Читать книгу Der Mann aus Rio - Axel Rudolph - Страница 6

3. Kapitel

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„Sie sind ein Kavalier, Herr Bruhn! Aber wollen Sie nicht das Angenehme mit dem noch Angenehmeren verbinden? Ich kann Ihnen die Bekanntschaft mit Damen vermitteln, die nicht nur allen Ihren Anforderungen in geradezu idealer Weise genügen, sondern noch dazu äußerst gut situiert sind. Da ist eine junge österreichische Dame, deren Eltern — Exzellenzen, Herr Bruhn! — hier im Exil leben, aber gottlob ihr großes Vermögen mit herübergerettet haben, eine amerikanische Millionärin, großjährig, über ihr Vermögen verfügungsberechtigt, eine entzückende junge Witwe aus unsern besten Kopenhagener Kreisen — nun, das kommt wohl für Sie nicht in Frage —, ein Bijou von einer kleinen französischen Komtesse, eine ...“

Peter Bruhn sieht sich verzweifelt um. Drei Viertelstunden lang redet die würdige Dame nun schon im Vestibül des Hotels auf ihn ein. Und dabei kann man diese Frau von Gejerstramm doch nicht einfach stehen- oder sitzenlassen, denn diese Matrone sieht mit ihrem weißen Scheitel und dem würdigen, mütterlichgütigen Gesicht fast ehrfurchtgebietend aus. Peter Bruhn ist gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß diese distinguierte alte Dame, die ihn vorhin, als er durch die Halle kam, mit einem lächelnden „Herr Bruhn, nicht wahr?“ angesprochen hat, eine gewerbsmäßige Ehevermittlerin sein könnte.

Zum fünften Mal macht Peter Bruhn einen Ansatz, sich zu erheben und das nutzlose Gespräch zu beenden. „Es hat wirklich keinen Sinn, gnädige Frau, daß wir ...“

Die gepflegte, gutgeformte Hand der alten Dame legt sich vertraulich auf seinen Arm und zwingt ihn sitzenzubleiben. Ein freundliches Lächeln steht auf dem Matronengesicht. „Ich verstehe, lieber Herr Bruhn. Sie sind noch ein wenig befangen in den alten Vorurteilen, nicht wahr? Ehevermittlung, Heiratsbüro — fi donc! Unsere Kinderstube hat uns das so gelehrt. Ich begreife das vollkommen. Aber glauben Sie mir, es ist ein sehr törichtes Vorurteil. Sie haben selber, da Sie ohne Verbindungen hier sind, den Weg einer Zeitungsannonce beschritten. Ist es da nicht durchaus vernünftig, wenn Sie sich für die weitere Entwicklung einer erfahrenen und verbindungsreichen Frau anvertrauen? Ich hoffe, Sie trauen mir strengste Reellität und guten Willen zu. Ich will Sie ja nicht“ — die Matrone lächelt verzeihend — „unter die Haube bringen. Gott behüte! Ob sich ‚das Herz zum Herzen findet‘, das müssen Sie allein entscheiden. Meine Aufgabe ist nur, Ihnen die Bekanntschaft passender Partien zu vermitteln, diskret, taktvoll, ohne jede Verbindlichkeit. Es ist nicht anders, als ob Sie durch eine ältere Dame Ihrer Bekanntschaft auf einer Soiree oder bei einem Tanztee irgendeiner hübschen Frau vorgestellt werden. Nur haben Sie dabei den Vorteil, sofort über die Verhältnisse der Dame genau und wahrheitsgetreu informiert zu sein.“

„Gewiß, aber ...“ Peter Bruhn sucht verzweifelt nach einer Wendung, um die Dame auf gute Manier loszuwerden. Aber Frau von Gejerstramm läßt ihm keine Zeit zum Nachdenken.

„Sie haben keine Ahnung, lieber Herr Bruhn, wieviel Menschen auf diese Weise ihr Glück gefunden haben! Ich bin Partei in diesem Falle. Ich verlange nicht, daß Sie mir glauben sollen. Aber fragen Sie meine Klienten! Da ist zum Beispiel Graf Löwenclou, Premierleutnant bei der Garde, der seine junge Frau, die Tochter des Etatsrats Holgersen, durch mich kennengelernt hat. Oder die Baronin Rentz! Oder der junge, berühmte Bildhauer Leonhard! Fragen Sie nur die Herrschaften, und Ihre Vorurteile werden sofort schwinden. Sehen Sie da drüben die Dame in dem dunkelgrünen Tailormade? Dort in der Ecke neben dem Blumenarrangement! Wie gefällt sie Ihnen?“

Bruhn läßt flüchtig seine Blicke hinüberwandern.

„Eine sehr interessante Erscheinung, gnädige Frau, aber ...“

„Achthunderttausend in bar! Dollar, mein Herr!“ sagt Frau von Gejerstramm andächtig. „Grande dame! Untadelhafte Vergangenheit! Nein, nein, ich will Sie nicht mit der Dame bekannt machen! Ich weiß, Sie suchen einen ganz anderen Typ. Wollte Ihnen nur eine meiner Klientinnen zeigen. Sie wird sich in allernächster Zeit glücklich verloben. Mit dem jungen Herrn, der neben ihr sitzt. Im Vertrauen, es ist mein eigener Neffe, Lothar von Gejerstramm. Sehen Sie, auch diese beiden Menschen betrachten mich dankbar als die Urheberin ihres jungen Glücks. Wenn Sie mir nur gestatten wollten, auch Sie bei passender Gelegenheit ...“

„Herr Bruhn ist leider nicht zu sprechen, mein Fräulein!“

Peter Bruhn wendet rasch den Kopf nach der Schranke, hinter der der Portier eben bedauernd die Schultern hebt. Ein junges Mädchen in einem einfachen, aber geschmackvollen Nachmittagskleid steht davor und macht ein bedauerndes Gesicht. „Schade. Aber können Sie mich nicht wenigstens anmelden und nachfragen? Ich hätte gern Herrn Bruhn persönlich etwas mitgeteilt.“

„Pardon, gnädige Frau! Man verlangt mich!“ Aufatmend springt Peter Bruhn auf und eilt mit ein paar raschen Schritten auf das Mädchen zu. „Peter Bruhn. Sie wünschen mich zu sprechen, gnädiges Fräulein?“

„Ja, ich ... ich wollte mich nur erkundigen, Herr Bruhn ...“ Überrascht sieht Ellen Vinge den Mann an, der da plötzlich vor ihr steht, und alle schön überlegten Redensarten fliegen jählings fort. Ganz unwillkürlich hat sie sich in ihrem Köpfchen ein Bild von „Herrn Peter Bruhn“ gemacht: ein eleganter schwarzhaariger Mann mit dämonischen Augen und einem brutalen Kinn. Und nun steht da auf einmal ein sympathischer junger Mann, blondhaarig, blauäugig und mit einem gewinnenden, offenen Gesicht. Ellen Vinge ist so verdutzt, daß sie nur noch die Frage stammeln kann:

„Sind Sie wirklich Herr Bruhn?“

„Allerdings!“ Bruhn wirft einen raschen Blick in die Richtung der Halle, wo Frau von Gejerstramm Miene macht, sich zu erheben und den Ausreißer wieder in ihre mütterliche Unterhaltung zurückzuschleifen, und fährt rasch fort: „Wenn Sie mich sprechen wollen, dann bitte kommen Sie hinüber in das Konferenzzimmer, oder noch besser: machen Sie mir die Freude, drüben im Wintergarten eine Tasse Tee mit mir zu trinken, während Sie mir erzählen, was Sie zu mir führt!“

Ohne Ellens Antwort abzuwarten, drängt er sie förmlich zu der Tür, die der Boy beflissen aufreißt. Der Portier sieht ihm kopfschüttelnd nach. „Weiß auch nicht, was er will, der Herr Bruhn,“ grämelt er verdrießlich. „Vor zwei Stunden sagte er mir noch, er sei für keinen Damenbesuch zu sprechen, und nun zieht er gleich mit der ersten, die ihn sprechen will, los. Inkonsequente Menschen!“

*

„So! Das war eine regelrechte Entführung!“ lacht Peter Bruhn, als er das junge Mädchen im Wintergarten an einen kleinen Tisch genötigt hat. „Seien Sie mir nicht böse, aber Sie kamen mir wie ein Engel vom Himmel. Ohne Sie hätt’ ich vielleicht noch stundenlang aushalten und die liebenswürdigen Offerten der alten Dame, die neben mir saß, über mich ergehen lassen müssen. Dem Himmel sei Dank, daß ich durch Ihr Dazwischentreten ihr entwetzt bin!“

„Eine Bekannte von Ihnen, Herr Bruhn?“

„Erst seit einer Stunde. Sie hat den Beruf, Menschen glücklich zu machen, und will mir absolut eine passende Lebensgefährtin vermitteln!“ Bruhn schüttelt in humoristischer Verzweiflung den Kopf. „Ich hab’ da eine furchtbare Dummheit begangen vor einigen Tagen. Wollte mir durch die Zeitung eine Frau suchen. Das Ergebnis: Seit gestern mittag waren schon ganze acht Kandidatinnen hier, die mich unbedingt persönlich sprechen wollten, obwohl ich ihnen auf ihre freundliche Offerte mit ergebenstem Dank abgesagt hatte. Aber daß auch diese vornehme alte Dame ... nee, das hatte ich nicht erwartet!“

Ellen Vinge sieht betreten auf. „Vielleicht sind Sie vom Regen in die Traufe gekommen, Herr Bruhn. Was werden Sie sagen, wenn Sie hören, daß auch ich eine von den Bewerberinnen bin?“

„Hatte ich mir schon halb und halb gedacht,“ lächelt Bruhn und mißt mit einem schnellen Blick die zierliche, jugendfrische Gestalt vor ihm. „Ich kenne nämlich sonst gar keine Damen hier in Kopenhagen.“

Ellen hat ihre Verlegenheit überwunden und lacht plötzlich hell auf. „Da hab’ ich also Glück gehabt und muß eigentlich dieser alten Dame dankbar sein. Ohne sie hätten Sie sich wahrscheinlich hartnäckig vor mir verleugnen lassen.“

„Na, ich weiß nicht!“ Bruhns Augen hängen noch immer an dem frischen Mädchengesicht, so lange und eindringlich, daß ein leises Rot Ellens Wangen zu färben beginnt.

„Es handelt sich um mein Bild,“ stößt sie unvermittelt hervor, als müsse sie eine falsche Vermutung abwehren. „Ich hatte es auf Ihre Annonce eingesandt. Leider lag es dem Schreiben, das ich von Ihnen erhielt, nicht bei.“ Ein klein bißchen muß sie schlucken bei der Lüge, aber Bruhn merkt es nicht. Er hat die Augenbrauen hochgezogen und denkt nach.

„Sonderbar. Ich habe doch alle Bilder gewissenhaft zurückgesandt. Aber wenn Sie es sagen ... Nun, ich werde nachsehen und das versehentlich zurückgebliebene Bild Ihnen natürlich zur Verfügung stellen.“

Der Kellner serviert das Teegedeck, während Ellen absichtlich schweigt und interessiert auf das Tanzparkett blickt, auf dem sich zu zarten Geigenklängen die Paare drehen. Peter Bruhn beschäftigt sich ein paar Minuten eifrig damit, den Tee einzuschenken.

„Ja, ich wohne in Rio de Janeiro,“ sagt er auf eine hingeworfene Frage Ellens. „Aber von Geburt bin ich Deutscher. Mein Vater stammt aus Rendsburg, meine Mutter war Dänin. Daher meine guten dänischen Sprachkenntnisse. Seit Vaters Tod leite ich unser Haus in Rio. Maschinenfabrik. Bannig viel Arbeit, kann ich Ihnen sagen. Die amerikanische Konkurrenz ist zähe. Man muß sich schon scharf ranhalten, wenn man von ihr nicht an die Wand gedrückt werden will.“

„Eine Maschinenfabrik haben Sie?“

„Ja. Landwirtschaftliche Maschinen. Warum sehen Sie mich so erstaunt an? Ist das so sonderbar?“

„Nein. Es ist nur ... ich dachte, Sie hätten ein Varieté ... oder einen Tanzsalon ... oder so was.“

„Keine Spur. Seh’ ich denn aus wie ein Impresario? Oder sind Sie vielleicht selber von der Bühne?“

„Gar nicht, Herr Bruhn. Ich kam nur auf den Gedanken, weil Sie in Ihrem Inserat eine ‚gute Tänzerin‘ suchten.“

„Ich tanze leidenschaftlich gern,“ sagt Bruhn und lauscht einen Augenblick unwillkürlich den Klängen der Geigen. „Wollen Sie mir diesen Tango schenken?“

Als sie zu ihrem, Tisch zurückkehren, strahlen beider Augen. „Fabelhaft tanzen Sie,“ sagt Peter Bruhn begeistert. „Sind Sie wirklich nicht Tänzerin von Beruf?“

„Bestimmt nicht. Ich bin eine ganz einfache kleine Kontoristin!“ Ellen Vinge hat rote Wangen und glänzende Augen bekommen und vergißt ganz, daß sie „dienstlich“ hier ist, um einen gefährlichen Mädchenhändler auszuspionieren. „Aber ich könnte Ihnen ebensogut die Frage zurückgeben. Ich hab’ noch nie mit einem Herrn getanzt, der soviel Rhythmus hat wie Sie!“

„Vielleicht ein Erbteil von meiner Mutter her. Die war Leiterin eines choreographischen Instituts, bevor sie heiratete. Gnädiges Fräulein!“ Bruhn rückt unwillkürlich ein wenig näher und sieht ihr hell in die Augen. „Ich glaube, wir beide verstehen uns! Wenigstens was das Tanzen anbetrifft. Und überhaupt ...“ Er schüttelt amüsiert den Kopf ... „Ich danke dem Schicksal, daß ich aus Versehen Ihr Bild nicht zurückgeschickt habe. Ich will mich nicht damit herausreden, daß Ihr Bild, irgendeinen Eindruck auf mich gemacht hat. Ganz offen gestanden: Als ich Sie vorhin in der Halle sah, hatte ich keine Ahnung, daß ich Ihr Bild schon gesehen hatte. Bilder täuschen doch gewaltig. Hätte es ausgesehen wie Sie, dann hätte ich bestimmt nicht ...“ Peter Bruhn vollendet den Satz nicht, aber seine Augen umfassen fast zärtlich die ganze Gestalt des Mädchens und sagen deutlich genug, was der Mund verschweigt.

Ellen Vinge zuckt unter diesem Blick unwillkürlich zusammen und denkt verwirrt an ihre Aufgabe. Um Gottes willen, was macht sie denn? Dieser Peter Bruhn, das ist doch kein beliebiger junger Mann, mit dem man harmlos tanzen und plaudern kann. Ein Schwindler, ein Verbrecher, ein gefährlicher Mensch trotz seines sympathischen Äußeren. Wie viele Mädchen mag er schon umgarnt haben mit seinem Tanzen, mit seinen fröhlichen Sommeraugen. Und sie sitzt da und ... Eine heiße Scham steigt plötzlich in Ellen empor, das Bewußtsein: Ich hätte ihm ebenso vertraut und mich blenden lassen wie andere arme Mädchen, wenn ich nicht von vornherein wüßte, daß er ein Verbrecher ist!

„Ich muß jetzt gehen, Herr Bruhn,“ stößt sie plötzlich erregt hervor. „Man ... erwartet mich zu Hause.“

„O wie schade!“ Bruhn hat sich höflich erhoben und schickt sich an, sie zur Halle zu begleiten. „Wollen Sie nicht noch einen Augenblick warten? Ich suche schnell in meinem Zimmer nach und bringe Ihnen Ihr Bild.“

„Nein, nein. Es ist nicht ... nötig. Sie können es mir ja ... schicken.“

„Gern. Und ich hoffe, daß ich die Bitte hinzufügen darf, Sie wiederzusehen. Wohin darf ich schreiben?“

Irgendeine fingierte Adresse angeben? Im letzten Augenblick erinnert sich Ellen glücklicherweise noch ihres Auftrages. Dr. Holk wird wütend werden, wenn er hört, daß sie die glücklich eingeleitete Bekanntschaft kurzerhand wieder abgebrochen hat. Und etwa gar noch einmal Herrn Bruhn aufsuchen, selber zu ihm kommen — nein, das wäre entsetzlich!

„Schreiben Sie mir hauptpostlagernd,“ sagt sie zitternd. „Ich heiße Ellen Vinge. Leben Sie wohl, Herr Bruhn!“

„Auf Wiedersehen, Fräulein Vinge!“ Peter Bruhn lächelt glücklich und unbeschwert hinter dem Mädchen her, das wie gehetzt aus dem Hotel auf die Straße hinauseilt. „Hauptpostlagernd!“ Wie ein kleines Mädchen! Oder hat sie vielleicht nur darum ihre Anschrift verschwiegen, weil sie nicht mehr mit ihm zusammenkommen will? Das wäre dumm! Peter Bruhns Selbstbewußtsein ist nicht allzu groß, aber er grübelt im Augenblick doch vergebens daüber nach, warum ein junges Mädchen ihn wohl so energisch ablehnen sollte, daß sie ihn nicht wiedersehen mag. Und doch scheint es der Fall zu sein. Je länger er darüber nachdenkt, um so klarer erscheint es ihm, daß die Kleine gar nicht daran denkt, einen postlagernden Brief von ihm abzuholen, und diese Vermutung wirft einen dunklen Schatten auf seine Freude. Kurz entschlossen, ist er schon im Begriff, Ellen Vinge nachzugehen und sie noch ein Stück zu begleiten, als er zum Glück eben noch sieht, wie vor dem Hotel eine ältere Dame an das Mädchen herantritt und eifrig auf die Erstaunte einredet.

Frau von Gejerstramm! Peter Bruhn bleibt hinter der Glastür stehen und beobachtet aufmerksam die kleine Szene da draußen, ohne selbst gesehen werden zu können.

*

Sie ist nicht lang, diese Szene. Frau von Gejerstramm hat verärgert beobachtet, daß Herr Peter Bruhn mit dem jungen Mädchen zum Tanztee gegangen ist. Sogar getanzt haben die beiden. Fest entschlossen, das Geschäft sich nicht aus den Händen winden zu lassen, ist Frau von Gejerstramm vor dem Hotel auf und ab gegangen. Das Glück scheint ihr hold zu sein, denn Ellen Vinge kommt richtig aus dem Hotel ohne Begleitung. Sie fährt erschrocken zusammen, als die würdige Dame plötzlich neben ihr steht.

„Verzeihen Sie, liebes Fräulein. Wenn ich nicht irre, sah ich Sie vorhin zusammen mit meinem Bekannten, Herrn Bruhn.“

„Ja, das stimmt ... aber ich ...“

„Sie brauchen mir nichts zu sagen, Kind.“ Frau von Gejerstramm schiebt ohne weiteres ihre Hand unter den Arm des Mädchens. „Ich bin im Bilde. Wenn Sie sich mir anvertrauen, sind Sie in drei Monaten Frau Bruhn. Unter Garantie!“

„Danke. — Das — mach’ ich lieber alleine.“ Ellen hat unwillig ihren Arm gelöst, aber Frau von Gejerstramm denkt nicht daran, ihr Opfer so leichten Kaufs entkommen zu lassen. Man sieht es ihrem entschlossenen Gesicht förmlich an: Sie wird Ellen Vinge nicht von der Seite weichen, bis sie Namen und Anschrift der erfolgversprechenden „Klientin“ herausbekommen hat. In ihrer Verlegenheit steigt Ellen, dem Schofför schnell ein beliebiges, ihr gerade einfallendes Ziel angebend, in eine Autotaxe.

Peter Bruhn flucht auf seinem Beobachtungsposten leise in sich hinein. Verdammt auch! Jetzt hat diese Frau es ihm glücklich unmöglich gemacht, Ellen Vinge zu erreichen. Jetzt steht er da mit seinem „Postlagernd“ und starrt ziellos und unschlüssig in die Reihen der vorübersausenden Autos. Der Wagen mit Ellen Vinge ist längst jenseits des Kongens Nytorv in die Bredgade eingebogen und verschwunden.

„Feuer gefällig, Herr?“ Peter Bruhn wendet sich und bemerkt erst jetzt wieder, daß er eine unangezündete Zigarette immer noch in den Fingern hält. Der Mann, der ihm hinter der gehöhlten Hand einen Streichholz reicht, sieht nicht besonders vertrauenerweckend aus. Sixpence, unsauberer Kragen, fleckiger, zerknautschter Anzug — ein Bummler, der ganz danach aussieht, als habe er die Nacht da drüben auf den Bänken um das Reiterstandbild zugebracht. Peter Bruhn erinnert sich flüchtig, den Mann schon ein paarmal gesehen zu haben. Ein Eckensteher, der sich vor dem Hotel d’Angleterre ein paar Groschen zusammenschnorrt, indem er — erwünscht oder unerwünscht — die Türen der vorfahrenden Autos diensteifrig aufreißt. Eine plötzliche Ideenverbindung läßt in Peter Bruhn eine Hoffnung aufkeimen. „Sagen Sie mal, haben Sie vielleicht zufällig gehört, welches Ziel die junge Dame dem Schofför angab, die eben hier fortfuhr?“

„Die Kleine, die erst noch mit der weißhaarigen Dame sprach?“ lächelte der Mann augenzwinkernd. „Nee, gehört hab’ ich nichts. Die Alte schrie zu laut. Aber erfahren kann ich’s leicht, wenn’s Ihnen etwas wert ist, Herr.“

„Wie wollen Sie das erfahren?“

„Der Schofför,“ grinst der Eckensteher gemütlich. „Der dicke Hansen. Den kenn’ ich so genau wie meine Mutter. Ich kenn’ überhaupt alle Schofföre. Und mit dem dicken Hansen hab’ ich mal auf der Nörrebo-Wache gesessen. Der hat seinen Standort oben am Triangel, Österbro. Brauch’ nur da ein bißchen herumzulungern und ihn abzupassen.“

Die Hoffnung in Peter Bruhns Augen verstärkt sich. „Das wäre famos. Ich möchte sehr gern wissen, wohin die Dame gefahren ist, ich meine: ihre Adresse möcht’ ich gerne haben.“

„Gemacht, Herr. Aber bis Österbro hinaus ist ’ne ordentliche Strecke. Ich bin kein Marathonläufer, Herr. Bis ich zu Fuß da rauskomme, bin ich bis an die Ellenbogen verschlissen. Und mit der Straßenbahn kann ich nicht fahren. Vorhin hatt’ ich noch einen Fuffziger, aber den hab’ ich verloren. Ich hab’ ’n böses Loch im Stiefel.“

Bruhn zieht lächelnd ein Zweikronenstück aus der Tasche. „Hier haben Sie Vorschuß. Wenn Sie mir Nachricht bringen können, mach’ ich den Fünfer voll, verstanden?!“

„Klar, mein Herr!“ Der Mann schnappt das Geldstück und zaubert es mit behendem Schwung in seine Rocktasche. „Besten Dank. Morgen früh um zehn bin ich wieder hier. Wenn Sie dann mal rausschauen wollen — ich verkehre nicht gern im Hotel d’Angleterre.“

Peter Bruhn sieht dem Mann lächelnd nach, der gemütlich in der Richtung der nächsten Straßenbahnhaltestelle davonschlendert, und überlegt einen Augenblick, ob er da eben richtiggehend von einem Eckensteher geneppt worden ist oder nicht.

Frau von Gejerstramm sitzt an einem Kaffeetisch, als Peter Bruhn in das Hotel zurückgeht. Aber sie hat Menschenkenntnis genug, um zu wissen, daß sie jetzt den Mann nicht anreden darf, wenn sie sich nicht eine entscheidende Absage holen will. Außerdem hat sie Zuwachs bekommen. Ihr Neffe Lothar und die Dame, die Frau von Gejerstramm als eine „große Partie“ bezeichnet, sind ebenfalls aus dem Hotel gekommen und haben an dem Tisch Platz genommen.

„Wer ist eigentlich der Gentleman?“ sagt die Dame, die von Frau von Gejerstramm mit Frau Smith-Lessons angeredet wird, Peter Bruhn interessiert nachblickend. „Sie saßen ja vorhin mit ihm zusammen in der Halle.“

„Einer meiner Klienten,“ bemerkt Frau von Gejerstramm würdevoll und entzieht mit vorwurfsvollem Seitenblick ihrem Neffen das dritte Stück Sahnentorte, das er sich eben auf den Teller gelegt hat.

„Ein guter Kopf.“ Frau Smith-Lessons paßt ihre geschmeidige Figur nachlässig der Lehne des Korbsessels an. „Warum stellen Sie mir den Herrn nicht vor?“

„Herr Bruhn ist bereits vergeben, Frau Smith. Eine sehr glückliche Partie. Für Sie, meine Teure, habe ich etwas Besseres in Aussicht.“

„Danke, ich weiß.“ Frau Smith wirft einen gelangweilten Blick auf ihren Tischnachbar.

Frau von Gejerstramm seufzt tief. Unglaublich, wie schwer es die Leute einem machen! Frau Smith-Lessons wäre so gerade die richtige Frau für Lothar gewesen, und der Junge ist rein verschossen in sie. Aber Frau Smith scheint sich für Herrn Peter Bruhn zu interessieren. Und der wieder bändelt mit einem kleinen Mädel an, das ... Kinder, Kinder, warum macht ihr eigentlich euch selbst und einer erfahrenen Frau das Leben so sauer!

Der Mann aus Rio

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