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Es ist Sommer. Ein heißer Sommer, ein ätzender Sommer, ein Großstadtsommer. Ein Sommer, der die Bevölkerung ausrasten läßt, insbesondere im Straßenverkehr. Ein Sommer in Berlin, ein Smogsommer, ein Ozonsommer. Aber das ist tagsüber. Jetzt ist es Nacht und kühl und es ist Party. Mich interessieren am Sommer nur die Nächte. Nachts amüsiere ich mich und arbeite. Sommernächte sind ertragreicher als Winternächte. In Sommernächten ist den Menschen nach Jazz. Das gehört zur Urlaubsstimmung. Bevor alle in die Ferien verschwinden jedenfalls, können wir uns vor Auftritten nicht retten. Ansonsten sind Sommernächte natürlich genauso widrig wie Winternächte. Ewiges Auf- und Abgebaue der Instrumente, Hickhack in der Band, viel Alkohol und ständig geht was kaputt. Aber alles besser, als sich in irgendeinem Büro den Hintern platt zu sitzen und an Hirnerweichung zu leiden.

Das Publikum hier ist leicht zufriedenzustellen. Das meine ich gar nicht ironisch. Es wählt die Stücke selbst aus und will nur Standards hören. Gerade ist der "Blue Monk" dran. Eine Menge Pärchen wiegen an der provisorischen Bühne vorbei. Der Qualm steht wie Butter im Raum. Heute abend ist Schwulen- und Lesbenparty, zumindest sind ziemlich viele Schwule und Lesben da, aber nicht nur. Einen Darkroom gibt es und viele Leute sind verkleidet. Jede Menge Tangas, Strapse zu sehen und ein paar haben gar nichts an, zeigen dafür Intimschmuck.

Das Saxophon spielt das Stück fast alleine, ich drücke ein paar Klappen und denke an nichts. Es swingt. Dorota zupft den Kontrabass und denkt auch an nichts, das sehe ich. Ritchi spielt seine Läufe auf der Gitarre und wippt dabei nach vorne wie ein mechanisches Metronom. Seine Zunge wischt dabei im Takt mal den rechten, mal den linken Mundwinkel. Die weichen Töne des Saxophons streicheln die Tanzenden im Nacken, wandern an ihren nackten Rücken hinunter. Der Drummer fegt mit dem Besen noch einmal die Hi Hat. Schluß.

Geklatsche. Es sind etwa dreihundert Gäste. Das Ganze hier findet in einem Fabrikgebäude statt, das von einer Art Mammut-WG bewohnt wird. Irgendein Kultur-Schnick-Schnack hängt da noch mit dran, Ateliers, Theaterkram oder so, und es stecken, der Gage nach zu urteilen, eine Menge Senatsgelder drin. Bunte Lampions schmücken die Decke. Dorota wechselt das Schuhwerk. Sie trägt beim Spielen hohe Schuhe und sonst nicht. Sie ist etwas zu klein für ihren Kontrabaß. Wir räumen Hip-Hop und Techno das Feld. Auf einer Zwischenetage mimen jetzt drei Typen die Vortänzer, wie in einer japanischen Disco.

Im Gewühle entdecke ich Rosa, mit neuer Frisur, den ganzen Kopf voller Locken, wo vorher Zöpfchen waren. Und zur Feier des Tages hat sie sich eine Strumphosennaht auf die nackte Haut ihrer Beine gemalt. Ansonsten trägt sie so' ne Art Plüschbikini in rosa. Neben ihr steht noch eine Freundin, die ich nicht kenne, und oh jeh, der Trompetenlehrer der Musikschule Wilmersdorf, ein Kumpel von Frank, unserem Drummer, und gleichzeitig der Trompetenlehrer von dessen Frau, Beatrice. Kompliziert.

"Willi", ruft Rosa, "komm her, komm zu uns."

"Ich geh mir nur schnell ein Bier holen", sage ich, mache eine beschwichtigende Geste.

Mit dem Bierholen lasse ich mir Zeit. Rosa ist immer sofort bei der Sache, sobald sie mich sieht. Sie zupft dann an meinen Ohren rum, die sie besonders toll findet, und gurrt. Dabei habe ich einfach Segelohren, ein Manko, das sich nur durch virtuoses Saxophonspiel kompensieren läßt. Und dieser Trompetenlehrer ist megalangweilig. Da erwarten mich Fachsimpelgespräche über Musik, Musikunterricht und so weiter. Und für Rosas Freundin lohnt sich ein eiliger Bierkauf, soweit ich das eben überblicken konnte, auch nicht. Es ist eine herrliche Nacht. Ich will mich amüsieren. Und ich will nicht frühzeitig bei Rosa landen. Trotzdem schön, daß sie hier ist.

Ein Tisch mit Bier. Eins zwei Mark. Für mich umsonst. Im Klo ist Hochbetrieb. Luftschlangen. Tonfrösche. Farne. Blaue Kacheln und große funkelnde Spiegel. Einige wollen baden. Andere aufs Klo. Andere wollen in die Badewanne pissen. Diskussion. Die Badewilligen siegen, lassen sich Wasser ein. Viel Gekicher und Gegacker.

Quetsche mich wieder in Richtung Tanzfläche. Die Nacht ist fast rum und immer noch kommen mehr Gäste.

"Willst du nicht tanzen?" fragt mich eine Frau mit einem Harlekinhut.

"Nein", sage ich.

Sie hat diese Antwort erwartet und packt mich einfach. Sie ist stark, ich merke, ich darf mich nicht wehren. Sonst blamiere ich mich. Füge mich borstig. Sie tanzt verheerend. Ich sowieso.

"Wollen wir aufhören?" fragt sie und bleibt einfach stehen.

"Ich mag keinen Techno", sage ich und bleibe auch stehen. Um uns bewegen sich alle weiter. Sie tanzen extatisch zu den synthetischen Rhythmen.

"Und was jetzt?" frage ich. Irgendetwas muß ich ja wohl sagen. Sie ist völlig bekifft, aber das ist eigentlich egal.

"Du hast schön gespielt", sagt sie. Wir stellen uns vor. Sie heißt Katja.

"Laß uns in mein Atelier gehen. Das ist gleich hier im Haus, weiter unten."

Ich nicke, glaube ich. Ich hole das Saxophon, winke Rosa zu, sehe, daß sie sich mit dem Trompeter amüsiert. Sehr gut.

Wir gehen Treppen hinunter. Öffnen schwere Türen, die hinter uns wieder zuschlagen. Die Musik entfernt sich. Einen Gang entlang. Noch einen Gang entlang. Neonlicht. Wieder eine Tür. Wieder eine Treppe, es ist dunkel. Maschinen. Große Maschinen.

"Wozu sind die?" frage ich. Keine Antwort. Doch - irgendein Gemurmel. Nach dem Lärm da oben verstehe ich nichts mehr und frage auch nicht nochmal nach. Die Maschinen stehen alle hintereinander, wohlgeordnet, die beweglichen Teile sind mit schwerem, schwarzem Fett bestrichen. Eingemottet. Es riecht nach Staub und Beton. Eine kleine Pfütze. Der Rauch hat meinen Kopf vernebelt. Ich trage eine Bierflasche mit mir rum. Sie schlägt gegen ein Rohr. Es klingt wie eine Glocke. Der Hall geht satt durch meinen Körper, "Dakar" geht mir durch den Kopf.

Katja lacht und sagt geheimnisvoll: "Gleich sind wir da."

Ich mag große Frauen. Katja fummelt ewig an diesem Türschloß rum. Kein Wunder, der Schlüssel ist völlig verbogen. In dem Raum hinter der Tür fällt sie mir in die Arme. So besonders groß ist sie gar nicht. Ihre Haare jucken in der Nase. Sie sind lang und lockig, natürlich lockig.

"Meine Vulkanforschungsstation", sagt sie und läßt mich los.

Ich sehe mich um.

Auf den Regalen seltsame kleine Geräte. Umgebaute, zweckentfremdete Kaffeemaschinen, normale Kaffeemaschinen, arrangierte Reagenzgläser, die in neuer Formation wahrscheinlich irgendeine Funktion erfüllen. Und jede Menge Gestein, eingefärbtes oder auch nicht eingefärbtes, buntes und erdfarbenes. Photographien, die wissenschaftlich oder historisch wirken. Pläne, akribisch, fein gezeichnet. Unmengen kleiner, erstarrter Sandhäufchen. Ein Modell, das den Potsdamer Platz darstellen soll. Einen Potsdamer Platz ohne Mercedes Benz und Sony, mit Kratern und Rissen.

"Ich habe nachgewiesen", sagt Katja, "ich habe den aktiven Vulkanismus unter Berlin nachgewiesen."

Sie ist nicht nur bekifft, sie ist auch betrunken. Ich muß grinsen. Mich trifft ein fester Blick, ihr ist es verdammt ernst, mit diesem Vulkankram. Ruppig steckt sie ein paar Stecker in Steckdosen. Mit einem Schlag fängt das Ganze an zu leben. Völlig phantastisch. Überall kleine Explosionen. Rote, grüne, gelbe Flüssigkeiten beginnen zu kochen und spritzen aus verschiedenen Trichtern an die Ateliersdecke. Alles um uns herum bebt und köchelt. Es ist wirklich erstaunlich, aber ich finde nicht richtigen Worte für diese Arbeit und für das, was dahinter steckt. Katja ist verrückt. Und ziemlich beeindruckend.

Es fängt an zu dämmern. Das Licht der aufgehenden Sonne dringt durch die vielen kleinen quadratischen Fensterscheiben, die bis hoch zur Decke reichen. Das Licht ist milchig. Wir sehen auf den Osthafen Spree. Das Wasser berührt fast die unteren Scheiben. Auch das ist phantastisch. Ich vergesse das Köcheln. Am liebsten würde ich das Saxophon auspacken und was spielen.

Katja seufzt. "Das sehen alle am liebsten." Sie meint den Ausblick. Ich will was sagen. Sie winkt ab. "Macht nichts, bin ich schon gewohnt."

Dann trinkt sie Kaffee und Sekt und ich Bier. Das Bier vertreibt einen Anflug von Kater. Aus einer Compaktanlage dröhnt "Jazzradio Berlin" auf Mittelwelle. Der Klang ist dumpf, fast blechern. Die Musik ist gut. Cool Jazz. Über dem Wasser wird es immer heller, alles wird rot. Ich glaube fast an die Vulkane mitten in Berlin, unter Berlin. Es wär jedenfalls romantisch, wenn da welche wären. Und auch so ist es romantisch.

Katja verschwindet aufs Klo, vermutlich kotzen. Wundert mich überhaupt nicht. Mir gehts gut. Sie kommt wieder und möchte in den Arm genommen werden. Wir küssen uns ein bißchen. Sie schläft ein. Ich lege eine Decke über sie. Dann gehe ich wieder an diesen rätselhaften Maschinen vorbei. Ich drehe mich noch einmal um, drehe mich um mich selbst. Atme tief. Trete hinaus, ins Licht. Die Luft ist frisch. Mein Körper torkelt etwas. Ich lasse ihn torkeln, zwinge ihn zu nichts. Radele los. Rosa habe ich völlig vergessen.

Ein klarer Sommermorgen.

Killerhitze

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