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Piratenkiste

Evi war eine sportliche, junggebliebene Frau in den goldenen Jahren. Sie war alleinstehend, aber nicht, weil kein Mann sie hätte haben wollen, sondern weil sie so viel Auswahl gehabt hatte, dass sie sich schließlich für keinen hatte entscheiden können.

Nein, sie hatte es viel schlauer angestellt. Sie hatte in ihren Zwanzigern Rudolf gehabt. Rudolf war ein exzellenter Tänzer gewesen. Er konnte Walzer, Tango, Quickstepp sowie Rumba und Samba. Sie hatten alle Bälle besucht, die in der Stadt stattgefunden hatten, gingen zu sämtlichen Tanztees in den angesagten Cafés und nahmen sogar an einem Tanzturnier teil. Und das Ergebnis ließ sich ebenfalls sehen: der zweite Platz und somit der Silberpokal. Und das nur, weil diese blöde Kuh von Ingrid den Juroren schöne Augen gemacht hatte. Egal! Schwamm drüber.

Dann hatte Evi auch noch Alfred gehabt. Der war ein großer Musikliebhaber gewesen. Er hatte sie in alle Konzerte mitgenommen, die in der Stadt geboten wurden. Am allerliebsten waren Evi die Sommernachtskonzerte gewesen. Die waren so herrlich romantisch. Man saß unter dem Sternenhimmel, die laue Luft umwehte einen sanft und über sich hatte man das ganze Firmament und man konnte dabei so wunderbar träumen. Von Abenteuern, Prinzen mit Schwertern, die mit Drachen kämpften. Natürlich schauten die absolut nicht Alfred ähnlich, denn der hatte eine eher kümmerliche Figur und dachte nicht im Traum daran, seine „Prinzessin“ mit dem Schwert zu verteidigen. Egal! Schwamm drüber.

Ja, und dann war da noch Egon gewesen. Er hatte eine Schmuckmanufaktur und liebte es, Evi kostbare Preziosen zu schenken. Egon war einmalig. Er konnte nicht tanzen, nicht singen, aber er hatte Geld zuhauf, was auch nicht zu verachten war. Das war ebenfalls vorbei. Egal! Schwamm drüber.

Ach ja, und Paul hatte es auch noch gegeben. Der hatte gar nichts gehabt, aber er war praktisch veranlagt gewesen. Wenn der Abfluss streikte, die Dachrinne verstopft war oder die Sicherungen herausgesprungen waren, da war Paul der Richtige gewesen. Auf den hätte Evi auf keinen Fall verzichten wollen. Auch er ist Geschichte. Egal! Schwamm drüber.

Jetzt lebte Evi allein in einem Haus mit kleiner Wohnfläche, aber dafür Keller und Dachboden. Und sie hatte Thomas.

Wer Thomas war? Das war Evis Neffe. Der Sohn von Gerlinde, ihrer Schwester. Thomas war Student, Mitte zwanzig, sportlich, braun gebrannt und Evis absoluter Lieblingsmann. Jetzt im Alter zumindest. Er hätte an jedem Finger zehn haben können. Wollte er aber nicht. Er sagte immer: „Tantchen, du reichst mir. Du bist die eine! Und Mama ist ja auch noch da. Allzu viel Weiblichkeit ist ungesund. Das hat sich schon in der Geschichte immer wieder bewiesen.“

Thomas ging jeden Tag in der Früh zuerst einmal Inlineskaten. „Das brauche ich, sonst werde ich unleidlich“, sagte er immer. Wenn er dann so richtig ausgepowert war, duschte er und ab ging es zur Uni. Er studierte Bio. Die Biologie ist ja nicht ganz so trocken wie zum Beispiel Mathe oder Physik. Natürlich musste auch diese Fächer wer belegen, aber nicht Thomas. Bei Biologie gab es immer wieder praktische Übungen. Einmal wurden Kaulquappen in einem Weiher untersucht. Dann ging es wieder in die „Lange Lacke“ zum Reiherzählen. In einem Gehege in Niederösterreich wurden schottische Hochlandrinder beobachtet. Aber sie benahmen sich nicht viel anders als buntscheckige oder braune Milchkühe. Hatten sie Junge, waren sie mit Vorsicht zu genießen.

Bei einem Praktikum an einem Flussufer in Salzburg suchten sie nach Jungbibern und Biberbauen und zählten die von den Nagern gefällten Bäume. Da stieß er einmal rein zufällig mit Gabi, einer Kommilitonin, zusammen, als er rückwärts vom Ufer wegging und ihr auf den kleinen Fuß trat. Immerhin hatte er Schuhgröße siebenundvierzig!

„Entschuldige bitte vielmals, das tut mir sehr leid. Ich hab dich einfach nicht gesehen.“ Gabi murmelte nur „Ach, das passiert mir immer“, und humpelte von dannen.

Am nächsten Tag traf er sie auf der Uni wieder und lud sie auf einen Café Latte ein als Entschuldigung sozusagen. Gabi hatte aber keine Zeit. Ihre nächste Vorlesung begann.

Am Tag darauf wiederholte sich das Spiel, aber Gabi hatte keine Zeit. Sie musste zum Rektor. Am übernächsten Tag wollte sie ganz dringend zum Zahnarzt. Thomas gab auf. Dann lass´ es halt, dachte er sauer.

Am Samstag ging Thomas mit zwei Freunden in eine angesagte Bar in der City. Sie saßen an einem runden Tischchen und hatten jeder ein Getränk vor sich stehen. Eines bunter als das andere. Es herrschte ein ziemlicher Trubel, man konnte sich kaum normal unterhalten. Da sah Thomas plötzlich eine vertraute Silhouette. Es war Gabi. Sie war mit Freundinnen unterwegs, blickte aber in die andere Richtung. Thomas dachte bei sich: „Ich lass´ es darauf ankommen. Schaut sie zu mir her, dann rede ich sie an. Wenn nicht, dann halt nicht.“ Er wollte sich nicht schon wieder einen Korb einhandeln.

Da! Sie drehte sich plötzlich um, als hätte ihr jemand auf die Schulter getippt. Sie sah ihn und lächelte ihn an. „Jetzt könntest du deine Einladung nachholen. Heute hab´ ich Zeit. Vielleicht finden wir einen größeren Tisch, dann können wir uns alle zusammensetzen, deine Freunde und meine Mädels.“

Wie es der Zufall wollte, wurde in diesem Moment der große Nachbartisch frei und die Gruppe wechselte die Plätze. Gabi setzte sich zu Thomas. So war wenigstens eine rudimentäre Unterhaltung möglich, zumindest wenn man auch die Hände zu Hilfe nahm. Die Mädchen bestellten sich Hugos.

Thomas sagte: „Du bist noch nicht lange in meinem Seminar, oder? Ich sehe dich erst seit kurzer Zeit immer wieder.“ „Nein, ich bin von Graz hierher gezogen. Hier habe ich mehr Möglichkeiten. Und der Prof ist auch ganz nett. Nur die Kommilitonen sind ein bisschen tollpatschig.“ Thomas wurde rot. „Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, ich habe Riesenfüße, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn du am nächsten Tag mit einem Gipsverband angerauscht wärst.“

„Na ja, so arg war es auch wieder nicht. Aber mein Fuß ist ganz blau und ich hinke ein bisschen. Ich trage jedenfalls keine bleibenden Schäden davon. Der Unfall mindert nicht meinen Marktwert.“

Thomas fühlte sich nun doch ein wenig schuldig und schlug vor: „Lass uns in ein andres Lokal gehen, wo es nicht so laut ist und wir besser plaudern können.“ Ritterlich bot er ihr seinen Arm als Stütze an, winkte der restlichen Gruppe zu und dann zahlte er an der Bar die zwei Getränke.

„Ich zeige dir meinen Lieblingsitaliener. Gleich um die Ecke in der Schönlaterngasse.“ „Ich hab´ gar keinen Hunger“, warf Gabi ein. Thomas beruhigte sie mit den Worten: „Aber ein phänomenales Tiramisu wirst du doch schaffen? Lass´ dich überraschen. Es ist wirklich sensationell, das beste in Wien. Und solltest du es wirklich nicht schaffen, dann lassen wir es einpacken.“

Und schon standen sie vor dem Lokal „da Fredo“. Sie traten ein und Fredo, der Chef, eilte auf die beiden zu. Thomas war hier Stammgast. Zumindest in der ersten Monatshälfte, danach gab es Bohnen und Packerlsuppe mit Brot.

„Ah, Tomaso mit einer bella ragazza. Kommt, setzt euch. Hier ist der kleine Fenstertisch, den hab ich für euch aufgehoben“, zwinkerte er ihnen zu. Sie bestellten zwei Tiramisu und zwei Espressi. „Sehrrr gute Wahl, Tomaso. Ich habe mich questa sera selbst übersprungen, nein, übertroffen mit die Tiramisu. Ihr werdet noch in der Nacht davon träumen.“ Er ging lachend davon.

Thomas und Gabi plauderten und plauderten.

Gabi erzählte von ihrer Zeit in Graz, Thomas von seiner Tante Evi, die jede Menge Männer gehabt hatte, für jede Eventualität einen anderen. Es wurde gekichert und gelacht. Und schon war das Tiramisu verputzt. Kein Stäubchen blieb über. Anschließend tranken die zwei noch einen Grappa und dann war es auch schon Zeit zum Aufbruch, Fredo wollte schließen. Auch er mochte irgendwann ins Bett.

Am Montag trafen sich die zwei im Hörsaal und setzten sich nebeneinander. Sie waren nur halbherzig bei der Sache. Die Nähe des anderen machte sie nervös. Endlich, endlich war der Vortrag vorüber. In der Pause standen sie auf dem Gang und plauderten wieder. Gabi meinte: „Ich denke, das Lebensmodell von deiner Tante gefällt mir. Zumindest möchte ich es einmal ausprobieren. Du bist der Mann fürs Grobe“, grinste sie. Thomas blickte sie zerknirscht an. „Meinst du wirklich? Ich kann auch anders. Ich bin gar nicht so ein Trampeltier, wie du vielleicht glaubst. Ich habe auch eine sensible Seite. Ich fotografiere Schmetterlinge und die sind bei Gott zarte Wesen.“

Gabi staunte. „Schmetterlinge? Das hätte ich wahrlich nicht vermutet! Du und diese filigranen, empfindlichen Wesen. Ich liebe Schmetterlinge. Tagpfauenauge, Admiral, Apollofalter, großer Fuchs. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich nur im Rahmen des Studiums ein bisschen mit ihnen befasst habe. Allzu viel weiß ich nicht über sie.“

„Im antiken Griechenland wurde der Schmetterling mit der Psyche und der Seele gleichgesetzt und hatte eine besondere Stellung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Er versinnbildlichte das kostbarste Gut des Individuums und symbolisierte die Wiedergeburt. Dort bezeichnete das Wort ‚Psyche’ den Schmetterling, denn man hielt sie für die Seelen der Toten. In der griechischen und römischen Mythologie erscheint die Seele daher auch oft mit Schmetterlingsflügeln. Schon allein deswegen waren sie für mich bereits als Kind faszinierend. Stundenlang streifte ich mit meinen Eltern über Wiesen im Wiener Umland und versuchte, sie zwischen den Blumen zu erspähen. Ich habe gelesen, dass es weltweit einhundertsechzigtausend Arten gibt. Den Größenrekord hält die brasilianische Rieseneule mit dreißig Zentimetern Spannweite. Aber genug davon. Ich möchte dich nicht mit meinen Spinnereien langweilen.“

„Aber gar nicht. Ich betrachte dich jetzt mit ganz anderen Augen“, antwortete Gabi und schon begann die letzte Vorlesung des Tages. Es ging um Mammuts im Übergang vom Miozän zum Pliozän. Also nicht unbedingt ein zartes Thema. Sie verabredeten sich für den Nachmittag in der City auf dem Stephansplatz beim „Stock im Eisen“.

Gabi hastete nach der Uni heim. Dieser etwas grobschlächtige Thomas, na ja, eigentlich stimmte das so gar nicht, hatte sie heute doch sehr nachdenklich gemacht. Schließlich konnte es ja jedem einmal passieren, dass er jemandem auf den Fuß trat. Und viel war ja auch Gott sei Dank nicht kaputt gegangen. Gabi humpelte schon gar nicht mehr. Der Fuß war fast wie neu. Sie musste schnell Haare waschen, ein Gesichtspeeling stand auch schon länger auf ihrer Liste.

Duschen, frisches Gewand und dann noch ganz wenig schminken. Diese zugekleisterten Gesichter konnte Gabi gar nicht leiden. Ein bisschen Wimperntusche, rosa Lipgloss, die Wangen waren sowieso rosig nach der Schmirgelprozedur. Und schon sauste sie los Richtung Innenstadt.

Gabi fuhr mit der U-Bahn. Das war in einer Großstadt wie Wien das praktischste Verkehrsmittel. Es ging schnell und man kam damit fast überallhin.

Auf der Fahrt fiel ihr Binas Fete am kommenden Samstag ein. Es war eine Mottoparty, so gar nicht nach Gabis Geschmack, aber was sollte man machen? Ihr Kommen hatte sie schon zugesagt, bevor das Motto feststand. Das Thema war „Mode der Swinging Sixties“. Puh. Sie war total ratlos. Was sollte man da bloß anziehen? Ihre Mutter hatte aus dieser Zeit nichts aufgehoben, einfach aus Platzgründen. „Stephansplatz“, ertönte die Lautsprecherstimme im U-Bahn-Waggon. Gabi hüpfte erschrocken auf und konnte gerade noch aussteigen, bevor sich die Türen automatisch wieder schlossen.

Sie überquerte den berühmten Platz und dort, am vereinbarten Treffpunkt, stand auch schon Thomas und hatte sein unvergleichliches Grinsen im Gesicht. Schwungvoll umarmte er sie und meinte: „Was hältst du davon, wenn wir hinunter zum Schwedenplatz gehen und eine Schiffsrundfahrt machen? Es ist so ein wundervoller Tag und ich fühl´ mich heute irgendwie wie ein Pirat.“

Gabi lachte aus vollem Hals auf. „Du, ein Pirat mit Vorliebe für Schmetterlinge? Das passt so gar nicht. Aber egal. Ja, das ist eine tolle Idee! Lass´ uns das machen.“ Gesagt, getan. Sie kauften die Karten. Das Schiff hieß „MS Blue Danube“.

Die Fahrt sollte eine gute Stunde dauern. Als das Schiff angelegt hatte, betraten sie den Steg und gingen gleich weiter auf das Sonnendeck, um auch wirklich einen Rundumblick zu genießen. Nach fünfzehn Minuten legte man auch schon ab. Thomas bestellte zwei Melange und zwei Apfelstrudel, weil Gabi ihm gesagt hatte, dass sie den besonders mochte. Sie sahen bedeutende Bauwerke: den Uniqa Tower, die Sternwarte Urania, das Badeschiff, Hotel- und Geschäftsgebäude von Jean Nouvel, das Schützenhaus von Otto Wagner, den Ringturm, die Roßauer Kaserne und die von Friedensreich Hundertwasser gestaltete Müllverbrennungsanlage Spittelau, die wohl schönste Verbrennungsanlage der Welt.

Gabi genoss versonnen ihre Wiener Jause und fragte Thomas ganz plötzlich: „Was fällt dir zu einer Mottoparty ‚The Swinging Sixties‘ ein? Am Wochenende bin ich bei meiner Freundin Bina eingeladen und habe keinen Plan.“

„Na ja, da fällt mir so ad hoc Folgendes ein: Carnaby Street, Hippies. Make love not war, Twiggy, Mary Quant, Pille und Minirock. Aber wie willst du das umsetzen?“ Ratlos schauten sich beide an. Da hatte Thomas den rettenden Einfall: „Du, meine tolle Tante Evi, du weißt schon, die mit den vielen Männern, die fragen wir um Rat.“ Als die Schiffsrundfahrt vorbei und alle Sehenswürdigkeiten gehörig bewundert worden waren, rief er sofort bei Evi an. „Na ja, so schnell fällt mir da auch nichts ein, aber kommt doch einfach vorbei.

Ich überlege inzwischen“, meinte sie hilfsbereit.

Thomas und Gabi nahmen die U4 und fuhren nach Hütteldorf, einem Randbezirk von Wien, der schon mehr im Grünen lag und wo Evi wohnte.

„Kommt rein! Ich hatte tatsächlich eine Eingebung. Ich hab´ doch oben meinen alten verstaubten Gruseldachboden. Da steigen wir jetzt rauf und schauen uns mal ein bisschen um. Stellt euch auf Staub und dicke Spinnen ein!“

Gemeinsam bestiegen sie die steile Dachbodentreppe und schauten oben einmal suchend herum. „Evi, die Piratenkiste!“, rief Thomas. „Das ist die Lösung!“ Als er nämlich noch klein gewesen war, hatte er öfter hier heroben herumgestöbert und in der von ihm sogenannten Piratenkiste fanden sich alte Hüte, Gürtel, Hemden von Evis verflossener Männerschar, Kleider, Röcke und Stöckelschuhe mit Stamperlabsatz.

„Das ist die Lösung!“, rief Evi erneut. Die Truhe sah wie eine Schatzkiste aus. Alle drei bekamen einen Hustenanfall. Als sich dieser gelegt hatte, zog Thomas das unverschlossene Vorhängeschloss aus dem Eisenring und dann offenbarte sich ein schieres Wunderland vor ihren Augen. Als Oberstes lag ein türkis, rot, blau gemustertes Hawaiihemd. Sehr klein. Musste wohl Alfred gehört haben, der mit der schmächtigen Figur und dem Hang zur Musik.

Darunter kam ein Ledergürtel, überlang, zum Vorschein. Gehörte früher sicher einmal Egon, dem Schmuckmann. Er liebte außer Preziosen auch das gute Essen.

Unter dem Gürtel lag eine Arbeitshose von Paul, dem Mann für alle Fälle. „Evi, du bist ein Prachtstück“, lachte Thomas. „Deine Männer waren schon eine eigene Spezies. Und alle finden sich hier in der Piratenkiste verewigt.“ Dann fanden sie noch die Tanzschuhe von Rudolf, dem Tänzer. Er war ein eitler Geck gewesen. Die Schuhe waren aus schwarzem Lackleder.

Als Gabi diese herausgezogen hatte, kam darunter eine Schachtel zu Tage, sorgsam eingeschlagen in Seidenpapier. Evi öffnete die Verpackung und den Karton. „Jö, meine Tanzkleider!“

Hier, mit diesem langen in Altrosa waren wir auf dem Uniball im Hof der Universität Wien. Es war ein wunderschöner, warmer, sternenklarer Abend und Rudolf hat mir damals doch tatsächlich einen Heiratsantrag gemacht. Allerdings nach etlichen Gläsern Champagner. Ich habe lange überlegt, aber dann doch nein gesagt.“ Wehmütig grub sie weiter in ihren Schätzen.

„Da, und das mit den Fransen hatte ich auf einem Charleston-Abend im Tanzcafé ,Liebesfreud‘ an. Diesen Minirock trug ich auf einer Demo mit dem Motto ‚Mein Körper gehört mir!‘. Das waren Zeiten! Damals nahmen die ersten Frauen die Pille. Keine traute sich, es zuzugeben, aber alle wollten sie haben. Ach ja, Kinder! Die alte Zeit. Wie anders ist heute alles.“

„Ach, Tantchen, jetzt tu´ nicht so. Du kannst immer noch mit den Jungen mithalten. Du bist die tollste Tante der Welt.“ Gabi konnte da nur zustimmen. Da blitzte plötzlich etwas Gelbes von unten hervor. Gabi zog vorsichtig daran. Ein Kleid kam zum Vorschein, aus Baumwollstoff, weiß, bedruckt mir lauter knallgelben Zitronen mit grünen Blättern. Es hatte ein enges Oberteil mit rundem Ausschnitt und einen gezogenen, kurzen Rock. Das Kleid war Lebensfreude pur! Es strahlte Gabi direkt an. „Wann haben Sie das getragen, Evi?“, fragte sie.

„Na ja, das muss so einundsechzig oder zweiundsechzig gewesen sein, da war ich mit Rudolf am Gardasee. Dort haben wir dieses Kleid in einem Schaufenster in Sirmione gesehen und gekauft. Am Abend beim Tanzen im Hotel habe ich es gleich ausgeführt. Alle Blicke ruhten auf mir. Hach, war das ein schöner Abend. Aber sag´, Mädchen, wär´ das nicht das Richtige für dich? Die Größe könnte auch passen.“

Gabis Wangen glühten vor Freude und Aufregung. „Darf ich es bitte ausborgen? Ich glaub´, das wird der Knüller.“ Melancholisch übergab Evi das Kleid und schloss die Piratenkiste. „Nimm es mit und probiere es zu Hause einfach mal an. Damit bist du die Partyqueen.“

Noch am selben Abend rief Gabi Thomas auf dem Handy an und sagte voller Begeisterung:

„Das Kleid passt wie angegossen! Ich hab´ es gewaschen und gebügelt. Diese Muster sind auch jetzt wieder in. ‚Retro‘ ist ja derzeit der Burner. Du, und ich hab´ Bina angerufen. Ich darf dich mitbringen. Bitte sag´ ja! Es wird sicher toll.“ Thomas lachte herzlich: „Na, du sprudelst ja wie ein Wasserfall. Klar, ich komme mit, dich als Zitronenqueen kann ich mir nicht entgehen lassen. Aber was soll ich da anziehen? Hmm … Ich weiß es, ich hole mir das Hawaiihemd! Ich hoffe, ich bringe meinen athletischen Körper da hinein.“

Thomas‘ Mutter konnte die Seitennähte öffnen und den Stoff noch ein bisschen herauslassen und so passte das tolle Hemd tatsächlich.

Zitronenqueen und Hawaii-Thomas waren die Stars des Abends und tanzten bis zum Morgengrauen. Zu trinken gab es übrigens Zitronenbowle bis zum Abwinken und der absolute Hit des Abends war ein uralter Schlager: „The Lemon“ von der britischen Rockband Led Zeppelin aus ihrem 1969er Album. Der Abend war ein voller Erfolg. Und Gabi bekam zum krönenden Abschluss von Thomas einen zärtlichen Schmetterlingskuss.

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Zitronenbaiser

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