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2. Kapitel

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„J’ai gagné mon procès!“

Aus Spitzen und schwerer Seide streckt sich die Alabasterhand der Gräfin Dißkau entzückt dem Hofrat zum Kuß entgegen. „Sind Sie sicher, daß die Fama nicht übertreibt, mein lieber Wackenitz?“

„Kein Gerücht, verehrungswürdigste Gräfin, Gewißheit. Dresden ist über.“

„Und der König von Preußen?“

„Hat seit der Affaire von Kunersdorf den Mut verloren. Minister Finckenstein hat durch einen königlichen Kurier Instruktions empfangen, die von entscheidender Bedeutung sein müssen. Man sagt, daß der König die Regierung seinem Bruder Heinrich übertragen haben soll.“

„Man sagt!“ Die schöne Gräfin Dißkau verzieht ein wenig den Mund. „Dresden ist also in den Händen der Österreicher?“

Der Hofrat Wackenitz verbeugt sich. „Graf Schmettau, der preußische Kommandant von Dresden, hat die Stadt dem General der Kaiserin und Königin übergeben. Auf Befehl seines Königs, der das Nutzlose einer Verteidigung wohl einsehen mochte.“

„So wird der entsetzliche Krieg nunmehro zu Ende sein,“ sagt von dem kleinen, mit rosafarbenem Damast bezogenen Sofa eine vollklingende, tiefe Männerstimme. Die Gräfin Dißkau nickt ihr zu. Ihre Augen leuchten.

„Kunersdorf, Maxen, Dresden! Ja, mein Freund, das ist das Ende für Friedrich. Für mich aber der Anfang! Seine Majestät, der polnische König August III., wird wieder in seine sächsische Hauptstadt einziehen. Dresden wird wieder der Mittelpunkt des Glanzes werden. Und ich …“

„Man sagt, daß Mademoiselle von Osterau sich in der unmittelbaren Umgebung des Königs von Sachsen befinde,“ wirft der Hofrat Wackenitz vorsichtig ein. Die schöne Dißkau lächelt verächtlich.

„Mag sie, lieber Hofrat! Die Osterau kann August III. nicht mehr bedeuten als — andere. Ich aber werde zurückkehren mit einem Gewinn, den niemand sonst dem König zu bieten hat.“ Ihre ringgeschmückte Hand hebt leicht einen Band in die Höhe, der auf dem zierlichen Spieltischchen liegt. „Ich darf das Werk, das Sie mir gewidmet haben, liebster Euler, doch S. Majestät, dem König August vorlegen?“

Der Astronom Bernhard Euler nickt bedächtig. „Es ist Ihnen zugeeignet, Gräfin. Verfügen Sie darüber nach Belieben.“

„Dank, mein Freund!“ Tief tauchen die schönen Augen in den Blick des Gelehrten. „König August ist ein Freund der Wissenschaften. Er wird nicht zögern, Sie an seinen Hof zu berufen. Ein Arbeitsfeld wird sich Ihnen eröffnen, wie es Ihre Phantasie nie erträumt. Denken Sie an die Mittel, die König August dem Herrn von Klettenberg für sein Laboratorium zur Verfügung gestellt hat!“

Bernhard Eulers Gesicht verfinstert sich. „Ich bin kein Alchimist und Goldmacher, gnädigste Gräfin. Die Bahnen der Gestirne …“

„Ich weiß, ich weiß, Bester. Wie können Sie denken, daß ich Sie vergleichen will mit einem Scharlatan! Sagen sie selber, Hofrat Wackenitz: Wird der König jemals unseren verehrten Professor anerkennen? Hat er ihn und seine Arbeit jemals protegiert?“

„Hm.“ Der Hofrat zieht die Schultern hoch. „Seine Majestät haben ja wohl in den letzten Jahren anderes zu bedenken gehabt als die Wissenschaften.“

„Der Krieg!“ Bernhard Euler steht auf und ballt unwillkürlich die Fäuste. „Geld, Blut und Menschen für den Krieg! Alle Mittel des Staates, Hekatomben von Menschenleben! Um eine Chimäre! Um den Ruhm! Ich hasse den Krieg!“

Stark und laut klingen die Worte, so daß der Hofrat Wackenitz zusammenzuckt und unwillkürlich einen ängstlichen Blick nach der Tür wirft. Die schöne Gräfin Dißkau aber schwebt dicht an den Gelehrten heran. Vertraulich, schmeichelnd legt sie ihre Hand auf seine Schulter.

„Der Krieg wird zu Ende sein, mein Freund. Von diesen Schlägen wird sich der König von Preußen nicht mehr erholen. Friede wird sein, glanzvoller Friede. Und wir, mein Freund —, wir werden in Dresden beisammen bleiben. Gehen Sie jetzt, lieber Euler! Gehen Sie, Hofrat, und nehmen Sie die Versicherung mit, daß ich mich Ihrer in Dresden erinnern werde.“

Tiefe, chevalereske Verbeugung. Die beiden Herren küssen der Gräfin Dißkau die Hand und ziehen sich zurück. Draußen, im Vorgemach, verbeugen sie sich noch einmal höflich gegeneinander, bieten sich beflissen den Vortritt an. Hinter dem Professor Euler, der festen Schrittes, erhobenen Hauptes die Treppe hinuntersteigt, tänzeln die vorsichtigen Schritte des Hofrats. Ein verkniffenes, spöttisches Lächeln hat der Herr von Wackenitz auf den Lippen. Kein Zweifel, der da vor ihm hat manches voraus. Eine kräftige, männliche Gestalt, neben der sein eigener, gekrümmter Rücken eine etwas trübe Rolle spielt. Professor Euler hat einen Stein im Brett bei der schönen Dißkau. Wäre unklug, sich das zu verschweigen. Aber, ah! — Er ist zu steif, zu gelassen! Man könnte ihn in einen preußischen Grenadierrock stecken, den Professor Euler! Schöne Frauen aber wollen den Reiz, den sie ausstrahlen, sich widerspiegeln sehen in sehnsuchtfiebernden Augen, wollen umworben, angebetet sein. Mag der Herr Euler vorläufig den Vortritt haben. Immer sich beugen, niemals brechen! Auf die Dauer wird die geschmeidige Hofkunst, die Galanterie und Flatterie doch den Sieg davontragen über den allzu kräftigen, allzu ruhigen Gelehrten! Auf die Dauer wird sie seiner doch müde werden — die wunderschöne Gräfin Dißkau!

*

Das ist also die schöne Gräfin Dißkau! Weiland ein Stern des sächsischen Hofes, auserkorene Nachfolgerin ihrer Mutter, der allmächtigen Favoritin Augusts des Starken, Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen.

Generale und Minister haben sich vor ihr verbeugt, als sie noch eine Vierzehnjährige war. Denn jedermann wußte, daß eine Bitte an die Mutter am sichersten durch die Tochter ging. Ehrgeiz, fast an Größenwahn grenzendes Geltungsbedürfnis haben sich damals in ihr Herz eingenistet. Leonore von Dißkau, die Vierzehnjährige, hatte damals schon am Hof zu Dresden ihre kleine „Partei“, war entschlossen, eines Tages die eigene Mutter in der Gunst des Königs zu verdrängen.

Aber die Tage, da die Gräfin Dißkau, Leonorens Mutter, die diamantenen Rosen Augusts des Starken stolz an ihrem Busen trug, schwanden. Sie sank in Bedeutungslosigkeit zurück wie die Königsmarck, die Kosel, die Kessel, die Lubomirska, die Esterle, die Denhof. Wie all die großen und kleinen Pompadours am Hof Augusts des Starken.

Noch bevor der Staatsminister Graf Brühl seine Ränke spann zwischen Dresden, Wien, Paris und Petersburg, noch bevor der Preußenaar bei Kesselsdorf seine Fänge wies, starb die einstige Favoritin Augusts des Starken in der Einsamkeit, und Leonore, ihre Tochter, wuchs fern von Dresden in dem für ihre Begriffe öden, langweiligen Berlin auf.

Sie reifte zu einer Frau heran, deren Schönheit die der Mutter überstrahlte. Aus der ehrgeizigen, herrschsüchtigen Vierzehnjährigen ist eine erfahrene, diplomatische Dame geworden. Aber in ihrem Herzen brennt immer noch unbefriedigte Sehnsucht nach Geltung und Macht.

Könige halten nicht immer, was Kronprinzen versprechen. Man sieht es an diesem Friedrich von Preußen. Ein Fürst der Philosophen schien er werden zu wollen, ein geistreicher, schöngeistiger Herrscher, von dem die Welt einen üppigen, medicäischen Hof erwartete. Die gestürzte Gräfin Dißkau selbst hatte keine bessere Hoffnung gewußt, als sich in das Land des geistvollen Herrn von Rheinsberg zurückzuziehen. Und dieser Mann stand nun schon jahrelang im Felde. Rheinsberg lag verödet. In Berlin und Potsdam dröhnten die Paradeschritte der Bataillone.

Auch in Dresden ist alles anders gekommen. Der Kurprinz hatte sich seinerzeit mit Unwillen und Verachtung von der zügellosen Genußsucht Augusts des Starken abgewendet. Am Hofe Augusts III. und seiner streng katholischen Gemahlin schien kein Platz zu sein für Favoritinnen und Günstlinge. Nun, dieser selbe August III. zappelt seit Jahren in den Händen des allmächtigen Brühl, deckt die schandbare Verschwendungssucht dieses Mannes und hält selber Hof in einer Pracht, die in keinen Verhältnissen steht zu den Einnahmen des Landes.

Längst hat Leonore Dißkau von Berlin aus wieder Fühlung mit dem Dresdner Hof genommen, mit Brühl, mit Karbe und Hennings, mit allen, die dort noch Einfluß haben oder nach Einfluß streben. Der Krieg hat alle Fäden zerrissen. Brühl und der Kurfürst sind nach Polen geflohen. Dresden ist in den Händen der Preußen. Aber Leonore Dißkau hat ihre Pläne und Hoffnungen nicht aufgegeben. Einmal muß dieser Krieg endigen, muß abschließen mit der Vernichtung des anmaßenden Preußenkönigs.

Die schöne Leonore Dißkau weiß viel, sehr viel. Es sind nicht alle Preußen spröde, rauhe Spartaner wie der Justizminister Cocceji, der sie kalt gemustert und ihr glattweg den Rücken zugekehrt hat, als sie unter Aufbietung ihres ganzen Liebreizes ihn einmal zu einer vertraulichen Mitteilung über Amtsdinge zu bewegen suchte. Es gibt auch andere. Zum Beispiel den Hofrat von Wackenitz, der, rettungslos verliebt, der schönen Frau seine Seele und sein Gewissen verkauft.

Leonore Dißkau weiß, daß die Kaiserin Maria Theresia unversöhnlich daran festhält, Schlesien wieder zu erobern. Daß Frankreich alle Annäherungsversuche der preußischen Diplomatie abgelehnt hat. Daß die russische Kaiserin den König Friedrich haßt, wie nur eine Frau zu hassen vermag. Daß selbst der große William Pitt drüben jenseits des Meeres geneigt ist, lieber Friedrich fallen zu lassen, als seinem Gegner Lord Bute das Feld zu räumen.

Kunersdorf, Maxen, Dresden! Die preußische Armée vernichtet! Der König selber verzweifelt! Die letzte Stütze, die letzte Eroberung verloren gegangen! Das muß das Ende sein! Dresden, Dresden wird wieder auferstehen in alter Pracht. Kurfürst Friedrich August II von Sachsen, der als König von Polen August III. heißt, wird wieder residieren an einem Hof, dessen Glanz und Charme höchstens noch von Versailles und Wien übertroffen werden kann. Und sein Freund wird der sein, der ihm eine seltene, köstliche Gabe darzubringen vermag.

Schön ist Leonore von Dißkau, schöner noch, als ihre Mutter war. Aber sie ist auch klüger. Was bedeutet Frauenschönheit? Einen kurzen Sieg! Eine kurze Gunst! Ein neuaufgehender Stern, der Reiz einer Frau, die ein paar Jahre jünger ist, kann einen zurückstoßen in das Dunkel der Vergessenheit. Leonore Dißkau ist entschlossen, ihre Schönheit nur als Lockmittel zu benutzen. Den Kampf entscheiden andere Waffen.

Friedrich August II. ist kein Genußmensch wie sein Vater, und seine Gemahlin, die strenge Josepha, hält gute Wacht. Aber Friedrich August II. hat den stillen Ehrgeiz, das zu werden, was Friedrich von Preußen einst zu werden versprach: ein gekrönter Mäzen, Schutzherr aller Künste und Wissenschaften. Sein Hof ein Sammelplatz der größten Gelehrten Deutschlands. Leonore von Dißkau weiß es. Wer diesem Fürsten einen Mann zu bringen vermag, der seinen Ruf als Schirmherr der Wissenschaften mehrt, hat mehr Dank zu erwarten als derjenige, der dem hochseligen Hausvater Preußens, weiland Friedrich Wilhelm, eine ganze Kompagnie langer Kerls nach Potsdam brachte.

Dazu kommt ein Zweites. Durch die Briefe des Staatsministers Grafen Brühl weiß Leonore Dißkau es: Kurfürst Friedrich August II. ist in dauernder Geldverlegenheit. Der Kriegsausbruch hat entsetzlich aufgedeckt, was die raffinierten Künste Brühls vorher verschleiert hatten: den gänzlichen Zusammenbruch der sächsischen Finanzen. In diesen Kriegsjahren freilich, in der Zeit der unfreiwilligen Landesflucht hat der Kurfürst die Geldnot nicht so empfunden. Aber sie wird erdrückend werden, wenn der Hof wieder zu Dresden residiert. Erdrückend für den Kurfürsten, der sich seine Stellung nicht anders denken kann als von Glanz und Pracht umgeben. Erdrückend für den Staatsminister Brühl, dessen Verschwendungssucht und unsaubere Praktiken im Finanzgebahren nun ans Tageslicht kommen müssen. Kurfürst Friedrich August hat erst vor kurzem beiläufig zu seinem Vertrauten geäußert: „Schade, daß die Rezepte von Klettenberg verbrannt worden sind, als er selber hingerichtet wurde. Vielleicht hätte ein geschickter Mann die Versuche fortsetzen können. Ein Goldmacher täte uns not.“

Bernhard Euler! Leonore von Dißkau versteht nicht viel von der höheren Mathematik, aber die Herren von der Akademie haben ihr die Bedeutung des Professor Bernhard Euler in mancher Assemblée gepriesen. Ein Mann, der keinen Neider, keinen Mißgünstigen sich gegenüber hat. Ein Mann, der im geheimen Studio den Lauf der Gestirne erforscht, die Geheimnisse zählt, die im ewigen Dunkel schweben!

Bernhard Euler ist Leonore von Dißkaus großer Trumpf.

Geht nicht im Volk die Sage von ihm, daß er mehr kann als Brot essen? Flüstert man nicht selbst bei Hofe davon, daß der Professor Euler in seinem Hause eine schwarze Küche hat und über Dinge brütet, die nichts mehr zu tun haben mit Mathematik und Physik? War er nicht einer, der am lautesten jubelte, als der junge König am dritten Tage seiner Regierung die Folter abschaffte und die Hexenprozesse für einen mittelalterlichen Unsinn erklärte? Hat er nicht selbst ihr, — ihr, der schönen Leonore von Dißkau, freundlich und bestimmt sein Laboratorium und sein Studio verschlossen, als sie, in eine Kapuze gehüllt, zur Abendzeit ihre Sänfte vor seinem Hause halten ließ?!

Und wenn es wirklich wahr wäre, was Bernhard Euler ihr auf ihre dringenden Fragen lächelnd versichert hat: daß er zwar allerlei Geheimnissen der Natur auf der Spur sei, aber nicht daran denke, Gold zu machen — um so besser nur! Kein prahlender Alchimist, kein Scharlatan wird es sein, den sie dem königlich-kurfürstlichen Herrn zu Dresden bringt, sondern ein ernster Gelehrter, ein Mann, vor dem alles Mißtrauen schwinden muß und dessen stille, gütige Augen doch mit ihrem ruhigen Glanz jedermann geheimnisvoll zu sagen scheinen: ‚Ich weiß mehr als ihr.‘

Gold und Glanz locken Bernhard Euler nicht. Aber er wird bereit sein, Berlin zu verlassen und nach Dresden überzusiedeln. Denn Bernhard Euler ist ein Mann des Friedens. Nie hat er die Enttäuschung verwinden können, daß der Philosoph von Rheinsberg, der Friedensfürst, der Freund des Wahren und Schönen, sich zu einem Kriegsmann entwickelt hat. Er haßt Friedrich von Preußen, weil er den Krieg haßt, blind, einseitig, aus tiefster Seele heraus. Er wird kommen, wenn man ihm in Dresden ein Wirkungsfeld bietet. Und sie, die Frau, in deren Salon er seit drei Jahren allwöchentlicher Gast ist, — die schöne Leonore Dißkau lächelt geheimnisvoll vor sich hin bei dem Gedanken, — sie wird ihn an sich fesseln und aus seinem Geiste für ihren Aufstieg Vorteil ziehen!

Einer vom Regiment Rammin

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