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Kapitel 1 Wege zur Meditation

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Diese Lehrrede des Buddha behandelt alles, was außer der Meditation noch nötig ist, um ein spirituelles Leben zu führen. Meditation kann nicht als Einzelaktion durchgeführt werden. Wenn wir meinen, neben unseren sonstigen vielen Aktivitäten noch ein bisschen meditieren zu können, so funktioniert das nicht – weder die Meditation noch das tägliche Leben, das sich auf einer höheren spirituellen Ebene abspielen soll. Meditation bringt nur dann Resultate, wenn sie in die Läuterungsvorgänge von Herz und Geist eingebettet ist. Wenn wir meditative Ruhe und Einsicht erlangen wollen, ist es daher notwendig, dass wir eine spirituelle Lehre kennen, sie als Richtlinie akzeptieren und praktizieren. Meditation ist kein Hobby, keine Freizeitbeschäftigung. Ihr Zweck ist eine grundlegende Veränderung im innersten Wesen, die die meisten Menschen auch anstreben. Diese zutiefst spürbare Änderung trifft den Kern unseres Wesens und kann eines Tages zur vollkommenen Freiheit und zum Erkennen der absoluten Wahrheit führen.

Das Wort Sutta bedeutet wörtlich übersetzt „der Faden“, an dem die Perlen der Worte des Buddha aufgereiht sind. Frei übersetzt und im Sprachgebrauch üblich, ist Sutta eine Lehrrede des Buddha oder eines seiner erleuchteten Jünger. Rathavinῑta wird mit „siebenfache Kutsche“ übersetzt. Die Bedeutung dieses Namens wird deutlich, wenn wir uns mit dem Inhalt der Lehrrede beschäftigen.

In den meisten Suttas beginnt der Buddha mit der Situation, in der wir uns im Moment befinden, und erklärt einen allmählichen Entwicklungsprozess, der schließlich zur Erlösung führt. Wie weit jeder von uns kommt, ist uns allein überlassen. Das ist eines der besonders wichtigen Merkmale der Lehre des Buddha. Er zeigt uns den Weg, aber wir müssen ihn selbst beschreiten, keiner kann das für uns tun.

Wir können die Lehre des Buddha mit einer Landkarte vergleichen, auf der alle Straßen, Berge, Flüsse und Täler eingezeichnet sind. Der Anfangspunkt und der Endpunkt sind genauestens vermerkt, und es ist eindeutig erklärt, wo wir entlangwandern sollen, um uns keinen Gefahren auszusetzen und am schnellsten vorwärtszukommen. Wenn wir diese Landkarte jedoch nur bewundern und uns daran erfreuen, wie schön sie ist, ohne uns auf die Wanderschaft zu begeben, werden wir wohl kaum sehr weit kommen. Die Engländer bezeichnen das als „armchair traveller“. Wir schauen von unserem Lehnstuhl aus in die Welt und denken: „Wie schön müsste es sein, in den Himalaja zu reisen oder China kennen zu lernen“, bleiben aber dennoch zu Hause. Mit der Dhamma-Landkarte ist es genauso; wir müssen uns auf den Weg machen und uns die Anweisungen dankbar zu Herzen nehmen.

Es ist unerlässlich, dass wir wissen, an welcher Stelle einer Landkarte wir uns wirklich befinden, um unseren Weg planen zu können. Die beste Karte nützt uns sonst nichts. Bei der Meditation können wir feststellen, wo wir uns in Bezug auf Konzentration und innere Läuterung befinden. Selbstbefragung und Selbsterkenntnis stehen an erster Stelle in einem Meditationsprozess. Es handelt sich nicht um irgendwelche Werturteile, sondern darum, einen Anfang für unsere Praxis zu finden. Der Weg der Selbsterkenntnis kann uns eines Tages zu einer solchen Läuterung führen und uns ermöglichen, ohne jegliche Schwierigkeiten in dieser Welt zu leben. Der Buddha hat gesagt, dass er nur eines lehrt, und zwar den Weg heraus aus allem Leid. Wenn wir diesen Weg suchen, müssen wir vor allem unser Innenleben erkennen, denn dort spielt sich alles Leid ab.

Ein wichtiger Bestandteil einer intensiven Meditationspraxis ist das edle Schweigen, das uns die Innenschau ermöglicht. Freiwilliges Schweigen hilft uns festzustellen, wie unsere Innenwelt beschaffen ist. Dazu gehört auch, keine Bücher zu lesen, keine Briefe zu schreiben und nur zu telefonieren, wenn es wirklich nötig ist. Im eigenen Geist findet ohnehin genug an Unterhaltung statt, und erst wenn wir dieses Geschwätz eines Tages abschalten können, tritt Ruhe und Frieden ein.

Die Lehrrede beginnt damit, dass der Buddha seine Mönche fragt, ob sie einen Mönchsbruder kennen, der zehn Fähigkeiten in sich vervollkommnet hat. Er zählt dann diese zehn Eigenschaften auf, wobei Meditation erst an siebenter Stelle erwähnt wird. Die ersten sechs unterstützen die Meditation und führen zu ihr hin; sie bilden das nötige Fundament. Das bedeutet nicht, dass wir erst anfangen können zu meditieren, wenn wir diese Eigenschaften in uns vervollkommnet haben, im Gegenteil, die Meditation hilft uns bei dieser Entwicklung.

Die erste Eigenschaft, die der Buddha erwähnte, ist die Fähigkeit, wenig Wünsche zu haben. Ein jeder, der schon einmal meditiert hat, weiß aus eigener Erfahrung, wie störend und unangenehm es ist, wenn man auf dem Kissen sitzt und sich wünscht, dass die Zeit schon vorbei sei, es nicht so heiß oder kalt wäre, die Beine nicht schmerzten, die Fliegen uns in Ruhe lassen würden, der Nachbar nicht husten würde und es schon Zeit zum Essen sei. Auch solche, im Prinzip recht unbedeutsame Wünsche sind Hindernisse, denn jeder Wunsch bringt Dukkha mit sich. Dukkha lässt sich schwer übersetzen. Es wird oft als „Leid“ bezeichnet, bedeutet aber vor allem unerfüllt oder unzufrieden zu sein, sich unvollständig zu fühlen. Es schließt alles ein, was Negativität in sich trägt. Bei tiefster Einsicht erkennen wir eines Tages, dass jegliches Existieren unweigerlich Dukkha mit einschließt, weil wir nichts greifen können, das uns auf immer befriedigt. Die Ursache, warum Leid, Kummer, Sorgen und Ärgernisse aufsteigen, ist unsere Suche nach Befriedigung, also Wünsche zu haben, die oft unerfüllt bleiben oder nach Erfüllung wieder neu auftreten. Entweder wir wollen etwas bekommen, was angenehme Gefühle verspricht, oder etwas loswerden, was unangenehme Gefühle verursacht. Bei seiner Erleuchtung hat der Buddha die „Vier Edlen Wahrheiten“ durchschaut und unsere Begierden, die uns Dukkha bringen, die erste und die zweite Edle Wahrheit genannt.

Diese beiden Wahrheiten können wir ohne Weiteres nachvollziehen. Die Wünsche, die wir im täglichen Leben haben, scheinen uns das Leben interessant zu machen. In Wirklichkeit aber nehmen sie uns den Frieden des Herzens. Es gibt kaum einen Menschen auf der Welt, der inneren Frieden verspürt, weil ein jeder unerfüllte oder neu erwachte Wünsche hat. Wenn es keine persönlichen Wünsche sind, dann sollte wenigstens die Welt um uns herum anders sein. Unsere Umwelt ist aber nur ein Spiegelbild unserer Innenwelt. Sie zeigt uns unsere Stärken und Schwächen, denn wir haben sie selbst erschaffen.

Der Buddha sagte nicht, dass er einen wunschlosen Mönch suche, sondern einen, der wenig Wünsche hat. Dazu gehört dann auch die zweite Fähigkeit, die der Buddha von einem Mönch erhoffte, nämlich Zufriedenheit. In dieser Weise sollte er auch andere belehren und ihnen erklären können, dass wenig Wünsche zum Heil gereichen. Das Wort „zufrieden“ zeigt deutlich, dass diese Eigenschaft „zum Frieden“ führt. Zufriedenheit können wir erreichen, wenn wir nicht immer mehr haben, sein oder können wollen, sondern einmal die Wirklichkeit untersuchen und erkennen, dass alles so ist, wie es sein soll. Das bedeutet nicht, dass wir selbstzufrieden werden, sondern nur, dass wir Situationen und Menschen so akzeptieren, wie sie sind, und vor allem uns selbst auch. Wenn wir uns selbst nicht akzeptieren, können wir niemanden annehmen. Wir sind uns selbst immer der Nächste, mit dem wir ständig beisammen sind, und dort ist der erste Schritt nötig. Zufriedenheit ist eine Grundlage, auf der sich Liebende Güte entwickeln kann. Sie ist eine der fünfzehn notwendigen Eigenschaften, um lieben zu können, die der Buddha in der Lehrrede über die Liebende Güte aufgezählt hat. Je weniger zufrieden wir sind, desto weniger können wir uns selbst und andere lieben. Unzufriedenheit führt zu Ablehnung; sie ist beinahe identisch damit.

Zufriedenheit bezieht sich nicht nur auf die materielle Ebene, sondern auf alles, das mit unserem Leben zu tun hat. Akzeptieren ist mehr als Toleranz, es bedeutet, alles als gleichbedeutend und gleichwertig anzunehmen. Die Dinge sind so, wie sie sind, und erst, wenn wir die Umwelt, uns selbst und andere in dieser Weise anerkennen, können wir anfangen, unsere Existenz auf einer tieferen spirituellen Basis zu untersuchen. Wenn wir weiter unserer Unzufriedenheit Ausdruck geben, können wir uns keiner Situation, keinem Menschen, keinem Gefühl ganz hingeben, denn alles erscheint uns ja verbesserungsbedürftig. Erst wenn wir uns hingeben können, ist es uns möglich, richtig verstehen zu lernen. Dies sind die beiden ersten Eigenschaften, die der Buddha als Grundlage für die Meditation beschrieb.

Als Nächstes erwähnte der Buddha, zurückgezogen und nicht inmitten von zu vielen Geschehnissen zu leben. Auch in der Lehrrede des großen Heils (Mahā Mangala Sutta) ist ein friedlicher Wohnort als Segen erwähnt. Am Anfang der Meditationspraxis sind wir von äußeren Einflüssen sehr abhängig, sodass ein ruhiger Platz, an den wir uns zurückziehen können, äußerst wichtig ist. Wenn wir meditieren wollen, muss unser Geist sich zunächst beruhigen und aufhören zu denken. Wenn zu viele Sinneseindrücke auf uns einströmen, ist es schwierig, nicht darauf zu reagieren.

Sich abseits von der Gesellschaft aufzuhalten, ist die nächste der wünschenswerten Eigenschaften. Der Buddha hat häufig erwähnt, mit welcher Art Menschen wir Umgang pflegen sollten. Wir sollen nicht mit törichten Menschen, sondern mit Weisen zusammensein, was er als großen Segen bezeichnet hat. Edle Freunde hat er als das wichtigste Heilmittel für unsere Schwierigkeiten erklärt. Ein guter Freund sei das ganze spirituelle Leben, wurde vom Buddha ausgesagt. In diesem Sinne muss ein guter Freund ein spiritueller Freund sein, der schon einige Schritte voraus ist und uns den Weg zeigen kann. Auf Pāli heißt der gute Freund Kalyāna-mitta, und oft versteht man darunter den Meditationslehrer. Wir sollten mit Menschen verkehren, denen wir wirklich vertrauen können, die nicht nur Freunde sind, wenn es uns gut geht, sondern solche, bei denen wir tiefe Ehrlichkeit und enge Verbundenheit verspüren. Wenn wir ein geselliges Leben pflegen, kommen wir mit vielen verschiedenen Menschen zusammen, denen wir uns anpassen müssen. Dies ist schädlich für den spirituellen Pfad, denn wem passen wir uns hier an? Doch nur der Welt, ihren Gepflogenheiten, ihren Vergnügungen und illusorischen Werturteilen. Wenn wir aber bereits wissen, dass das endgültige Glück nicht in der Welt zu finden ist, dann können uns diese Anpassungsmanöver auf Dauer auch nicht zufriedenstellen. Eine große Erleichterung auf dem spirituellen Pfad kann das häufige Erleben von Situationen sein, in denen unsere Innenerfahrungen zählen und wir die Außenwelt nur als Spiegelbild erkennen.

Energie ist die nächste vom Buddha erwähnte wünschenswerte Eigenschaft. Energie ist einer der sieben Erleuchtungsfaktoren und das Gegenstück zum Hindernis der Trägheit und Lässigkeit. Ohne Energie können wir nicht meditieren oder die Lehre in uns aufnehmen. Beide stellen Ansprüche an den Geist, denen er nicht nachkommen kann, wenn er müde und schlaff ist. Der Buddha hat die Menschen, die der Lehre zuhören, mit Tontöpfen verglichen. Der erste Tontopf hat Löcher am Boden; das hineingegossene Wasser läuft unten wieder hinaus. Solche Menschen hören mit einem Ohr zu und vergessen das Gehörte sofort. Dann gibt es Tontöpfe mit Rissen; das hineingegossene Wasser sickert hinaus. Solche Menschen hören die Lehre wohl, vergessen aber bald alles wieder. Dann gibt es Tontöpfe. die bis oben hin voll mit Wasser sind, und frisches Wasser kann nicht zugegossen werden. Damit meint der Buddha Menschen, die so sehr mit ihren eigenen Meinungen angefüllt sind, dass sie nichts Neues mehr aufnehmen können. Es gibt natürlich auch leere Tontöpfe, ohne Löcher und Risse. Ich hoffe, dass wir alle leere Töpfe ohne Löcher und Risse sind.

Energie ist vor allem eine geistige Eigenschaft, die sich aber auch auf den Körper auswirkt. Wenn der Geist ohne Energie ist, so ist es der Körper ebenso. Dann werden wir zu seltsamen Zeiten todmüde, ohne überhaupt etwas getan zu haben, und abends sind wir so erschöpft, als hätten wir körperlich schwer gearbeitet. Obwohl das nicht der Fall gewesen ist, hat der Geist ständig gedacht, beurteilt und verurteilt, gewollt und abgelehnt, sodass er natürlich erschlafft und ermüdet ist. Wir können viel geistige Energie sparen, wenn wir sie nur dann einsetzen, wenn sich die Anstrengung lohnt. Ferner hilft es, Achtsamkeit im täglichen Leben walten zu lassen und in der Meditation zur Ruhe zu kommen. Meditative Ruhe bringt neue Energiezufuhr, die der Geist braucht, um klare und ungetrübte Wahrheit erkennen zu können. Auf der anderen Seite beansprucht Meditation aber auch so lange geistige Energie, bis wir tiefe Ruhe erleben können, die uns dann erfrischt und neu belebt. Unsere anfänglichen Konzentrationsversuche erfordern natürlich einen starken Energieaufwand und lassen den Geist ermüden. Wir müssen mit unserer Energie haushalten, um die besten Resultate zu erzielen. Dazu gehört das edle Schweigen und immer wieder der Versuch, nicht diskursiv zu denken, sondern stattdessen achtsam den Tag zu verbringen. Wir können jede Körperbewegung, jede Handlung, jedes Gefühl beobachten und uns völlig darauf konzentrieren. Auch unser Denken können wir als Beobachter achtsam betrachten. In dem Moment, wo wir uns selbst beobachten, sind wir nicht mehr der Denker, was uns bei der Meditation sehr hilfreich sein wird.

Meditation besteht nicht nur darin, dass wir mit gekreuzten Beinen dasitzen und unseren Atem beobachten; auch Achtsamkeit spielt eine zentrale Rolle dabei. Wir dürfen die Achtsamkeit jedoch nicht gleich wieder aufgeben, wenn wir das Meditationskissen verlassen, sondern sollten sie während des ganzen Tages beibehalten, wissen, dass wir zur Tür gehen, die Türklinke herunterdrücken, die Tür aufmachen, hinausgehen und die Treppe hinuntergehen. Wenn wir alle unsere Bewegungen beobachten, dann hat der Geist keinen unnötigen Energieaufwand und zersplittert nicht in viele Gedanken. Er bleibt einspitzig. wie es für die Meditation notwendig ist. Wir geben dem Geist die Möglichkeit, sich auch außerhalb der Meditation zu konzentrieren, sodass er es in der Meditation um so besser kann. Wenn wir den Geist nicht dazu anhalten, sich auch während des Tages zu festigen, können wir wohl kaum erwarten, dass er es kann, wenn wir uns auf das Meditationskissen setzen. Unsere Körperhaltung hat sich vielleicht geändert, aber unsere Geisteseinstellung kann sich nicht so schnell umstellen. Wenn der Geist tagsüber ständig gedacht, geplant, sich geärgert und gewundert hat, kann er nicht auf Anhieb alles fallen lassen und ganz friedlich den Atem betrachten.

Wir können den Körper sehen und berühren, und daher ist er das Deutlichste und Einfachste, was wir beobachten können. In der Meditation ist es der Atem, der uns die Körperbetrachtung veranschaulicht; im Tagesablauf sind es unsere Bewegungen und Handlungen, die wir achtsam beobachten können. Sollte ein starkes Gefühl aufkommen, so wenden wir unsere Konzentration dem Gefühl zu und können dadurch die darauffolgende Reaktion vermeiden. Wenn es schon zu spät und die Reaktion bereits erfolgt ist, so betrachten wir die Reaktion. Dadurch lernen wir, ein interessierter, objektiver Beobachter zu werden. Keinen anderen kann es auch nur annähernd so sehr interessieren wie uns selbst, was sich in uns abspielt.

Wenn Achtsamkeit unser ständiger Begleiter ist, hat unsere Meditation die besten Vorbedingungen, und der Energieaufwand des ständigen Denkens, Überlegens, Planens und Hoffens wird überflüssig. Ein energievoller Geist kann sich mühelos überall hinbewegen, genau wie ein energievoller Körper ohne Schwierigkeiten seine Haltung ändern kann, wogegen ein schlaffer Körper vielleicht Mühe hat, sich aufrecht zu halten. Das Gleiche gilt für den Geist. Daher gibt der Buddha diesen Eigenschaften einen prominenten Platz in seiner Lehre: wenig Wünsche haben, Zufriedenheit, Zurückgezogenheit, ohne Geselligkeit leben und voll Energie sein.

Achtsamkeit bezieht sich vorerst auf die Meditation. Wir benutzen dabei die vier Grundlagen der Achtsamkeit. Als erstes beziehen wir uns auf den Körper, und zwar auf den Atem, der ja eine Körperbewegung darstellt. Wir benutzen den Atem als unser Meditationsobjekt. Wenn ein flüchtiger Gedanke unsere Konzentration auf den Atem unterbricht, wie es bei erfahrenen Meditierenden der Fall sein kann, dann lassen wir diesen Gedanken wie eine Wolke an uns vorbeiziehen. Wenn aber ein massiver Denkprozess einsetzt, so wie es bei den meisten Menschen üblich ist, die noch nicht lange oder nur sporadisch meditieren*), dann gilt es dem Gedanken ein Etikett aufzukleben, das seinen Inhalt beschreibt. Dies ist eine der wichtigsten meditativen Übungen, weil wir damit gleich zwei Resultate erzielen. Als Erstes werden wir zum Beobachter unserer Gedanken, was zur Folge hat, dass der Gedanke auseinanderfällt und wir zum Meditationsobjekt zurückkehren können. Natürlich kommt bald ein neuer Gedanke, aber auch das gibt sich nach einiger Zeit. Als Zweites lernen wir unsere gewohnheitsmäßigen Gedankengänge kennen, die uns entweder in die Zukunft oder in die Vergangenheit treiben, zu Ablehnung und Ärger oder zu Habenwollen und Gier veranlassen. Auch Träumereien, Hoffnungen oder Langeweile mögen hochkommen. Wir können also Etiketten wie Zukunft, Vergangenheit, Hoffnung, Pläne, Wünsche, Ärger, Langeweile, Unsinn, Träume gebrauchen. Das erste Etikett, das hochkommt, ist das richtige. Es ist nicht nötig, das beste zu finden. In jedem Fall hilft uns das Etikettieren, uns selbst besser kennen zu lernen.

Wir haben hier also bereits drei Grundlagen der Achtsamkeit zum praktizieren: den Körper (Atem), die Gedanken (Erkennen des Denkens und sich nicht hinreißen lassen, weiterhin zu denken) und den Inhalt der Gedanken (Etikett). Auch im täglichen Leben hilft uns das Erkennen und Etikettieren unserer Gedanken. Wenn wir negativ, ablehnend, ärgerlich, wütend, sorgen- und kummervoll sind und wir etikettieren dies, dann verdeutlicht uns das, wie wir uns selbst zum Unglück hinreißen lassen. Sobald wir gelernt haben, Gedanken fallenzulassen und zum Atem zurückzugehen, können wir auch im täglichen Leben negative Gedanken fallenlassen und durch positive ersetzen, denn es ist genau dieselbe geistige Bewegung. Wenn wir dies ständig praktizieren, brauchen wir eines Tages keine negativen Gedanken mehr zu denken und daher nie wieder unser eigenes Unglück heraufzubeschwören. Es fängt damit an, dass wir den störenden Gedanken in der Meditation ein Etikett geben und sie durch Atembetrachtung ersetzen. Das Ersetzen durch das Gegenteil ist eine wichtige spirituelle Fähigkeit.

Was uns ebenfalls bei der Meditation stören kann, sind Gefühle, oftmals unangenehme Körperempfindungen, die durch die ungewohnte Sitzhaltung hervorgerufen werden. Wenn wir diese unerwünschten Empfindungen als Lernmöglichkeit annehmen, können wir uns von Grund auf kennen lernen und absolute Wahrheiten erfahren, die uns vielleicht eines Tages zur vollkommenen Freiheit und Erlösung führen. Denn das, was wir im Moment von uns selber sehen, ist eine Illusion. Die unangenehmen Empfindungen können uns den Weg zur Wahrheit zeigen.

Wenn ein unangenehmes Gefühl auftritt, so ist unsere instinktive, impulsive Reaktion, das Gefühl total abzulehnen. Daher werden wir entweder schnell die Sitzhaltung ändern oder aber die Zähne zusammenbeißen und bei uns denken: „Ich werde denen schon zeigen, dass ich durchsitzen kann.“ Beide Wege sind grundfalsch. Der erste ist Gier nach Bequemlichkeit, und der zweite ist Hass, ausgedrückt als: „Ich kann dies zwar nicht leiden, aber ich beiße mich durch.“ Hass und Gier sind die zwei Charaktereigenschaften, denen wir alle untertan sind, und obwohl beide Worte scheinbar Unschönes beschreiben, können wir uns ruhig mal vor Augen halten, dass alles, was wir haben wollen, sei es noch so unscheinbar, auf Gier aufgebaut ist, und dass allem, was wir loswerden wollen, Hass zugrunde liegt.

Anstatt daher sofort das unangenehme Gefühl loswerden zu wollen oder mit Ablehnung zu reagieren, sollten wir die Situation einmal ganz anders anpacken und feststellen, dass ein Sinneskontakt der Berührung stattgefunden hat, und dass alle Sinneskontakte Gefühle verursachen. Es gibt nur drei Arten von Gefühlen: angenehme, unangenehme und neutrale. Die neutralen halten wir gewöhnlich für angenehm, weil sie wenigstens nicht unangenehm sind. Wir haben also nur zwei Arten, mit denen wir uns abgeben müssen, die angenehmen und die unangenehmen Gefühle, und mit diesen sind wir unser Leben lang beschäftigt. Wenn wir beim Meditieren merken, dass wir unsere Zeit vergeuden, weil wir den angenehmen Gefühlen nachjagen und den unangenehmen aus dem Weg gehen wollen, dann haben wir einen großen Schritt in Richtung Erkenntnis getan.

Wir erleben also einen Sinneskontakt, der ein unangenehmes Gefühl hervorruft; die Wahrnehmung etikettiert dies mit „Schmerz“ und danach kommt die Reaktion, die sich erst einmal in unseren Gedanken abspielt. Die Reaktion kann sein: „Das ist ja scheußlich“, „Ich kann das nicht leiden“ oder „Wozu meditiert man denn überhaupt in dieser Haltung?“, „Das ist bestimmt ungesund, denn es schneidet die Blutzirkulation ab“ und was sich sonst noch alles im Geist abspielen kann. Als letzter Gedanke kommt dann: „So etwas kann kein Mensch aushalten, ich setze mich mal um.“ Und kurz danach fängt dasselbe Gedankenspiel wieder an, weil ja das Umsetzen auf die Dauer auch nicht nur angenehme Gefühle bringt. Stattdessen können wir der Beobachter von Sinneskontakt, Gefühl, Wahrnehmung und Reaktion werden. Wir brauchen der Reaktion keineswegs blind zu glauben, sondern müssen sie nur beobachten, dann fallenlassen und durch das Beobachten des Atems ersetzen. Jeder kann dies kurzfristig tun. Es bringt ein Gefühl der Sicherheit, wenn wir merken, dass wir nicht auf jedes Gefühl reagieren müssen, sondern dass wir die Reaktionen auch loslassen können. Im täglichen Leben ist dies eine wichtige Fähigkeit, die uns Selbstvertrauen verleiht.

Wenn wir einige Male unsere Reaktionen fallengelassen und durch Achtsamkeit auf den Atem ersetzt haben, mag der Geist vielleicht sagen: „Jetzt habe ich aber genug davon.“ Dann können wir uns langsam und vorsichtig umsetzen, wobei wir den eigenen Geist oder den des Nachbarn nicht zu sehr stören und vor uns selbst zugeben, dass wir von einem unangenehmen Gefühl besiegt worden sind. Wir werden ständig von unseren Gefühlen besiegt; der große Unterschied ist, dass wir dies sonst nicht wahrnehmen. Hier aber können wir es ganz klar feststellen, was Einsicht in uns selbst bringt. Wir erkennen, was wahrhaftig in uns vorgeht, anstatt mit Hass, Ablehnung, Ärger, Trauer und Schmerzen zu reagieren und zu warten, dass die Meditationszeit vorbeigeht.

Zu erkennen wie unser Geist reagiert, wie wir von Natur aus beschaffen sind und immer bleiben werden, wenn wir nicht Einhalt gebieten, bringt uns eine neue Sicht. Der menschliche Geist will das Angenehme und lehnt das Unangenehme ab; darauf ist unsere ganze Wirtschaft aufgebaut. Eines Tages können wir diesen Begierden Einhalt gebieten, aber nicht sofort, nicht auf Anhieb. Unsere Gedanken und Gefühle stellen sich in den Weg, und wir lernen, weise mit ihnen umzugehen. Die Formel heißt: erkennen, benennen, fallenlassen, ersetzen.

Zur Meditationsmethode:

Diejenigen, die schon einige Jahre lang täglich meditieren, sollen die Methode weiterbenutzen, an die sie gewöhnt sind. Diejenigen, die etwas mehr Hilfestellung bei der Meditation brauchen, sollen eine „Krücke“ verwenden. Nur den Atem allein zu betrachten, ist schwierig, und es gibt zu viele Möglichkeiten, den Geist anderweitig zu beschäftigen, denn im Prinzip will der Geist sich ja nicht konzentrieren. Obwohl wir wissen, dass Konzentration gut für uns ist, macht der Geist anfangs nicht mit.

Diejenigen, die Zahlen mögen, können den Atem zählen. Eins beim Einatmen, eins beim Ausatmen, zwei beim Einatmen, zwei beim Ausatmen, nicht weiter als zehn; jedes Mal wenn der Geist in die Ferne schweift, gehen wir zurück zu eins. Das verhindert, dass wir überlegen, bei welcher Zahl wir eigentlich stehen geblieben waren, was vollkommen gleichgültig ist.

Diejenigen, die Worte lieber haben als Zahlen, können sich ein Wort aussuchen. Wenn wir buddhistisch orientiert sind, kann „Buddho“ ein sehr gutes Wort sein: „Budd“ beim Einatmen, „ho“ beim Ausatmen, andernfalls „Liebe“ beim Einatmen, „Frieden“ beim Ausatmen oder auch „Lie“ beim Einatmen und „be“ beim Ausatmen. Ein einziges Wort verleitet uns weniger zum Denken als zwei oder mehr Wörter, aber wenn der Geist sich nicht nur auf eines konzentrieren will, dann können zwei Worte hilfreich sein.

Wer weder Zahlen noch Worte anziehend findet, aber leicht visualisieren kann, kann sich eines der folgenden Bilder aussuchen: Der Atem ist eine strahlend weiße Wolke, die in uns hinein- und aus uns herauszieht; der Atem ist eine glitzernde Meereswelle, die in uns hinein- und aus uns herausfließt.

Alle inneren Fähigkeiten und Tendenzen können eingesetzt werden, um uns bei der Meditation behilflich zu sein. Was wir bereits an guten Eigenschaften besitzen, verwenden wir, um den Geist in eine andere Richtung zu lenken. Wenn keine der drei bis jetzt genannten Möglichkeiten Ihr Interesse erweckt hat, dann bleiben noch die Empfindungen als Unterstützung der Konzentration. Wenn der Wind des Atems die Nasenlöcher berührt, entsteht dort eine Empfindung, die sich in der Nase fortsetzt und dann vielleicht in der Stirn, im Kehlkopf, in der Lunge und vielleicht sogar bis in den Bauch hinunter spürbar wird. Beim Einatmen entsteht ein Gefühl der Erweiterung, der Fülle, beim Ausatmen ein Gefühl des Zusammenschrumpfens, der Leere.

Zahlen, Worte, Bilder oder Empfindungen können als Konzentrationsstütze verwendet werden. Wir suchen uns eine davon aus und behalten diese bei, bis wir sie genügend ausprobiert haben. Wenn die Konzentration weiterhin sehr schwierig ist, können wir notfalls eine neue Stütze wählen. Später ist es möglich, dass wir die Konzentrationsstütze fallen lassen und uns nur auf den Atem beziehen, bis wir eines Tages alle Methoden loslassen können. Die Methode ist noch nicht Meditation, wird uns aber dahin führen.

Es hängt vom Tagesablauf ab. Wenn sowieso mehr Aktivität herrscht, werden wir wohl mit der Wissensklarheit arbeiten müssen. Wenn es aber recht ruhig ist und wir nicht allzu viele Reaktionen oder mit anderen zu tun haben, können wir auch reines Beobachten benutzen. Es ist beides äußerst hilfreich und wichtig. Das reine Beobachten bringt Achtsamkeit und eine meditative Haltung ins tägliche Leben. Das Erkennen der Vergänglichkeit und des Entstehens und Vergehens enthält auch das Erkennen der Unpersönlichkeit. Und es kommt auf die Situation an, in der wir uns befinden, welches wir gerade besser verwenden können. Wahrscheinlich können wir während eines ganzen Tages beides, mal das eine, mal das andere verwenden. Durch das reine Beobachten erlangen wir mehr Ruhe, die wiederum das Erkennen stärkt, was die Erkenntnis der Vergänglichkeit und der Unpersönlichkeit fördert.

Ohne mich ist das Leben ganz einfach

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