falsch gestellt haben könnte, um sich ein Alibi zu verschaffen. Klaasen und seine Frau erklären aber ganz entschieden, dass König keine Sekunde allein in der Stube gewesen sei. Sie haben ihn an der Haustür empfangen und sind die ganze Zeit mit ihm zusammen in der Stube gewesen. Auch haben sie ihn wieder bis zur Haustür hinausbegleitet.“

„Also nichts zu machen“, stellt Dr. Dykke fest. „Ich werde natürlich trotzdem morgen noch mal mit Assessor König sprechen. Sie, Henneberg, stellen morgen die nötigen Ermittlungen an über Eberhard Brüggemann, Dr. Hans Schwarz und Mr. J. H. Bodger. Was nun die Geheimhaltung des Mordfalls anbelangt, so bitte ich Sie, lieber Kollege Sartorius, zu erwägen, ob sie noch in unserem Interesse liegt. Ich halte es für durchaus richtig, dass Sie bisher der Öffentlichkeit gegenüber die näheren Umstände bei der Auffindung der Graziella Holm verschwiegen haben. Ich meine aber, nach der jetzigen Sachlage können wir nichts Besseres tun, als auszupacken. Wir haben nicht die geringste Spur. Es wäre immerhin möglich, dass irgendein Unbekannter sich meldet und uns eine wichtige Wahrnehmung berichtet, wenn erst die Öffentlichkeit weiss, dass es sich um einen Mord handelt. Ich wäre daher dafür, dass eine entsprechende Mitteilung der Presse übergeben wird.“

„Sie haben recht, Herr Kollege“, sagt Kommissar Sartorius nach kurzem Nachdenken. „Wir müssen auch das versuchen.“

Der rote Faden

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