Читать книгу Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer - Balduin Groller - Страница 4
2.
ОглавлениеGrumbach hatte die ganze Zigarrenaffäre am nächsten Tage schon wieder vergessen. Der vielbeschäftigte Fabrikherr und Großkaufmann hatte wahrhaftig an anderes zu denken. Er kam auch später nicht wieder auf sie zurück, weil sich kein Anlaß dazu ergab. Ganz zu Ende war sie aber doch noch nicht.
Dagobert hatte fast eine ganze Woche verstreichen lassen, bevor er sich wieder in dem Grumbachschen Hause sehen ließ. Das letztemal war er am Mittwoch dort gewesen, und erst am darauffolgenden Dienstagabend zeigte er sich wieder. Frau Violet empfing ihn im Rauchzimmer. Das Diner war vorbei, und zum Kaffee, den er mit ihr nehmen sollte, rauchte sie selber ganz gern eine Zigarette.
»Ich komme Ihnen ungelegen, gnädige Frau?« begann er die Unterhaltung.
»Sie sind mir immer willkommen, Herr Dagobert,« erwiderte sie liebenswürdig, aber etwas betreten schien sie doch, als sie sich auf der Kaminbank zurechtsetzte.
»Ich meinte nur,« fuhr er harmlos fort, »weil ich ja annehmen konnte, den Herrn Gemahl nicht zu Hause zu treffen.«
»Allerdings – Dienstag ist sein Klubtag; da ist er nie zu Hause. Desto angenehmer für mich, Gesellschaft zu haben.«
»Es wäre aber doch auch möglich gewesen, daß Gnädige sich bereits mit anderweitiger Gesellschaft versorgt hätten, und ich vielleicht nur störend gewesen sein würde.«
»Sie stören niemals, Herr Dagobert,« versicherte sie eifrig und lenkte dann ab, indem sie ihn, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, bei seiner schwachen Seite packte und ihn mit seiner Detektivleidenschaft zu necken begann.
»Nun? Haben Sie den ruchlosen Zigarrenmarder noch immer nicht entdeckt?« fragte sie mit fröhlichem Spott.
»Spotten Sie nicht zu früh, Gnädige!«
»Mein Gott, ein paar Zigarren können leicht wegkommen, ohne daß man erfährt, wohin sie geraten sind. Man sollte gar nicht forschen. Am nächsten liegt es, den Diener zu beargwöhnen. Er ist sicherlich unschuldig, aber wenn einmal der Verdacht geweckt ist, – mein Mann ist sehr genau! – da kann der arme Teufel leicht um sein Brot kommen.«
»Wir werden uns ja gleich überzeugen,« entgegnete Dagobert und drückte auf den elektrischen Taster.
Frau Violet erschrak über seine Voreiligkeit und machte eine Bewegung, ihn zurückzuhalten, aber es war schon zu spät. Im nächsten Augenblick stand der Diener im Zimmer der Befehle gewärtig.
»Sie, lieber Franz,« begann Dagobert, »Sie werden so gut sein, mir einen Fiaker zu holen, so etwa in einer Stunde.«
»Sehr wohl, gnädiger Herr!«
»Hier, lieber Freund, für Ihre Mühe eine feine Zigarre!« Dagobert griff dabei nach dem Kistchen.
»Ich bitte um Verzeihung, gnädiger Herr, ich rauche nicht.«
»Ach, Unsinn, Franz!« sagte Dagobert. »Jetzt tun Sie nur Ihre Zigarrentasche heraus; wir wollen sie einmal ordentlich anfüllen.« Und er griff jetzt mit der ganzen Hand in das Kistchen.
Franz lachte mit dem ganzen Gesicht über den herablassenden Scherz und versicherte noch einmal, daß er kein Raucher sei.
»Na, dann ist's ja gut,« bemerkte Dagobert leutselig, »dann werden wir uns schon noch miteinander verrechnen. Sie sollen deshalb nicht zu kurz kommen.«
Der Diener verbeugte sich und verließ geräuschlos das Zimmer.
»Sie sehen. Gnädige,« nahm darauf Dagobert wieder das Wort. »Er ist es nicht gewesen.«
Nun war es an Frau Violet, hell aufzulachen.
»Wenn das Ihre ganze Kunst ist, Dagobert, dann lassen Sie sich nur ruhig wieder das Lehrgeld zurückgeben! Ich sage ja nicht, daß er's gewesen ist – er ist es bestimmt nicht gewesen –, aber selbst, wenn er sich schuldig gefühlt hätte, glauben Sie wirklich, daß er Ihnen in diese plumpe Falle gegangen wäre?«
»Wer sagt Ihnen denn, Frau Violet, daß das meine ganze Kunst ist? Ich wollte Ihnen nur vordemonstrieren, daß er der Schuldige nicht sein kann.«
»Weil Sie ihm sofort alles glauben! Sie sind naiv, Dagobert.«
»Für mich war es ganz zwecklos, ihn vorzuladen. Ich wollte nur vor Ihnen seine Ehrenrettung bewerkstelligen. Eigentlich recht überflüssiger Weise. Denn auch Sie sind von seiner Unschuld überzeugt, und damit könnten wir ja die Sache als abgeschlossen betrachten.«
»Dagobert, Sie wissen mehr, als Sie sagen wollen.«
»Ich will alles sagen, wenn es Sie interessiert, meine Gnädige.«
»Es interessiert mich sehr.«
»Wäre es nicht besser, überhaupt nichts mehr davon zu reden?«
»Ja, warum sollte das nun besser sein, Dagobert?«
»Ich dachte nur – ich weiß nämlich alles.«
»Um so besser! Lassen Sie hören, was Sie herausgebracht haben.«
»Es ist ja möglich, daß ich im einzelnen irre, dann werden Sie in der Lage sein, mich zu korrigieren.«
»Ich?!« Sie sah ihn groß an.
»Sie, meine Gnädige. Es ist ja auch möglich, daß ich mich schwer blamiere – ich glaube es nicht, aber möglich wäre es immerhin. Sie müssen berücksichtigen, daß ich ausschließlich auf meine Kombination angewiesen war und es ganz selbstverständlich verschmäht habe, Ihre Dienerschaft auszuhorchen.«
»Keine so lange Einleitung, Dagobert; zur Sache, wenn ich bitten darf.«
»Gut, ich decke meine Karten auf. Sie erinnern sich, meine Gnädigste, daß ich am letzten Mittwoch zum erstenmal von den Abgängen erfuhr. Fünf Minuten später hatte ich die genaue Personenbeschreibung –«
»Wie haben Sie denn das angefangen?«
»Die genaue Personenbeschreibung des – des Rauchers. Ich denke, wir bleiben bei dieser Bezeichnung und vermeiden den odiosen Ausdruck Dieb oder auch nur Zigarrendieb. Die Zigarren sind ja tatsächlich nicht gestohlen, sondern nur geraucht worden, ohne daß der Hausherr davon wußte. Der Raucher ist also ein hochgewachsener junger Mann, einen guten Kopf größer als ich, mit einem wohlgepflegten schwarzen Bart und prachtvollen Zähnen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich werde Ihnen alles sagen, Gnädigste. Übrigens hoffe ich, die Richtigkeit der von mir gelieferten Personenbeschreibung heute noch eklatant bestätigt zu sehen. Ich rechne nämlich darauf, daß der vortreffliche junge Mann binnen kurzem uns die Ehre seiner Gesellschaft gewähren wird. Ich habe auch schon das Kistchen mit seiner Lieblingssorte zurechtgerückt.«
Da tat sich die Tür auf, und der Diener trat mit der Meldung ein, daß der Wagen für den gnädigen Herrn bestellt sei und pünktlich zur festgesetzten Zeit vorfahren werde. Dann richtete er an die Hausfrau die Frage, ob es ihm nun erlaubt sei, zu »gehen«. Die Erlaubnis wurde erteilt, und er zog sich dann mit einer devoten Verbeugung und einem dankenden »Küß d' Hand!« wieder zurück.
»Franz ist nämlich ein Theaternarr,« erläuterte Frau Violet. »Einmal in der Woche muß er ins Theater gehen, und da gebe ich ihm am liebsten den Dienstagabend frei, wo mein Mann ohnedies nicht zu Hause ist, er also am leichtesten entbehrt werden kann.«
»Ach sooo!« erwiderte Dagobert nachdenklich. »Nun, das ist ja ganz in der Ordnung.«
»Lassen Sie sich aber dadurch nur nicht ablenken, lieber Dagobert,« fuhr Frau Violet fort. »Sie sind mir die Aufklärung schuldig, wie Sie zu jener Personenbeschreibung gelangt sind.«
»Ich hatte am Mittwoch, als Sie und Ihr Herr Gemahl sich zurückzogen, um sich fürs Theater fertig zu machen, einige Minuten Zeit zur Untersuchung. Die Sache wäre vielleicht schwierig geworden, wenn ich am Schauplatz der Tat keine Spuren gefunden hätte.«
»Und Sie haben welche gefunden?«
»Ja. In der Spalte des Rauchtisches ein Haar und hier oben am Kamin einen Zigarrenrest.«
»Die konnten aber schon lange hier und dort liegen!«
»Ich hatte meine guten Gründe, anzunehmen, daß es wirklich corpora delicti und erst am Tage vorher dorthin gelangt seien. Ich habe dann bei mir zu Hause die beiden Gegenstände genau, das Haar sogar mikroskopisch untersucht.«
»Und das Resultat?«
»Ein vollkommen befriedigendes. Das Haar wies auf einen Täter mit schönem schwarzen Bart. Naturechtes Schwarz, keine Spur von künstlichem Farbstoff – also ein alter Mann ist unser Raucher nicht. Ich kann sogar sagen, daß es ein junger Mann ist. Denn das Haar war weich, bieg- und schmiegsam. Nicht gerade erster Flaum, aber doch noch immer zart. Es hätte derber, borstiger sein müssen, wenn da vorher schon jahrelang ein Rasiermesser gewaltet hätte. Der junge Mann hält auch etwas auf seinen Bart, denn unter dem Mikroskop wies das Haar eine Spur von Brillantine auf. Das ist ein ganz harmloses, kosmetisches Mittel, aber ein wenig eitel muß man doch sein, um es anzuwenden. Da Sie den Täter kennen, Gnädigste, werden Sie ja beurteilen können, ob meine Annahme eine richtige oder irrige ist.«
»Ich glaube, daß Sie sich da in eine fixe Idee verrannt haben.«
»Möglich; aber das ist ja nicht von Belang. Gehen wir weiter. Hier oben am Kaminsims lag der Zigarrenrest.«
»Zu welchen Schlüssen führte Sie der?«
»Es war mir zunächst angenehm, feststellen zu können, daß die Sorte stimmte. Die weiteren Schlüsse ergaben sich von selbst. Erlauben Sie jetzt, daß ich noch einmal auf Ihren Diener zurückkomme. Ich erwähne da etwas beinahe zum Schluß, wovon ich ausgegangen bin und womit ich eigentlich angefangen habe. Nicht ohne Grund hatte ich ihn jetzt hereinzitiert. Sie sollten sich ihn noch einmal ansehen. Also der Mensch ist blond, und sein Gesicht ist, wie sich das für einen ordentlichen Diener gehört, der auch bei Tisch serviert, glatt rasiert. Er hat ferner, wie es sich eigentlich für einen ordentlichen Diener nicht gehört und wie Sie sich überzeugen konnten, als er uns so freundlich angrinste, recht schadhafte Zähne. Endlich konnten Sie sehen, daß seine Statur eine ziemlich kleine ist. Er ist noch etwas kleiner als ich, und wir haben doch festgestellt, daß der unbekannte Täter einen schwarzen Bart trägt, sehr gute Zähne hat und einen Kopf größer ist als ich.«
»Das haben wir durchaus noch nicht festgestellt!«
»Dann wollen wir es gleich besorgen. Die Spitze der Zigarre war nicht mit einem Messer abgeschnitten, sondern prompt und glatt abgebissen worden. Dazu gehören gute Zähne. Darüber wären wir also im klaren. Nun muß noch seine ungewöhnliche Körperlänge bewiesen werden. Nichts einfacher als das. Reproduzieren wir einmal die Situation, meine Gnädige –, eigentlich gar nicht nötig. Denn sie ist schon hergestellt. Sie auf Ihrem bevorzugten Platze –, ich in respektvoller Entfernung, aber doch gerade noch nahe genug für unsere Konversation, Ihnen gegenüberstehend, an den Kamin gelehnt. Die Aussicht, die ich da beinahe aus der Vogelperspektive genieße, ist eine entzückende. Sie brauchen nicht zu drohen, Frau Violet –, eine entzückende. Auch ich würde ohne besonderen Grund meinen glücklichen Beobachterposten nicht verlassen. Wenn ich aber eine Zigarre wegzulegen hätte, so müßte ich mich zum Rauchtische begeben, auf dem die Aschenbecher stehen. Denn ich könnte nicht auf den Sims hinauflangen, mir wäre er zu hoch! Da hätte ich nun die Personenbeschreibung begründet. Stimmt sie, meine Gnädigste?«
»Sie stimmt,« gab Frau Violet lachend zu. »Ich mache Ihnen mein Kompliment, Herr Dagobert. Sie sind ein fürchterlicher Mensch, und ich sehe schon, es wird doch am besten sein, wenn ich selber gleich ein umfassendes Geständnis ablege, sonst glauben Sie am Ende noch Gott weiß was!«
»Keine Geständnisse! Ich lehne sie ab. Geständnisse können – ich spreche natürlich ganz akademisch – können auch falsch sein. Es sind auf Grund von falschen Geständnissen schon Justizmorde verübt worden, und nichts vermag mich mehr aufzuregen, als der Gedanke an einen Justizmord. Zudem – ich brauche das Geständnis nicht; es kann mir nichts mehr nützen. Ich bin hier nur Untersuchungsrichter und habe kein Urteil zu schöpfen. Meine Aufgabe war, den Tatbestand aufzuklären und die Täterschaft zu erweisen. Ob dann bei der Schlußverhandlung gestanden oder geleugnet wird, das geht mich nichts an.«
»Gut, also hören wir weiter!«
»Ich mußte also weiter kombinieren. Der hochgewachsene junge Mann mit dem schönen Bart und den guten Zähnen hat seine Zigarre hier in Ihrer Gegenwart geraucht und Ihnen dabei Gesellschaft geleistet. Er hat mit Ihnen geplaudert, wie ich jetzt mit Ihnen plaudere. Ein besonderes Geheimnis konnte nicht dahinter stecken.«
»Gott sei Dank, daß Sie mir das wenigstens nicht zutrauen, Dagobert!«
»Konnte nicht dahinter stecken. Wir kennen uns nun schon lange genug – Sie sind eine kluge Frau. Sie wissen, was auf dem Spiele steht, und Sie machen keine Dummheiten.«
»Ich danke für das ehrende Vertrauen!«
»Mein Vertrauen ist auch felsenfest, nicht minder mein Respekt. Aber es ist nicht nur das. Ich habe offene Augen und gute Ohren. Ich selbst hätte irgendeinmal etwas bemerken, oder irgendein Gerede hätte auch zu mir dringen müssen. Nichts von alledem. Sie haben da einen Besuch empfangen, der weiter nicht auffallen konnte, sonst wäre er schon aufgefallen. Warum fiel er nicht auf? Weil Sie ihn oft empfangen. Es mußte also ein ganz harmloser Besuch sein. Ein Umstand konnte allerdings stutzig machen. Aus den hingeworfenen Äußerungen Ihres Mannes konnte ich mir so ungefähr herausnehmen, daß die Zigarren gewöhnlich am Dienstagabend verschwanden, zu der Zeit also, wo er im Klub war. Was ich nicht wußte, was Sie aber angaben, ist, daß am Dienstag Ihr Diener das Theater zu besuchen pflegt.«
»Hoffentlich ziehen Sie aus diesem Umstand nicht auch Ihre Schlüsse!«
»Ich denke nicht dran. Tatsache scheint mir, daß der junge Mann ziemlich häufig im Hause vorspricht, daß er aber gerade am Dienstag etwas länger verweilt und die Hausfrau unterhält.«
»Das ist richtig, aber ich kann versichern, daß die Unterhaltungen ganz harmloser Natur sind.«
»Daran habe ich niemals gezweifelt, zumal der junge Mann – wie soll ich sagen? – ein wenig unter Ihrem Stande ist.«
»Wie haben Sie das nun wieder herausgebracht, Dagobert?«
»Es erklärt sich von selbst, gnädige Frau. Freund Grumbach hat nicht eine oder zwei Zigarren vermißt, sondern gleich sechs oder sieben. Sie erinnern sich; nach seiner Angabe hatten aus der obersten Schicht am Tage vorher zwei Zigarren gefehlt. Die hat Grumbach jedenfalls selber herausgenommen und sich dabei halb unwillkürlich das Bild eingeprägt, das das Innere des Kistchens darbot. Einen Tag später schien es ihm, als fehlten acht oder neun Stück. Also Abgang von sechs oder sieben Stück. Man raucht aber nicht sechs oder sieben schwere Zigarren während eines Plauderstündchens mit der Hausfrau, man raucht eine, wenn's hoch kommt zwei. Der Vorgang war nun der, daß die Hausfrau den jungen Mann beim Abschied ermutigt hat, sich noch einige Zigarren einzustecken.«
»Auch das ist richtig. Aber daraus folgt doch noch nicht, daß ich mich, wie Sie sich auszudrücken belieben, unter meinem Stande unterhalten hätte.«
»Ich bitte um Verzeihung, meine Gnädigste. Einem gesellschaftlich vollwertigen Besuch empfiehlt die Hausfrau vielleicht, sich auf den Weg eine Zigarre mitzunehmen –, eine! Natürlich ohne Betonung. Eine Handvoll zu geben oder – zu nehmen, das deutet schon auf einen gewissen gesellschaftlichen Abstand.«
»Sie sind wirklich der reine Kriminalkommissär, Dagobert!«
»Auf einen Abstand und doch auch auf eine gewisse Sympathie.«
»Es ist auch ein ganz netter, liebenswürdiger junger Mann. Haben Sie sonst noch etwas herausgebracht?«
»O, noch eine ganze Masse! Ich legte mir die Frage vor: Was kann das für ein junger Mann sein, der so oft, vielleicht täglich, ins Haus kommt, ohne daß es irgendwie auffiele? Die Antwort darauf war nicht schwer. Es konnte nur ein Beamter aus dem Bureau Ihres Mannes sein, wohl einer, der die Aufgabe hat, jeden Tag am Abend dem Chef die Kassaschlüssel oder den Tagesrapport zu überbringen.«
»Er bringt allerdings nach Geschäftsschluß die tägliche Abrechnung nach Haus. Mein Mann hat sich das so eingerichtet.«
»Woran er sehr recht getan hat. Das weiß ich übrigens nun auch. Denn ich war inzwischen bei Ihrem Direktor.«
»Nein, was Sie nicht alles treiben, wenn Sie eine Spur verfolgen!«
»Man fängt entweder nicht an, meine Gnädigste, oder man fängt an, dann aber muß man auch bis ans Ende gehen, sonst hätte es keinen Sinn.«
»Und was haben Sie bei dem Direktor ausgerichtet?«
»Alles, was ich wünschen konnte.«
»Lassen Sie hören, Dagobert!«
»Ich sagte ihm, daß ich gekommen sei, einen jungen Mann zu protegieren –, er solle mich nur dem Chef nicht verraten. Der Direktor lächelte. Er wisse ganz gut, daß, wenn ich vom Chef etwas wolle, es von vornherein bewilligt sei. Wohl möglich, gab ich zu, es wäre mir aber lieber, ihn nicht direkt um den Freundschaftsdienst zu bitten. Der Direktor begriff oder tat, als begriffe er, und stellte sich mir zur Verfügung.«
Um was handelt es sich? fragte er.
Sie haben da einen jungen Mann im Kontor, erwiderte ich, – na, wie heißt er doch nur? Ich habe so ein scheußliches Namensgedächtnis! Tut übrigens nichts; werde schon draufkommen. Also ein auffallend großer junger Mann mit liebenswürdigen Manieren – sonst hätte er Ihnen nicht gefallen, meine Gnädigste –, mit einem schönen schwarzen Bart und guten Zähnen. Abends bringt er gewöhnlich dem Chef –
Ach, das ist ja unser Sekretär Sommer! unterbrach mich der Direktor.
Sommer, natürlich Sommer! Daß mir der Name entfallen konnte! Sehen Sie, lieber Direktor, Sommer ist ja ein ganz begabter Mensch, aber er ist in der Kanzlei, bei der Korrespondenz nicht am richtigen Platze. Es fehlt die letzte Genauigkeit und Exaktheit bei der Arbeit. Dagegen müßte er sich vortrefflich verwenden lassen für den Verkehr mit den Parteien. Ich weiß, daß Sie schon geraume Zeit nach einer geeigneten Persönlichkeit suchen zur Leitung der Verkaufsfiliale in Graz. Wäre das nichts für Sommer?
Der Direktor schlug sich mit der Hand auf die Stirne.
Donnerwetter, das ist eine Idee! Da suchen wir uns die Augen aus dem Kopfe und haben den Mann in nächster Nähe! Natürlich ist Sommer wie geschaffen dafür! Sie üben da nicht Protektion an ihm, sondern erweisen uns einen Dienst mit Ihrem Vorschlag. Er geht nach Graz. Die Sache ist abgemacht.
»Sie sehen, meine Gnädigste, ich war glücklich genug, ein wenig Vorsehung spielen zu können.«
»Aber Dagobert, wie konnten Sie die Behauptung riskieren, daß der junge Mensch nicht fürs Bureau tauge?«
»Da war nichts riskiert dabei. Ich verließ mich auf mein bißchen Psychologie. Der richtige Bureaumensch ist immer mehr oder minder – bis zu einem gewissen Grade – Pedant. Er wird es durch seine Beschäftigung, die unausgesetzte minuziöse Genauigkeit erfordert. Ein Pedant ist unser Freund nicht. Der richtige Bureaumensch beißt die Spitzen der Zigarren nicht mit den Zähnen herunter, sondern er schneidet sie säuberlich ab mit dem Federmesser oder mit einer besonderen Maschinerie, die er sicher bei sich trägt, wenn er Zigarrenraucher ist. Und noch etwas tut der richtige Bureaumensch nicht. Er legt Zigarrenstummel nicht auf Marmorkamine. Er bemüht sich vielmehr zum Aschenbecher und deponiert den Rest dort, immer bestrebt, darauf zu achten, daß nicht etwas von der Asche daneben gehe. Unser sorgloser junger Freund, der es mit einem Zigarrenstummel nicht so genau nimmt, wird es wahrscheinlich auch mit der Bureauarbeit nicht gar zu genau nehmen. Er hat's nicht in sich!«
»Und daraus haben Sie dann gleich geschlossen, daß er der richtige Mann für den Parteienverkehr ist?«
»Nicht nur daraus, sondern auch aus der Bevorzugung, die Sie ihm haben zuteil werden lassen, meine Gnädigste. Er muß ein sehr angenehmes Mundwerk haben, wird wohl auch ein kleiner Schwerenöter sein. Das alles ist ganz vortrefflich, wenn man mit der Kundschaft in persönliche Berührung zu treten hat.«
»Eines müssen Sie mir noch aufklären, Dagobert. Sie haben sich bemüht, den jungen Mann wegzubringen, weil Sie um meine Tugend besorgt waren?«
»Aber, Frau Violet! Sie wissen doch, welches Vertrauen ich in Sie setze! Da ich aber wußte, daß die abgängigen Zigarren durch Ihre Hände gegangen waren, und Sie daraus Ihrem Manne gegenüber ein Geheimnis machten, mußte der Raucher notwendigerweise verschwinden. Das mußte sein!«
»Ein Geheimnis! Da steckt ja die Ungeschicklichkeit von mir. Ich hatte es meinem Manne nicht gleich gesagt; hatte nicht daran gedacht, und als er dann eine Affäre daraus machte, da wäre es so merkwürdig herausgekommen. Es wäre mir peinlich gewesen.«
»Geradeso habe ich es aufgefaßt, gnädige Frau ... Für mich dürfte übrigens der Wagen vorgefahren sein. Sollte der junge Mann noch kommen, sich zu verabschieden, dann bieten Sie ihm zur Abwechslung eine Zigarre von einer anderen Sorte an, und dann wird diese wichtige Affäre für alle Zeit erledigt sein.«