Читать книгу Ziegel - Phantastische Kurzgeschichten - B. Hank Hoefellner - Страница 14
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Der Diebstahl
„Eugene, da ist eine für dich!“
Police Constable Eugene Foster sah von seinem Bericht auf.
„Noch jemand? Ich bin noch bei dem Unfallbericht von heute Morgen!“
„Unfall mit Todesfolge, Fahrerflucht?“
„Genau der!“
„Na, dann ist die da draußen DIE perfekte Ablenkung. Glaub mir.“
„Heiß?“, fragte Eugene erwartungsvoll.
„Verrückt!“, sagte Julius und verschwand lachend aus der Tür.
PC Foster stand auf, zupfte seine Jacke zurecht und betrat kurz darauf das Vorzimmer. Die Kollegen waren gerade mit einer Prostituierten, einem um sich schlagenden und wie verrückt schreienden, sabbernden Junkie und dem, mal wieder, streikenden Kaffeeautomaten beschäftigt. Sein Blick fiel auf die Frau, die am Tresen wartete.
Sie sah überhaupt nicht verrückt aus! Befand PC Foster und trat näher. Aber das taten Verrückte ja nie!
Es handelte sich um Edna Bloom, 56, wohnhaft in der Islington Road 63 b.
So stand es zumindest in ihrem Pass, den sie ihm ungefragt in die Hand drückte.
„Damit Sie sehen, dass ich es bin.“
Wer sollte es auch sonst sein? Die Queen?
„Danke!“, sagte er unverbindlich und legte ein Formular an.
„Was kann ich für Sie tun, Mrs. Bloom?“
„Miss Bloom!“
„Verzeihung! Miss Bloom!“
„Ich möchte einen Diebstahl zur Anzeige bringen.“
„Einen Diebstahl?“
„Ja!“
„Wann fand das Verbrechen statt?“
„Es muss heute Nacht gewesen sein. Denn heute Morgen, da war er plötzlich weg!“
Wer oder was war wohl weg? Er tippte auf:
„Was war weg, Madam?“
„Der Stein!“
„Bitte, Madam?“
„Der Stein, Officer!“
„Sie wollen sagen, dass Sie einen Stein vermissen?“
„Ich vermisse ihn nicht. Er wurde gestohlen!“
„Ein Stein?“
„Genau!“
Sollte er? Egal. Also:
„Ein Edelstein?“
Sie lachte.
„Ha!“
Offenbar nicht. Nein.
„Ein Ziegel.“
„Sie vermissen also einen ... Ziegelstein?“
Jetzt war klar, was sein Kollege meinte.
„Ich v e r m i s s e ihn nicht“, sie hatte es ihm wirklich buchstabiert, „er wurde mir gestohlen!“
„Ihnen wurde also ein“, das musste jetzt sein, „Z I E G E L-Stein gestohlen?“
„Genau!“
„Heute Nacht?“
„Genau!“
„Und besagtes ... Objekt lag zum Tatzeitpunkt ... Wo?“
Er glaubte nicht, dass er das wirklich fragte.
„Er lag nirgends.“
„Nicht?“
„Es war vermauert.“
„Was?“
„Er war eingemauert. In der Gartenmauer.“
„Ihnen wurde über Nacht ein Ziegel aus der Gartenmauer gebrochen?“
„Nein.“
„Nein?“
„Nicht gebrochen, eher ... entfernt!“
„Entfernt?“
„Spurlos!“
„Spurlos?“
„Als wäre er nie dagewesen.“
„Der Dieb oder der Ziegel?“
„Beide, Officer. Beide!“
„Sie erlauben, dass ich kurz zusammenfasse?“
„Ich bitte darum!“
„Sie zeigen das 'Entfernen' eines ...“
„Das S P U R L O S E Entfernen!“
„Sie zeigen also in der Tat das 'Spurlose Entfernen' eines Ziegelsteines in der vergangenen, mondlosen Nacht durch einen unbeobachteten Tatvorgang an? Ist das so in etwa richtig?“
„Das ist genau das, was ich sage! Ich habe sogar ein Foto!“
„Vom Stein?“
„Vom Tatort, Officer. Denken Sie, ich fotografiere Ziegel?“
Das dachte er für einen kurzen Augenblick tatsächlich! Sagte dann aber:
„Natürlich nicht, Madam!“
„Was machen wir jetzt?“
Sie reichte ihm das Foto.
Das war er also.
Der ominöse Tatort dieses im höchsten Maße ungehörigen Verbrechens. Er musste allerdings widerstrebend zugeben, dass der verschwundene Ziegel ein zutiefst ungewöhnliches Loch hinterlassen hatte.
Der Stein schien tatsächlich nicht mit Gewalt aus der Mauer gestemmt, sondern einfach herausgeschoben worden zu sein. Als wäre er auf dem Mörtel – herausgeglitten.
Was natürlich ungewöhnlich, aber nicht unvorstellbar war.
„Was unternehmen Sie jetzt?“
Er musste den Tatort in Augenschein nehmen.
„Ich werde den Tatort in Augenschein nehmen müssen!“
Er setzte sich seine Mütze auf, verließ die sichere Position hinter dem leicht erhöhten Tresen und bat Edna Bloom ihm zu folgen. Er bugsierte sich und Edna vorsichtig um den noch immer krakeelenden Junkie herum, touchierte dabei, nicht völlig unbeabsichtigt, die Brüste der Prostituierten und verließ forschen Schrittes die Wache.
„Zu Fuß?“, fragte Miss Bloom.
„Natürlich, Madam. Die Islington Road ist nur wenige Schritte entfernt. Ein Spaziergang wird mir guttun.“
„Ihnen vielleicht. Aber wer denkt an mich?“
PC Foster sicher nicht. Er hatte schon mehrere Schritte Vorsprung und wollte diesen nicht aus purer missverstandener Höflichkeit aufgeben.
„Sie legen ein ganz schönes Tempo vor, Officer!“
Das tat er.
„Das tue ich tatsächlich, Madam. Zeit ist ungeheuer wichtig, um Erfolge in der Aufklärung von Verbrechen zu erzielen.“
„Dann denken Sie, Sie finden ihn?“
„Den Ziegel?“
„Den Dieb natürlich! Der Ziegel ist mir doch egal.“
Ach?
Sie erreichten ohne Zwischenfälle und weitere absurde Dialoge, die Islington Road 63 b.
PC Foster schritt langsam, den Notizblock in der Linken, einen Stift in der Rechten, die niedrige Gartenmauer ab, bis er auf das geometrisch exakte Loch stieß.
„Sehen Sie.“
Das tat er und vermerkte die Beobachtung in seinem Block.
„Hier fehlt ein Stein.“
„Ja.“
„Und? Haben Sie jemanden im Verdacht?“
„Jemanden der einen Ziegel stiehlt?“
„Schließlich vermissen sie einen.“
„Wie oft denn noch: Ich vermisse den Ziegel nicht.“
„Aber?“
„Ich will wissen, wie ich dieses Loch wieder zu bekomme.“
„Nun, ich bin zwar nicht vom Fach, aber ich würde sagen: Mit einem Ziegel?“
„Eben nicht, Officer!“
Ach nein?
„Ich glaube, ich verstehe nicht.“
„Nun, würden Sie bitte einen Blick durch das Loch werfen?“
Er tat, worum man ihn gebeten hatte. Er bückte sich und warf einen Blick durch die Öffnung in das Innere des Gartens.
„Nun? Was sehen Sie?“
„Einen beneidenswert schön blühenden Garten! Sind das Hortensien?“
„Veilchen! Und genau das ist das Problem!“
„Die Veilchen sind ein Problem?“
„Der Garten, Officer! Der blühende Garten!“
„Ihr blühender Garten ist das Problem?“
„Würden Sie bitte über die Mauer blicken?“
Auch dieser Bitte leistete er Folge.
Ha!
Etwas stimmte nicht.
„Verstehen Sie jetzt, was ich meine?“
Er begriff.
„In Ihrem Garten blüht nichts.“
„Das tut es in dieser Jahreszeit in ganz England nicht.“
„Aber in Ihrem Loch blüht es.“
„Worauf Sie einen lassen können!“
„Ich muss doch sehr bitten!“
„Worauf Sie einen lassen können, Officer!“
„Wir haben hier also ein Loch, verursacht durch einen mysteriösen Ziegelklau, das uns augenscheinlich einen anderen Garten zu einer anderen Zeit oder einem anderen Ort zeigt?“
„Sie haben meine gesamten Beobachtungen damit sehr gut zusammengefasst. Officer!“
„Danke“
„Was jetzt?“
Das war eine gute Frage. Also tat er das, was gute Polizisten immer tun, wenn sie nicht weiter wissen. Er erteilte Anordnungen oder wartete auf welche.
Da gerade keine an ihn weisungsbefugte Person anwesend war, setzte er einen Funkspruch nach Verstärkung ab und erteilte nun Anordnungen an die Zivilbevölkerung. In diesem Fall repräsentiert von Miss Edna Bloom.
„Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.“
„Was reden Sie denn da?“
„Bitte verlassen Sie den ... Tatort umgehend, bis die KT und die SpuSi da sind!“
„Wer?“
„Die Fachleute von den Abteilungen der Kriminaltechnik und der Spurensicherung. Bis dahin muss eine weitere Kontamination des Tatortes unbedingt vermieden werden. Sie könnten die Angelegenheit für mich ungemein vereinfachen, wenn Sie zurück in ihr Heim gehen.“
Derartig brüsk verscheucht, verabschiedete sich Miss Bloom und betrat umgehend ihr Haus, um sich bei Tee und Gebäck während eines Telefonats mit ihren Freundinnen über die schlechten Manieren der heutigen Polizei zu beschweren. Sie entschied, dass sie PC Foster weder Tee noch Kekse anbieten würde. Das hatte er nun davon!
So entging ihr, was inzwischen auf der Straße geschah. PC Eugene Foster kontrollierte erneut die Öffnung. Er nahm ein Maßband und notierte die äußeren Abmessungen der Öffnung. Dann machte er Fotos aus verschiedenen Perspektiven, konnte aber die unterschiedlichen Gärten nicht auf ein gemeinsames Foto bannen. Schließlich hatte er die Idee, wie er den Garten jenseits der Öffnung untersuchen könnte. Vielleicht würde er anhand von Fotos Landmarken in diesem seltsamen Garten festhalten können, die eine Bestimmung der tatsächlichen, lokalisierbaren Lage des Gartens ermöglichten.
Also stellte er seine Digitalkamera auf Selbstauslöser mit 3 Sekunden Verzögerung und Serienaufnahme. Dann ging er vor dem Loch auf die Knie und schob vorsichtig seinen rechten Arm mit der Kamera in die Öffnung. Das war in Anbetracht der niedrigen Lage des fehlenden Ziegels nicht ganz so einfach, so dass er sich fast auf den Boden legen musste, um seinen Arm ganz durch die Öffnung zu stecken.
Er hörte, wie die Kamera anfing, Fotos im 3 Sekunden Takt zu schießen und versuchte so viele Blickwinkel wie möglich zu erfassen, indem er seinen Arm so weit als möglich verrenkte.
Schließlich hörte die Kamera auf, Fotos zu machen. PC Foster atmete erleichtert auf, konnte er sich doch endlich aus der unbequemen Haltung befreien. Er wollte gerade seinen Arm herausziehen, als er bemerkte, dass jemand (oder etwas?) an seinem Arm zog. Erst sanft und vorsichtig und dann energisch und kräftig. PC Foster konnte nicht sagen, was oder wer ihn festhielt, er wusste nur, dass er hier festhing. Er stemmte sich gegen die Mauer, so gut es ging, und versuchte, seine Beine zwischen sich und die Wand zu schieben. Es gelang und so versuchte er, mit aller Kraft gegen den Widerstand anzukämpfen. Er konnte sich so Zentimeter für Zentimeter aus der Öffnung ziehen und sein Herz machte einen kleinen Freudensprung. Fürchtete er doch, so von seinen Kollegen vorgefunden zu werden.
Doch gerade als er erwartete, seine Hand mit der Kamera aus der Öffnung kommen zu sehen, wurde er mit solcher Gewalt gegen die Mauer gezogen, dass man das schmerzhafte Knacken seines Schädels als Echo von gegenüber hören konnte. PC Foster wurde schwarz vor Augen. Ein heftiger Schmerz durchfuhr seinen Schädel. Flüssigkeit floss ihm über die Stirn. Schwach hob er den Kopf und sah an die Mauer. Blut! Eine Unmenge an Blut klebte dort und Haare und Hautfetzen.
Und wieder wurde sein Arm in diesen fremden Garten gerissen und wieder schlug PC Foster mit viel Schwung gegen die Mauer. Diesmal mit dem Gesicht. Seine Nase brach. Er schmeckte Blut. An dieser Stelle verließ ihn die Kraft in seinem rechten Arm und er ließ die Kamera auf der anderen Seite der Mauer in den üppig blühenden Garten fallen, der nicht Edna Bloom zu gehören schien. Nach einem weiteren heftigen Aufprall verlor er schließlich das Bewusstsein und musste nicht mehr miterleben, wie er noch mehrmals mit enormer Kraft in das Loch gezogen wurde. Seine Schulter brach, die Sehnen hielten den Arm noch mit dem Körper verbunden. Ein weiter Zug und das Genick knickte ein und der Kopf folgte der knackenden Schulter mit einem schmatzenden Geräusch durch die schmale Öffnung. Hirnmasse und Blut liefen an der Mauer herab, durch die nach mehreren Versuchen schließlich der gesamte Körper von PC Foster gezogen wurde.
Als die Kollegen eintrafen, fanden sie vor Ort lediglich die Mütze von Eugene Foster, Police Constable und Blut sowie Hirnmasse um eine viel zu kleine Öffnung, die in einen fremden Garten führte.
Die Polizei tat, was die Polizei in solchen Fällen tut, wofür sie jahrelang ausgebildet wurde und täglich trainiert: Sie sperrte den Tatort großzügig mit Flatterband ab, baute einen mobilen Pavillon auf und kochte dort Tee für die Beamten, die sich sehr gründlich vor Ort umsahen und diverse Berichte verfassten. Man bat die sich bildende Menschenmenge, aus einzelnen neugierigen Passanten sich umgehend wieder aufzulösen, mit dem Hinweis, dass es hier überhaupt nichts zu sehen gäbe.
Nachdem der Selfiestick eines Touristen mitsamt dessen Handy von der Öffnung verschlungen worden war, wandte sich die Polizei an das Militär, welches Messungen durchführte. Das Militär wiederum war völlig perplex und verwirrt von den als widersprüchlich eingestuften Messdaten, informierte schließlich den Geheimdienst und der wiederum, nach einer angemessenen Zeit der Beratung, die Regierung.
Nachdem alle Messungen, die Militär, Wissenschaft und Telekommunikationsunternehmen durchgeführt hatten, zu keinem eindeutigen, schlüssigen Ergebnis zusammengefasst werden konnten, beschloss die Regierung, auf eine seit Generationen bewährte und narrensichere Vorgehensweise zurückzugreifen: Man leugnete das Ereignis und setzte alles daran es totzuschweigen.
Eine große Vertuschungsaktion wurde gestartet. Das Haus wurde Miss Bloom zu einem für sie guten Preis abgekauft und der verschwundene Ziegel wurde zunächst durch ein baugleiches Fabrikat ersetzt. Es half jedoch nichts.
Wann immer man einen Ziegel, gleich, aus welchem Material er auch gefertigt wurde, in das Loch schob und vermauern wollte, am nächsten Tag war er wieder verschwunden.
Also wurde ein geheimes und vertrauenswürdiges von der Regierung bestelltes Bauunternehmen beauftragt, die gesamte Gartenmauer mit einer weiteren Mauer, diesmal aus Gussbeton, zu umschließen, um derartige Vorfälle in Zukunft ausschließen zu können.
In einer speziellen Verordnung wurden Neuanlagen von Gartenmauern aus Ziegeln bis auf Weiteres im ganzen Land verboten und eine sorgfältig erstellte Auswahlliste an alternativen Grundstückseinfassungen erarbeitet, welche seither allen Bauherren gegen eine geringe Gebühr zur Verfügung gestellt wird.
Dem Polizeirevier in der Nähe der Islington Road wurde ein neuer, diesmal weiblicher, Police Constable, namens Ronda McGreedy, zugeteilt. Hintergrund dieser unter Kollegen umstrittenen Entscheidung war, die Lücke, die PC Fosters unerklärliches Verschwinden hinterlassen hatte, adäquat und modern zu schließen.
Die Eltern von PC Foster erhielten eine Dankeskarte mit der persönlichen Unterschrift des Sekretärs der Queen. Er gilt weiterhin als im Dienst vermisst. Eine Anerkennung von Pensionsansprüchen seitens der Stadtverwaltung kann deshalb nicht erfolgen.
Miss Edna Bloom lebt mittlerweile auf Teneriffa und züchtet erfolgreich Hortensien.
In ihrem ehemaligen Haus in der Islington Road 63b befindet sich das derzeit einzige Museum für Korbblütler in ganz Großbritannien.
Es erfreut sich einer überraschenden Beliebtheit bei Jung und Alt. Ein Besuch wird daher empfohlen.
ENDE