Читать книгу Ziegel - Phantastische Kurzgeschichten - B. Hank Hoefellner - Страница 12
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Rache
Die Sonne war gerade dabei aufzugehen, als man den Widerhall ihrer schweren Schritte hörte.
Sie waren zu fünft. Fünf kräftige Arbeiter aus der großen Ziegelei am Ende der Straße. Auf einem Karren lag ein Bündel aus Fleisch.
Sie hatten an seine schäbige Tür geklopft. Er hatte geöffnet, nach bangem Warten und schlafloser Nacht, hoffnungsvoll und wurde doch so bitter enttäuscht.
Sie warfen ihm die Leiche einfach vor die Haustür. Blutend, in zerfetzten Kleidern.
Als er den geschundenen Leib seiner Tochter sah, brach er zusammen. Auf Knien rief er, die Augen tränennass, Gott um Beistand an. Sein Kopf senkte sich und sein Flehen verwandelte sich in leises Wimmern. Er hatte keine Kraft mehr. Sein Lebenswille war in dem Moment verflogen, als er den leblosen Körper seiner Tochter von der Straße aufgehoben hatte, um sie hier, in ihrem Bett, zur Ruhe zu betten. Nun hatte er auch keine Tränen mehr.
Er griff nach der leblosen Hand des Mädchens. Dann nahm er einen Lappen, tauchte ihn in eine Schüssel mit Wasser und begann, die blutigen Krusten von ihrem Körper zu waschen. Mit einer Bürste, ihrer Lieblingsbürste, kämmte er das strähnige, krustige Haar, rieb es mit Öl ein, bis es wieder glänzte.
Nach diesem letzten Akt der Liebe und Zuneigung kniete er sich hin und betete. Es war das erste Gebet seit Jahren, seit ihm sein Sohn von der Fabrik genommen wurde. Jetzt war auch seine Tochter tot. Und wieder war ihm ein Kind genommen worden. Wieder war es die Ziegelei.
Als er fertig war, bekreuzigte er sich, bedeckte den malträtierten Leichnam so gut es eben ging mit einem weißen Tuch und nahm zum letzten Mal Abschied. Von unten hörte man ein Hämmern an der Tür. Er küsste die Stirn seiner Tochter durch das Tuch, wischte sich die letzten Tränen aus den Augen und verließ das Zimmer, um die Tür zu öffnen. Nach wenigen Stufen stand er vor der schmalen Haustür, die er langsam einen Spalt breit öffnete. Frank, der Vorarbeiter aus der Ziegelei.
„Angus, es tut mir leid, aber Mister McGrath will dich auf der Stelle sehen.“
„Sag ihm, dass er mich am Arsch lecken kann.“
Er wollte die Tür wieder schließen, als:
„Angus, ich sage das wirklich nicht gern, aber…“
„Aber?“
„Es geht um Maddie.“
Angus riss die Tür mit solcher Kraft auf, dass diese gegen die Wand prallte und große Stücke des Kalkputzes daraus schlug und schrie:
„Wag es nicht, den Namen meiner Tochter in den Mund zu nehmen.“
Auf der kurzen Straße der Arbeitersiedlung blieben die Leute erschrocken stehen. Einige waren an die offenen Fenster getreten und starrten herüber.
„Was glotzt ihr so?“, rief Angus ihnen zu.
„Es gibt nichts zu sehen! Ja, meine Madeleine ist tot, die süße, liebe, kleine, unschuldige Madeleine - und dieser dreimal verfluchte Scheißkerl McGrath ist schuld daran!“
„Angus, bitte, mach uns hier keine Szene. Wir machen nur unseren Job!“
„So? Nur euren Job?“
Frank nickte und hinter ihm sah Angus zwei Hünen auftauchen, Schläger von McGrath Gnaden.
„Also, Angus, im Guten oder ...?“
„Sollen mir deine Jungs Angst machen?“
„Das sind nicht meine Jungs, und ja. Sie sollten dir Angst machen. Mir machen sie jedenfalls eine Heidenangst. Du weißt, wie McGrath ist. Bitte, Angus, sei vernünftig. Es gibt eine Zeit, um zu trauern, aber auch eine Zeit, um alles hinten an zu stellen ...“
„Ich soll Madeleine hintanstellen? Ein süßes, junges Ding, dass niemals jemandem etwas angetan hat?“
Angus fixierte Frank.
„Ich bringe den Kerl um!“
„Bitte Frank! Komm einfach mit. Ich glaube, er will die Sache vernünftig aus der Welt schaffen.“
„Vernünftig? Blut wäscht man nur mit Blut ab! So hab ich es von meinem Vater gelernt!“
„Angus, lass ihn die Sache aus der Welt schaffen, ich bitte dich inständig!“
„Die Sache? Aus der Welt schaffen? Was will er tun? Mir eine neue Madeleine aus Ziegeln backen? Mir eine vom Markt holen? Eine mit seinem Geld kaufen?“
„Angus, bitte ...“
„Diese Sache, um die es geht, war meine Tochter! Er hat sie vergewaltigt, geschlagen und anschließend so oft auf sie eingestochen, dass ich nicht einmal…“
Seine Stimme versagte.
„Komm, Angus. Oder willst du, dass er mit dir das Gleiche macht? Oder mit mir?“
Er nahm Angus am Arm, zog die Tür ins Schloss und schob ihn auf die Straße. Die beiden Hünen hakten sich bei Angus, nach kurzem, aber vergeblichem Widerstand, ein.
Kraftlos ließ sich Angus zur großen Fabrik am Ende der Straße führen.
Die Ziegelei. Ein gewaltiger Komplex aus roten, ineinander verschachtelten Gebäuden, hohen gemauerten Schornsteinen und umgeben von einer dicken Mauer aus Ziegeln. Ein gewaltiges Tor aus gusseisernen Stäben war die einzige Öffnung entlang der Mauer. Morgens verschlang es die Arbeiter und nachts spuckte es sie wieder aus. Die meisten von ihnen. Einige blieben für immer hinter den Mauern, auf dem riesigen Friedhof der Fabrik. Dem Friedhof von McGrath. Hier fand das Leben der kleinen Siedlung überwiegend statt. Hier schlug das Herz der ganzen Region.
McGrath hatte mehr als tausend Menschen in der Ziegelei beschäftigt und herrschte wie ein mittelalterlicher Tyrann über seine Arbeiter und deren Familien.
Ihm gehörte die Siedlung, in der sie wohnten und Miete bezahlten; der Laden, in dem sie einkauften, die Küche, in der sie mittags ihr Essen kochten. Und ihm gehörte das Grab, in dem sie alle einmal enden würden – kurz: Eli McGrath gehörte alles, von der Geburt bis zum Tod, sogar die Zeit derer, die für ihn arbeiteten. Wenn er rief, dann hieß es folgen. Für jeden den er entließ, standen fünfzig zerlumpte Gestalten vor den Werkstoren und hofften auf Arbeit und eine Wohnung in der Siedlung.
Frank ging voraus und Angus wurde von den beiden Hünen durch das geschmiedete Tor geschoben. Sie führten ihn vorbei, an tausenden aufgestapelten Ziegeln bis sie die Brennstraße im großen Ofenhaus erreicht hatten. Das Fauchen der Öfen, das Zischen des Gases, das Summen und Stampfen der Maschinen verwoben sich zu einer Symphonie des Lärms. Der trockene Geruch nach Staub und Hitze und Sand lag in der Luft. Angus musste husten. Alle husteten. Das lag am Staub und den Dämpfen, die jeder von ihnen Tag für Tag gezwungen war, einzuatmen.
Die zerlumpten Arbeiter, die am Fließband standen, auf dem die gefüllten Ziegelformen in den Ofen fuhren, und kontrollierten, ob jede Form gleich gefüllt, die Farbe bei allen dieselbe war, hatten sich zum Schutz Tücher um Mund und Nase gebunden. Und trotzdem husteten einige von Ihnen blutigen Speichel.
Schwaden rötlichen Dampfes zogen vorbei. Und da stand er: Eli McGrath. In seinen schwarzen Reiterstiefeln, den weißen Hosen, dem weißen Hemd mit der schwarzen Schleife am Hals und der doppelreihig geknöpften grauen Weste. Die goldene Taschenuhrkette klimperte leise bei jeder Bewegung. In der Rechten hielt er eine kurze Reitgerte mit silbernem Knauf. Ein mächtiger Schnauzbart zierte seine Oberlippe. Das matte schwarze Haar stand in dicken Locken von seinem Kopf ab. Er grinste und entblößte makellose weiße Zähne.
Angus hob den Kopf und starrte auf das blendend weiße Gebiss.
„Wie ein Hai!“, dachte er.
„Sir, ich bringe Ihnen Angus.“
Fast hätte Frank geflüstert, als er sich McGrath genähert, seine Schiebermütze schnell vom Kopf gezogen und sich unterwürfig verbeugt hatte. Er vermied jeden Blickkontakt mit McGrath' grauen Augen.
„Sieh an. Angus. Mein Freund.“
Eine Stimme, die über Sand gebürstet war. Ein raues Flüstern. Auf einen Wink hin, drückten die beiden Hünen Angus in den Sand, dennoch hielt sein Blick stand.
McGrath ging sehr langsam auf Angus zu.
„Du kannst gehen, Frank.“
„Danke Sir. Jawohl Sir. Auf Wiedersehen Sir!“
Weg war er. Verschwunden in der Menge der Arbeiter in der Halle. Untergetaucht unter einem Tuch über Mund und Nase. Unsichtbar in der amorphen Masse zerlumpter, ausgemergelter Männer.
„Ich befürchte, wir haben etwas zu klären, Angus.“
Plötzlich blitzten kurze Bilder vor Angus' Augen auf: Seine Tochter, wie sie lacht, wie sie sich in ihrem neuen Kleid in der Sonne dreht, dann: Das Blut, die Stiche, die Kleider zerfetzt. Er senkte den Blick auf den Boden.
McGrath bohrte die Spitze der Reitgerte in Angus’ Brust. Dieser zuckte mit keiner Wimper und würdigte McGrath keines Blickes mehr. Seine zornig funkelnden Augen blieben zu Boden gesenkt, die Arme hingen schlaff an seinem Körper herab. Nur die Hände waren zu Fäusten geballt und die Kiefer malmten.
McGrath zog die Gerte zurück und ging gemächlich auf einen kleinen Haufen Ziegel zu, wischte mit einem Taschentuch den Staub beiseite und nahm Platz. Eine Hand stützte sich auf den silbernen Knauf, die andere lag mit dem Tuch in seinem Schoß. Wieder verzog sich sein Mund zu diesem Haifischgrinsen.
„Ich bitte dich um deinen Rat, Angus.“
„Meinen ... Rat?“
„Ja, doch. Deinen Rat. Was soll ich mit dir machen? Hmm? Was soll ich mit dir machen, nachdem diese“, er wedelte mit dem Tuch in der Luft herum, als würde er eine Fliege verscheuchen, „Sache mit deiner Tochter geschehen ist? Hmm? Ich gestehe, ich bin da etwas ratlos.“
„Mit mir? Mir ist das gleich, nachdem, was Sie meiner Tochter angetan haben!“
„Angus, Angus, Angus. Du verkennst die Lage. Vermutlich hältst du mich jetzt für ein Monster, für den Schuldigen in diesem Drama, aber sie und ich, deine Tochter und ich, wir hatten Spaß!“
Angus war fassungslos. Er hob seinen Kopf und sah McGrath an. Er rang nach Worten. Nach einer gefühlten Unendlichkeit sagte er:
„Spaß?“
„Ja doch. Deine Tochter und ich.“
Da war es, dieses trockene Lachen, das die Kinder in der ganzen Siedlung ängstigte, das viele in den Schlaf verfolgte.
„Sie ist ... entschuldige, war ein echter Wildfang. Anfangs hat sie sich natürlich ein wenig geziert. Das tun sie alle. Aber als ich sie erst mal auf dem Boden hatte, da schien sie es, nun ja, zu genießen.“
Das Lächeln gefror für einen Augenblick, dann wurde sein Blick eisig.
„Und dann hat sie mich gebissen. Hörst du, Angus? Dieses kleine Biest hat mich gebissen. Hier!“, er zeigte ihm seine linke Hand, winzige Abdrücke waren zu sehen, kein Blut, „Da musste ich ihr doch eine Lektion erteilen. Nicht wahr, Angus?“
Angus Mund öffnete sich, aber kein Wort kam ihm über die Lippen. Seine Fäuste waren so fest geballt, dass sich die Fingernägel tief in seine Haut gegraben hatten.
„Das hat man davon, Angus, wenn man seine Kinder nicht richtig erzieht, sie nicht lehrt, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. Angus, ich fürchte, die Wahrheit ist, es ist deine Schuld, Angus, dass ich sie daran erinnern musste. Du hast sie schlecht erzogen. Gut, ihre Mutter ist verschwunden, als sie ein kleines Mädchen war, aber vielleicht hätten ihr Einfluss und ihre Erziehung geholfen? Was denkst du, Angus? Hat ihr die sanfte Führung einer Mutter gefehlt? Mädchen in einem bestimmten Alter brauchen eine Mutter! Hmm? Hast du dazu eine Meinung? Nein?“
Angus schnaubte nur und verdrängte die Tränen.
„Gut, du ziehst es vor zu schweigen. Macht nichts, denn auch das ist deine Schuld. Es liegt an dir. Deine Frau lässt dich mit einem Balg sitzen und du bist nicht Manns genug sie zu einer anständigen jungen Frau zu erziehen? Das ist keine Frage, Angus. Das ist ein Faktum. Eine Tatsache. Du hättest dir eine andere Frau suchen sollen. Aber nein ...! Sei froh, dass wir sie los sind. Sie wäre nur eine weitere dieser nutzlosen armseligen Gestalten geworden, die ein Kind nach dem anderen in die Welt gesetzt hätte, eines nutzloser als das andere. Eine Dirne, nichts weiter. Wenn sie um ihre Stellung gewusst hätte, ja, dann hätte man etwas für sie tun können, dann hätte ich etwas für sie tun können.“
„Für sie tun?“
„Für Mädchen wie sie habe ich immer Arbeit!“
„In einem Ihrer Bordelle?“
„Wo denn sonst? Hast Du sie dir einmal angesehen, Deine Madeleine? Also, als Mann, nicht als Vater. Sie war hübsch gebaut. Rundungen an den richtigen Stellen. Jetzt sag nicht, dass dir das nicht aufgefallen wäre, na? Du bist zwar ihr Vater, aber doch ein Mann. Vielleicht war sie um die Hüften ein klein wenig zu zierlich, aber sie hätte ein Auskommen gehabt. Es mag ja Männer geben, die mögen es knochig.“
„Du Schwein!“
Angus spuckte die Worte aus.
„Bitte?“
„Ich sagte: Du Schwein!“
„Ich hab dich schon verstanden, Angus. Ich dachte nur nicht, dass Du es wagen würdest, Dich zu wiederholen.“
„Du widerliches kleines Schwein hast meine Tochter…“
„Ich hab sie umgebracht, ja. So ist es nun mal. Ich kann nichts dafür und trotzdem“, McGrath erhob sich und machte einen Schritt auf Angus zu, „trotzdem bin ich bereit, Dich für den Verlust großzügig zu entschädigen.“
Damit griff er in seine Westentasche und holte drei glänzende Silbermünzen daraus hervor, hielt sie Angus dicht vors Gesicht.
„Ich habe lange über ihren Wert nachgedacht, aber, nun, ich denke, das sollte reichen.“
Angus hob seinen Kopf und starrte McGrath direkt in die Augen. Er nahm die erste Münze, hielt sie ihm vors Gesicht. Sagte:
„Die ist dafür, dass Du sie vergewaltigt hast.“
Damit warf er sie, so weit er konnte, durch die Halle. Dann griff er die Zweite.
„Die dafür, dass Du sie geschlagen hast.“
Wieder flog die Münze und verschwand im Lärm der Fabrik. Die dritte Münze hielt Angus jetzt ganz dicht vor McGrath’ Augen:
„Und diese, die ist dafür, dass Du sie getötet hast.“
Angus’ zweite Hand packte McGrath’ Hinterkopf und hielt ihn fest wie ein Schraubstock, während die Andere die Münze in seinen Mund stopfte. McGrath zappelte und schrie.
Das war ein Fehler. Denn kaum hatte er den Mund geöffnet, drückte Angus die Münze tiefer in seinen Schlund und presste ihm die Hand davor. Ein paar der Männer sahen, was geschah, und ließen an Ort und Stelle ihre Werkzeuge fallen.
„Schluck sie runter, Du Sau. Los, schluck sie runter und erstick daran! Ich bring’ dich um!“
McGrath fiel zu Boden und Angus war sofort über ihm. Er landete zwei, drei Treffer in seinem Gesicht, wurde dann aber von ein paar Arbeitern gepackt und von seinem Opfer gezerrt. Angus schrie. Spucke flog von seinen schaumigen Lippen. Er warf sich herum, versuchte sich, aus dem Griff der Arbeiter zu lösen, aber es war vergebens. Fünf kräftige Männer hielten ihn fest und Frank stand daneben und sah zu. Frank. Angus und er waren sich so nah, wie es Freunde in dieser Fabrik nur sein konnten. Und jetzt stand er einfach nur da. Und gaffte.
Inzwischen hatte sich McGrath aufgerappelt. Er tupfte mit seinem staubigen Taschentuch Blut aus dem Gesicht. Ein Arbeiter schickte sich an, ihm den Staub aus den Kleidern zu klopfen, aber McGrath beförderte ihn mit einem Tritt zu Boden.
„Verschwinde!“
Der Arbeiter kroch, so schnell er konnte, außer Reichweite der Tritte seines Chefs. Dieser baute sich vor dem hilflos zappelnden Angus auf.
„Das, Angus, war ein Fehler! Ich wollte die Angelegenheit gütlich bereinigen. Ihr alle seid Zeugen, wie er mich grundlos angegriffen hat!“
Die Männer murmelten und nickten eifrig, als McGrath' Blick auf sie fiel.
„Frank!“
„Sir?“
„In den Ofen mit ihm.“
„Sir?“
„Hast du was mit den Ohren? Ich sagte: In den Ofen mit ihm.“
„Sir, ich kann ihn doch nicht…“
McGrath packte Frank am Kragen, schob ihn quer durch die Halle bis zum Förderband und drückte ihn mit dem Gesicht so weit nach unten, bis die Ziegelformen knapp an ihm vorbeischrammten.
„Du kannst nicht? Was kannst du nicht, Frank? Du kannst alles, was ich dir sage, klar? Wie ich das sehe, Frank, hast du zwei Möglichkeiten: Erstens, Du sorgst dafür, dass Angus im Ofen verschwindet, kassierst die Silbermünze, sobald sie aus meinem Arsch gekrochen kommt, oder aber du landest selbst im Ofen und irgendein anderer Scheißer hier, mit weniger Hemmungen kassiert die Münze und auch Deinen jämmerlichen Job. Also, wie lautet Deine Entscheidung?“
McGrath ließ Frank los. Der stand zögerlich auf, sah McGrath ins Gesicht, dann zu Angus. Schließlich ging er zu Angus, der immer noch fest im Griff der Arbeiter war, sah ihm in die Augen und sagte:
„Es tut mir leid, Kumpel, aber ich hab’ auch eine Familie.“
Damit nickte er den Arbeitern zu. Frank packte mit an und sie zogen Angus, der sich heftig wehrte, zum immer noch laufenden Förderband.
„Das könnt ihr nicht machen! Er ist das Schwein! Hört ihr? Er ist das Schwein! Er hat sie umgebracht, ohne mit der Wimper zu zucken!“
Einer der Arbeiter band ihm ein Tuch vor den Mund und McGrath klatschte begeistert. Ein breites Grinsen erschien in seinem ramponierten Gesicht.
„Das wird ja immer schöner! Weiter so, Jungens, weiter so!“
Mittlerweile hatten die Arbeiter Angus vor das Förderband gezerrt. Frank zögerte, nur einen Moment, aber McGrath bemerkte es sofort.
„Frank?“
„Sir, ich denke, er hat genug ...“
„Du sollst nicht denken, Frank, das bereitet dir nur Schmerzen.“
„Sir, ich mein ja nur, dass Angus seine Lektion gelernt hat. Er ist ... er wird sich beruhigen, wenn er erst einmal eine Nacht darüber geschlafen hat!“
Die Männer warteten und sahen abwechselnd zu Frank, Angus und McGrath. Dieser schien zu überlegen, dann:
„Worauf wartet ihr noch? Rauf mit ihm. Ich will ihn brennen sehen!“
Daraufhin packten je ein Mann Angus an Armen und Beinen. Frank, der ein paar Seile besorgt hatte, band diese um die Fuß- und Handgelenke. Dann warfen sie ihn auf das Band. Er landete mit dem Rücken auf den gefüllten Formen. Auf jeder Seite griffen Arbeiter nach den Seilen und fixierten so den noch immer zappelnden Angus, der sich nun liegend und in den Seilen windend der Öffnung des Brennofens näherte.
McGrath hatte wieder Platz genommen.
„Wusstest, du Angus, dass Ziegel bei ungefähr eintausend Grad Celsius gebrannt werden?“
Es waren nur noch wenige Meter, die Angus’ Kopf von der Öffnung trennten. Die Hitze war hier bereits deutlich zu spüren. Das Fauchen der Flammen machte es ihm schwer noch etwas zu verstehen. Er schrie, so laut er konnte, riss mit aller Kraft an den Seilen, aber er hatte keine Chance. Es waren starke Männer und durch McGrath' Anwesenheit waren sie hoch motiviert.
McGrath starrte mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf das Schauspiel, das sich im bot. Bei jedem Schrei von Angus antwortete er mit einem lauteren Schrei und heulte wie ein Wahnsinniger.
Die Arbeiter, die die Seile mit den Armen hielten, gaben Seil unter Spannung nach und entfernten sich so Schritt für Schritt von der Glut des Ofens während Angus in seiner Position auf dem Förderband fixiert blieb. Kurz vor Erreichen der Öffnung fing Angus Haar Feuer. Erst stieg Rauch auf, die Haare kräuselten sich, nur um dann lichterloh in Flammen zu stehen. Trotz seines Knebels hörte man die Schreie. Angus warf sich in den gespannten Seilen, die seine Extremitäten fixierten, hin und her und es mussten weitere Arbeiter an die Seile um ihn an Ort und Stelle zu halten. Wieder klatschte McGrath vor Vergnügen und ging näher, um das Schauspiel besser sehen zu können. Der Kopf verschwand nun im Ofen, die Schultern folgen. Angus Leib zuckte noch ein paar Augenblicke, dann wurde jeder Muskel schlaff. Die Männer ließen schweigend die Seile los, welche mit dem Körper im Ofen verschwanden.
Alle starrten auf die Öffnung des Brennofens. McGrath wirkte enttäuscht.
„Frank?“
„Sir?“
„Hol die Leiche des Mädchens und lasst sie ebenfalls im Ofen verschwinden. Die Knochen mahlt ihr fein und backt sie dann in die nächsten Ziegel. Verstanden?“
„Ganz wie Sie meinen Sir.“
„Und Frank?“
„Sir?“
„Kein Wort zu niemandem. Verstanden, Frank? Habe ich mich klar ausgedrückt?“
„Glasklar, Sir.“
Frank pfiff auf zwei Fingern, winkte zwei kräftigen Männern und verschwand mit diesen.
Wenige Stunden später waren Tochter und Vater nur noch Erinnerungen, als feiner Staub verschwunden in der Masse der Ziegel, die der Ofen Stunde um Stunde ausspuckte. Eine Familie aus Vater, Mutter und Tochter bezog die nun leerstehende, gefegte Wohnung, mit dem abgebröckelten Putz hinter der Tür.
Die Sonne zog über den Himmel und die Nacht brach herein. Wenig später gingen die Arbeiter nach ihren 12-Stunden-Schichten nach Hause. Das gusseiserne Tor wurde verschlossen und alle Lampen im Hof gelöscht. Nur im Wohnhaus der Ziegelei brannte noch Licht.
McGrath war unzufrieden. Sehr unzufrieden sogar. Er saß vor seinem gemauerten Kamin, trank Sherry und bedauerte, dass es nur ein kurzes Vergnügen war. Er hatte es genossen. Erst die Schreie des Mädchens, als es sich wehrte, ihn schlug. Wie er erst sein und dann ihr Blut schmeckte. Aber noch besser war es gewesen, ihn zu hören. Den Vater. Zu sehen, wie er Feuer fing. Es zu riechen!
Seine Gedanken kreisten darum, ob man so etwas nicht öfter veranstalten könnte? Sicher gab es Leute, die dafür bezahlen würden, wenn man gewisse Personen diskret beseitigte. Gab es Menschen, die genau so empfanden wie er?
Das flackernde Licht des Feuers tauchte den Raum in heimeliges Licht. Erschöpft von diesem Tag ließ er es zu, dass ihm die Augen zufielen.
Er schreckte hoch. Ein Geräusch.
Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt. Ein schwacher Schein ging von der restlichen Glut aus.
„Ist da jemand?“
Eine dumme Frage. Nachts hielt sich, außer ihm selbst, niemand in seinem Haus auf. Die Türen waren verriegelt und um Einbrechern das Leben schwer zu machen, gab es im gesamten Untergeschoss keine Fenster. Das Haus war nachts eine uneinnehmbare Festung.
McGrath lauschte.
Wieder dieses Geräusch.
Er griff zu einer Petroleumlampe und entzündete den Docht. Sofort wurde der kahle Raum heller. Das Licht fiel auf unverputzte, sauber gemauerte Wände. Ein großes Porträt in Öl hing über dem Kamin, in dem die letzten Glutreste lagen.
Er ging um seinen Sessel herum. Das Geräusch kam von der Rückwand. Er ging auf die Mauer zu und lauschte.
Da war es wieder. Ein schabendes Geräusch.
Er folgte der Wand und leuchtete überall hin, um der Ursache des Geräusches auf den Grund zu gehen.
Doch jetzt kam es aus der anderen Richtung. Gerade als er sich anschickte, auf die gegenüberliegende Wand zuzugehen, hörte er das Geräusch hinter sich.
So schnell er konnte, riss er den Kopf herum und leuchtete mit der Lampe.
Nichts. Oder halt! Da!
Ein einzelner Stein schien etwas vorzustehen. Er ging darauf zu. Seltsam. Vorhin war hier alles in Ordnung. Die Wand war makellos, jeder Stein fügte sich nahtlos aneinander. Und jetzt? Jetzt stand hier ein einzelner Ziegel ein kleines Stück vor. Er versuchte, ihn zu bewegen, erst mit sanftem Druck, dann immer fester, bis er die Lampe abstellte und sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen stemmte. Nichts. Der Stein rührte sich um keinen Millimeter. Er tupfte sich den Schweiß von der Stirn und nahm die Lampe wieder auf.
Wieder das Geräusch.
Er riss die Lampe hoch und siehe da: Ein weiterer Stein, der vorstand. Dieser sogar noch ein bisschen weiter als der Vorige.
McGrath inspizierte nun die Mauern gründlicher und an jeder musste er feststellen, dass es verschobene Ziegel gab. Und nicht nur das: Je öfter er nachsah, desto mehr Ziegel fand er. Vom Boden bis zur Decke und an jeder der vier Wände hatten sich Ziegel nach innen verschoben. Was ging hier vor?
McGrath ging zur Tür, wollte bloß noch hier weg. Doch die Tür war weg! Nicht ganz, aber verborgen hinter Ziegeln, die sich aus der Wand um die Tür herum verschoben hatten. Er konnte nicht zum Türknauf greifen. Er stellte die Lampe ab und versuchte, einzelne Ziegel zu bewegen, aber es ging nicht. Die Steine saßen einfach zu fest. Mit Entsetzen musste er feststellen, dass sich die Ziegel immer schneller mit dem grauenvoll schleifenden Geräusch verschoben. Die Tür war mittlerweile fast ganz von den Ziegeln verborgen. Er schluckte. Das konnte nicht wahr sein!
Er griff wieder zur Lampe. Noch einmal wollte er die Wand abgehen, doch als er sich umdrehte, stieß er bereits an die Rückwand, die sich vor ihm mit rasender Geschwindigkeit aufgebaut hatte.
Blanke Ziegel, die aus allen Richtungen näher kamen. Er schrie. Es war jämmerlich. Der kleine Raum, auf den die Halle mittlerweile zusammengeschrumpft war, verschluckte den Schrei. Er wich zu seinem Sessel zurück. Kletterte darauf. Der Kamin war mittlerweile hinter den sich verschiebenden Steinen verschwunden und die Wände schlossen sich immer dichter um seinen Sessel, auf dem er schreiend stand.
Immer näher kamen die Ziegel. Das erste Stuhlbein zerbarst jetzt unter dem Druck der sich näher schiebenden Ziegel. McGrath roch den Staub, schmeckte die abgestandene verbrauchte Luft, drückte sich panisch gegen eine Wand und spreizte sich mit den Füßen gegen die Ziegel, die ihn unbarmherzig zu zerquetschen drohten. Trotzdem schoben sich die Ziegel unbarmherzig näher. Seine Anstrengungen ließen nach. Er hatte keine Kraft mehr. Der Stuhl zerbrach in seine Einzelteile und wurde zusammengeschoben. McGrath' Füße suchten Halt auf den durcheinander liegenden Holzteilen. Die Wand berührte schon seinen Bauch und kam noch immer näher. Er drehte den Kopf zur Seite und fühlte Stein um Stein an seinem Ohr. Erst ein sanfter Druck dann wurde es immer mehr. Seine Hände waren eingeklemmt, die Lampe zerbarst mit einem Knacken und fiel zu Boden. Das Öl tropfte und entzündete sich am noch brennenden Docht. Das Holz des Sessels fing sofort Feuer. Er versuchte, auf Zehenspitzen den Flammen auszuweichen. Der Druck auf seinen Kopf nahm zu. Rauch stieg auf, doch um zu husten, fehlte der Platz. Seine Brust konnte er nicht mehr heben. Mit jedem bisschen ausatmen wurde der Raum enger. Der Qualm drang in jede Pore. Sein Schädel knackte und noch einmal schrie er aus Leibeskräften, dann – fühlte er nichts mehr.
Als man am nächsten Morgen die Tür zu seinem Kaminzimmer öffnete, fand man ihn angesengt und jeder Knochen im Leib zerquetscht auf den zermalmten Resten seines Sessels.
ENDE