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Die feinen Zigarren. 1.

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Nach dem Abendessen begab man sich in das Rauchzimmer. Das war eisernes Gesetz und durfte durchaus nicht anders sein. Die beiden Herren wären vielleicht lieber noch bei Tische sitzengeblieben, um im Nachgenusse der kulinarischen Meisterleistungen in aller Behaglichkeit ihre Zigarre zu rauchen, aber das ging nicht, ging absolut nicht. Das wußten sie so schon lange, und nun schien ihnen der Aufbruch und die Auswanderung nur das Selbstverständliche. Die schöne Hausfrau hatte das so eingeführt. In ihrem Hause durfte nur im Rauchzimmer geraucht werden. Dort hielt sie sogar gelegentlich mit und rauchte selbst in Gesellschaft eine Zigarette, aber für alle anderen Gemächer bestand – das setzte sie durch – strengstes Rauchverbot.

Frau Violet Grumbach hielt wie auf sich selbst, so auch auf den Rahmen für ihre Persönlichkeit, auf ihre Wohnung. Wie ihre äußere Erscheinung mit aller nur erdenkbaren Sorgfalt, mit Geschmack und guter Berechnung in Szene gesetzt war, so auch die Wohnung. Die Einrichtung war modern, war kostbar, alles war blitzblank und funkelte förmlich vor Sauberkeit. Und da sagt man noch manchmal, daß gewesene Künstlerinnen im allgemeinen keine guten Hausfrauen abgäben!

Frau Violet war Schauspielerin gewesen. Nicht eine von den allerersten, aber sicherlich eine der allerhübschesten. Auch jetzt noch – alles, was wahr ist! – war sie eine ungemein anziehende Frau. Etwas unter Mittelgröße, die Formen von angenehm entwickelter rundlicher Fülle, jetzt doch schon beträchtlich mehr entwickelt als zuzeiten ihrer aktiven Künstlerschaft; lichtblondes, immer kunstreich geordnetes Haar, lebhaft blitzende graue Augen, feingezeichnete zarte, rote Lippen und ein pikantes, keckes Stumpfnäschen, das dem runden Gesichtchen auch jetzt noch eine Art kindlichen Ausdruckes lieh, – alles in allem ein sehr angenehmes Ensemble.

Zu den Mahlzeiten liebte sie es, immer in besonders gewählter Toilette zu erscheinen. Kinder waren nicht im Hause, so hatte sie Zeit dazu, überhaupt besaß sie eine ganz gute Art, sich das Leben zu verschönen; sie schmückte sich und ihre Umgebung. Da begreift es sich denn, daß sie ihre Vorhänge, ihre Spitzen und Deckchen, ihre Plafonds und Seidentapeten nicht der bösen Wirkung des Tabaksqualms aussetzen wollte.

Heute war nur ein Gast anwesend, der alte Hausfreund Dagobert Trostler, und der war im Hause Grumbach so zu Hause, daß man seinetwegen keinerlei Umstände mehr machte; wenn Frau Violet doch wieder große Toilette angelegt hatte, so galt das nicht einmal eigentlich ihm. Es war einmal Gepflogenheit, die eingehalten ward, auch wenn sie mit ihrem Mann allein zu Tische ging. Höchstens daß einige Nuancen auf Rechnung des Gastes kamen, so der herzförmige Ausschnitt der weißen Spitzenbluse, der dem Beobachter einige Aus- und Einblicke gestaltete, und die halblangen Spitzenärmel, die den rundlichen Unterarmen, die sich zu den seinen Handgelenken und den hübschen kleinen Händen zart verjüngten, den wünschenswerten Spielraum gewährten.

Andreas Grumbach, Besitzer einer großen und sehr einträglichen Jutespinnerei, Präsident der Allgemeinen Bauunternehmungsbank und außerdem Träger zahlreicher Titel und Würden, war ganz erheblich älter als seine Gattin; so an zwanzig Jahre, und wenn es verwehrt ist, das Alter der Damen mit allzu brutaler Genauigkeit nachzurechnen, so darf es bei ihm schon verraten werden. Er mochte doch so seine drei- oder vierundfünfzig Lenze gesehen haben, aber er sah sogar noch etwas älter aus, als er war. Sein schönes dunkelbraunes, glattgebürstetes Haar bewies nichts. Er hätte auch außer Haus frisieren lassen können. Der Backenbart zu beiden Seiten schimmerte schon sehr stark ins Silbrige, und dabei trug er doch das Kinn ausrasiert in dem Bestreben, doch etwas jünger auszusehen und den Silbersegen nicht allzusehr anwachsen zu lassen.

Dagobert Trostler, sein alter Freund, war durchaus nicht damit einverstanden gewesen, als Grumbach, einem holden Johannistriebe nachgehend, vor etwa sechs Jahren die Schauspielerin Violet Moorlank als sein ehelich Gemahl in sein Haus führte. Es war aber nichts dagegen zu machen, und schließlich hatte Dagobert auf der ganzen Linie unrecht behalten. Es ward eine ganz akzeptable und respektable Menage daraus, die Ehe gestaltete sich zu einer durchaus glücklichen.

Dagobert selbst war Junggeselle geblieben. Er war ein ausgedienter Lebemann mit stark gelichtetem Scheitel und einem Petrus-Schöpfchen. Sein sokratisches Gesicht wurde belebt durch zwei dunkle ausdrucksvolle Augen. Jetzt hatte er nur noch zwei große Passionen, die Musik und die Kriminalistik. Sein großes Vermögen gestattete ihm, sich diesen seinen beiden so divergierenden Liebhabereien ohne jegliche andere Sorge zu widmen. Zur Musik hatte er ein genießendes und ein schaffendes Verhältnis. Seine Freunde behaupteten, daß er stärker war im ersteren. Auch er hatte Violet schon gekannt, als sie noch dem Theater angehörte, und wenn es damals irgendeine ihrer Rollen mit sich brachte, daß sie einige Lieder zu singen hatte, so war er es, der sie ihr einstudierte. Natürlich als Amateur. Auf allen Tätigkeitsgebieten, aus denen er sich umtat, blieb er Amateur, passionierter Dilettant, gentleman-rider. Seinen Profit hatte er aber bei jenen musikalischen Einpaukungen doch. Es gelang ihm nämlich manchmal, auf diesem Wege die eine oder die andere seiner eigenen Kompositionen als Einlagen in die Öffentlichkeit zu schmuggeln.

Was seine kriminalistischen Neigungen betraf, so äußerten die sich zunächst darin, daß er am liebsten von bedeutenden Raubmorden und halbwegs anständigen Unterschlagungen sprach. Er war überzeugt, daß an ihm ein Kriminalkommissär von Klasse verloren gegangen wäre, und behauptete steif und fest, daß, wenn alle Stricke rissen, er sehr wohl in der Lage sei, sich als Detektiv sein Brot zu verdienen. Seine Freunde machten sich auch oft genug lustig über ihn. Nicht etwa, daß sie an seinem einschlägigen Talent gezweifelt hätten. Von dem hatte er ja oft genug überzeugende Proben geliefert. Sie fanden nur die Passion sonderbar, sich selbst eine Rute auf den Rücken zu binden. Denn seine Liebhaberei brachte ihm nicht nur mancherlei Unannehmlichkeiten ein, sondern sie verstrickte ihn gelegentlich wohl auch in recht gefährliche Situationen. Wenn es irgendwo eine Ansammlung von Menschen gab, war er sicher mit dabei, aber nicht mit dem allgemeinen Interesse an dem aktuellen Vorgange, welcher Art er auch sein mochte, – er paßte auf Taschendiebe und trachtete, sie bei der Arbeit zu beobachten und auf frischer Tat zu ertappen. Er geriet da nicht selten in bedenkliche Verwicklungen, aber es gelang ihm doch, manchen Langfinger der Polizei in die Hände zu liefern. So liebte er es auch, bei dunklen Kriminalfällen auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen, und daher kam es, daß er sich alle möglichen Scherereien auf den Hals lud, alle Augenblicke bei Gericht zu tun hatte oder auf die Polizei zitiert wurde, der seine privaten Bemühungen manchmal schon unbequem geworden waren, – aber das alles machte ihm Vergnügen. Er war eben Amateur. –

Man begab sich also ins Rauchzimmer.

Die beiden Herren setzten sich an das Rauchtischchen, das in der Nähe des Fensters stand, Frau Violet nahm auf einer kleinen gepolsterten Bank Platz, die – ein ganz reizendes Möbelstück – sich von dem hohen und feingegliederten Kamin bis zur Tür hinzog und dort den Raum sehr schicklich ausfüllte. Der Kamin stand in einer Ecke, und so war dort ein sehr trauliches Plätzchen geschaffen.

Grumbach nahm vom Rauchtische ein Zigarrenkistchen; nicht auf gut Glück. Es waren deren mehrere da, und er hatte erst bedachtsam gewählt. Er öffnete es und wollte die Zigarren eben Dagobert reichen, als er stutzte.

»Ich weiß nicht,« sagte er nachdenklich, »es muß in meinem Hause doch noch einen Liebhaber geben – gerade für diese Sorte. Es wäre kein schlechter Geschmack. Das Stück kostet einen Gulden!«

»Bemerkst du Abgänge?« fragte Dagobert.

»Ich glaube sie zu bemerken,« erwiderte Grumbach.

»In unserem Hause wird nichts gestohlen!« warf Frau Violet ein in Verteidigung ihrer Hausfrauenehre.

»Gott sei Dank – nicht!« gab Grumbach zurück. »Und doch – ganz bestimmt kann ich es natürlich nicht behaupten – aber mir ist, als hätten aus der oberen Lage gestern nur zwei Zigarren gefehlt, und heute fehlen da acht oder neun Stück.«

»Eigene Schuld,« bemerkte Dagobert. »Müßtest sie eben unter Verschluß halten!«

»Man soll in seinem Hause auch etwas frei herumliegen lassen können!«

»Vielleicht irrst du dich doch?« gab Frau Violet zu bedenken.

»Es wäre nicht unmöglich, aber ich glaub's nicht. Nun, ein Unglück ist's gerade nicht, aber es beunruhigt.«

»Das müßte doch nicht schwer sein, der Sache auf den Grund zu kommen,« äußerte Dagobert, in dem sich die Detektivleidenschaft zu regen begann.

»Das Einfachste wird sein, deinen Rat zu befolgen, Dagobert. Verschließen – das ist der beste Schutz!«

»Das wäre mir nicht interessant genug,« lautete die Antwort. »Man muß den Marder erwischen!«

»Soll ich mich vielleicht auf die Lauer legen und tagelang aufpassen? Da komme ich noch billiger weg, wenn ich's mich ein paar Zigarren kosten lasse.«

»Du mußt doch wissen, wer Zutritt in das Zimmer hat!«

»Für meinen Diener stehe ich. Der nimmt nichts!«

»Und ich für mein Stubenmädchen,« beeilte sich Frau Violet hinzuzufügen. »Sie ist seit meiner Kindheit bei mir, und es ist noch nicht eine Stecknadel weggekommen!«

»Desto besser!« fuhr Dagobert fort. »Glaubst du, daß täglich Abgänge vorkommen?«

»I bewahre! Das fehlte gerade noch! Vorige Woche glaubte ich's einmal schon bemerkt zu haben und dann einmal vielleicht auch in der vorvorigen Woche.«

Dann ließ man das Thema fallen. Man sprach noch eine Weile von den Tagesereignissen, die gerade die öffentliche Meinung beschäftigten: darauf erhoben sich Hausfrau und Hausherr, um sich noch ein wenig herzurichten für die Oper. Es war gerade ihr Logentag, Mittwoch, und Dagobert sollte wie gewöhnlich mit von der Partie sein. Einen so alten Bekannten und vertrauten Hausfreund durfte man schon ein Viertelstündchen allein lassen, ohne sich erst groß zu entschuldigen.

Frau Violet meinte im spöttischen Scherz, es müsse ihr sogar sehr erwünscht sein, eine Weile allein bleiben zu dürfen, da er nun um so ungestörter dem düsteren Problem nachsinnen könne, wohin die verschwundenen Zigarren wohl geraten sein mögen. Er als Meisterdetektiv werde das doch gewiß herausbringen!

Es hätte nicht erst dieses spöttischen Appells bedurft, um ihn an seine Liebhaberei zu erinnern. Er hatte im stillen ohnedies schon bei sich beschlossen, den Täter zu entdecken, und so war es ihm nun ganz besonders willkommen, sich ungestört auf dem Schauplatz der Tat genau umsehen zu können. Der Fall war ja herzlich unbedeutend und geringfügig, aber was tut ein Amateur nicht, um im Training zu bleiben? Man nimmt einmal auch so etwas mit.

Er setzte sich, als er allein war, in seinem Fauteuil zurecht und begann nachzudenken. Gar so einfach war die Geschichte denn doch nicht. Die letzte Untat war am Tage vorher begangen worden. Er besah sich das Zigarrenkistchen, den Rauchtisch – da war nichts zu entdecken. Es war einfach ekelhaft, was in dem Hause für Reinlichkeit herrschte! Wie da täglich aufgeräumt und aufgewischt wird! Da soll dann ein Mensch etwa noch einen Fingerabdruck auf dem Holzrahmen des Rauchtisches entdecken, der die rote Tuchfüllung der Platte umgrenzt! Der Rahmen war wahrscheinlich auch gestern nicht staubig, und seither ist ja wieder unsinnig gewischt und gebürstet worden, – und da soll ein Mensch daktyloskopische Studien machen!

Damit war es also nichts.

Im Zimmer leuchteten jetzt vier elektrische Lampen. Er drehte mit einem Griff auch noch die übrigen acht auf. Strahlende Helle erfüllte nun den Raum, und jetzt untersuchte er weiter. Er schritt das Gemach nach allen Richtungen ab, und überall hin sandte er den forschenden Blick, ohne irgendeinen Anhaltspunkt finden zu können.

Dann setzte er sich wieder an den Rauchtisch. Es war klar, daß dieser das Zentrum für die Nachforschungen bilden müsse. Wie er aber auch spähte, hier ließ sich keine Spur und kein corpus delicti entdecken, – doch – eben als er wieder seine Wanderungen aufnehmen wollte, bemerkte er etwas. Eingebettet in der schmalen Spalte zwischen Tuch und Holzrahmen des Rauchtisches und über sie herausragend ein Haar, dunkel und glänzend, nicht lang – gerade gezogen vielleicht fünf Zentimeter, aber es hatte die Tendenz, sich zu einem Kreise zu schließen.

Dagobert fuhr mit der Hand über Tuch, Rahmen und Spalte, wo das Haar steckte. Dieses bog sich und blieb stecken. Es hat also auch Bürste und Staubtuch standhalten können. Anderseits – bei der Art, wie hier rein gemacht wurde, wie bereits erwähnt – geradezu ekelhaft! – war es wohl anzunehmen, daß der Widerstand kaum von Dauer sein würde. Mehrfache Angriffe würden das Haar doch wohl wegfegen. Es war also ganz gut möglich, ja wahrscheinlich, daß es erst gestern hingelangt ist.

Er dachte einen Augenblick daran, sich den Diener hereinzuläuten, um sich zu vergewissern, ob nicht heute schon irgend jemand, der nicht zum Hause gehörte, das Zimmer betreten hätte, vielleicht ihn auch darüber auszuholen, wer gestern dagewesen sei, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Natürlich wollte er, mußte er spionieren, aber nicht bei der Dienerschaft! Das konnte zu albernem Gerede führen, und eine gewisse Rücksicht war er doch dem Hause seines besten Freundes schuldig.

Er hob also das Haar mit den Fingerspitzen heraus und barg es mit aller Sorgfalt in seinem Taschenbuche. Dann setzte er seine Nachforschungen fort. Er sah sich in dem ganzen Zimmer noch einmal gut um; es war wohl kaum noch etwas zu holen. Die Beleuchtung war so hell, daß ihm nicht leicht etwas entgehen konnte. Oben auf der glatt polierten Fläche des schwarzmarmornen Kamingesimses bemerkte er ein dunkles Klümpchen, das den scharfen geraden Zug der Linie unterbrach. Ob es wohl verlohnte? Für einen Detektiv verlohnt sich alles, kann sich alles verlohnen.

Er rückte sich einen Ledersessel hin und stieg auf ihn. Ein Zigarrenstummel, etwa vier Zentimeter lang. Eine ganz leichte Staubdecke auf der polierten Platte. Wenn die Hausfrau das wüßte! Da ist heute nicht abgewischt worden. Der Herr Bediente hat sich's bequem gemacht. Wahrscheinlich wischt er da nur jeden zweiten oder dritten Tag ab. Älter war die dünne Staubschicht nicht. Auch der Stummel war nicht älter. Das konnte ein Raucher schon beurteilen. Und noch eins. Auf der Staubfläche zeigte sich keine Spur einer Hand oder eines Fingers. Die Platte war also nicht schon staubig, als der Zigarrenrest da hingelegt wurde. Er dürfte also – er ist also gestern hingelegt worden.

Dagobert untersuchte den Rest. Er stammte von der inkriminierten Sorte.

Nun stieg Dagobert vom Sessel, steckte den bedachtsam verpackten Stumpf in die Tasche, löschte die überzähligen Lampen wieder aus und fuhr dann, als die Zeit gekommen war, mit in die Oper.

Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer

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